Der Berliner an sich ist neugierig im besten Sinne des Wortes – gierig auf das Neue. Das unterscheidet ihn, den Bewohner einer Stadt, die immer im Werden begriffen war und ist, womöglich vom Stuttgarter, der anscheinend eher altgierig oder, wie Nietzsche sagen würde, „antiquarisch“ veranlagt ist.
Als Berliner und Sohn eines Architekturkritikers bin ich besonders neugierig, was das Bauen in der Stadt betrifft; und da bin ich ein bekennender Anhänger des Dynamits als Prinzip. Was bleibet, sagte der Schwabe Hölderlin, stiften die Dichter – nicht, füge ich als Preuße hinzu, die Architekten.
Umso härter trifft es mich, dass ich nun eine Lanze fürs Bewahren brechen muss.
Schuld ist meine Frau. Sie wies mich darauf hin, dass in einem ansonsten von Gründerzeitvillen geprägten Viertel des schönen Bezirks Zehlendorf, in dem wir ja – in einer dem Bauhausstil nachempfundenen Reihenhaussiedlung – wohnen, eine Gruppe neuer Wohnungen entstehe: das „Königs-Quartier“ (weil an der Königstraße gelegen). Wir lenkten also unseren Abendspaziergang dorthin.
Auf dem Schild, das für die neue Siedlung warb, waren ziemlich gesichtslose, weiße Allerweltswohnboxen abgebildet worden; umso angenehmer überrascht war ich von der feinen modernen Architektur, die sich uns beim Nähern des Grundstücks darbot: Klare Formen, ausgeführt in rotem Klinker, der zu den Gründerzeitvillen passte und dem ganzen Ensemble bei aller Modernität eine gewisse Vornehmheit verleiht. Im Zentrum der Anlage ein schön gestalteter, rundum verglaster Innenhof. Die Formensprache erinnerte an die alte Akademie der Künste im Hansa-Viertel.
Und da lag auch der Haken; denn aus der Zeit des Akademie-Baus – den frühen 1960er Jahren – stammen die Gebäude, die wir so bewunderten; es handelt sich um ein Altenheim, das inzwischen entmietet worden ist, leer steht und des Abrisses harrt, damit „Stadtvillen“ entstehen können – fünf Stück mit insgesamt 39 Luxuswohnungen, dazu vier weitere Wohnungen in einer zu sanierenden Altbauvilla. Quadratmeterpreis je nach Lage zwischen 3.200 und 4.600 Euro. Etwas für Sehrvielbesserverdienende ohne Kinder, denn Gärten zum Toben gibt es nicht, und die größten Wohnungen haben zwar 180 Quadratmeter Wohnfläche, aber nur vier Zimmer: Esszimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer und – so darf man annehmen – Arbeits- oder Gästezimmer. Tiefgaragen dazu, selbstverständlich.
Und dafür muss das Altenheim mit seiner feinen Architektur weichen. Dessen Bewohner sind schon aus ihrem Paradies vertrieben worden. Die Anlage gehörte zunächst dem Deutschen Roten Kreuz. Als infolge von Missmanagement das DRK in Schulden geriet, wurde das Heim an die Betreibergesellschaft „Alpenland Berlin“ (kein Witz) abgegeben. Den Bewohnern nicht nur dieses Heims wurde versichert, dass sie nichts zu befürchten hätten, insbesondere keine Umsetzung. Alte Bäume, heißt es, verpflanzt man nicht. Wenige Jahre später waren sie raus. Niemand schrie auf. Niemand setzte sich für die Alten ein. Niemand entzog „Alpenland“ die Lizenz zum … gut, was ich in meinem Zorn sagen wollte, wäre justiziabel. Ich lasse das.
Das auf diese Weise verfügbar gewordene Grundstück erwarb die nach eigenen Angaben „deutsch-israelische“ Investorengruppe Diamona & Harnisch. „Inmitten hochherrschaftlicher Villen realisiert Diamona und Harnisch mit dem Königsquartier ein Neubauvorhaben der Extraklasse“, heißt es im Verkaufsprospekt. „Fünf freistehende Villen … entstehen auf einem herrlichen Gartengrundstück mit altem Baumbestand.“ Zu sagen, hier werde gelogen, dass sich die Balken biegen, wäre wohl auch justiziabel, deshalb sage ich das ausdrücklich nicht.
Aber dass die bürgerlichen Villen dieses Viertels „hochherrschaftlich“ wären, ist ebenso unwahr, wie die Bezeichnung von Wohnblocks mit je 8 Wohnungen als „freistehende Villen“ irreführend ist. Und tatsächlich entstehen diese Wohnblocks nicht „auf einem herrlichen Gartengrundstück“, sondern auf den Ruinen eines Gebäudes, das zwar aus unerfindlichen Gründen nicht auf der Liste der Berliner Baudenkmäler steht, tatsächlich aber ein Denkmal zutiefst humaner, sozialer, gut durchdachter, ansprechender und schützenswerter Architektur aus der heroischen Zeit West-Berlins ist, als die Leute mit Geld die Stadt fluchtartig in Scharen verließen, um sich später über die heruntergekommene Stadt der Armen, der Zuwanderer, der Beamten, Intellektuellen, Künstler und Studenten zu mokieren.
Die Neubauten stammen vom Architekten Klaus Theo Brenner, der sich als „der Italiener unter den Architekten Deutschlands“ bezeichnet, als wäre das eine Empfehlung. „Der Tod des Avantgardedenkens im Künstlerarchitekten ist Voraussetzung für die Wiederbelebung der Architektur in der Tradition der europäischen Stadt“ meint er in seinem Buch „Die gute Stadt“, wobei die „gute Stadt“ natürlich eine ist, die von Klaus Theo Brenner entworfen wurde und voll ist mit der Architektur Klaus Theo Brenners.
Wohin der „Tod des Avantgardedenkens“ führt, eine Formulierung, die einen schaudern lässt, hat Brenner auch demonstriert, etwa mit dem schauserhaften „Astron-Hotel“ an der Leipziger Straße und einem schauderhaften schwarzen Klotz an der Friedrichstraße ein Berlin, Lehrstücke der von Investoren geliebten Fantasielosigkeit. Auch die „Stadtvillen“ in Zehlendorf sind Architektur von der Stange; sie empfangen nichts von der Umgebung und sagen ihr nichts außer: „Hier wohnen Leute, die hochwertige Einbauküchen mit Markengeräten haben wollten.“
Man kann den Investoren nicht vorwerfen, sie hätten sich nicht an die planungsrechtlichen Vorgaben und Vorschriften gehalten. Man kann beim jetzigen Stand der Recherche den zuständigen Ämtern nicht vorwerfen, sie hätten sich nicht an ihre Vorschriften gehalten. (Obwohl die für den Denkmalschutz in diesem Viertel zuständige und darum von mir kontaktierte Referentin im Bezirksamt Zehlendorf nichts von dem Projekt wusste, geschweige denn von der Vorgeschichte und dem Stand etwa der Prüfung in Sachen „Umgebungsschutz“.). Schon gar nicht kann man den Investoren vorwerfen, ihnen ginge es nur ums Geld. Worum denn sonst?
Und dennoch wäre es wünschenswert, man würde vom Vorhaben Abstand nehmen. Es passt nicht ins Viertel. Es setzt den Abriss eines wirklich guten Gebäudes voraus – eines Gebäudes, das, selbst wenn es nicht mehr als Altenheim zu nutzen wäre, vielfältige andere Nutzungsmöglichkeiten suggeriert – als Mehrgenerationenhaus zum Beispiel, das dem benachbarten Nachbarschaftszentrum „Mittelhof“ angeschlossen werden könnte. Parkplatz und Garten des ehemaligen Altenheims könnten immer noch mit „hochwertigen“ Wohnbauten bestückt werden, vielleicht nicht mit 43 Wohnungen, aber doch sicher mit 20. Da bisher von den 43 geplanten ganze vier verkauft worden sind, kann man sich sogar vorstellen, dass eine Reduzierung des Bauvolumens den Investoren gar nicht so ungelegen käme.
Umbau und Umbauung des bestehenden Ensembles stellt zwar eine architektonische Herausforderung dar, der unser „Italiener“ und Meister des Klötzehinstellens möglicherweise nicht gewachsen ist; man sollte ihm aber diese reizvolle Aufgabe geben, die seine Bauten zwingt, sich dem Vergleich mit der stillen Größe und edlen Einfalt der bestehenden Substanz zu stellen.
Weniger wäre hier sehr viel mehr.
Zehlendorf 21? Berlin ist nicht Stuttgart. Aber ein bisschen mehr baubegleitenden Widerstand wünschte man sich schon.
@Alan
Das ist der Grund, warum ich mittlerweile nur noch dorthin in den Urlaub fahre, wo ich erwarten kann, dass noch keine Investoren hingekommen sind.
Und natürlich verrate ich diese Orte nicht, denn sonst sind Investoren sofort vor Ort.
Na ja, eine Empfehlung ist noch drin: Isla Bella in Brasilien.
@ Dr. Oliver Strebel: Ich habe nur deshalb die Tatsache erwähnt, dass es sich bei Diamona & Harnisch um eine „deutsch-israelische Investorengruppe“ handelt, weil diese Angabe auf der Homepage der Gruppe zu finden ist. Ich wollte nicht, dass irgendein Besserwisser (wie z.B. Sie) mir unterstellt, ich würde aus lauter Philosemitismus diese Tatsache unterschlage. Tatsächlich geht es Investoren immer nur ums Geld, wie Susannah Winter sagte; das Kapital hat kein Vaterland – und leider auch kein ästhetisches Gewissen. Während mir die Vaterlandlosigkeit des Kapitals im Prinzip gefällt und mir das Profitprinzip so sympathisch ist wie das Dynmaitprinzip, so bin ich inzwischen doch nachdenklicher geworden. Gerade habe ich zehn Tage auf Teneriffa verbracht, einer Insel, die Investoren und Touristen im Grunde genommen schon ruiniert haben. Das ging mir schon sehr nahe.
Die Amerikaner haben mehr Ahnung von Architektur, siehe New York:
http://www.youtube.com/watch?v=B1mqJWotuAE
http://www.nyc-architecture.com/TEN/TEN-MAIN.htm
Andere Baustelle. „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“: die Hamburger Elbphilarmonie ist hässlich, teuer und überflüssig, und passt gar nicht in der Hafen-Landschaft. Alles mit Grünen-Beteiligung, die die Schliessung des Altonaers Museums und die Kürzung des Etats des Deutschen Schaupielhauses gesegnet haben.
Wie war das mon cher Apo:
>was das Bauen in der Stadt betrifft; und da bin ich ein bekennender Anhänger des Dynamits als Prinzip.Umso härter trifft es mich, dass ich nun eine Lanze fürs Bewahren brechen muss.<
Kurz kurz ist es her, das wir wir ueber den Wiederaufbau des Berliner Schlosses diskutiert haben….
Es ehrt Sie, um schöne Architektur zu trauern. Aber die Aussicht auf Profit geht mit Sinn für Ästhetik, sozialem Gewissen oder simplem Idealismus nun mal nicht zusammen. Dass für diesen Gewinn einiger weniger viele andere verlieren wird hier grundsätzlich ignoriert. (Ich hör‘ schon einige meiner Mitschreiberlinge hier wieder über böses Gutmenschentum schreien. Idealist ist ja fast schon Beschimpfung geworden) Dies gilt für S21 ebenso wie für Ihr Zehlendorf. Schade. Ich hätte gerne ein Foto gesehen:) Liebe Grüße
Alan Posener schrieb: Das auf diese Weise verfügbar gewordene Grundstück erwarb die nach eigenen Angaben „deutsch-israelische“ Investorengruppe Diamona & Harnisch.
Indirekt bedienen sie hier das antisemitische Klischee, Juden ginge es nur ums Geld, sodaß sie mit architektonischem Ramsch, ein Stadtteil verunzieren. Was nützt es der Sachaussage, wenn man erwähnt, daß Israelis daran beteiligt sind? Ich finde es gut, wie die FAZ solche Zuordnungen zu vermeiden, wenn sie die Sache nicht zusätzlich erhellen.
Die Architektur finde ich recht bescheiden. Das ist absolute Dutzendware, wie man sie überall in Deutschland sieht. Nur sind die Wohnungen da viel billiger.
„…und da bin ich ein bekennender Anhänger des Dynamits als Prinzip…“
Was glauben Sie, was zur Erfüllung des Vierzigjahresplans – Energiekonzept zur Rettung des Weltklimas – noch alles „dynamitisiert“ werden muss…