Foto: Zizino Kubanke by Ulf Kubanke
Die Zeiten sind im Wandel. Auch im Bereich selbstbewusster Frauen, die sich öffentlich & mit offenkundiger Berechtigung gegen sexuelle Belästigung, genauer gegen das, was man inzwischen „Catcalling“ nennt, wehren. Ulf Kubanke erzählt die wahre Geschichte einer Frau, die sich eine solche Übergriffigkeit von einem Mann schon vor über 20 Jahren cool und standfest nicht gefielen ließ.
„And if you try to fuck with me, then I shall fuck you too“
(Jack Black with Tenacious D – „Kickapoo“ 2006)
Catcalling steht vermehrt am Pranger der rechtlichen Diskussion, Yanni Gentsch, eine mittlerweile prominente Aktivistin, zuvor belästigte Joggerin, hat sowohl die spontane Konfrontation des Stalking Voyeurs mit seinem erbärmlichen Selbst, als auch eine strategisch geplante Petition für besseren Opferschutz von Gesetzgebers Seite gestartet.
Aber alles ist noch längst nicht perfekt. Alles ist noch nicht ganz am gesellschaftlichen Breaking Point. Alles ist noch im Schwung. Aber wenigstens das. Immerhin.
Anscheinend hat, wie sollte es anders sein, jede Frau ihre ganz eigene, individuelle Art, auf solche Vorfälle zu reagieren. Dies treibt mich automatisch zu dem Gedanken, ein hierzu passendes Beispiel bereits erlebt zu haben. Treibt mich in alte Bilder. In eine Zeit, vor mehr als 20 Jahren, eine Zeit, deren Öffentlichkeit bei diesem Thema noch weit deutlicher Richtung bullyhafter Täter-Opfer -mkehr gepolt war. Mindestens durch die Herabwürdigung mittels purer Ignoranz.
Die junge Frau im Bremer Hitzesommer 2003
Es geschah in Bremen. Im hitzigen Sommer 2003.
Ich bin zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt. Die junge Frau, um die diese Geschichte sich eigentlich dreht, knapp 7 Jahre jünger. Sie ist Kellnerin. Kommt aus einem kleinen Land, dessen Sprache wie Schrift weltweit kaum jemand kennt, nach Deutschland. Nach Deutschland, einen Ort, an dem jeder einheimisch dahergelaufene Grobian ihr gern ein feistes „Achso, Russin, wa!“ entgegen rotzt, um sie sogleich frech duzend anzubaggern.
Wer ist sie?
Nun, eigentlich eine Musikerin, eigentlich eine Vollblut-Künstlerin, eigentlich….. Doch das hatte sie zu diesem Zeitpunkt längst vergessen. Äußerst präsent hingegen: ihre gleichwohl sonnige Erscheinung. Eine Zugewandtheit zur Welt, von der man sich wünscht, nur einmal wirklich mit Blickkontakt bedacht zu werden, ein Lächeln gar erhaschen. Charisma, dass niemand kaufen kann.
Sie, die unfreiwillige Attraktion in einer dieser doppelgesichtigen Kunstkneipen
Einige versuchen es gleichwohl. So auch an diesem Abend. Sie war unfreiwillig die Attraktion in einer dieser Kunst-Kneipen. Der Schuppen lag im beginnenden Steintorviertel, zwischen Kunsthalle und dem Goethe Theater, auf deren Straßenseite, irgendwo beim Wallgraben gegenüber der Contrescarpe. Fast noch im direkten Blickwinkel des Roland zu Bremen, dem ritterlichen Schutzherrn des Bürgers gegen die Obrigkeit.
Doch letzteres nutzte nichts.
Kennt ihr jene Sorte gehypter Kneipen, welche sowohl bezüglich ihres Standortes als auch bezüglich der Atmosphäre zwei absolut verschiedene Gesichter aufweisen? Folgendes: Mit einem Haufen freundlicher Menschen wirkt so ein Laden unter Umständen auf künstlerisch, schräge Art warm. Wird er jedoch von Menschen geführt, die vieles sein mögen, aber sicherlich kein Gentleman, und tritt solch geartetes Publikum hinzu, dann, ja dann: tja.
Dann degradiert sich der coole Style des Interieurs selbst zur abgefuckten Hipster-Charade, so kalt wie eine Leichenhalle.
Hier? Sie war ein Vulkan in diesem Kühlschrank. Natürlich begehrt das Eis das Feuer. Für sich. Allein.
Ich betrete also das Lokal. Nur eine Kellnerin anwesend und der Besitzer, ihr Chef. Die Taverne ist nicht voll aber gut besucht. Kommt mir Schickimicki-mäßig vor. Als Bremer für mich aufgesetztes „Pseudo-1/4“.
Egal. Sie fällt mir sofort ins Auge. Wir kennen einander bereits ein wenig. Doch nicht lange und die Vorgeschichte hat hier keinerlei Relevanz.
Sie sieht mich sofort.
Winkt mir zu.
Lacht mich an.
Und weist mir schwungvoll den Weg zum besten Tisch.
Ich nehme Platz. Sie bringt mir argentinischen Wein, einen Letra de Tango. „Gaumadschos! Auf die Gesundheit“ sagt sie mit ebenso stolzen wie verschmitztem Blick der georgischen Bergtochter. Ihr Name lautet Zizino. Zizino – abgeleitet vom georgischen Wort für Glühwürmchen/Firefly stammt aus Tbilisi. Und ich sage Euch…
Der unangenehme Typ, der nicht aufgibt
„Hey, werd ich auch mal bedient?“
Schnarrt eine empörte Stimme. Ein paar Meter gegenüber sitzt ein Mann um die 40, dessen spröder Tonfall ungeduldiges Gestikulieren umrahmt. Wie ein Schmetterling flattert Zizino zu ihm herüber, professionell genug, den schon jetzt unangenehm hierarchischen Eindruck zumindest vorerst zu ignorieren. Selbstverständlich passieren bei mir alle Klassiker, die man in derlei Szenen so im Kopf hat. Er versucht ins Private vorzudringen, erzählt demonstrativ während der Bestellung von seiner Firma, wie gut er mit dem Chef könne, man mal was unternehmen könne und so weiter und so fort.
Ach herrjeh….
Zizino blieb so charmant wie distanziert. Doch solche Typen geben selten auf nicht wahr? Sind in der Regel immun gegen Subtilität. Er wartet aufs Essen. Zieht dabei das erste Bier, einen halben Liter Becks, quasi auf Ex weg. Prahlt in der Zeit weiter, scherzt mit dem Chef. Letzterer steht stumpf hinter der Bar, während sie alle Tische der Taverne alleine am Halse hat.
Es wird hektischer. Der Raum füllt sich. Alle Hände voll zu tun. Genau jetzt krakeelt Mister Wichtig erneut. Natürlich. „Noch einen halben Liter Becks!“ „Gern.“
Sie bringt lächelnd das frische Bier, nimmt das leere Glas vom Tisch, wendet sich im obig bereits erwähnt graziösen Schwunge zum Gehen. Dreht ihm den Rücken zu. Trägt ein schwarzes Top zu engen Blue Jeans, kombiniert mit Schaftstiefeln.
„!!!KLATSCH!!!“ Landet des Neandertalers Pranke mit Schmackes auf ihrer zugegeben verführerischen Kehrseite. Sowas ist dann immer ne Zwickmühle. Ihr kennt das eventuell ebenfalls.
Was ist der richtige Weg?
Was soll ich tun? Einschreiten, den ungefragten Ritter geben? Und hinterher hören: „Danke fürs Überspringen! Wer hat dich denn als Retter gerufen, egozentrischer Sack!“
Oder man unternimmt nichts, bleibt als stumpfer Stiesel so erbärmlichst feige wie selbstbezogen sitzen. Auch nicht so gut.
Und jetzt? Ich schaue mit dem rechten Auge in ihre, ziehe fragend eine Braue hoch. Sie schüttelt leicht den Kopf. Die anderen Gäste? Vergesst es! Vom Chef war erwartungsgemäß keinerlei Solidarität zu erblicken. Zu gut verstanden die beiden Leuchten einander. Er signalisierte, das sei ja alles schließlich gar nicht sooooo gemeint gewesen, und man solle sich vielleicht nicht sooooo anstellen, gefälligst etwas Humor haben und bitte auch „mal als Frau verstehen und kalkulieren, dass die Gäste durchaus mal einen getrunken haben“. Alle Stereotype misogynen Versagens einträchtig beisammen. Ich erspare uns Einzelheiten seines Vortrages.
Derweil sitzt sein Kumpel grinsend am Tisch und signalisiert, dass er ja eigentlich „immer noch auf das Bier warte.“
Sie dreht sich auf dem Fuß herum. Sagt kein Wort. Begibt sich zum Zapfhahn. Fabriziert ungerührt das Becks. Kommt zurück. Sie lächelt nonchalant, geradezu zuckersüß,doch es liegt Stahl in ihrem Blick.
„Hier dein Becks. Gaumadschos. Auf deine Gesundheit.“ Das komplette Glas ergießt sich extra eiskalt über seinen Kopf. Langsam, geradezu genieserisch, wie mit einem Soßenschwenker. Alles. Restlos.
In dem Moment dachte ich: „Die will ich heiraten. Die und keine andere.“
Unser Freund am Nachbar Tisch artikulierte sein Innenleben ebenfalls. „Was zum Teufel …Du blöde Schlampe…“ Ganz ruhig wendet sie den Kopf, schaut ihn fast sanft an. Dann sehr ruhigen, dabei versteinerten Tons: „Und wenn du das noch einmal bei einer anderen Frau machst, dann spüre ich das und finde ich dich.“ Sie sagte dann noch irgendetwas Schlimmgeorgisches, von dem ich mir sicher bin, dass es besser ist, bis heute nicht genau erfahren zu haben, was für ein Fluch dies im Wortlaute war.
Nun wendet sie den Blick zu mir. Die Versteinerung der Medusa löst sich langsam. „Können wir?“ „Selbstverständlich.“ Tja, wie gesagt, jede Frau hat wohl ihre eigene Art mit derlei Erfahrungen umzugehen, schätze ich. Doch wird es nicht Zeit, dass sie in vergleichbaren Situationen nicht länger nahezu alleine da stehen, so vernachlässigt, so „Down by Law“?
PS: Achso, ein Song fehlt noch.
Was passt zur Story?
Eine Kampfeshymne?
Eine Feminismushymne?
Ein Kneipenlied?
Warum überlassen wir das letzte Wort nicht der Heldin dieser Geschichte? Wem sonst? Immerhin ist es ihre ganz ung gar hauteigene Story, so exemplarisch sie in des Lesers Auge auch klingen mag.
Hier kommt Zizino heute – 22 Jahre später – mit dem Soundtrack zu ihrem eigenen Erlebnis plus sinnbildlichem Text:
https://www.youtube.com/shorts/4iIYYkktIt4
Zizino – Look Into My Eyes
Look into my eyes
Tell me what I feel
Look into my eyes
And guess what I want
Look into my eyes
Tell me what I need
Look into my eyes
And guess who I am
Maybe I’m a little dreamer
My dreams are so deep
Maybe I just wanna play
So many funny Games
Maybe I’m a woman
Driving too mad
And don’t dare to touch
Or l‘ lI wound you with my claws
Music & Lyrics by Zizino