avatar

Die Philosophie der Songs von Bob Dylan (51): Julius and Ethel

Ist es möglich, dass ein unschuldiger Mensch nach einem fairen Verfahren verurteilt und sogar hingerichtet wird? Ja. Ist es möglich, dass ein schuldiger Mensch nach einem fairen Verfahren freigesprochen wird und nie für sein Verbrechen büßt? Ja. Ein faires Gerichtsverfahren ist keine Garantie für einen richtigen Urteilsspruch. Gerechtigkeit heißt nicht, dass Schuld immer gesühnt und Unschuld immer anerkannt wird.

Ganz davon abgesehen, dass man „fair“ oder „gerecht“ schwer definieren kann. Ist es fair, dass reiche Leute sich die besten Anwälte leisten können, arme Leute oft auf Pflichtverteidiger angewiesen sind? Kann man die Unvoreingenommenheit einer Jury garantieren? Eines Richters? Was bedeutet „im Zweifel für den Angeklagten“ genau? Wenn das Interpretationssache ist, wie kann man von Fairness und Gerechtigkeit reden?

Wir kennen uns alle in solchen Fragen aus, weil wir unzählige amerikanische „Courtroom Dramas“ gesehen haben, von Klassikern wie „Twelve Angry Men“ oder „to Kill a Mockingbird“ über John Grishams Romane und der en Verfilmungen bis hin zu leichter Serien-Kost wie „Boston Legal“ oder „How to Get Away with Murder“. Es gibt auch deutsche Gerichtsdramen, aber mir fällt gerade keines ein, das es selbst mit mittelmäßigen Hollywood-Produktionen aufnehmen könnte.

Was nicht nur mit dem Können der Filmemacher, sondern auch mit der Form der Gerichtsverfahren zusammenhängt: Wo das Verfahren selbst theatralische Züge hat, da muss die Gattung des Gerichtsdramas einfach besser gedeihen als hierzulande. Eines der besten Exemplare, „Witness for the Prosecution“ – in dem ein Mörder in einem fairen Verfahren freigesprochen wird – spielt vor dem Old Bailey in England. Interessanterweise wurde es von Billy Wilder mit Marlene Dietrich in der der Hauptrolle verfilmt, also von einem aus Österreich-Ungarn stammenden stammenden Regisseur mit einer aus Deutschland stammenden Schauspielerin.

Aber ich schweife ab. Hier will ich noch einmal auf Bob Dylans „Julius and Ethel“ eingehen. Noch einmal? Ja, denn in meinem Dylan-Buch gehe ich darauf ein, und mir scheint, meine Besprechung dort beruht teilweise auf falschen Voraussetzungen.

Ich schrieb: „Das Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg wurde am 19. Juni 1953 wegen Spionage für die Sowjetunion auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Julius sollte Spione rekrutiert und vor allem Details über die Atombombe an Moskau weitergeleitet, Ethel dabei geholfen haben. Damals galt die Hinrichtung in linken und progressiven Kreisen weltweit als Justizskandal. (…) Nach dem Fall des Kommunismus wurden die sowjetischen Archive geöffnet, auch jene des Geheimdienstes KGB. Aus ihnen ging zweifelsfrei hervor, dass Julius Rosenberg tatsächlich sein Land verraten und dass ihn Ethel aktiv dabei unterstützt hatte. Beide waren Überzeugungstäter, Kommunisten, die sich weigerten, andere Spione preiszugeben, um ihr Leben zu retten.“

Inzwischen habe ich Alan Dershowitz‘ Einschätzung des Falls (im Hörbuch „Fundamental Cases“) kennengelernt. Dershowitz geht davon aus, dass Julius Rosenberg schuldig, Ethel aber unschuldig war. Allenfalls wusste sie etwas von der Spionagetätigkeit ihres Mannes, tippte vielleicht dies und das ab, hatte jedoch nichts getan, was die Todesstrafe – so sie je gerechtfertigt ist – verdient hätte.

Das FBI jedoch, so Dershowitz, wollte unbedingt ein Todesurteil gegen Ethel, weil man davon ausging, dass Julius nie die Hinrichtung seiner unschuldigen Ehefrau – und Mutter seiner zwei Kinder – hinnehmen und also bereit sein würde, mit dem FBI zu kooperieren, um ihr Leben zu retten. Sie war also eine Geisel, und das wusste die Staatsanwaltschaft, das musste der Richter ahnen, und das hat auch Präsident Dwight D. Eisenhower geahnt, der zunächst Ethel begnadigen wollte.

Die Ankläger unterschätzten jedoch Julius Rosenbergs Fanatismus. Er starb und opferte auch Ethel lieber, als seine Mitwisser und Mittäter zu verraten. Und Ethel selbst hielt zu ihrem Mann bis zum Tod auf dem elektrischen Stuhl.

Die Rosenbergs hatten zwei Anwälte. Einer war unfähig, ein Anwalt für Arbeitsrecht ohne jede Erfahrung in Kriminalfällen. Er war dem Ehepaar von der KP der USA gestellt worden, und Dershowitz hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Parteiführung durchaus einverstanden war mit einem Todesurteil. In den USA und weltweit konnten die Rosenbergs als unschuldige Opfer antikommunistischer Hysterie hingestellt werden, und in Moskau, wo man es besser wusste, war mit Julius‘ Tod die Gefahr gebannt, dass er doch noch mit dem FBI kooperieren und weitere Spione und Agenten in den USA verraten könnte.

Der andere Anwalt, ein Bürgerrechtler, hat, aus Gründen, die nicht mehr zu rekonstruieren sind, selbst dazu beigetragen, die Mär von Ethel als der eigentlichen „Herrin“, Julius als ihrem „Sklaven“ zu konstruieren, was letztlich Eisenhower bewog, sie nicht zu begnadigen, obwohl er grundsätzlich gegen die Hinrichtung von Frauen war.

Es wurden also nach einem höchst unfairen Verfahren ein schuldiger Mann und eine unschuldige Frau verurteilt und hingerichtet.

Vor diesem Hintergrund verdient Dylans Song – übrigens eine tolle Rock-Nummer noch besser als „Neighborhood Bully“ aus den gleichen „Infidels“-Aufnahmesessions mit Mark Knopfler, Mick Taylor, Sly Dunbar und Robbie Shakespeare – doch einen genaueren Blick. (Den Text findet man unten.) Denn obwohl der Song 1985 geschrieben wurde, wo man durchaus noch der Meinung sein konnte, die Rosenbergs seien unschuldig gewesen, schließlich waren die sowjetischen Archive noch nicht geöffnet worden, hütet sich Dylan das zu behaupten. Er behauptet zu Recht, dass ihre Schuld nie „beyond reasonable doubt“ bewiesen wurde. Damals nicht, weil viele der Beweismittel des FBI nicht vor Gericht zulässig waren; und gegen Ethel gab es außer der fragwürdigen Denunziation durch ihren Bruder gar keine.

Weiter heißt es bei Dylan, die einen hielten das Ehepaar damals für schuldig, die anderen meinten, es läge doch gar kein Verbrechen vor. Wie das? Im vorletzten Vers erklärt Dylan, was er meint: „Man sagt, sie hätten die Geheimnisse der Atombombe verraten, gerade so, als hätte niemand darauf kommen können, wie sie gebaut wird, als gäbe es sie heute nicht ohne sie.“ Ein poetisch etwas verkürztes Argument, das jedoch einen Wahrheitskern enthält. Julius hat Atom-Geheimnisse verraten, wollte, dass die Sowjets die Atombombe hatte; jedoch waren die Informationen, die er weitergab, nicht entscheidend. Längst hatten die Sowjets über Klaus Fuchs und Theodore Hall detaillierte Kenntnisse erhalten; sie brauchten Rosenberg nicht.

Und daher haben die zwei wichtigsten Verse dieses Songs ihre Berechtigung: Ja, die Rosenbergs wurden wie Schlachtvieh geopfert: Vom FBI, das an Julius ein Exempel statuieren wollte und Ethel als Geisel benutzte, um ihn zum Verrat zu bewegen; von der Sowjetunion, die Julius lieber tot als lebendig sah; von der KP der USA und der weltweiten antiamerikanischen Bewegung, die das Ehepaar als Märtyrer brauchte.

Und ja, verachtet und verdächtigt wie sie waren, hielten sie bis zum Tod einander auf ihre merkwürdige Weise die Treue; eine Treue, die auch darin bestand, dass sie ihn nie aufforderte, seine kommunistischen Ideale und seine kommunistische Ehre ihretwegen zu kompromittieren.

Freilich glaube ich, dass diese Tragödie, die Tragödie völliger Selbstaufgabe für ein Ideal, das eine Lüge war; die Unterordnung persönlicher Liebe unter die Liebe zu einer Idee und einem Land, das diese Idee angeblich verkörperte, in Wirklichkeit jedoch verriet; die Tapferkeit einer Ethel Rosenberg, die unschuldig in den Tod ging; die Unmenschlichkeit der Eheleute aber auch, die ihre beiden Kinder lieber zur Adoption durch Genossen freigaben, als ihnen durch ein Geständnis wenigstens die Mutter zu erhalten – ich glaube, dass dieses Drama einen besseren Song verdient hätte.

Vielleicht ahnt das Dylan auch, den auf seiner Website findet man unter dem Titel des Songs den Text nicht, nur eine leere Seite.

 

 

 

Now that they are gone, you know, the truth it can be told;
They were sacrificial lambs in the market place sold —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

Now that they are gone, you know, the truth it can come out;
They were never proven guilty beyond a reasonable doubt —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

The people said they were guilty at the time;
Some even said there hadn’t a-been any crime —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

People look upon this couple with contempt and doubt,
But they loved each other right up to the time they checked out
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

Eisenhower was president, Senator Joe was king;
Long as you didn’t say nothing you could say anything —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

Now some they blamed the system, some they blamed the man;
Now that it is over, no one knows how it began —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

Every kingdom got to fall, even the Third Reich;
Man can do what he pleases but not for as long as he like —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

Well, they say they gave the secrets of the atom bomb away;
Like no one else could think of it, it wouldn’t be here today —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

Someone says the fifties was the age of great romance;
I say that’s just a lie, it was when fear had you in a trance —
Julius and Ethel, Julius and Ethel.

 

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top