„There is much talk today in Germany about the AUFARBEITUNG (literally, the >>working over<<) of its recent history – a very German word that is usually translated as >>coming to terms with the past<< (on whose terms?) but that also evokes Freudian connotations …, and that, in a more mundane and domestic meaning, also can be used to describe the remodeling of an old garment (>>ein Kleidungsstück aufarbeiten<<) to make it look as good as new.“
Bild oben: Am Morgen des 3. Oktober 1990
Wer erzählt die Geschichte der DDR ?
„Unsere Geschichte“, sagte Reiner Haseloff, der nun scheidende (CDU-)Ministerpräsident zu Magdeburg am 27. März 2011 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,
„können wir Ostdeutschen nur selbst erzählen. Das kann kein Historiker aus Bielefeld.“
Es besteht noch immer eine stillschweigende Einigkeit unter den politischen Parteien im Osten darüber, dass z.B. die Posten der (von mir hier beschriebenen) Landes- (Aufarbeitungs-) Beauftragten nur von „uns Ostdeutschen“ besetzt werden könnten.
Aber wer sind überhaupt „wir Ostdeutschen“ ?
Leichtsinnigerweise hatte der Magdeburger Landtag 1992 diesen Begriff im Gesetz definiert. Mit § 3 Abs. 2 Satz 4 zum damaligen „Ausführungsgesetz zum Stasiunterlagengesetz des Landes Sachsen-Anhalt“ solle nur gewählt werden, wer
„bis zum 9. November 1989 den gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der neuen Bundesländer gehabt“
habe. Ich habe Ihnen das unten im Ausschreibungstext markiert.
Als ich den Kollegen Kleine-Cosack fragte, was „man“ gegen diesen Unsinn machen könne, wies er mich auf eigentlich Selbstverständliches hin:
„Juristisch dagegen vorgehen können Sie nur, wenn Sie betroffen sind. Sie müssen sich bewerben, die Ablehnung kassieren und können erst dann die Norm angreifen.“
Also tat ich dies, wie die Magdeburger Volksstimme berichtete …
Eine Diskussion dazu habe ich allerdings nicht anregen können. Noch zehn Jahre später, zur Suche einer Kandidatin für das Amt der jetzigen SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag galt dass Narrativ, dass nur eine Ostdeutsche dazu befähigt sei. Eine, wie Katrin Budde, damalige Vorsitzende des Kulturausschusses, ausführte,
„…die weiß, wovon sie redet.“
Noch einmal: Wer oder was ist ein „Ostdeutscher“? Und weiß diese „Ostdeutsche“ wirklich, wovon sie redet ?
Ist das, was „der Westen“ erzählt, eine Erfindung ?
Dirk Oschmann übertitelte sein Buch jedenfalls so (Bild unten).
Aber das, was „der Westen“ über „den Osten“ erzält, das ist gar keine Erfindung. Jedenfalls entstammt diese Erzählung keinen Spin-Doktoren eines Thinktanks. Vielmehr ist die „westdeutsche Erfindung“ ein Resultat der Erzählungen der Emigranten. Ich habe versucht, dies hier darzustellen …
Diese Erzählungen stammen aus verschiedenen Zeiten. DDR-Bilder aus den 1950er Jahren passen nicht mehr auf die 1980er.
Gemeinsam ist allen Erzählungen von DDR-Emigranten, dass sie emigriert sind. Weil es für sie keinen Wert (mehr) hatte, in der DDR zu leben.
Dem Emigranten war das Leben in der DDR nicht (mehr) des Lebens wert.
… Gibt es ein lebensunwertes Leben ?
Abwegige Frage ? Keineswegs. Das DDR-Bild des Westens kam nach 1990 genau so an:
„Alles nichts wert. Die Betriebe Schrott. Das ganze Leben Schrott.“
Gegenbilder über ein lebenswertes Leben in der DDR sind zuallererst eine Selbstbehauptung.
Eine nicht nur verständliche, sondern auch notwendige Selbstbehauptung. Sie sind mitunter genauso schrill wie die Bilder, denen sie widersprechen.
In Dirk Oschmanns Buch fand ich übrigens zum ersten mal formuliert, was mir schon lange hätte auffallen sollen: Das westdeutsche Bild über „den Ossi“ ist ein Männerbild. Das Bild über den ostdeutschen Mann, den notorischen Versager, unterscheidet sich nämlich gewaltig vom Bild über die ostdeutsche Frau. Letztere ist im westdeutschen Männerbild einfach nur schön und klug, kurz: begehrenswert.
Das lebenswerte Leben in der DDR
In einem ganzen Buch legt Katja Hoyer dar, was in der DDR lebenswert gewesen gewesen war oder gewesen sei.
Und nicht nur nebenbei: Sie verschweigt keineswegs politische Verfolgung.
Richtig, meine alten Klassenkameradinnen aus der Gärtnerschule haben ja auch tolle Feste gefeiert im Studentenwohnheim der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie dann Gartenbau studierten.
Haben sie. Aber:
„Du müsstest, wenn Du kämst, Bodo, durch eine Personalausweiskontrolle.
Tu das Dir nicht an. Tu das mir nicht an!“
Mein Klassenkamerad Reinhard war geradezu entsetzt, als er eine Geburtstagskarte von mir erhielt.
„Mit der Post ? Offen auf einer Karte, die nicht mal aufgedampft werden muß ? Warum tust Du mir das an ? Du hättest es selbst in den Briefkasten werfen können!“
Meine eigene Schwester, damals 17 und Startläuferin in der 4 X 100m – Staffel der DDR-Olympiaauswahl und deshalb Reisekader ins „Nichtsozailistische Wirtschaftsgebiet, NSW“ wollte sich nicht mehr mit mir sehen lassen. Sie hat es sogar in den Buchhandel geworfen, was ich bis heute nicht verstehe. Ich hätte es lieber als „bleibt in der Familie“ gehändelt: (in diesem Buch auf Seite 96 …):
„Im Ergebnis durchgeführter Aussprachen des MfS mit der Walther distanzierte sie sich eindeutig von der Straftat ihres Bruders, indem sie sein Verhalten entschieden verurteilte.“
Die Zeile darunter
„… bestätigte sich in den durch die Abteilung IX (der Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit) der BV (Bezirksverwaltung) Halle durchgeführten Vernehmungen ihres Bruders.“…
…Diese Zeile notiert ja, dass ich selbst meiner Schwester anderes als eine Kontaktsperre „nicht antun“ wollte.
So war der Alltag in der Diktatur.
Aber wie erzählt man den, ohne den Eindruck einer beleidigten Leberwurst zu hinterlassen ?
Immerhin ist in drei Wochen Klassentreffen. 45 Jahre Abitur an der Gärtnerschule! Und ich freue mich darauf.
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Noch mehr Aufarbeitung:
„Aufgearbeitet“: (1) Das DDR-Bild der Bonner Republik
„Aufgearbeitet“: (2) Das „Gaucken“ als Läusekamm
„Aufgearbeitet“: (3) Gegangene und Gebliebene – zwei DDR-Bilder
„Aufgearbeitet“: (4) 1998, der Wiederaufstieg der SED/PDS/LINKE und die Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
„Aufgearbeitet“: (5) Landesbeauftragte
„Aufgearbeitet“: (6) Alles Opfer, oder was ?