
Warum man solche Pamphlete, ob aktuell gegen Israel, für die Kapitulation der Ukraine, den Weltfrieden oder was auch immer, getrost ignorieren sollte.
Ich habe Achtung für Menschen, die sich irgendwo anketten, eine Straße blockieren oder in den Hungerstreik treten, selbst wenn ich ihre Anliegen nicht teile. Sie riskieren immerhin etwas: ein Bußgeld, Haft, ihr Leben. Für Leute, die ihre Unterschrift unter einen offenen Brief setzen, der in der Regel weder offen noch ein Brief ist, sondern eine von Tamtam begleitete Forderungsliste mehr oder minder Unbedeutender, auch wenn sie sich „Promis“, Künstler, Schauspieler, Schriftsteller oder Experten nennen, hege ich nicht einmal Verachtung. Es geht mir schlicht wie wahrscheinlich den meisten am Hintern vorbei. Warum aber steigen Medien dennoch oft groß darauf ein wie jetzt bei den 150 Showspielenden im Fall Gaza?
Vor einigen Tagen konnte man den ganzen Tag über keine Nachrichtensendung einschalten, ohne an prominenter Stelle informiert zu werden, dass sie sich an Kanzler Merz gewandt hätten mit der Forderung, wegen des angeblichen israelischen Hunger-Völkermords Sanktionen gegen den jüdischen Staat zu verhängen. Davon abgesehen, dass „Kulturschaffende“, womit sie meist bezeichnet wurden, ein Nazi-Begriff ist, was hier ziemlich passt, handelt es sich bei den Unterschriftstellern und -innen keineswegs um welche, die Kultur schaffen, sondern um Gestalten, die durch Vorabendserien und das sonstige TV-, Show- und Kulturgeschäft tingeln, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Was befugt sie, sich zum überaus komplexten Nahostkonflikt zu äußern?
Nichts, natürlich. Außer der Tatsache, dass heutzutage jedermann und jede Frau zu allem Möglichen Stellung bezieht, bevorzugt in den sog. sozialen Medien, ohne in der Regel davon auch nur die geringste Ahnung zu haben. Was in einem freien Land und einer Demokratie mit Meinungsfreiheit selbstverständlich ihr Recht ist. Aber genauso selbstverständlich ist es das gute Recht von allen anderen, dies nicht zur Kenntnis zu nehmen und damit nicht penetriert werden zu wollen.
Tamtam mit Schlagseite
Warum jedoch meinen Redakteure der öffentlich-rechtlichen Anstalten und sonstiger Medien, dass es berichtenswert wäre, sogar von größerem Belang, wenn eine Gruppe von B- bis C-Promis sich zum Krieg in Gaza und gegen Israel äußert? Die Antwort liegt nahe: Weil es sie und viele andere darin bestärkt, dass Israel und nicht etwa die Hamas für das Leid in Gaza und darüber hinaus verantwortlich sei. Was die ohnehin grassierende Israel- und Judenfeindlichkeit befeuert.
Hätte diese Ansammlung vermeintlich „Prominenter“ oder eine andere in einem offenen Brief den Kanzler und die Bundesregierung aufgefordert, sich energisch für die Freilassung der verbliebenen israelischen Geiseln, darunter sieben mit auch deutscher Staatsangehörigkeit einzusetzen, die seit mehre als 600 Tagen von der Hamas und Zivilisten in Gaza unter unmenschlichsten Bedingungen gefangen gehalten werden, und dafür, dass die Terrororganisation sich ergibt, um den Krieg endlich zu beenden – es wäre allenfalls unter ferner liefen gemeldet worden.
Ähnliches galt vor einiger Zeit für die Erklärung abgehalfteter SPD-Linker und -Pazifisten, in der sie zur „Versöhnung“ mit dem russischen Kriegsregime und Rückkehr zum Appeasement aufriefen, das den Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine erst möglich gemacht hat. In diesem Fall konnte man immerhin sagen, dass es sich um Politiker handelt, wenn auch meist ehemalige und solche aus der dritten Reihe. Von Bedeutung war auch dieses Pamphlet jedoch nur insofern, dass man davon ausgehen kann, dass sie für einen nicht unerheblichen Teil der Mitregierungspartei sprachen.
Null Bedeutung
Sie reihten sich damit ein in die Aufrufe von Wagenknecht, Alice Schwarzer, Ex-Bischöfin Käsmann und anderer, die Unterstützung für die Ukraine aufzugeben um des lieben eigenen Friedens willen. Auch deren offenen Briefe und Kundgebungen wurden jeweils öffentlich groß verbreitet, obwohl die breite Mehrheit der Bevölkerung zum Glück weiterhin hinter der Ukraine steht, weil sie – anders als die offene-Brief-Schreiber – begriffen hat, dass die Ukrainer und Ukrainerinnen auch für unsere Freiheit und Sicherheit kämpfen. Im Gegensatz zur Hervorbringung der 150 jetzigen kann man also nicht sagen, dass sie für einen größeren Teil der Bürger sprechen.
Auf der anderen Seite sind diese keineswegs Dissidenten, die mir ihrer öffentlichen Stellungnahme gegen Israel irgendetwas riskieren würden. Außer, dass die sich bald versendet haben wird ohne jegliche Folgen. Nicht mehr also als billigster Gratismut, der ihnen Applaus einbringt. Wenn sie wenigstens offen und ehrlich gewesen wären, hätten sie geschrieben: „Kauft nicht bei Juden!“ Dann hätte man gewusst, in welche unseliger Tradition sie stehen. Aber so?
Thomas Mann, ein vordem ziemlich unpolitischer bürgerlich-konservativer Autor, wurde während des Zweiten Weltkriegs zu einer Stimme des anderen, besseren Deutschland, weil er sich via Radio an das deutsche Volk wandte und es zum Widerstand gegen die Nazis aufrief. Es war wirklich ein Kulturschaffender, und was er in seinen flammenden Ansprachen sagte, hatte großes Gewicht. Daran gemessen müsste das offene Brieflein der 150 Untapferen nicht einmal frankiert werden, weil es Null Gewicht hat. Ob Merz es gelesen hat? Es ist (hoffentlich) zu beweifeln.