Axel Reitel, Bürgerrechtler, Schriftsteller, gelegentlich auch Dichter, Musiker und Textdichter, bat mich, etwas über „Ventilator Blues“ von den Rolling Stones zu schreiben. Und obwohl mir – anders als vielen Blues- und Rockmusikern, besonders in Deutschland – die „Exile On Main Street“-Phase ihres Schaffens nicht besonders imponiert und ich überhaupt Mick Taylor – der die Musik für diesen Song mitschrieb – bei allem Respekt für eine Fehlbesetzung bei den Stones hielt, soll mir Axel Reitels Wunsch Befehl sein.
Was gleich in der ersten Zeile auffällt, ist die Bezugnahme auf „Come Together“ von den Beatles: „When your spine is cracking“, also wenn dein Rückgrat am Knacken, am Brechen ist, bezieht sich eindeutig auf „He one spinal cracker“ in Lennons Song. Tatsächlich könnte man den Text von „Ventilator Blues“ zur Melodie von „Come Together“ singen, und das wiederum verwundert nicht, denn beide nehmen ihren Ausgang und ihre Phrasierung von Chuck Berrys zweitem Hit, „You Can’t Catch Me“, von dem Lennon außerdem die Zeile klaute: „Here come old flat-top, he come groovin‘ up slowly“. Um einer Verurteilung wegen des Plagiats zu entgehen, hat Lennon Berrys Song – und zwei weitere Songs, die Berrys Verleger Morris Levy gehörten – für sein Album „Rock’n’Roll“ aufgenommen. Und natürlich haben die frühen Stones den Song kongenial gecovert; ohne Chuck Berry hätte es keinen Keith Richards gegeben.
Anspielungen auf „You Can’t Catch Me“, einen wunderbar ausgelassenen Song über die Freuden des Autofahrens, finden sich auch in diesem Song, etwa in der zweiten Strophe: „Everybody’s stepping on their accelarator“, jeder gibt Gas; bei Chuck Berry heißt es: „I put my foot in the tank and I began to roll …“ Foot in the tank statt foot on the gas muss man übrigens erst schreiben können. Oder in der ersten Strophe: „Woman’s cussing you can hear her scream“; bei Chuck Berry mit schöner und gewollter Zweideutigkeit über sein geliebtes „airmobile“: „Push in on the button you can hear her sing“. Das sind, wie gesagt, wie die Phrasierung selbst keine Plagiate (auch Lennons Zitat ist eher Hommage als Diebstahl), eher Reminiszenzen, vielleicht nicht einmal bewusste, die sich ergeben, wenn man sich auf Chuck Berry einlässt, der nicht nur ein begnadeter Gitarrist, sondern der erste Dichter des Rock’n’Roll war, noch vor Buddy Holly und – was Holly durch das Covern von „Brown-Eyed Handsome Man“ anerkannte – origineller als Buddy Holly.
Ist „You Can’t Catch Me“, 1956 aufgenommen, eine gut gelaunte Wunschfantasie über ein Auto, das im entscheidenden Augenblick – nämlich wenn die Cops hinter einem her sind – abheben kann, vielleicht aber auch eine Warnung an allzu besitzergreifende Frauen; ist „Come Together“ aus dem Jahr 1969 bis auf den Refrain, der ganz im Geist von 68 den gemeinsamen Orgasmus und die gemeinsame Aktion feiert, ein Nonsens-Lied im Stil Lewis Carrolls, so ist „Ventilator Blues“, aufgenommen 1972, schon ein Produkt der desillusionierten 1970er Jahre.
Wenn du also völlig fertig ist, das Rückgrat kaputt, das Herz am Bersten, den Arsch kriegst du kaum noch hoch und die Hände zittern, dabei zetert die Alte derart, dass dir nach einem Mord zumute ist, wenn aber um dich herum alle nur noch Gas geben, alles nur noch schneller wird, dann brauchst du etwas zum Abkühlen, einen Ventilator. Gemeint ist – in dieser Strophe jedenfalls – eine Droge, irgendein Downer, Heroin vielleicht.
In der zweiten Strophe wird es dunkler. Fantasiert der Sänger in der ersten nur aus Frustration über einen Mord, ist hier schon die Pistole sein Lebensgesetz. Zweite Chancen gibt es keine mehr. Und egal, wie viele Schläge er einsteckt, egal, wie oft er betrogen, was ihm angedroht wird, zum Lernen ist es wohl zu spät. Alle rennen kopflos herum, treten auf ihrem Schöpfer herum, brauchen früher oder später eine Abkühlung. Bitte, hier kriegst du sie.
Ich will nicht ausschließen, dass die Sache mit dem „Creator“ nur da ist, um auf „Ventilator“ zu reimen; denn der Song hat – wie Berry, wie Lennon – Spaß an Wörtern um ihrer selbst willen: accelerator – Creator – ventilator ist eine dylaneske Reihung, und man denkt unweigerlich an weitere Reimwörter: infiltrator, percolator, sooner or later … Und dann gibt es die herrliche Nonsens-Zeile: „can’t be browed by beating“: to browbeat heißt jemanden moralisch unter Druck setzen, einschüchtern, nerven; das Verb auseinandernehmen und das nichtexistente „to brow“ daraus machen, das ist große Kunst um der Kunst willen.
Und am Ende? Ist das ernst gemeint mit dem Kämpfen? Wogegen? Gegen den täglichen Wahnsinn, gegen das Abrutschen in die Kriminalität oder gegen die Drogen, wie John Lennon, der mit „Cold Turkey“ zeigte, wie das geht?
Helmut Lethen, der zur Zeit, da dieser Song aufgenommen wurde, Theoretiker der KPD/AO war, entwickelte später eine Faszination mit allen Aspekten der Kälte; deutete übrigens die Partei selbst als Abkühlapparat oder Abklingbecken für die durch 68 entwickelte Hitze, die sich anderweitig als Terror entlud. Wie sangen die Rolling Stones: Jeder wird einen Ventilator brauchen.
Recht hatten sie. Recht haben sie
When your spine is cracking and your hands, they shake
Heart is bursting and your butt’s gonna break
Woman’s cussing, you can hear her scream
Feel like murder in the first degree
Ain’t nobody slowing down no way
Everybody’s stepping on their accelerator
Don’t matter where you are
Everybody’s gonna need a ventilator
When you’re trapped and circled with no second chances
Code of living is your gun in hand
Can’t be browed by beating, can’t be cowed by words
Messed by cheating, ain’t gonna ever learn
Everybody walking ‚round
Everybody trying to step on their Creator
Don’t matter where you are, everybody, everybody gonna
Need some kind of ventilator, some kind of ventilator
Come down and get it
What you gonna do about it, what you gonna do?
What you gonna do about it, what you gonna do?
Gonna fight it, gonna fight it