Ich habe vergessen, wer mir riet oder mich bat, „Everybody Knows“ zu besprechen. Egal. Der Song (den Text findet man, wie immer, unten) ist schon lustig. Lustig? Moment. Schrieb nicht Stephen Holden in „The New York Times“, der Song sei „a bleak prophecy about the end of the world as we know it“? Was ist am Weltuntergang schon lustig?
Einiges, aber zunächst einmal beschreibt der Song nicht das Ende der Welt, wie wir sie kennen, sondern, wenn schon, die Welt, wie wir – oder manche von uns – sie zu kennen meinen: Die Würfel sind gezinkt, der Kampf ist vorentschieden, die Armen bleiben arm, die Reichen werden reicher, beim Krieg haben die Guten verloren, das Boot ist leck, der Kapitän hat gelogen, alle fühlen sich irgendwie kaputt, als wäre ihr Vater oder ihr Hund gerade gestorben, dabei will doch jeder eine Schachtel Pralinen und eine Rose, aber es ist jetzt oder nie, ich oder du, und man glaubt nur dann, ewig zu leben, wenn man gerade ein paar Linien gezogen hat, der Deal ist doch Beschiss, die Baumwolle für deine schicken Sachen pflückt immer noch der Schwarze, die Pest kommt, alles fällt auseinander, da rettet uns kein Gekreuzigter, sein Herz bricht eh bald.
So etwa, die Litanei der Linken seit jeher, und ich mache mir nicht extra die Mühe, die Anspielungen auf die Titanic, Elvis Presley, Bertolt Brecht, Bob Dylans „Just Like a Woman“, Stephen C. Fosters sentimentale Songs und William Butler Yeats‘ Jahrhundertgedicht aueinanderzuklamüsern; sie sind da, aber sie machen diese düstere Aufzählung nicht besser. Was sie besser macht, dazu komme ich gleich.
Denn natürlich stimmte die Untergangsvision 1988 nicht. Da stand allenfalls das Ende der kommunistischen Welt, wie wir sie kannten, kurz bevor. Da begann aber auch der Aufstieg Chinas als kapitalistische Großmacht, wodurch mehr Menschen in kürzerer Zeit aus der Armut geholt wurden als je zuvor in der Menschheitsgeschichte, da begann die goldene Epoche des globalen Liberalismus. Aber schon immer verkaufte sich das Ende der Welt in der Popmusik gut, man denke an Barry McGuires Millionenhit „Eve of Destruction“ 1965 oder Chris Reas Song „Road to Hell“, der ein Jahr später als „Everybody Knows“ herauskam.
Aber bei diesem Song geht es eben nicht um das Ende der Welt, sonst wäre er wertlos. Denn die langweilige Litanei der Gemeinheiten wird aufgehoben durch die wiederholte Phrase „everybody knows“. Jeder weiß, dass die Welt bald untergeht, „the Titanic sails at dawn“, wie Dylan in „My Back Pages“ sang.
Aber was jeder weiß, ist fast nie wahr.
Cohen macht das auch klar, als er in der dritten Strophe zur Sache kommt: Jeder weiß, dass du mich liebst, Süße, und dass du mir treu bist, naja, bis auf ein paar Nächte, aber jeder weiß, dass du dabei diskret bist, es gibt halt so viele Menschen, die du treffen wolltest, am besten nackt. Die Szene ist erledigt, aber vielleicht sollte man einen Liebhaberzähler auf deinem Bett installieren, um mal festzuhalten, was jeder weiß.
Was denn nun: Weiß jeder, dass der Sänger betrogen wird, oder weiß es keiner? Diese wütenden Zeilen jedenfalls retten den Song vor der Banalität, und vielleicht ist seine Abrechnung mit der ungerechten Welt nur ein Ausdruck seiner Eifersucht, wie ja Skeeter Davis 1963 sang:
Why does the sun go on shining? / Why does the sea rush to shore? / Don’t they know it’s the end of the world / ‚Cause you don’t love me any more …
Bleibt die Anspielung auf die Kreuzigung und den Strand von Malibu; eine Zusammenstellung, die man nur als sarkastisch begreifen kann: „Jeder weiß, das du durchgemacht hast, vom Kreuz auf dem Kalvarienberg bis zum Strand von Malibu“; die Strandgegend von Malibu war, als Cohen diesen Song schrieb, noch Privatbesitz, eine der ersten „gated communities“, wo die Schönen und Reichen des Showgeschäfts unter sich waren und erfolgreich Angriffe auf ihr privilegiertes Dasein abgewehrt hatten, ob es sich um eine Eisenbahn oder eine Küstenstraße, ein geplantes Atomkraftwerk oder um den Bau einer Kanalisation handelte, die verhindern sollte, dass ihre prominenten Fäkalien direkt ins Meer geleitet würden. Wie sang der Millionär John Lennon 1969:
Christ, you know it ain’t easy / You know how hard it can be / The way things are going / they’re gonna crucify me …
Ein Song also, wie so oft bei Leonard Cohen, mit doppelten Böden auf Schritt und Tritt. Lustig, wie gesagt. Was nicht jeder weiß.
Everybody knows that the dice are loaded
Everybody rolls with their fingers crossed
Everybody knows the war is over
Everybody knows the good guys lost
Everybody knows the fight was fixed
The poor stay poor, the rich get rich
That’s how it goes
Everybody knows
Everybody knows that the boat is leaking
Everybody knows that the captain lied
Everybody got this broken feeling
Like their father or their dog just died
Everybody talking to their pockets
Everybody wants a box of chocolates
And a long-stem rose
Everybody knows
Everybody knows that you love me baby
Everybody knows that you really do
Everybody knows that you’ve been faithful
Oh, give or take a night or two
Everybody knows you’ve been discreet
But there were so many people you just had to meet
Without your clothes
Everybody knows
Everybody knows, everybody knows
That’s how it goes
Everybody knows
Everybody knows, everybody knows
That’s how it goes
Everybody knows
And everybody knows that it’s now or never
Everybody knows that it’s me or you
And everybody knows that you live forever
When you’ve done a line or two
Everybody knows the deal is rotten
Old Black Joe’s still picking cotton
For your ribbons and bows
And everybody knows
And everybody knows that the Plague is coming
Everybody knows that it’s moving fast
Everybody knows that the naked man and woman
Are just a shining artifact of the past
Everybody knows the scene is dead
But there’s gonna be a meter on your bed
That will disclose
What everybody knows
And everybody knows that you’re in trouble
Everybody knows what you’ve been through
From the bloody cross on top of Calvary
To the beach of Malibu
Everybody knows it’s coming apart
Take one last look at this Sacred Heart
Before it blows
Everybody knows