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Songs von Leonard Cohen (6): Bird on the Wire

Vorneweg: Dieser Song ist geklaut. Das kommt bei den besten Musikern vor. George Harrison klaute die Melodie von „My Sweet Lord“ Note für Note von „He’s So Fine“, einem Song, den Ronnie Mack für die Girlgroup The Chiffons schrieb. John Lennon klaute die erste Zeile von „Come Together“ von Chuck Berrys „You Can’t Catch Me“, dem sein Song auch musikalisch ähnelt. In beiden Fällen ist das Original besser, musikalisch und textlich („Doo lang doo lang doo lang“ ist doch viel, viel schöner als „Hare Krishna“, und Chuck Berrys Song über sein neues Auto, mit dem er allen davonfahren kann, ist viel besser als Lennons prätentiöse Nonsensverse, auch wenn „He got feet down below his knees“ zugegebenermaßen ziemlich geil ist.).

Dass die Melodie von „Bird on the Wire“ irgendwie an „Turn Me On“ von John D. Loudermilk erinnert, wäre nicht weiter erwähnenswert. Leonard Cohens Lied ist ein Country-Song, und die ähneln sich oft. Wie heißt es doch: „three chords and the truth“. Aber Loudermilk nutzte in seinem Song auch lauter ausgefallene Vergleiche –  lauter Zeilen, die mit „Like a…“ beginnen; und der ist – wie Berrys Automobil-Song – gerade deshalb schöner als das Plagiat, weil er textlich unprätentiös ist.

Hier also Loudermilks Text von 1961 (den vollständigen Text von Cohen findet man wie immer unten):

Like a flower waiting to bloom
Like a lightbulb in a dark room
I’m just sitting here waiting for you
To come on home and turn me on    

Like a puppy waiting to bay
Like a jukebox waiting to play
I’m just sitting here waiting for you
To come on home and turn me on

Der Song geht dann anders weiter, aber die Parallele zu Cohens sieben Jahre später geschriebener Song ist offensichtlich:

Like a bird on the wire
Like a drunk in a midnight choir
I have tried in my way to be free

Like a worm on a hook
Like a knight from some old fashioned book
I have saved all my ribbons for thee

Das Beste am Loudermilk-Song ist „like a lightbulb in a dark room“, weil man in der Tat das Licht „anmacht“, wie der Sänger, der darauf wartet, sexuell „angemacht“ zu werden. Die Jukebox ist auch gut und das Hündchen, das gleich losjaulen wird. Für Nina Simone schrieb Loudermilk eine andere zweite Strophe, die auch Nora Jones singt, und deren Bilder eher konventionell sind:

Like the desert waiting for rain
Like a school kid waiting for spring
I’m sitting here waiting for you to come on back home
And turn me on

Die Wüste etwa, die auf den Regen wartet, kommt in Gilbert Bécauds Chanson „Le jour, où la pluie vendra“ vor, deutsch als „Der Tag, als der Regen kam“ von Dalida gesungen:

La triste, triste terre rouge
Qui craque, craque à l‘infini
Les branches nues ou rien ne bouge
Se gorgeront de pluie, de pluie

Ehrlich gesagt, ziemlich furchtbar, die „traurige, traurige rote Erde“, die sich unendlich spaltet, spaltet, und die nackten Zweige, die sich den  Regen, den Regen hineinschlingen; nichts gegen sexuell aufgeladene Metapher, aber man soll’s nicht übertreiben. Aber ich schweife ab.

Cohen, der als Schüler eine Country-Band hatte und vermutlich daher Mark „Teen Angel“ Dinnings Original-Aufnahme von „Turn Me On“ kannte, scheint wie ich das Gefühl gehabt zu haben, man müsste noch ein paar ausgefallenere Vergleiche finden. Ein Vogel auf dem Telefondraht, ein Besoffener im Chor, ein Wurm auf dem Haken, ein Ritter aus dem Märchen, ein totgeborenes Kind, ein Einhorn: Originell sind die Metaphern schon, aber anders als bei Loudermilk ergeben sie keinen Sinn. Loudermilks Knospe, Glühbirne, Wüste, Schulkind – alle warten sie darauf, „angemacht“ zu werden, zu blühen, zu glühen. Aber bei Cohen stehen sie wie der Vogel auf dem Telefondraht einfach für sich herum.

„Wie ein Vogel auf dem Telefondraht habe ich auf meine Weise versucht, frei zu sein“: Quatsch. „Wie ein Besoffener, der nachts mit anderen herumgrölt, habe ich auf meine Weise versucht, frei zu sein“: Noch größerer Quatsch. „Wie ein totgeborenes Kind habe ich alle zerrissen, die etwas von mir wollten“: Quatsch. „Wie ein Einhorn habe ich alle zerrissen“: OK, schon eher, aber wer streckt schon die Hand nach einem Einhorn aus? „Wie ein Wurm am Haken habe ich alle Bänder für dich aufgehoben“: O Mann. Wie ein Ritter aus dem Märchen habe ich alle Bänder für dich aufgespart“: Geht gerade so, wie das Einhorn.

Ich weiß schon: Das ist Poesie, das darf man nicht so genau nehmen. Au contraire: Das will Poesie sein, das muss man genau nehmen. Loudermilk hätte sich auch etwas mehr Mühe geben können mit seinem Text, aber er wollte am Ende nur einen Popsong schreiben, und dafür ist der Text, allein wegen der Glühbirne, und weil ein derart expliziter sexueller Wunsch in Popsongs der  prüden 1950er und frühen 1960er Jahren nicht selbstverständlich war, ziemlich gut. Cohen assoziiert und reimt vor sich hin, und es klingt zuweilen, als würde es etwas bedeuten, das Einhorn und der Ritter etwa stammen aus der gleichen Epoche, aus dem gleichen Bilderbuch; und der frühe Vogel fängt den Wurm; aber es bedeutet am Ende doch nichts. Schade.

Prince Charles wollte für Camilla ein Tampon sein, DAS ist Poesie, und vielleicht hätte Charles, der gern angelt, auch sagen können, dass er auch ein Wurm am Haken sein wollte, wenn Camilla der Fisch wäre. Aber Würmer bringen nun einmal ihren Geliebten keine Bänder, und die Verwendung des altertümelnden „thee“, bloß damit sich das auf „free“ und „me“ reimt  – also so tief wäre Charles nicht gesunken.

Bleibt das Gerüst des Gedichts, an eine Geliebte geschrieben:

Ich habe auf meine Art versucht, frei zu sein; alles, was ich dabei an Ruhm gewonnen habe, bringe ich aber dir; und wenn ich gemein zu dir war, vergiss es bitte; und wenn ich untreu war, so doch nicht dir.

Boah. Nee.

OK, fangen wir mit der Freiheit an. Der vielleicht am häufigsten missbrauchte Begriff der neueren Geschichte. 1967/8, als dieser Song entstand, war „Freiheit“ der Slogan der Kulturrevolution, und er meinte vor allem sexuelle Freiheit. Die Pille hatte die materielle Basis dafür geschaffen. Plötzlich wurde das Bohème-Leben massentauglich. Plötzlich handelten zig Pop-Songs davon, dass man kein Spießer sein und kein Spießer-Mädchen haben wollte. Man denke an Bob Dylans „It Ain’t Me Babe“ oder „Don’t Think Twice“ oder an „I’m Free“ von Mick Jagger und Keith Richards:

I’m free to do what I want any old time
I’m free to do what I want any old time
So love me, hold me, hold me, love me
But I’m free, any old time, to get what I want

(…)

I’m free to choose who I please any old time
I’m free to please who I choose any old time
So hold me, love me, love me, hold me
But I’m free, any old time, to get what I want
Yes I am

Cohens Lied will aber – und wahrscheinlich ist es deshalb so erfolgreich gewesen und geblieben – beides haben: Die Freiheit besingen und die Bindung betonen. Ich bin untreu gewesen, aber das galt nie dir, das weißt du doch: ich hab‘ die ganze Zeit an dich gedacht.

Herzilein, du musst nicht traurig sein
Ich weiß du bist nicht gern allein
Und Schuld war doch nur der Wein

So die Wildecker Herzbuben, und es ist auch nicht schlechter, nur ehrlicher. Statt die Freiheit und das Künstlerdasein als Einhorn vorzuschieben, schiebt die Spießertruppe nur den Wein vor.  Oder wie es bei Waylon Jennings und Willie Nelson heißt:

She’s a good hearted woman in love with a good timin‘ man
She loves him in spite of his ways that she don’t understand
Through teardrops and laughter
They’ll pass though this world hand in hand
This good hearted woman in love with her good timin‘ man

Sehr schön. Der Mann, der die Kneipen und die Bardamen liebt, sollte sich aber seiner Sache und der Herzensgüte seiner Frau nicht so sicher sein. Andere Geschichte. Erzählt etwa in Dylans „I Threw It All Away“. Um aber kurz bei der Freiheit und der Country-Musik zu bleiben: Kris Kristofferson – der zusammen mit Lou Reed die beste Live-Version von „Bird on a Wire“ eingespielt hat – schrieb zum Thema „Freiheit“ die vielleicht ehrlichste Zeile: „Freedom’s just another word for nothing left to lose.“  Da ist was dran. Erst wer nichts mehr zu verlieren hat, ist frei. Ist das Blech erst demoliert, fährt man völlig ungeniert.

In „Me & Bobbie McGee“ beschreibt der Sänger, wie er völlig abgebrannt mit Bobbie durch die USA trampt; da reichte es ihm, sich gut zu fühlen. Bobbie aber nicht. Sie suchte ein Zuhause. Und da er sie verloren hat, ist er gerade nicht mehr frei, sondern gäbe seine ganze Zukunft her für eine Nacht mit ihr. Wir spielen diesen Song zuweilen, und mich wundert immer, mit welcher Inbrunst das Publikum den Refrain singt. So frei will niemand von uns sein.

Cohen auch nicht.

Gut. Bleiben die Zeilen mit dem Bettler, der ihm vorwirft, zu viel vom Leben zu verlangen, und die Hure, die ihm zuruft, er könnte ruhig mehr verlangen. Die sind, das muss man zugeben, der Keim eines wirklich guten Songs. Die Konsumgesellschaft – ja, eine abgedroschene Phrase, ich weiß, aber wir müssen nun einmal das Bruttosozialprodukt steigern – will uns verführen, mehr zu verlangen; die Kranken und Armen erinnern uns daran, wie gut wie es schon haben. Aber der Gedanke steht da im Raum, im Song, und weiß nicht, wohin mit sich. Schade.

Ich weiß, Cohen mochte diesen frühen Song, eröffnete oft seine Konzerte mit ihm, sagte einmal, er sei so etwas wie eine Bohème-Version von „My Way“. Aber Paul Ankas Rechtfertigung des Entertainers und Lebemanns ist – auch weil es weder Metaphern bemüht noch die Freiheit – bei aller Sentimentalität viel, viel besser.

So, und jetzt will ich „You Can’t Catch Me“ hören.

 

Like a bird on the wire
Like a drunk in a midnight choir
I have tried in my way to be free
Like a worm on a hook
Like a knight from some old fashioned book
I have saved all my ribbons for thee

If I, if I have been unkind
I hope that you can just let it go by
If I, if I have been untrue
I hope you know it was never to you

Oh, like a baby, stillborn
Like a beast with his horn
I have torn everyone who reached out for me
But I swear by this song
And by all that I have done wrong
I will make it all up to thee

I saw a beggar leaning on his wooden crutch
He said to me, „You must not ask for so much“
And a pretty woman leaning in her darkened door
She cried to me, „Hey, why not ask for more?“

Oh, like a bird on the wire
Like a drunk in a midnight choir
I have tried in my way to be free

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7 Gedanken zu “Songs von Leonard Cohen (6): Bird on the Wire;”

  1. avatar

    Ich glaube Sie müssten ziemlich weit ausholen um zu dem Stück etwas intelligentes zu schreiben. Ich frage mich die letzte Zeit immer öfter ob das alles so gut war, was wir damals gehört haben oder ob die Wildecker Herzbuben nicht einfach nur deswegen verschmäht wurden, weil man nicht so sein wollte, wie die Leute, die sie gerne hörten. Ja, ein Country-Song, der in seiner Schlichtheit kaum zu unterbieten ist. Und ich frage mich, wieso die Briten so viel innovativer waren, z.B. Queen mit Bohémian Rhapsody.. Auch ein völlig wirrer Text aber die Musik! Ob das mit der musikalischen Tradition zu tun hat, die nicht so in E- und U-Musik gebrochen wurde, in Operette, Oper, Musical, Konzertsaal? Standen nicht oft Purcell, Dowland direkt Pate?

    1. avatar

      Lieber KJN, man kann auch über weniger gute Stücke intelligente Sachen schreiben, und je beliebter die sind, desto intelligenter muss der Verriss sein. Ich glaube übrigens nicht, dass „die Briten innovativer“ waren. Die Explosion intelligenter Texte ab etwa 1965 hatte vor allem mit der Rezeption Bob Dylans zu tun, war also, wie der gesamte Rock’n’Roll, zunächst einmal ein Import. Von den vielen von Dylan inspirierten Songs werden nur wenige bleiben, einige von den Beatles, einige von den Kinks; hinzu kommt dann in der zweiten und dritten Generation einiges von Elvis Costello, einiges von Amy Winehouse usw. Ich liebe Queen und besonders natürlich Bohemian Rhapsody, aber Komponist Farrokh Bulsara aus Sansibar, auch als Freddie Mercury bekannt, war wohl weniger von Purcell und Dowland beeinflusst, als vielmehr direkt von der Oper, die er, wie viele Schwule, sehr liebte. Queen – der Name bedeutet ja „Tunte“ – ist ohne die in Großbritannien seit jeher starke queere Szene undenkbar. Aber das haben viele Leute in Deutschland nicht begriffen, für die waren die einfach eine weitere, wenn auch sehr gute, Glam-Rock-Band. Dabei sind sie die Essenz von Multikulturalismus und Liberalismus, also gerade das, was heute vonseiten der Putinisten, Trumpistas und Orbanisten und ihrer Adepten zunehmend unter Beschuss gerät.

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        Klar, lieber AP, die Oper und Bob Dylan. Und die Emanzipation. Nur dass die queeren Leute damals nicht in Gleichstellungsgremien und Antidiskriminierungsstellen saßen und die Biologie anzweifelten, sondern zusammen mit genialen Musikern wie Brian May ihre intensive Gefühlswelt in die Musik lenkten. Ich glaube auch nicht, dass „Trumpisten und Orbanisten“ den Menschen vorschreiben wollen, wen sie zu lieben haben, sondern sich einfach dagegen wenden, dass alle Befindlichkeiten bürokratisch abgesichert werden müssen. Auch die ‚Reaktion‘ lernt dazu und möchte nicht alte Verhältnisse – in denen ja tatsächlich z.B. Bohémian Rhapsody entstanden ist und nicht heute – wiederherstellen. Meine Frage sollte aber nichts insinuieren, ich hatte tatsächlich nur das überlegt, was ich schrieb und was wohl zu kurz griff.
        Das Biotop für Kreativität lässt sich politisch nicht planen auch wenn man das in Künstler-/ Musikerkreisen gerne so sieht. Der expressive Farrokh Bulsara alias Freddie Mercury hat aus eigener Kraft das geleistet, was wir alle lieben und nicht weil irgendwelche politischen Rahmenbedingungen von „Liberalität und Multikulturalismus“ ’stimmten‘. Aber ich habe aufgrund Ihrer Erläuterungen durchaus verstanden, warum Künstler politisch so argumentieren, wie sie es nun mal i.d.R. tun (mit bemerkenswerten Ausnahmen) und das akzeptiere ich selbstverständlich als ihr gutes Recht. Aber sie können dabei nicht mehr als Aktivisten sein und Experten welcher Art auch immer sollten nicht aufgrund ihrer speziellen Belange die Allgemeinheit bestimmen. Der Künstler als Regent oder Politiker hat ja bekanntlich nicht den besten Ruf, wenn ich z.B. an die Figur des Nero denke.

      2. avatar

        Lieber KJN, ich sehe sicher vieles anders als Sie, aber gegen predigende und politisierende Künstler bin ich auch. Das geht im Werk ohnehin fast immer schief, und die Ausnahmen – Picassos „Guernica“ etwa, das ich in einem fast leeren Saal in Madrid betrachten durfte, oder Aretha Franklins „Respect“ – bestätigen die Regel. Aber auch außerhalb des Werks sollten Künstlerinnen auch im eigenen Interesse und im Interesse des Werks lieber zur Politik schweigen. Freilich gibt es Situationen, wo das nicht möglich ist, ich denke an den „Kongress zur Verteidigung der Kultur“ 1935, der allerdings zugleich die Problematik solcher politischen Positionierungen aufzeigte; oder des Kongresses für kulturelle Freiheit 1950, ebenfalls problematisch; die heutigen Volten von PEN und PEN Berlin, die offenen Briefe und Gegenbriefe diverser Kunst-Personen hingegen halte ich für unnötig bis lächerlich.

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        Lieber KJN, ich sehe sicher vieles anders als Sie, aber gegen predigende und politisierende Künstler bin ich auch. Das geht im Werk ohnehin fast immer schief, und die Ausnahmen – Picassos „Guernica“ etwa, das ich in einem fast leeren Saal in Madrid betrachten durfte, oder Aretha Franklins „Respect“ – bestätigen die Regel. Aber auch außerhalb des Werks sollten Künstlerinnen auch im eigenen Interesse und im Interesse des Werks lieber zur Politik schweigen. Freilich gibt es Situationen, wo das nicht möglich ist, ich denke an den „Kongress zur Verteidigung der Kultur“ 1935, der allerdings zugleich die Problematik solcher politischen Positionierungen aufzeigte; oder den Kongress für kulturelle Freiheit 1950, ebenfalls problematisch; die heutigen Volten von PEN und PEN Berlin, die offenen Briefe und Gegenbriefe diverser Kunst-Personen hingegen halte ich für unnötig bis lächerlich.

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