Der schwarz-rote Koalitionsvertrag ist nicht der große Wumms. Das war bei der Konstellation auch nicht zu erwarten. Immerhin haben sich CDU/CSU und SPD auf Richtungswechsel in wichtigen Feldern verständigt. Man sollte ihnen eine Chance geben statt alles gleich wieder zu zerhäckseln. Eine andere haben wir nicht.
Es ist ein beliebtes Spiel von uns Journalisten, neue Regierungen gleich nach ihrem Start in den Boden zu rammen, weit vor der früher üblichen 100-Tage-Frist. Neu war diesmal, dass die noch gar nicht gebildete schwarz-rote Koalition, vor allem ihr künftiger Kanzler Friedrich Merz, aber auch die SPD schon während ihrer Verhandlungen abgewatscht wurden – obwohl noch gar nicht klar war, was sie am Ende vereinbaren würden. Gemessen an dieser Fundamentalkritik, ausgelöst durch die Schuldenpakete, ist der Koalitionsvertrag zwar leider wieder viel zu spiegelstrich-lang, aber weit besser als angesichts der schwierigen Ausgangslage zu befürchten war.
Schließlich hat die Union die Wahl zwar gewonnen, aber weniger erzielt als für ihre angestrebte komplette Neujustierung der Bundespolitik erhofft. Und sich mit der unvermeidlichen Absage an wenigstens Sondierungsgespräche mit der AfD und eine Minderheitsregierung jede Alternative zur ungeliebten Wiederauflage des Bündnisses mit der SPD verbaut.
Die hat als bisherige Kanzlerpartei zwar krachend verloren, konnte jedoch als nötiger kleiner Partner den Preis hochtreiben, weil Merz und die Union keine andere Wahl haben. Denn eine erneute Neuwahl würde die AfD nur noch stärker machen als sie jetzt schon ist – auf Augenhöhe mit der Union, bald vieleicht sogar stärkste Kraft. Und wäre angesichts der dramatischen Weltlage unverantwortlich. (Das wird hoffentlich auch die SPD-Basis bei ihrer Urabstimmung kapieren.)
Die verteufelte Migrationswende
Wie in dieser Lage anders gar nicht möglich, haben beide Seiten – unter dem Druck der Weltlage in ungewöhnlich kurzer Zeit – für sie schwierige Kompromisse geschlossen, sich aber auch in für sie jeweils zentralen Bereichen durchgesetzt. Die Union besonders bei der Migration, wo sie fast ihr gesamtes im Januar auch von der SPD noch im Bundestag verteufeltes Programm erreichen konnte – vom Ziel der Begrenzung der irregulären Einwanderung über Abweisung von Asylbewerbern an den Grenzen (wenn auch „in Abstimmung“ mit den europäischen Partnern), Asylverfahren in Drittstaaten, Stopp des Familiennachzugs, verstärkten Abschiebungen bis zu mehr Kompetenzen für die Bundespolizei.
Das alles ist geeignet, der AfD das Wasser abzugraben, deren Wähler sich besonders gegen die unkontrollierte, ungesteuerte Einwanderung richten. Auch in der Inneren Sicherheit soll es eine von vielen Bürgern ebenfalls schon lange erhoffte „Zeitenwende“ geben – mit Vorratsdatenspeicherung (von der SPD und der Ampel strikt abgelehnt) und einer Stärkung von BKA und Verfassungsschutz. Durchsetzen soll das, wie die Migrationswende, der CSU-Politiker Dobrindt, einer der Baumeister der Koalition. Ihm ist zuzutrauen, dass er nicht leichthin vor der SPD, den Grünen, der EU und kritischen Medien einknickt.
In der Finanzpolitik, die SPD-Chef Klingbeil als Finanzminister und Vizekanzler steuern wird, soll es keine von der SPD geforderten Steuererhöhungen geben, aber auch keine Steuersenkungen, die die CDU anstrebte. Immerhin jedoch Steuererleichterungen für Unternehmen bei Investitionen und eine Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028: ein klassischer Kompromiss mit leichtem Vorteil für die Union. Und hoffentlich die Unternehmen und Betriebe.
In der Wirtschaftspolitik gibt es nur ein bisschen Wende. Der von Habeck vorgeschlagene Deutschlandsfonds mit Kapitalspritzen von 10 Mrd. Euro pro Jahr für Investitionen soll kommen, KI und Biotechnologie sollen gefördert werden, um den Vorsprung der USA und Chinas aufzuholen. Spät, aber immerhin.
Kommt jetzt wirklich die Zeitwende bei der Verteidigung?
In der Verteidigungspolitik waren die entscheidenden Weichen schon durch die Lockerung der Schuldenbremse gestellt. Die vereinbarten 150 Milliarden Euro Investitionen in die Bundeswehr sind für die SPD dennoch ein großer Sprung. Die von der Union erstrebte Rückkehr zur Wehrpflicht soll es „zunächst“ nicht geben. Damit wäre die Bundeswehr wohl im Moment auch überfordert. Aber die von Scholz nur ansatzweise umgesetzte Zeitenwende nimmt nun Gestalt an. Zumal Merz erreichen konnte, dass es einen Nationalen Sicherheitsrat geben wird, angesiedelt beim Kanzleramt. Da die Union zudem erstmals seit 1969 wieder den Außenminister stellen wird, kann er die Außen-, Sicherheits- und Europapolitikm, zusammen mit dem wohl bleibenden SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius, aus einem Guss gestalten, ohne ständige Rücksicht auf die SPD und deren pazifistische linken Flügel nehmen zu müssen.
Die Union kann sich ebenfalls zugute halten, dass das Bürgergeld in der bisherigen Form abgeschafft wird. Eine Grundsicherung soll stattdessen wieder, wie vor 20 Jahren mit den Hartz-Reformen gewollt, Arbeitsfähige statt sie zu pampern in Arbeit bringen – mit Sanktionen und Anreizen. Das wird auch höchste Zeit angesichts des demografischen Wandels und des Fehlens von Arbeitskräften allerorten.
Die SPD setzte leider durch, dass der von ihr einst selbst beschlossene Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenversicherung ausgesetzt wird, damit das Rentennvieau bleibt. Ein Anschlag auf die Jüngeren. Denn die Rentenbeiträge werden dadurch deutlich steigen, die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt ebenfalls – um 25 Mrd. Euro pro Jahr, die Hälfte der geplanten zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur. Die CSU bekommt ihre Ausweitung der Mütterrente, was sie schon im Sonderierungspapier verankert hatte. Also doch weitere Wohltaten, die Merz nicht wollte.
In der Wohnungspolitik, einem der wichtigsten sozialpolitischen Themen, verzichtet Schwarz-Rot auf große Versprechungen. Das ist unambitiioniert, aber wohl weise. Denn Scholz und die Ampel sind mit ihrem Anspruch, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, krachend gescheitert. Nun soll der soziale Wohnungsbau gestärkt werden. Das wird nicht reichen, zumal die Mietbremse für Neuvermietungen bleibt – eine Bremse für Neubauten.
Ansonsten noch zwei wichtige Änderungen im Ressortzuschnitt: Bildung wird als Teil des Familienministerium endlich als das begriffen, was sie (auch) ist: eine soziale Frage. Und es soll endlich ein Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung geben. Die Faxgeräte sollen aus den Amtsstuben verschwinden. Wenn Schwarz-Rot wenigstens das erreicht, also Symbol dafür, dass Deutschland in sehr vielen Bereichen aufholen und Anschluss an andere Länder finden muss, wäre schon Einiges gewonnen.
Trump und Putin werden alles überschatten
Die ganz großen Fragen: Wie geht es weiter mit dem irrlichternden Trump? Kann ein Angriff von Putin-Russland auf ganz Europa verhindert werden?, werden im Koalitionsvertrag ausgespart. Auf sie kann er, kann keine Bundesregierung eine Antwort geben. Sie werden jedoch die Arbeit der neue Regierung ganz wesentlich bestimmen, wie der russsche Krieg gegen die Ukraine und den freien Westen schon die der Ampelregierung. Das meiste andere wird dahinter verblassen.
Natürlich wurde auch etliches andere ausgeklammert, weil man sich nicht einigen konnte. Auch in dieser Koalition wird es krachen. Das gehört zur Demokratie und einer Koalition ungleicher Partner. Nur sollte es nicht wie in den vergangenen zwei Jahren Dauerzustand werden. Es scheint, dass die SPD das verstanden hat.
Zum Trost für diejenigen, die sich mehr erhofft oder mehr befürchtet hatten: Die von Kohl 1993 verkündete „geistig-moralische Wende“ hat es nie gegeben. Die von Merkel vor ihrer Wahl 2005 angestrebten ultra-neoliberalen Reformen hat sie gar nie erst angepackt. Nur Willy Brandt ab 1969 mit der sozialliberalen Koalition und der heute zurecht verfemte Gerhard Schröder mit Rot-Grün haben durchgreifende Reformen erreicht. Wird es der Merz-Regierung gelingen?
Da das Sauerland nicht weit vom Ruhrpott liegt, der selbst einen tiefen Wandel durchgemacht hat, wünsche ich ihm: Glück Auf!
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor für verschiedene Medien. Er hat etliche Koalitionsverhandlungen begleitet, aber noch keine, die im Inneren so geräuschlos und zügig abliefen.
meine Güte: zu Frau Bähr lässt sich doch vieles sagen. Zu technischen Fragen hat sie erstaunliche Kompetenzen. Lediglich als Familienministerin hätte ich mir nicht gerade sie gewünscht.
Ist das schon klar? Wenn es so kommt: Die Grünen haben Cem Özdemir, der ein wesentlich besserer Außenminister gewesen wäre als Frau Baerbock, ins Agrarressort abgeschoben. Soviel zu ihrer Migrantenfreundlichkeit. Die CSU ist halt immer noch eine macho-dominierte Partei.
..Fortsetzung der Ampel mit 2 Farben weniger..
https://www.welt.de/politik/deutschland/article255910068/Koalitionsvertrag-Hohe-Oel-und-Gaspreise-sollen-Heizungsbesitzer-umstimmen-sagt-Merz-AfD-ist-empoert.html?source=puerto-reco-2_ABC-V45.3.B_current
..Ständig rote Ampel (schwarz ist keine Farbe).
Gut dass es Mr. Trump gibt: God Bless America!
Warten Sie doch erstmal ab, bis die neue Regierung im Amt ist und politisch handelt. Dann können Sie immer noch den Stab über sie brechen.
… jahaaaa! Zipflklatscher-WARS; das Forschungsministerium incl. Technologie und Raumfahrt, mit Dorothee Bär an der Spitze. Das ist (leider) keine Satire.
Was haben Sie gegen Frauen, besonders diese sehr befähigte Frau? Nur weil sie Bayerin ist? Schlechter als die FDP-Bildungsministerin und manches andere Personal der verblichenen Ampel kann sie nicht sein.
… gegen Frauen? Im Gegentum. Ich freue mich, wenn die ‚oben auf sind‘ und die Sache in die Hand nehmen.
Meine Fragen haben Sie nicht beantwortet. Was diqualifiziert Ihrer Meinung nach Frau Bähr für das Amt?