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Boom, Boomer, Schuldenboom

Die Grünen haben recht: Die geplanten schwarz-roten Gigaaschulden für Verteidigung und Infrastruktur sind schreiend generationen-ungerecht. Wir Babyboomer müss(t)en es bezahlen, weil unsere Regierungen es sträflich unterlassen haben.

Ich wurde 1956 geboren, in den goldenen Jahren des Wirtschaftswunders. Dafür kann ich nichts, genauso wie meine Altersgenossen der geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1965 bis zum Pillenknick. Vom Wirtschaftswunder habe ich damals auch nicht viel mitbekommen. Da wir fünf Kinder waren und meine Eltern die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre, die Hyperinflation und den Weltkrieg erlebt hatten, mein Vater als kleines Kind auch schon den Ersten, sie zudem streng katholisch waren, ging es bei uns bescheiden zu. Heute würde man sagen: nachhaltig. Die Kleidung der älteren Geschwister musste aufgetragen werden. Reste wurden aufgewärmt. Das frische Brot kam immer nach hinten, erst musste das alte aufgegessen werden, bis das frische ebenfalls trocken war. Weshalb ich bis heute den Geruch von frisch gebackenem Brot liebe.

Einen Waschvollautomaten bekam meine Mutter erst, als ich schon zehn war. Einen Fernseher schaffte mein Vater erst drei oder vier Jahre später an, weshalb ich neidisch war auf meine Freunde und Schulkameraden, die schon Flipper und andere US-Serien gucken konnten. Denoch war es eine schöne, unbeschwerte Zeit. Ich durfte nach der Schule meist machen was ich wollte. Das Wort „Hubschraubereltern“ war noch lange nicht erfunden. Nur zum Abendbrot musste ich zuhause sein.

Erste Risse

Als ich dann mit Schule und Studium fertig war, war es allerdings mit dem Wirtschaftswunder vorbei. In den 1970er Jahren hatte die Westrepublik ihre erste Wirtschaftskrise hinter sich, ausgelöst durch den Ölpreisschock und das Nachlassen des Nachkriegsbooms. Im Vergleich zu den heutigen Problemen nicht gravierend. Doch der Optimismus, dass es immer weiter aufwärts gehen werde, bekam die ersten Risse.

Gleichwohl lebten wir Babyboomer recht zufrieden, machten unsere Karrieren, genossen die Freiheiten, die die 68er vor uns erkämpft hatten, engagierten uns in allerlei Bewegungen (oder auch nicht), wählten SPD oder die Grünen, weil uns die Jung- und sonstigen Unionisten spießig vorkamen, man auf der richtigen Seite sein wollte und die FDP nur etwas für Zahnärzte und Anwälte war. Und fühlten uns unseren Eltern haushoch überlegen, weil wir meinten, es viel besser zu wissen und zu können als sie. Schließlich waren sie in unseren Augen für den Krieg, die Judenvernichtung und die Dumpfheit der Adenauer-Jahre verantwortlich.

Als dann auch noch die Mauer fiel, Deutschland wiedervereint wurde (was uns Westlern wegen des eigenartigen Nationalismus oder Patriotismus der Ossis nicht geheuer war) und der Kapitalismus gesiegt hatte, den wir zwar mehrheitlich doof fanden, aber gerne genossen, schien die Welt endgültig auf unserer Boomer-Seite. Die Friedensdividende verfrühstückten wir mit großer Freude, lebten von dem, was unsere Eltern und Vorfahren mühevoll aufgebaut hatten, reisten durch die Welt und machten uns keine Sorgen mehr. Was sollte unser Glück jetzt noch trüben, vom nahenden Alter und dem Klimawandel abgesehen, der aber erst die Generationen nach uns richtig erwischen wird. Deshalb vorsorgen, die bröckelnde Infrastruktur – bisschen ärgerlich – wieder auf Vordermann bringen, dafür gar mehr Steuern zahlen? Iwo, darum können sich die nach uns kümmern. Wir hatten Schöneres zu tun.

Das war auch ungefähr der Geist der 16 Merkel-GroKo-Jahre: Wird schon gut gehen. Ist ja am Ende immer gut gegangen.

Neue, alte Ängste

Dann kam plötzlich „der Russe“, vor dem uns unsere Eltern immer gewarnt hatten. Diesmal wirklich. Zwar (noch) nicht nach Deutschland, aber in den Osten Europas, in die Ukraine, bei der wohl viele erstmal nachschauen musste, wo genau die liegt und ob sie tatsächlich zu Europa gehört. Vorher schon die Finanz- und Eurokrise, die Pandemie, die unser Leben für lange Zeit ziemlich versaute. Irgendwie war es plötzlich nicht mehr so gemütlich.

Dabei hatten uns Merkel und die ewige GroKo doch so schön eingelullt. Politisch und gesellschaftlich schien, trotz oder gerade wegen der CDU-Kanzlerin, alles in die richtige rot-grüne Richtung zu gehen. Nur die blöden Neonazis, die Ausländerheime ansteckten, bevorzugt im sowieso komischen Osten, und diese merkwürdige AfD störten. Dagegen machte man Menschenketten und Lichter-Demos. Das war schön fürs Gemüt. Und würde den rechten Spuk schon wegfegen.

Nach dem 24. Februar 2022 sind wir alle, nicht nur wir Boomer, nicht nur die Außenministerin vom Völkerrecht, böse aufgewacht aus dem schönen Traum vom ewigen Frieden, dem weltweiten Siegeszug von Demokratie, Rechsstaat, Menschenrechten, Wohlstand, und dem wohligen Überlegenheitsgefühl, das wir als deutsche Moral-Weltmeister den ganzen Globus mit Mülltrennung, E-Autos, Windrädern und Friedfertigkeit auf den einzig richtigen Pfad führen würden. (okay, manche haben nie daran geglaubt, andere fanden Autoritäre, Putinisten und Kriege schon immer klasse. Aber es war die vorherrschende Stimmung auch in den Medien.) Plötzlich herrscht wieder Krieg in Europa, gar nicht soweit weg. Die Kriegsgräuel, die Zerstörungen, das tägliche Sterben und Elend, das übers Fernsehen und die sozialen Medien zu uns drängt, konnte man zwar zu verdrängen versuchen. Aber seit im Weißen Haus wieder eine Putin-Puppe regiert, endgültig nicht mehr. Jedenfalls wenn man alle Fünfe beisammen hat.

Allen wohl, keinem weh

Was also nun tun, nachdem der Noch-Kanzler zwar eine „Zeitenwende“ ausgerufen hatte, aber mit seiner zerstrittenen, zerfallenen Ampeltruppe wenig getan hat, sie ins Werk zu setzen? Die sich anbahnende erneute schwarz-rote Koalition, die man GroKo nicht mehr nennen kann, versucht es in gewohnter Manier mit einem Allen-wohl-keinem-Weh-Programm: Die unvermeidlichen Riesen-Rüstungsausgaben, um die kampfunfähige Bundeswehr wieder halbwegs verteidigungsbereit und von den nicht mehr zuverlässigen USA unabhängig zu machen, sollen via Mega-Schulden künftige Generationen bezahlen. Ebenso den Wiederaufbau der genauso über Jahrzehnte vernachlässigten Infrastruktur, von maroden Brücken und Schulen bis zum unverantwortlich beseitigten Zivilschutz. Von Klimaschutz, einer der zentralen Zukunftsaufgaben, ist keine Rede mehr.

Stattdesen darf die SPD trotz ihrer Schrumpkur ihre sozialen Wohltaten wie die widersinnige Rente mit 63 behalten, weil der mutmaßliche neue Kanzler Friedrich Merz sie zum Regieren braucht. Die CSU bekommt ihre Mütterrente auch für noch ältere Jahrgänge. Die Bauern sollen ihren billigen Agrardiesel behalten, die Pendler ihre Pauschale, Gastronomen bekommen die Mehrwertsteuersenkung zurück. Alles, als wäre nichts passiert. Als hätte es nicht einen großen Knall gegeben, einen gewaltigen Bums.

Merz packt die Bazooka des vormaligen EZB-Chefs Mario Draghi und den „Wumms“ des vordemigen Finanzministers und danach Kurzeit-Kanzlers Scholz aus: „Whatever it takes“. Aber in Wahrheit sollen es die Jungen und die nachfolgenden Generationen übernehmen, die nichts dafür können und später nur eine spärliche Rente bekommen werden, wenn überhaupt, und in einer Welt werden leben müssen, in der Kriege wieder zum normalen Mittel der Großmächte gehören und es ab- statt aufwärts gehen wird. Kein Wunder, dass die Grünen, die anders als CDU und SPD noch von Nicht-Retnern gewählt werden, ihre letzte Chance nutzen, bevor sie in der Opposition landen, Widerstand zu leisten gegen den bequemen Verschuldungstrip. Im Namen der Jungen.

Umverteilung von unten nach oben

Um es jenseits von durchaus angebrachter moralischer Empörung nüchtern staatspolitsch zu sagen: Äußere und innere Sicherheit sind Kernaufgaben jedes Staates. Dazu gehört die Landes- und Bündnisverteidigung. Solche Aufgaben müssen zwingend aus dem regulären Haushalt finanziert werden. Dafür wird im Zweifel das Bundesverfassungsgericht sorgen. Nicht aus Neben-Schuldenhaushalten, beschönigend „Sondervermögen“ genannt. Mittels Umschichtungen, also Kürzungen in anderen Bereichen, auch der üppigen Sozial- und Rentenausgaben und beim Bürgergeld, einem Ärgernis für die fleißig arbeitende Mitte. Genauso beim Subventions-Dschungel vom steuerbegünstigten privaten Arbeitszimmer bis zu den kontraproduktiven Steuerermäßigungen für besonders klimaschädliche energieintensive Betrieben oder E-Autoprämien zugunsten der zukunftsblinden kriselnden Autokonzerne. Da zu streichen wäre aller Ehren wert, statt die Lasten von uns Boomern auf die Jungen und Noch-nicht-Geborenen abzuwälzen.

Für die Verteidigungsausgaben kann man eine Ausnahme von der Schuldenbremse machen, weil jede Grenze Putin (und Trump) nur ermutigen würde und es anders wohl nicht geht. Das gilt aber nicht für die unterlassenen Investitionen für die sog. Daseinsvorsorge. Hier die Büchse der Pandora zu öffnen, hat unweigerlich zur Folge, dass kein Halten mehr ist. Und die Zinsausgaben, von denen Banken und Anleger profitieren, also eine Umverteilung nach oben, wieder gewaltig wachsen, weniger Raum für Anderes lassen und sie bald so hoch so sein werden wie die aus den Schulden finanzierten Investitionen. Eine völlig unsinnige, unveranwortliche Rechnung gegen die Zukunft.

Verteidigungs-Soli statt Lasten für die Nachgeborenen

Wenn Kürzungen nicht reichen, die Merz und die Union ja vollmundig im Wahlkampf versprochen hatten neben genauso notwendigen Wirtschaftsreformen, um die Unternehmen und Betriebe von den Fesseln des überbordenden Regulierungsstaats zu befreien und das Land aus der Dauerrezession zu führen, auch um Verteidiung und andere drängende Aufgaben zu finanzieren, müssen Steuererhöhungen oder Sonderabgabe her, besonders von Gutverdienenden und Vemögenden. Schließlich profitieren die am meisten von Frieden, Sicherheit und einem funktionierenden Gemeinwesen.

Man kann gegen Kohl viel sagen. Aber er hatte nach der Wiedervereinigung die Traute, für den Neuaufbau Ost einen „Soli“ genanten Aufschlag auf die Einkommensteuer zu verlangen. Wann wenn nicht jetzt wäre die Gelegenheit, dass Merz – einer von uns, Jahrgang 1955 – eine „Blut-Schweiß-Tränen“-Rede hält und den Bürgern, besonderrs uns Boomern, reinen Wein einschenkt, dass die Sicherung unseres Wohlergehens eine Menge kostet. Jeden von uns. Nicht unsere Kinder und Kindeskinder. Die sind für den ganzen Schlamassel nicht veranwortlich.

Deshalb: Nur Mut, Grüne! Zieht Merz, Klingbeil und Söder die Spendierhosen aus! Die brauchen Euch. Sie haben keine Alternative, als sich mit Euch zu einigen. Mit der Weidel-Truppe und den genauso wirklichkeitsfremden Linken ist kein Staat zu machen. Und keine Zukunft.

Ludwig Greven ist feier Journalist und Autor. Er war lange Rot-Grün-Wähler, hat sich diesmal anders entschieden. Aber bereut es fast schon wieder.

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2 Gedanken zu “Boom, Boomer, Schuldenboom;”

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    Danke für den wie immer klugen Text. Dass ausgerechnet die Grünen dieser Ungerechtigkeit, dieser politischen Geisterfahrerei ein Ende setzen, ist ein Treppenwitz der bundesdeutschen Geschichte.

  2. avatar

    2006 reichte ich als Landesbeamter Sachsen-Anhalts (mit „meinen“ vier Mitarbeitern) Fördermittel aus dem Landeshaushalt in die Gemeinden für den Kommunalen Straßenbau aus. Und kontrollierte in eine Verwendungsnachweisprüfung, ob sich die Bürgermeister nicht etwa Schokolade für das Geld gekauft hatten.

    Als der Präsident des Landesamtes im Zuge von Sparmaßnahmen fragte , welche 10 % unserer Arbeit wegfallen könnte, sagte ich:

    „100 % kann wegfallen. Man gebe den Gemeinden einen höheren Anteil an den Steuereinnahmen und die können das alles ganz ohne Fördermittel.“

    Grundsätzlich halte ich Schulden nicht für verwerflich, lieber Ludwig Greven, wenn eine Investition dagegensteht. Ein Gegenwert (Was Waffen nicht unbedingt sind. Die Rakete macht „bumm“, dann ist sie „weg“.)

    Aber:

    Aber ich befürchte: Dieser Fond für die Infastruktur heisst im Klartext wieder „Förderprogramme“. Heisst wieder teure Beamte, die Geldzuweisungen durch die Gegend schieben. Vom Bund oder Land in die Kommune. Heisst leider: Ein weiter aufgeblähter, viel zu teurer Staat.

    P.S.: Ich genieße ja die Pension aus diesem Krempel, das will ich gar nicht unter den Teppich kehren.

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