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Brandmauergefährlich

Merz geht mit seiner Offenheit für Stimmen auch der AfD zu einer harten Wende in der Asylpolitik ein hohes Risiko, auch für seine Kanzlerambitionen. An SPD und Grünen hängt es, ob sie eine schwarz-blaue Kooperation verhindern, indem sie Änderungen im Bundestag noch vor der Wahl mittragen – oder ob sie auf Fundamentalopposition schalten.

Segler wissen, dass Wenden gegen starken Wind riskant sind. Das Boot kann kentern, die Besatzung über Bord gehen. Noch brisanter sind indes Halsen mit Rückenwind: Der Skipper kann dabei den Segelbaum an den Kopf bekommen und das Bewusstein verlieren. In der Politik sind abrupte Kehrtwenden wegen akuter Ereignisse oder Krisen manchmal notwendig. Aber sie sollten dennoch gut überlegt sein und nicht aus Affekt erfolgen. Der CDU-Vorsitzende und -Kanzlerkandidat hatte vor Kurzem noch sein Amt daran geknüpft, dass es keinerlei Zusammenarbeit seiner Partei mit der AfD geben werde. Unter dem Eindruck des Messerangriffs auf Kleinkinder in Aschaffenburg schließt er die jetzt in der Asylpolitik plötzlich nicht mehr aus. Warum?

Es bieten sich mehrere Erklärungen an. Friedrich Merz ist dafür bekannt, dass er bisweilen impulsiv reagiert und zu Provokationen und Effekthascherei neigt. So sprach er mit Blick auf verhaltensauffällige, gewalttätige Söhne von Migranten von „kleinen Paschas“ und bezichtigte Flüchtlinge fälschlicherweise, Einheimischen die Plätze in Artzpraxen wegzunehmen. Er hatte auch schon mehrfach Kooperationen mit der AfD auf lokaler Ebene oder in den Ostländern ins Spiel gebracht, nach Protesten aber schnell beigedreht. Schon eine ganze Weile schien er sich jedoch und seine Berater ihn besser im Griff zu haben, je mehr er sich gute Chancen ausrechnen konnte, nach dem 23. Februar Kanzler zu werden, und er sich sichtlich darauf vorbereitete, indem er sich in manchen Punkten konzilianter zeigte.

Umkehr schon lange angekündigt

Auch sonst spricht wenig dafür, dass Merz sich diesmal einfach davon tragen ließ und er auf einen reinen Wahlkampfeffekt aus ist, sondern das es kühl geplant ist. Schließlich hat er Merkels Flüchtlingspolitik von Anfang an – damals noch aus dem Politik-Off – kritisiert und seit seiner Wahl zum CDU-Chef sehr klar gemacht, dass er die und den Rot-Grün-Kurs in dieser Frage umkehren will. Nun sieht er offensichtlich die Chance vorzupreschen.

Die Ironie dabei: Merkel hat selbst 2015 eine Kehrtwende vollzogen. Bis dahin hatte auch sie eine harte Migrationslinie verfolgt. Unter dem Druck von Tausenden Flüchtlingen, die Victor Orban Richtung östereichische Grenze treiben ließ, entschied sich dann über Nacht, zunächst sie und schließlich mehr als eine Million Menschen ins Land zu lassen. Denen weitere folgten und noch immer folgen. Zunächst von großen Teilen der Bevölkerung herzlich empfangen, was sich aber längst geändert hat, je mehr die damit verbundenen Probleme deutlich wurden. Was die fremdenfeindliche AfD immer stärker gemacht hat – deren Stimmen im Bundestag Merz jetzt einkalkuliert.

Mit der AfD gegen die AfD?

Zugespitzt könnte man sagen: Er nutzt die fatalen Folgen von Merkels Politik gegen sie, um wiederum die AfD kleiner zu machen. Denn die muss nun bekennen, ob sie nur lautstark gegen die „etablierten“ Parteien hetzt, Weidel zuletzt vor allem gegen die CDU, oder ob sie an Lösungen mitwirkt. Und damit riskiert, ihre Attaktivität für Extreme als Systemopposition zu verlieren.

Den prompt einsetzenden Proteststurm von Linken, Grünen, Sozialdemokraten, Teilen der Öffentlichkeit und auch der Medien wird Merz eingerechnet haben. Schließlich ist er kluger Stratege. Daher wird er darauf setzen, dass sein Vorstoß der CDU gerade deswegen Wähler zurückholen kann, die sich wegen Merkels Links-Wendung nach rechtsaußen abgewendet haben. Allerdings hat Merkels Kurs in der Partei immer noch viele Anhänger. Dazu gehören mehrere einflussreiche Ministerpräsidenten, die in ihren Ländern mit den Grünen regieren. Er droht also, die CDU zu spalten und auf der anderen Seite Wähler zu verlieren. Sollte die Union im Bundestag tatsächlich mit der AfD zusammen für harte Asylgesetze stimmen, wird daraus ein Orkan werden, der Merz‘ Chancen und Hoffnungen hinwegfegen könnte, Kanzler zu werden.

Auch SPD und Grüne riskieren Einiges

Zudem ist die Frage, mit wem er nach der Wahl koalieren will, wenn er SPD und Grüne so gegen sich aufbringt. Mit der FDP allein, die im Bundestag wahrscheinlich mitstimmen wird, wird es nicht reichen, falls die überhaupt wieder ins Parlament kommt. Die SPD steckt allerdings selbst in einem Dilemma. Denn ihr amtierender Kanzler hat nach dem Messerattentat von Aschaffenburg ebenfalls verkündet, dass er es „leid“ sei, und er hat auch schon nach dem Anschlag von Solingen Abschiebungen in großer Zahl angekündigt, ohne das allerdings umzusetzen. Das Angebot von Merz zu einer gemeinsamen Asyländerung hatte er ausgeschlagen.

Wenn SPD und Grüne jetzt jeden Kompromiss verweigern, riskieren sie ihrerseits, die AfD noch stärker und einflussreicher zu machen und in der Opposition zu landen. Denn Merz lässt keinen Zweifel, dass seine Forderungen für ihn auch in Koaltionsgesprächen unverhandelbar sind. Und sie werden ja selbst von Teilen ihrer eigenen Anhänger und auch manchen ihrer Politiker wie dem Grünen-Doppelminister Cem Özdemir geteilt. Den verlangten faktischen Aufnahmestopp werden SPD und Grüne auf keinen Fall mittragen. Denn er würde wohl gegen europäisches und internationales Recht verstoßen. Darunter gäbe aber eine Menge, was die Parteien der Mitte gemeinsam auf den Weg bringen könnten, stärkere Kontrollen an allen Grenzen etwa und einen obligatorischen Arrest von Ausreisepflichtigen in Abschiebezentren, um der Bevölkerung zu signalisieren: Wir haben verstanden, es geht uns nicht nur um Wahlkampf, sondern um das Wohl des Landes und seiner Bürger und aller anderen, die hier friedlich leben.

Eins hat Merz jedenfalls geschafft: Noch bevor er womöglich ins Kanzleramt einzieht, hat er das Heft des Handelns in die Hand genommen und treibt die noch regierenden Parteien vor sich her. Scheitert er jedoch mit seiner gewagten Initiative, weil SPD und Grüne nicht mitmachen und CDU und CSU auch mit AfD und FDP keine Mahrheit im Bundestag haben, kann er sich seine Kanzlerträume abschminken. Dann stünde er als großer Verlierer da, der Feuer an die Demokratie legte, aber nur seinen eigenen Frack anzündete. Und Scholz könnte plötzlich wieder Hoffnung schöpfen.

Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor. Er war Politikchef der „Woche“ und bei zeit-online und schreibt für verschiedene Medien sowie in diesem Blog.

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3 Gedanken zu “Brandmauergefährlich;”

    1. avatar

      warum soll das so sein? SPD und Grüne sind in den Umfragen meilenweit von einer Mehrheit entfernt, die Union ist so stark wie beide zusammen. Daher sieht es sehr nach entweder Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün aus. Mit der AfD wird Merz nicht koalieren.

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