„Der letzte Mohikaner, der sich am Leben reibt/Ein Gürtel voll Geschichten, die die Leber schreibt/Einmal Vollbedienung, Alkohol und Rock/Siebentausend Geißlein, und ich der Blaue Bock“ Hier irrt Heinz Rudolf Kunze. Das hat er 1985 gesungen, und inzwischen hat er sich noch öfter geirrt. Oder war es wirklich so, hieß es wirklich Mitte der Siebziger bis Mitte der achtziger „Guten Abend Grugahalle, fühlt Ihr euch im Recht?“ wie der weise Kunze zu insinuieren trachtete? Da war plötzlich ein Mann im Fernsehen, der kam nachts auf die Bühne und sagte die magischen vier Worte: „Dschörmän Televischn praudli presents…“. Albrecht Metzger hieß er.
Und dann ging’s los, und natürlich war der im Recht – zumindest manchmal – und natürlich waren wir durchaus der blaue Bock. Wenn Rockpalast-Nacht war, dann war Ausnahmezustand. das war unser Straßenfeger, nix Star Trek, nix Disco. Das bedurfte umfänglicher Vorbereitungen. Schon Wochen vorher, wenn die ersten Gerüchte schwirrten, wer denn da so spielt, gab’s erregte Diskussionen, ob es denn das war, was wir hören und im Fernsehen sehen wollten. Im Fernsehen natürlich, das ging nicht anders, denn an Live gucken war nicht zu denken. Kaum einer hatte ein Auto- und überhaupt, vierhundert Kilometer weit zu einem „Gammlertreffen“ mit ungewissem Ausgang zu fahren, das hätten wir Bildungsbürgerkinder und dann doch nicht getraut. Merkwürdig: Bis heute ist mir keiner begegnet, der je eine dieser legendären ersten Rockpalast-Nächte leibhaftig miterlebt hat.
Gefilmtes Konzert, Live
Der damals 29jährige Peter Rüchel, er war gerade Leiter des WDR-Jugendprogramms geworden, hatte seinem damaligen Chef zwei Jahre zuvor den Vorschlag „gefilmtes Konzert, live“ gemacht, und der hatte die Idee gut gefunden. Als Rüchel mit Regisseur Christian Wagner die Konzeption entwickelte, wollten sie weg von der Nummernrevue des Beatclub, weg von den Eingriffen der Regie durch allerhand Bildverfremdungen. Besonders Christian Wagner habe damals sehr puristische Vorstellungen gehabt, »wie sie Absolventen einer Hochschule gelegentlich haben, theoretischer Art: Dass die wichtigste Einstellung die Totale sein, weil sie demokratisch war, weil sie immer alle zusammen zeigte. Das war ja auch alles politisch damals«. Man einigte sich auf einen Mittelweg, der die Totale als Orientierung mit einbezog. Wenn es um Auswahl der die Bands ging, zogen sich die Herren in der Regel in ein badisches Hotelzimmer zurück: „Da hat der Christian Wagner mir dann einen möglichst schlechten Plattenspieler hingestellt, und ich habe gehört, was er mir vor-ausgewählt hatte. Der hat gedacht, nur was auf diesem beschissenen Plattenspieler noch gut klingt, ist gut“. So hat es mir Peter Rüchel mal in einem langen Telefoninterview 2009 erklärt.
Sommeranfang, 23. Juli 1977: Die erste richtig lange Rockpalast in der ARD. Klar, Rockpalast-Konzerte im Fernsehen hatte es schon länger gegeben, nur lief das im WDR 3 – und wir wussten davon nichts. Eins aber wussten wir: In dieser Nacht der Nächte würden Rory Gallagher, Little Feat und Roger McGuinns Thunderbyrd auftreten. Gallagher, das war unser Ding. Der hatte immer nur karierte Hemden an, wie wir auch, und der spielte endlose scheppernde Gitarrensoli, wie wir auch. Wir spielten natürlich nur Luftgitarren, aber noch endlosere Soli, und scheppern tat es meistens dann, wenn wir vom Highland-Master (einer Art Notstands-Whisky für 9.95 DM) berauscht in die rustikale elterliche Schrankwand rauschten. Lowell George, das wußten wir auch ganz genau, war nicht unser Ding. Denn der wurde von SOUNDS hochgelobt, und was Sounds hui war, das war uns pfui. So war es ungeschriebenes Gesetz. Zumindest nährte die Einteilung in Gut und Böse, wie sie dieses Blatt betrieb, unser verschärftes Mißtrauen. Schon zu dieser Zeit, als der Radio noch gelegentlich Musik spielte, oder sogar Musik spielte, die unsereins noch nie zuvor gehört hatte, bedurfte es musikalischer Orientierung durch Mundpropaganda.
Kein Platz für allzu Mainstreamiges
Es muß so um 1978 rum gewesen sein, als sich SOUNDS zur alleinseligmachenden, römisch-katholischen Kirche der Zunft aufschwang und begann, ausufernden Wohlklang, wie wir ihn liebten, ins Reich des Bösen zu schreiben. Hodenschuß für Lou Gramm, Halskrebs für Greg Lake, Multiple Sklerose für Keith Emerson und Rick Wakemans glitzernder Mantel sollte Feuer fangen, sowieso. Und dem Ian Anderson wollten sie die Flöte in den Arsch rammen. Jetzt hörte man Punk und Hirn war aus. Nicht, dass wir was gegen Punk gehabt hätten. Im Gegenteil: „God save the queen, she ain‘t no human being. God save the Queen, the fascist regime“ – das war doch auch für uns spätadoleszente Altrocker eine wohlfeile Parole.
Zu diesen Zeiten also trat die europaweite Sensation auf den Bildschirm: Der Rockpalast. Wir mussten damit vorlieb nehmen, was sie uns zeigten. Was haben Sie uns alles gezeigt in den ersten zehn Jahren Rockpalast. Was war damals alles wichtig- und wurde entsprechend gehyped. Wir beobachteten es mit kritischer Solidarität und wunderten uns gelegentlich. Denn wenn Lowell George, der Verschwommene, eigenfüßig ein Flugzeug verließ, schienen sie platt vor Ehrfurcht. Sie hätten ihn sicher in einer anderen Daseinsform erwartet. Sowas hält keiner lang aus, und geht dann konsequenterweise schneller als erwartet ab. Was hätten sie wohl für Springsteen getan? immerhin hat der smarte Moderator Alan Bangs später mal ein ganzes Buch mit dem Nachdenken über die Frage gefüllt, was passiert, wenn man dem ausgeschiedenen Springsteen Gitarristen Little Steven eine Frage stellen will, aber nicht darf. Welche Frage? Es war die Frage nach dem Boss Springsteen.
Ja, und so gab es dann auch vieles aus der Kreisklasse, was wir nicht goutierten. In alphabetischer Reihenfolge. Alberto Y Lost Trios Paranoias. The Beat. The Buzzcocks. Lee Clayton. Wayne County and The Electric Chairs. Dschungelband. Fred Banana Combo. The GoGos. King Sunny Ade. Magazine. Neue Hemat. Rubinoos. The Smiths. Twelve Drummers Drumming. The Undertones. Vitesse. Wire. XTC. 20 Jahre später hatte man Radiohead, The Presidents of the United States oder Skunk Anansie. Soviel zum Quatsch.
Aber Sie haben uns auch die richtigen und wichtigen Dinge des Lebens – und die Wegweiser zum richtigen Leben – gezeigt: Die Kinks und den schon in früher Jugend altersweisen und gleichzeitig pubertätswütenden Ian Hunter, die J.Geils Band, BAP und Big Country (letztere aber erst, als für den Rockpalast sowieso alles zu spät war), Rory Gallagher und Alvin Lee (obwohl der auch schon „ten years later“ war) und 38 Special und Thin Lizzy und so weiter und natürlich ZZ Top. Die Bärte spielten am 19. April 1980 in der Rocknacht. „Als ich ZZ Top zum ersten Mal in Chicago gesehen habe, und von Bill Ham, dem Erfinder des ZZ Top Konzepts gefragt wurde: Peter, wann sollen wir denn auf die Bühne gehen – und ich hab gesagt, ich denke mal, so gegen vier Uhr morgens, da war das für den erstmal ein Schock und er hat gesagt: Ja Moment, da sind doch alle eingeschlafen. Ich habe gesagt: Bei euch nicht“, hat mir Peter Rüchel erzählt. Der Auftritt war der Durchbruch für die bis dato in Europa fast vollkommen unbekannte Band. „Als ich sie im Jahr darauf wieder getroffen habe, hat mir Dusty Hill ganz stolz erzählt; Wir waren in Stockholm, und sind auf der Straße angesprochen worden: Hey, wir haben Euch im Rockpalast gesehen“.
In der vierten Rocknacht im April 1979 schafften es die Macher erstmals, die Essener Grugahalle auszuverkaufen, bevor die auftretenden Bands bekannt waren. Damals gab es J. Geils Band, Patti Smith, Johnny Winter. Der Anfang vom Ende war die Nacht des 19. Oktober 1985, al The Armoury Show, Squeeze, die Rodgau Monotones und Ruben Blades gerade mal 3000 Zuschauer in die Halle lockten. Ruben Blades, räumt Rüchel Jahre später ein, sei ein hervorragender Musiker, aber: „das Publikum wollte nicht Salsa, das Publikum wollte Rock’n’Roll, und mit Recht“
Rockpalast Forever
In den 90er-Jahren haben sie dann viele der legendären Nächte wieder gesendet, zumindest in Teilen. Ich für meinen Teil habe es damals so gehalten: Aus Sicherheitsgründen nahm ich alles fein säuberlich auf Video auf, beschriftete es, tütete es ein und hoffte auf den Tag, an dem Scharen von jungen Menschen an meine karge Tür klopfen würden, ihre Schlafsäcke ausbreiten auf meinem staubigen Boden, um lauwarme Biere und scharfe Schnäpse nachsuchen würden, um dann in meine üppige, wohlsortierte Video-Sammlung zu starren. „Konzerte, üppige, inkommensurable Konzerte“, hätte ich ihnen entgegen geschrien, vor pädagogischem Eros tropfend. „Von 1975 bis zur Gegenwart. Bunt und billig und laut, jawohl, laut, denn höret ich sage euch: meine Anlage ist rasend verkuppelt vierboxig mit dem Antriebsmotor des Fideo, von Featurefilm ganz zu schweigen. Erschießen sie mich nicht, ich kann alles erklären. Ich bin nämlich verrückt“ hätte ich in den Raum gewabert, faltenwerfend. Während meine Gattin schmerzgewohnt, mir die schweißsprühende Stirn abtupfen hätte müssen mit der heiligen Dreifaltigkeit: Reinigungs-CD, Kohlebürste und Antistatiktuch. „Mache ich doch gerne ohne Aufwand, ohne Spesen!“
2006 habe ich Peter Rüchel mal bei einer BAP-Geburtstagsfeier im WDR-Funkhaus in Köln getroffen, mich von der Seite angeschlichen und mich vor ihm in den Staub geworfen, Dankesworte stammelnd. Irgendwann 2008 gastierte Albrecht Metzger mit seinem grandiosen Kabarett-Programm „Sex & Drugs & Rock’N’Roll“ in meiner Stadt. Einem Programm, das aus er Liebe zur Rockmusik schöpfte. Musik ist für Metzger noch immer Lebens- und Überlebensmittel. „Musik ist die Kraft, gegen die wir uns nicht wehren können, Gottseidank!“, hat er mir damals gesagt. Angefangen hatte er Ende der 60er Jahre als Sänger der Politrockgruppe „Hotzenplotz“. Und die Weisspressung der LP dieser Truppe brachte er mir mit, als er mich zu Hause besuchte. Ich fühlte mich zum Ritter geschlagen.
Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ https://open.spotify.com/show/4FuFLyd1w66aRSnYYdCkOY mit Musikern und anderen Kulturmenschen.
DankeDankeDanke Thomas für diese wunderbare Reminiszenz an die vielen Rockpalast-Nächte. Ich habe zwar nie Luftgitarre gespielt, aber wir haben häufig Partys dazu veranstaltet und durchgesoffen. Und hinterher habe ich mir Platten der Bands gekauft. J.Geils Band höre ich z.B. bis heute gerne.