Auf dem Münchener Siegestor erstrahlt eine Projektion – siehe Titelbild – die den Kanzlerkandidaten der Partei „Bündnis 90 / Die Grünen“ als Heilsbringer glorifiziert. Die totalitäre Tradition des Personenkults feiert in der lauwarmen Phase des Bundestagswahlkampfes eine erstaunliche Renaissance. Die Verknüpfung der Person Robert Habecks mit dem Text des Tores – „Dem Sieg geweiht. Vom Krieg zerstört. Zum Frieden mahnend“ – stellt diese Aktion als Tool einer Propaganda bloß, die eigentlich überwunden zu sein schien. Bei genauerem Hinsehen ist der Personenkult aber nie überwunden worden, auch nicht in der deutschen Politik. Der Anspruch auf die Deutungshoheit über die deutsche Vergangenheit ausgerechnet mit einer Person zu verknüpfen, die, der eigenen Aussage nach, „mit Deutschland nie etwas anfangen konnte,“ könnte als zynisch bewertet werde.
Seltsamerweise schuf ausgerechnet Karl Marx den Begriff des „Personenkults“ für das Phänomen. Der Philosoph, in dessen Namen im 20. Jahrhundert nahezu eine Folge von Explosionen des Personenkults um die Welt rasten. Angeblich äußerte Marx in einem Brief an den Sozialdemokraten Wilhelm Blos seine Abscheu dem Personenkult gegenüber. Marx‘ Ablehnung des Personenkults kann mit der von ihm geschaffenen philosophischen Kategorie des „Historischen Materialismus“ erklärt werden. Marx mag die Erkenntnistheorie des subjektiven Idealismus‘ im Blick gehabt haben. Papst- und Heiligenverehrung nannte er in einem seiner Hauptwerke, „Die Deutsche Ideologie“, eine „Pest.“ Der Historische Materialismus begreift tatsächlich die Einzelperson im gesellschaftlichen Progress als nachrangig, denn die „die Ideologie, die die revolutionäre Masse ergreift“ (Marx) sei das Primat.
Person, Kult, Personenkult und „nützliche Idioten“
Potentaten, Adel oder Kirchenfürsten, sorgten seit dem Römischen Reich dafür, den Kult um ihre Person als identitätsstiftend zu etablieren. Christentum und Islam nutzten und nutzen diesen Kult, um ihren Einfluss auszuweiten. Der Papst als Stellvertreter Gottes oder Mohamed als Prophet Allahs, immer steht die Person im Mittelpunkt, um die sich ein weitgefasstes Regelsystem von Gehorsam und Unterwerfung aufbaut. Die höhere Moral wird auf eine einzelne Person projiziert und unbedingt mit ihr verknüpft.
Stalin, als Personen des „Personenkults neuen Typus“, lernte von den Personenkulten um Kaiser, Zar und Papst die Technik der totalen Unterwerfung. Dabei ist der Personenkult nahezu völlig losgelöst von den Inhalten, da die Person, um die der Kult gesponnen wird, im Besitz der alleingültigen Wahrheit ist und die Inhalte daher nicht mehr zu diskutieren sind. Mussolini, Hitler, Mao, Pol Pot, die Kim-Familie in Nordkorea, die Führer der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa während des Kalten Krieges agierten alle nach diesem Muster. So ist der Personenkult unmittelbar mit der Ideologie verbunden. Wird die Person des Personenkultes infrage gestellt, stellt man die Ideologie in Frage. Beispielsweise wurde Chruschtschow für die Desavouierung des Stalinschen Personenkultes auf dem XX. Parteitag der KPdSU scharf von Kommunisten im Westen kritisiert. Kommunisten im Westen, wohlgemerkt nicht Marxisten, wie der französische Intellektuelle Alain Badiou und der italienische Kommunist Palmiro Togliatti sahen darin einen Verrat an der kommunistischen Idee.
Personenkult ist, wie die Geschichte beweist, immer mit einem Heilsversprechen verbunden, das ausschließlich an die Person des Heilsversprecher geknüpft ist. Damit verbunden ist die Annahme, dass, stirbt die Person, das Heilsversprechen nicht mehr eingelöst werden kann. Erinnert man sich an die nahezu hysterischen Tränenausbrüche beim Tod von Stalin oder Kim Il Sung, folgt diese Hysterie dieser kruden Logik
Personenkult bedarf, neben einer Zentrale wie einem Politbüro oder einem Ministerium für Propaganda und Volksaufklärung, eine Armee „nützlicher Idioten“, die den Kult exekutieren. Ohne diese Armee, kein Kult. Selbst Angela Merkel, am Personenkult der DDR geschult, wusste das für sich zu nutzen. Auf dem letzten CDU-Parteitag unter ihrer Parteiführung wogte der Applaus für sie ganze sechs Minuten. Das erinnerte beängstigend an die Parteitage kommunistischer Parteien, bei denen geschulte Delegierte an den entsprechenden Stellen in Aktion traten. Als der deutsche SPD-Kandidat zur Europawahl, Martin Schulz, auf dem „Schulzzug“ durch das Land agitierte, forderte er die Menge der „nützlichen Idioten“ auf: „Nun ruft doch mal – ‚Martin, Martin.‘
Der Personenkult bedient sich zwar immer noch der klassischen Mittel – Plakate, Anzeigen, Presseartikel, Mobilisierung der „nützlichen Idioten“. Stellvertretend dafür mag das peinliche Interview, das Caren Miosga in ihrer Sendung mit Robert Habeck führte oder die ebenso peinliche Eloge Annalena Baerbocks auf dem letzten Grünen-Parteitag. Aber mit der Projektion auf dem Münchener Siegestor und der nachfolgenden Kampagne im Netz erschließt sich der Personenkult neue, dezentrale Vermittlungsformen durch die sogenannten „sozialen Medien“. So verfasste Marion Mo Lüttig bei bluesky folgenden Post:
Infantilisierung
Der Post von Lüttig schafft eine neue Kategorie in der Durchsetzung von Personenkult: Infantilisierung. Der Kult um die Person wird befeuert, indem man eine Spielstrategie, die der Jagd, nutzt. In dem Fall wird zu einer Schnitzeljagd, wie man sie bei Kindergeburtstagen veranstaltet. Oder wie sie bei Popstars als Marketinginstrument verwendet wird. Die Person wird damit auch für die umfassend interessant gemacht, die eher weniger Interesse an Politik zeigen. Eben wie Kinder. Inhalte und Ziele treten noch weiter in den Hintergrund, die Person soll „geerdet,“ also näher an den „Endverbraucher“ werden, dabei über den Umweg des Spiels. Ganz so neu ist die Technik allerdings nicht, vielleicht nur etwas verstaubt, jetzt aber mit modernen Mitteln wiederbelebt. In der DDR wurden in Pionierferienlagern Geländespiele veranstaltet, bei denen Areale „erobert“ werden mussten, die Namen von führenden Kommunisten trugen.
Zum Instrumentarium des Personenkults gehört die Verbreitung von Bildern, auf denen sich die Person mit Kindern zeigt. Diese Bilder sind ein wirkmächtiges Instrument, denn Kinder sind die Zukunft im Heute. Der Propagandaapparat um Robert Habeck erweitert diese Botschaft. Die sogenannten „Küchentischgespräche“, bei denen die Inhalte nachrangig sind, denn das, was wirkt, sind die Besuche an sich. Ein Politiker, der sich volksnah darstellt, indem er bei potenziellen Wählern am Küchentisch sitzt, bei vielen der Mittelpunkt des Familienlebens. Die Politiker erfährt als temporärer Teil der Familie eine Aufwertung und gleichzeitig wird die Familie selbst zu Kindern der Person.
Stellen wir uns kurz vor, die AfD hätte beschlossen, ein Bild Alice Weidels mit ähnlichem Text auf das Brandenburger Tor zu projizieren. Oder das Wahlkampfteam des BSW würde mit einem Bild Sarah Wagenknechts das Treptower Ehrenmal schmücken. Die Süddeutsche Zeitung nennt die Aktion in München „umstritten.“ Wie sähe das bei AfD oder BSW aus?
Daniel Anderson: Berufsausbildung zum Flugzeugmechaniker. Regiestudium an HFF „Konrad Wolf“ in Babelsberg. Berufsverbot als Filmregisseur in der DDR. Oberspielleiter, Autor und Schauspieler am Theater Senftenberg. Nach dem Mauerfall freier Regisseur, Autor (TV-Serie, Theater, Synchron), Schriftsteller und Musiker. Studium Vergleichende Religionswissenschaften in Bonn. Gründer und Leiter der „Theaterbrigade Berlin.“ Anderson lebt in Berlin und immer mal wieder in Tel Aviv.
Wenn man so ein „geschichtsträchtiges Monument“ zu Wahlkampfzwecken nutzen will, gehe ich davon aus, dass man sich vorher zumindest einen oberflächlichen Überblick über den historischen Zusammenhang verschafft.
Herr Habeck fordert seit langem Solidarität mit der Ukraine und altuell mehr als die Verdoppelung der Rüstungsausgaben im Vergleich zum Vorkriegsniveau, konkret auf 3,5 Prozent des BIP. Das wären so um die 115 Milliarden Euro im Jahr. Mehr als 20 Prozent des Bundeshaushalts.
In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht mehr als unerträglich, wenn ich mir anschaue, wie das „Siegestor“ vor ca. 80 Jahren dafür genutzt wurde, um Verständnis zu werben für die angeblich notwendigen Entbehrungen, die ein Krieg mit sich bringe.
In Anlehnung an das Hitlerzitat:
„Wenn wer im Zweifel ist, ob er noch einmal geben soll, möge er sich umschauen. Er wird jemanden sehen, der ein viel größeres Opfer gebracht hat.“
„Erschuf“ der Maler Adolf Reich ein Ölbild mit dem Titel „Das grössere Opfer“, auf dem im Hintergrund das Siegestor zu sehen ist und im Vordergrund exemplarisch drei Opfergruppen.
1. Eine Gruppe spendender Bürger
2. Ein beinamputierter Soldat
3. Eine Kriegerwitwe mit Kinderwagen
Das Bild wurde damals auch als Postkartenmotiv verwendet.
http://www.hausderdeutschenkun.....reich.html
Die Aussage des Bildes ist ziemlich klar. Wenn Ihr nur zahlen müsst, ist Euer Opfer im Vergleich zu den wirklichen Opfern doch sehr klein. Das ist erschreckend aktuell, wenn ich mich an die diversen O-Töne erinnere, die von unseren PolitikerInnen anläsdlich ihrer diversen Reisen in die Ukraine verbreitet worden sind.
Ich gehe davon aus, dass Herr Habeck das Bild nicht kannte. Der von Hitler begonnene Weltkrieg ist auch etwas grundverschiedenes als der Verteidigungskrieg der Ukraine. Ich fände es aber besser, wenn Herr Habeck sich in der Zeit, in der er in Verantwortung sein durfte, für eine friedliche Lösung des Konflikts eingesetzt hätte.
Und damit mich keiner missversteht:
Als Pazifist, weil Christenmensch, war ich persönlich zwar immer für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts, der aus meiner Sicht hätte verhindert werden können, wenn.man sich auf ihn militärisch einlässt, hätte man aber entweder „all in“ gehen müssen oder den Ukrainern frühzeitig eine atomaren Schutz garantieren müssen. Das wollte aber niemand. Ich hätte es auch nachvollziehen können, wenn Toni Hofreiter mit Campino, Wolfgang Niedeggen und deren Söhne znd Töchter eine Internationale Brigade aufgestellt hätten und persönlich an der Front gekämpft hätten. So wie damals die jungen Antifaschisten im spanischen Nürgerkrieg.
Die Leute reden von „unseren Werten“, was meinen sie wirklich?
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Und genau das, dass Habeck sich NICHT für eine friedliche Lösung stark gemacht hat, sondern die pazifistischen Grünen zu eine Kriegsbefürworterpartei gemacht hat, muss man ihm übel nehmen.
Habeck ist kein Kriegsbefürworter, sondern ein entschiedener Kriegsgegner – des Kriegs, den Putin gegen die Ukraine und das freie Europa führt. Deshalb hat er schon vor der russischen Invasion Waffenlieferungen an die Ukraine gefordert, um genaun diesen Angriffskrieg zu vermeiden helfen. Damit war er damals jedoch ein einsamer Rufer auch in der Grünen-Wüste. Die spätere Außenministerin und seine damalige Co-Vorsitzende Baerbock wies seine Forderung zurück. Hätte man doch auf ihn gehört!
Habecks Projektion wurde inzwischen entfernt: Sie war nicht genehmigt.
Robert Habeck ist zurzeit einer der wenigen Politiker, die argumentieren. Günther in SH ist auch ein gutes Beispiel für eine reflektierte Sprache.
Korrektur .. in der ganzen Welt..
Bei Robert ist noch Licht / frei nach Erich Weinert
Wenn du die Augen schließt, und jedes Glied
und jede Faser deines Leibes ruht –
dein Herz bleibt wach; dein Herz wird niemals müd;
und auch im tiefsten Schlafe rauscht dein Blut.
Ich schau’ aus meinem Fenster in der Nacht;
zum nahen Robert wend ich mein Gesicht.
Die Stadt hat alle Augen zugemacht.
Und nur bei Robert drüben ist noch Licht.
Und wieder schau’ ich weit nach Mitternacht
zum Robert hin. Es schläft die ganze Welt.
Und Licht um Licht wird drüben ausgemacht.
Ein einz’ges Fenster nur ist noch erhellt.
Spät leg’ ich meine Feder aus der Hand,
als schon die Dämmrung aus den Wolken bricht.
Ich schau’ zum Robert. Ruhig schläft das Land.
Sein Herz blieb wach. Bei Robert ist noch Licht.
„Infantilisierung“
Da haben Sie aber lange nach einem Schlagwort gesucht, was? Und dann kommt sowas dabei raus! Wahlkampf ist banal und oberflächlich, er lebt von Bildern und kernigen Sprüchen, bisweilen auch von der Verunglimpfung des politischen Gegners. Wussten Sie das etwa noch nicht?
Wenn es um Inhalte ginge, wäre weder die CDU im Bund, noch die CSU in Bayern so lange und so oft an der Macht gewesen. Von FDP und AfD will ich gar nicht erst reden.
Ich musste gar nicht wirklich nach einem Schlagwort suchen, wie Sie vermuten. Ich bin in einer kommunistischen Diktatur aufgewachsen, in der Personenkult und Infantilisierung der Bevölkerung an der Tagesordnung waren. Da galt es in einem Pionierferienlager bei einem sogenannten Geländespiel Areale zu erobern, die nach Führern der kommunistischen Weltbewegung benannt waren. Weil ich u.a. wegen „Verächtlichmachung“ aka Kritik am Personenkult im Knast saß, reagiere ich möglicherweise etwas empfindlicher auf derartige Propaganda. Den Personenkult zu relativieren, weil es den anderen Parteien (nehmen Sie dabei bewusst die SPD aus?) ja auch nicht um Inhalte geht, ist, bei allem Respekt, whatabouttism. Alles Gute für Sie.
Naja, also dieser Marion ‚Mo‘ Lüttig ist schon was besonderes. Es gibt ja auch eine Spiegel Journalistin, die ist ganz hin und weg von dem Herrn Habeck. Auch neben „Doppelwumms“, CSU- Bierzelt usw. hat die Fixierung auf diesen ‚ggaaaanz Süßen‘ schon einen besonderen Dreh ins personenbezogen-erotische. Eine Schwärmerei, die totalitäre Potentaten in der Hantel Welt immer wieder genutzt haben.