Es gibt ja intelligentes und strunzblödes Schlagzeugspiel. Was nicht heissen soll, dass die Erfüllungsgehilfen der jeweiligen Kategorie intelligent oder dumm sein müssen. Nein, es geht allein um ihre Kunst und den verfehlten Einsatz vorhandenen Talents. Um gleich ganz oben in Nerdistan einzusteigen und ums eigentliche Thema herumzutändeln, damit das nun Folgende einen irgendwie wissenschaftliche Anstrich bekommt, beginnen wir mal mit einem Beispiel aus dem so genannten Progressive Rock, dortselbst ist das Phänomen am häufigsten zu beobachten. Was hat das nun aber mit Hugo Egon Balder und Ringo Starr zu tun und was um Himmels willen habe die beiden miteinander zu tun? Gemach, ich komme gleich zum Thema.
Wenn mehr weniger ist.
Also, da gibt es einen Mike Portnoy, der wie ein gleichermassen mit Grob- wie Feinmotorik gesegneter Handwerksmeister auf seinen Töpfen und Tellern herum dengelt, vorzugsweise bei der Kapelle Dream Theater, deren eiskalte brutalistische Klangarchitektur als Musik zu bezeichnen einem Ästheten wie mir sich verbietet. Um vom einen zum andern Ende seines Trommel-Imperiums zu gelangen, bedarf es eines geländegängigen Fahrzeugs, sein Set beherbergt allein drei Bassdrums. Aber das nur am Rande. Dieser offensichtlich größenwahnsinnige Mann verstieg sich dereinst bei einem öffentlichen Workshop, in dessen Verlauf er fünfzehnminütige Schwarten eben jener Band ohne instrumentale Begleitung zum Clicktrack herunter prügelte, zu der Behauptung: „Music is basically about mathematics“. So klang es denn auch. Man glaubte, einen Drummer mit mindestens zwanzig Beinen und acht Armen zu hören, der sich aber keinen Deut darum scherte, was die Musik wollte, die er da großzügig zu Klump hackte.
Ganz anders aber Portnoys Kollege Simon Phillips, der über ein ähnlich großes Trommel-Imperium gebietet. Jahrzehnte lang diente er der Band Toto, wo er sich oftmals durch absolut minimalistisches Farbtupfer setzen verdient machte. Zu wissen, in genau welchem Takt in welcher Ballade ein einziger Schlag auf welche der Dutzende Trommeln gesetzt werden muss – das ist die hohe Kunst des intelligenten Schlagzeugspiels. Natürlich konnte Herr Phillips auch anders. Immer dann, wenn er in anderen Formationen den viel geschmähten Jazz-Rock mit zahlreichen barocken Figürchen verschönert. Aber das ist eine andere Geschichte.
Balder trommelt
Noch eine andere Geschichte ist die des wenig bekannten Schlagzeugers Hugo Egon Balder, dem ich dereinst bei Kaffee und Kuchen gegenüber saß. Dafür gab es einen guten Grund: Balder hatte mit 16 zusammen mit Bernd Koschmidder die Band Birth Control gegründet, ein Urschrei deutscher Rockmusik. Die Band spielt heute noch und ihr „Gama Ray“ kann schon mal 30 Minuten lang werden. Darüber wollte ich schreiben, deshalb das Treffen. Balder erzählte, wie er als Elfjähriger vorm elterlichen Plattenspieler zu den Elvis-Platten seine Bruders den Dirigenten mimt. „Bis ich irgendwann gemerkt habe: ich dirigiere gar nicht, ich mache den Takt.“ Seine Mutter kauft ihm ein Schlagzeug. 1966 trampt er mit seinem Bassisten und Kumpel Bernd Koschmidder nach England. „Wir haben auf dem Trafalgar Square geschlafen. Da fuhr mal ein Bedford- Bus vor, es stiegen vier Typen aus und verteilten Sandwiches an alle, die da gepennt haben. Das waren die Small Faces! Im Marquee Club reifte der Gedanke, eine neue Band zu machen.“ Das ist die Geburt von Birth Control. Die Band spielt zunächst Covers, darf aber während eines Engagements in München sogar Sammy Davis Jr. begleiten. „Mein Vater sass in der ersten Reihe neben Brigitte Bardot.“ Das Gespräch kippt nun endgültig ins Schlagzeuger-Latein. Filigranarbeit war in Balders Trommler-Jahren nie sein Ding, lacht er. „Ich weiss nicht, wie viele Millionen Stöcke ich zertrümmert habe.“ Seine Lieblingsdrummer sind auch eher laut: Mick Avory von den Kinks zum Beispiel, Ginger Baker oder Keith Moon. Für Balder ist seine Zeit als „Rockstar“ bei Birth Control im Dezember 1968 vorbei.
… und jetzt Ringo!
So, jetzt kommen wir zum eigentlichen Thema. Sie erinnern sich: Was macht – jenseits handwerklicher Fertigkeiten – intelligentes Schlagzeugspiel aus? Da will ich, der Musikjournalist und dilettierende Amateurdrummer, noch wissen, wie Herr Balder es denn mit Ringo Starr halte. „Ringo Starr wird oft unterschätzt“, sagt er, „und die meisten Schlagzeuger spielen ›Come Together‹ falsch“. Ich fühle mich ertappt. „Die meisten“ – das bin auch ich. Mühe ich mich doch schon seit Jahr und Tag ab, Ringos geniale Tom-Tom Fills in „Come Together“ halbwegs ähnlich zu imitieren. Allein: Der Geist ist willig, aber die Hände wollen nichts als seelenloses Gerumpel. Herr Balder aber leert mit wissendem Blick geschwind sein Kaffeetasse, rückt sie und den Unterteller zurecht und spielt mir mit den Fingern, Kuchengabel und Kaffeelöffel die allein seligmachende Ringo-Starr-Variante vor. Sein Blick sagt: „Na, Kleiner, hast Du es kapiert?“ Wir verabreden uns für den nächsten Tag um 17 Uhr im führenden Musikgeschäft am Ort. Ich brauche noch ein Foto „Balder trommelt.“ Als ich etwas verspätet ankomme, sitzt er schon in der Schlagzeugkabine und spielt feixend „Come Together“. Oh Schreck.
Aber auch er hat seine spezielle Schrecksekunde erlebt, 2017 in der Sendung „Ich stelle mich“ im Oktober 2017, in der ihn Sandra Maischberger zu einem Drum-Duell mit seinem Idol Pete York genötigt hat. Er schlägt sich respektabel, aber man sieht ihm seinen Schrecken an. „Ich hab‘ das wirklich vorher nicht gewusst“, meinte er auf meine diesbezügliche Frage. In dem Moment hätte ich ihn zu einem Drum-Duell auffordern sollen. Aber stattdessen dachte ich wieder nur an Ringos geniale Fills. Und daran, dass ich einmal ein Zoom-Interview mit dem Toto Gitarristen Steve Lukather führte, bei dem der recht derangiert wirkte, mehrfach zur Toilette verschwand, aber bei seiner Rückkehr mehrfach betonte, dass Ringo sein Nachbar sei. Und welche Ehre das sei, Ringo als Nachbarn und Freund zu haben.
Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ – https://open.spotify.com/show/4FuFLyd1w66aRSnYYdCkOY mit Musikern und anderen Kulturmenschen.
Entscheidend bei „Get Back“ das Handtuch auf dem Snare …
Ich kenne auch wenige Schlagzeuger, die „Get Back“ richtig hinbekommen. Und dann die tollen Fills bei „Ticket to Ride“ und „I Feel Fine“. Und …
„Get Back“ habe ich mal probiert und es ziemlich schnell wieder gelassen. Es klang hundserbärmlich. Jahre zuvor hatte ich es mal mit einer anderen Band in einer Art Metal-Version gespielet. Da ging es. War aber auch ein ganz anderer Drumtrack, der mit dem Original wenig gemein hatte.
.