Wie ist es also, wenn man der größte Star von allen ist? Nein, nicht Elvis. Gott. Verachtet er uns, wie der Star in „Lonely At the Top“ seine Fans verachtet? Im Gegenteil, sagen manche Leute, Gott liebt uns. Sagen wir es so: Er hat eine merkwürdige Art, das zu zeigen. In diesem Song unterstellt Randy Newman, der Atheist, dass es Gott gibt; ja, dass er uns sogar liebt. Aber seine Motive findet Newman in hohem Grad suspekt.
Der Song (den Text findet man unten) beginnt mit der Frage, die Set, der Bruder Kains und Vorfahr des Noah (und damit aller Menschen) an Gott stellt: Ich denke, wir sollen fruchtbar sein und uns vermehren: Warum also hast du den Mord an Abel zugelassen?
Set weiß natürlich nicht, dass Gott imstande ist, im Zorn über die Unmoral seiner Geschöpfe alle Menschen bis auf eine Familie auszulöschen, später auch ganze Städte, wieder bis auf eine Familie, ja, dass er, was von einer ganz besonderen Bosheit zeugt, von seinem treuesten Anhänger verlangen wird, seinen Sohn zu opfern, und zwar an der Highway 61, wie uns Bob Dylan versichert. Wie dem auch sei, Gott antwortet Set im Geist von „Lonely At the Top“:
Der Mensch bedeutet mir nichts, weniger als die gemeinste Kaktusblüte. Er rennt in der Wüste herum, weil er glaubt, mich hier anzutreffen. Deshalb liebe ich ihn. Dabei widert mich deine Fäulnis an, deine Armut, dein Dreck, dein Elend. Hier im Himmel lachen wir über deine Gebete. Deshalb liebe ich euch.
In der zweiten Strophe sind dreitausend Jahre und mehr vergangen; da gibt’s ein ökumenisches Fest der Christen, Juden, Buddhisten und Hindus. Und deren größte Priester richten sich an Gott: Herr, uns hat eine Plage heimgesucht, Herr, niemand ist frei und die Tempel, die wir dir errichtet haben, sind ins Meer gestürzt. Herr, wenn du dich schon nicht um uns kümmern willst, lass uns doch wenigstens in Ruhe.
Und der Herr sagte: Ich zerstöre eure Städte – wie blind wollt ihr noch sein? Ich nehme euch eure Kinder, und ihr sagt, wir sind gesegnet; ihr habt sie nicht alle, wenn ihr mir noch vertraut – aber deshalb liebe ich euch ja: weil ihr mich so sehr braucht.
Wenn uns Gott liebt, dann also deshalb, weil unsere Gebete ihn zum Lachen bringen, weil unsere Bedürftigkeit ihm schmeichelt. Nett ist das nicht gerade.
Aber wer sagt, dass Gott nett sein muss? Er muss ja gar nicht, deshalb ist er ja Gott.
Als ich „Short People“ besprach, fragte ich, ob die jüdische Erfahrung des grundlosen Ausgeschlossenseins Randy Newmans Lied inspiriert haben könnte. An diesem Song finde ich interessant, dass er einen, wie ich finde, sehr jüdischen Blick auf Gott offenbart. Anders als die Christen machen sich die Juden – jedenfalls die Juden, denen wir das verdanken, was Christen überheblich das „Alte“ Testament nennen – keine Illusionen über dessen Charakter; oder Mangel an Charakter.
Von Abraham und Isaak war schon die Rede, und von der Zerstörung der sündhaften Städte Sodom und Gomorrha. Bevor Gott loslegt, versucht ihn Abraham noch (Mose 18,22ff) herunterzuhandeln: Vielleicht finden sich 50 Gerechte in der Stadt? Dann wäre es nicht recht, sie mit den Ungerechten zu vernichten. Stimmt auch wieder, sagt Gott. Abraham: 45? Und Gott so: OK, wenn sich 45 Gerechte finden, zerstöre ich die Stadt nicht. Und Abraham. „20 …?“ Kurz und gut, er handelt Gott herunter auf zehn, bevor er aufgibt. Allerdings finden sich auch keine zahn, und Gott zerstört Sodom. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Abraham versucht, ein menschliches Prinzip gegen einen unmenschlichen Gott durchzusetzen.
Im Buch Hiob geht Gott eine Wette mit Satan ein. Der Satan darf alles mit Hiob anstellen, ihm seinen Besitz nehmen, seine Kinder töten, ihn mit schrecklichen Krankheiten traktieren. Gott ist überzeugt, dass Hiob trotz allem zu ihm halten wird. Was auch geschieht und von der Bibel gerühmt wird. Aber was ist das für ein Gott, der aus einer Laune heraus, um gegenüber dem Teufel und den anwesenden Engeln mit der Treue seiner Fans zu prahlen, einen Menschen zerstören lässt? Keiner, den man gern zum Essen einladen würde, so von wegen „sei unser Gast und siehe, was du uns bescheret hast“.
Tatsächlich erduldet Hiob alles, obwohl er weiß, dass er unschuldig ist. Und doch klagt er Gott an. Der hätte ihm antworten können: Du, sorry, das war blöd von mir, soll nicht wieder vorkommen. Stattdessen sagt er (Hiob 38ff): „Ich will dich fragen, lehre mich! Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist!“ Was reine Angeberei ist. Hiob hat ja die Allmacht Gottes gar nicht infrage gestellt, nur seine Gerechtigkeit.
Hiob merkt auch, dass mit dem Chef nicht zu spaßen ist: „Siehe, ich bin zu gering, was soll ich dir antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen.“ Aber Gott ist schon in Fahrt: „Willst du mein Urteil zunichtemachen und mich schuldig sprechen, dass du recht behältst? Wer ist denn, der vor mir bestehen könnte? Wer kann mir entgegentreten und ich lasse ihn unversehrt? Alles unter dem Himmel ist mein!“ Was eigentlich Grund genug wäre, gerecht zu sein, aber nein, wer die Macht hat, der hat auch das Recht und muss es auch noch jenen unter die Nase reiben, denen er Unrecht tut.
Von diesem Geist ist Gott in Randy Newmans Lied. Und wäre ich gläubig, so würde ich denken: Ja, so ist er. Wie sagt Tewje in dem Musical Anatewka zu Gott sagt: „Ich weiß, wir sind Dein auserwähltes Volk. Aber kannst du nicht hin und wieder ein anderes Volk auswählen?“ Oder wie Newman die Priester sagen lässt: „Lord, if you won′t take care of us / Won′t you please please let us be?“ Aber er braucht, dass wir ihn brauchen.
Cain slew Abel, Seth knew not why
For if the children of Israel were to multiply
Why must any of the children die?
So he asked the Lord
And the Lord said:
Man means nothing, he means less to me
Than the lowliest cactus flower
Or the humblest Yucca tree
He chases round this desert
′Cause he thinks that’s where I′ll be
That’s why I love mankind
I recoil in horror from the foulness of thee
From the squalor, and the filth, and the misery
How we laugh up here in heaven at the prayers you offer me
That’s why I love mankind
The Christians and the Jews were having a jamboree
The Buddhists and the Hindus joined on satellite TV
They picked their four greatest priests
And they began to speak
They said, „Lord a plague is on the world
Lord no man is free
The temples that we built to you
Have tumbled into the sea
Lord, if you won′t take care of us
Won′t you please please let us be?“
And the Lord said
And the Lord said
I burn down your cities – how blind you must be
I take from you your children and you say how blessed are we
You all must be crazy to put your faith in me
That’s why I love mankind
You really need me
That′s why I love mankind