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Randy Newmans Lieder (1): Short People

Zu sagen, Juden hätten den Rock’n’Roll erfunden, wäre vielleicht etwas übertrieben. Aber ohne den jüdischen Beitrag wäre die populäre Musik erheblich ärmer. Die Welt ohne Beatles, die der Film „Yesterday“ schildert, wäre ohne Brian Epstein Wirklichkeit. Und das ist nur der Anfang.

Aber darauf gehe ich vielleicht ein Andermal ein. Hier will ich nur anmerken, dass die drei größten Singer-Songwriter der letzten 50 Jahre Juden sind: Bob Dylan, Leonard Cohen und Randy Newman.

Und das ist sicher kein Zufall, so wie es kein Zufall ist, dass der beste deutsche Liedermacher – Wolf Biermann – Jude ist. Um von den Comedian Harmonists und Georg Kreisler ganz zu schweigen. Bevor das aber doch ausartet, will ich mich gleich einschränken: Hier – in loser Folge in den nächsten Wochen – will ich mich mit Randy Newman beschäftigen.

Newman ist das, was die Nazis „Volljude“ genannt hätten, wurde jedoch areligiös erzogen. Als Teenager wurde er von einer Schulfreundin zu einem Square Dance in den Riviera Country Club eingeladen. Der Vater des Mädchens rief an und erklärte, dass es sich um ein Missverständnis handele. Das Mädchen habe nicht gewusst, dass der Club für Juden gesperrt sei.

Das war in den 1950er Jahren in New Orleans. Übrigens erzählte mir Tom Freudenheim, Vizegründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin, dass es in den 1960er Jahren auch in Washington D.C. Wohngegenden gab, in die Juden nicht ziehen durften. Das wussten die Makler zu verhindern.

Nach dem Telefongespräch mit dem Vater seiner Schulfreundin legte Randy auf und fragte seinen Vater, einen angesehenen Internisten: „Was ist denn ein Jude?“ Ähnliche Geschichten werden viele assimilierte Juden gemacht haben. Auch Nicht-Juden. Ich weiß, wie schockiert ich war, als mir meine Mutter eröffnete, mein Vater sei Jude. Nicht schockiert, dass mein Vater Jude sei, das glaubte ich ohnehin nicht; schockiert, dass meine Mutter so etwas über ihn sagen konnte.

Das war in den 1950er Jahren in London.

Und man kann annehmen, dass solche Erfahrungen des grundlosen Ausgeschlossenseins in den Song „Short People“ eingeflossen sind. (Den Text findet man zum Nachschlagen unten.) Hier schlüpft Newman in die Gestalt eines hirnlosen Rassisten, der etwas gegen kleinwüchsige Leute hat mit ihren kleinen Händen, kleinen Augen, kleinen Nasen, kleinen Zähnen, ihren widerlichen kleine Füßen, ihren kleinen Autos und piepsigen Stimmen. Solche Leute liebt niemand, es gibt keinen Grund, weshalb solche Leute überhaupt leben sollen.

Zwar wendet der süßliche Engelschor ein: „Kleine Leute sind doch ganz genau wie du und ich / Alle Menschen sind doch Brüder, bis der Tod sie holt“; aber Newmans Alter Ego lässt sich davon nicht beirren: Egal, ich will keine kurzen Leute in der Nachbarschaft – in meinem Club – haben.

Der Song ist oft kritisiert worden, und zu Recht kritisiert worden, weil er sich den Linksliberalen anbiedert. Kurz geratene Leute ablehnen, wie doof ist das denn? Alle Menschen sind doch gleich, stimmt doch, ob groß oder klein, schwarz oder weiß, gelb oder braun. Nur Rassisten sind zu borniert, das zu sehen. Wir aber blicken durch. Wir sind keine Rassisten. Wir sind keine Antisemiten. Bloß wohnen wir nicht da, wo die Schwarzen – oder die Türken – wohnen. Und wenn wir es doch tun, weil etwa Berlin-Kreuzkölln schick ist, dann sorgen wir dafür, dass unsere Kinder nicht in die Schulen kommen, wo der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund zu groß ist. Wir sind keine Antisemiten, ist doch klar. Aber Israel …

Ja, mir ist auch unwohl bei dem Song, gerade weil mir dabei nicht unwohl wird. Ich brauche einen Randy Newman nicht dafür, mich gut zu fühlen – zu „My Life Is Good“ kommen wir noch – ; ich brauche ihn, um mich zu beunruhigen. Trotzdem will ich hier auf zwei Details hinweisen, die den Song zwar nicht retten, aber etwas interessanter machen, als es zunächst den Anschein hat.

Das erste Detail ist, dass der Sänger – nennen wir ihn so, der Einfachheit halber, wir wissen ja: Ich ist ein Anderer – nicht völlig grundlos die kleinen Leute hasst: Sie „erzählen riesengroße Lügen“, haben „dreckige Finger und dreckige Gedanken“, sie „kriegen dich immer“. Das ist kein gewöhnlicher Rassismus, das sind schon antisemitische Topoi. Der dreckige Jude, der nicht nur von seinem Mitmenschen schlecht denkt, sondern mit Geldverleih und Prostitution das Schlechte in ihm fördert und mittels der von ihm kontrollierten Medien alle belügt: das sind schon spezifische Vorwürfe, die man anderen ungeliebten Minderheiten nicht macht.

Und zweitens ist da der Chor, der das Wahre, Gute, Christliche und Schöne besingt: Er ist so kitschig-unglaubwürdig, dass man kaum annehmen kann, Randy Newman stecke hinter seiner Botschaft. Ja, kommentiert er bissig, und vielleicht ist hier ich kein Anderer: „It’s a wonderful world“. Das sang Louis Armstrong, der Schwarze, der es den Weißen leicht machte, sich zu lieben. Und er zitiert auch Elvis, den Mann, der die schwarze Musik für die weißen Kids entdeckte: „A fool such as I“. Wer ist dumm: der offene Rassist – oder der Hörer, der glaubt, keine rassistischen oder antisemitischen Vorurteile zu haben?

Short people got no reason
Short people got no reason
Short people got no reason
To live

They got little hands
And little eyes
And they walk around
Tellin‘ great big lies
They got little noses
And tiny little teeth
They wear platform shoes
On their nasty little feet

Well, I don’t want no short people
Don’t want no short people
Don’t want no short people
‚Round here

Short people are just the same
As you and I
(A fool such as I)
All men are brothers
Until the day they die
(It’s a wonderful world)

Short people got nobody
Short people got nobody
Short people got nobody
To love

They got little baby legs
And they stand so low
You got to pick ‚em up
Just to say hello
They got little cars
That got beep, beep, beep
They got little voices
Goin‘ peep, peep, peep
They got grubby little fingers
And dirty little minds
They’re gonna get you every time

Well, I don’t want no short people
Don’t want no short people
Don’t want no short people
‚Round here

Das Bild zeigt die Hülle der britischen Single-Auskopplung 1977 

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13 Gedanken zu “Randy Newmans Lieder (1): Short People;”

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    Lieber Alan Posener,
    „Es geht ganz bestimmt nicht um..“
    ich denke, der Bekanntheitsgrad von Texten, Literatur, ja der Musik hängt damit zusammen, ob jemand da etwas, was ihn selber betrifft, hineininterpretieren kann. Sie können spekulieren, worum es Randy Newman ging (mag sein, dass es ihm um Vorurteile oder Antisemitismus ging), aber letztlich ist das auch nur Ihre Interpretation. Und wenn ich mich auf Ihre Interpretation des Liedes einlassen sollte, würde es auch nur meinem eigenen Bedürfnis entsprechen, dergleichen zu tun. Als Protestsong gegen Antisemitismus wahrgenommen hätte Newmans Stück wohl kaum den Bekanntheitsgrad erhalten. Das ist Popmusik.
    Und ob das älteste Vorurteil das über Juden ist, würde ich auch sehr bezweifeln. Ohne Vorurteile bzw. mit stets reflektierter langwieriger Einstellung auf einen Fremden wäre der Mensch wohl anderen Lebensformen schon früh unterlegen gewesen. Vorurteile gehören daher wie Rachegelüste zum Betriebssystem auch von Homo Sapiens.

    1. avatar

      Lieber KJN, Sie erwähnen den Bekanntheitsgrad von „Short People“. Dazu sagte Randy Newman: „Because it was a hit, the song reached people who aren’t looking for irony. For them, the words mean exactly what they say.“ Ich stimme Ihnen aber zu, dass Interpretationen eben Interpretationen sind; wichtig ist nicht, „was uns der Dichter eigentlich sagen will“, sondern was mir der Song sagt. Allerdings ist diese Interpretation nicht völlig willkürlich. Sie muss sich an den Text halten; sie sollte das übrige Werk des Autors mit einbeziehen; und das kulturelle Umfeld. Ich denke, Wikipedia hat Recht, wenn es dort heißt: „With lyrics demeaning to short people, the song was intended by Newman to be a satire about prejudice more broadly. As with many of his songs such as „Rednecks“, Newman wrote the song from the point of view of a biased narrator.“
      Dass der Song ein „Protestsong“ sei, habe ich nicht behauptet; dass er „gegen Antisemitismus“ sei, auch nicht. Im Gegenteil, ich schreibe ausdrücklich, dass er sich gegen jede Art Vorurteil richtet, und dass ich gerade darin eine Schwäche des Songs sehe. Ihre Verteidigung des Vorurteils generell als sozialdarwinistisch nötig mag stimmen. Aber in unserer Kultur gibt es kein spezielles Vorurteil gegen eine Menschengruppe, das älter wäre als der Antisemitismus und Antijudaismus, der ja so alt ist wie das Christentum, das unsere Kultur im Guten wie im Schlechten geprägt hat.

      1. avatar

        Lieber Alan Posener,
        dem
        „Aber in unserer Kultur gibt es kein spezielles Vorurteil gegen eine Menschengruppe, das älter wäre als der Antisemitismus und Antijudaismus, der ja so alt ist wie das Christentum, das unsere Kultur im Guten wie im Schlechten geprägt hat.“
        stimme ich ja völlig zu.
        Ich kenne das Lied seit es herausgekommen ist, also seit Schülerzeiten. Ich fand es damals ‚gemein‘, erkannte aber die (unverkennbare) Ironie. Das mit den „big lies“ und „dirty little minds“ konnte ich erst später interpretieren – irgendwas sträubte sich aber genau gegen diese Interpretation. Vielleicht, weil der Text zwar einprägsam, doch nicht ganz so schlüssig mit den Klischees spielt. Also nicht so gut, wie Sie ja schrieben. Es fühlten sich auch profanerweise eher die Behindertengruppen angesprochen, die noch nicht mal die Ironie erkennen wollten. Meinen Schluss daraus schrieb ich bereits oben.

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        ..noch Alan Posener
        Der Typ hat ja echt Humor:
        https://www-billboard-com.translate.goog/music/music-news/randy-newman-breaks-neck-reschedules-tour-dates-1235039031/?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=rq
        Wissen Sie was ich entgegen aller unserer tiefsinniger Interpretationsversuche wirklich glaube(?): Der Erfolg des Liedes beruht darauf, dass so richtig auf eine ‚Randgruppe‘ abgeledert werden dürfte. Tabubruch. Zwergenwerfen. Und der Moralchor („..we are all the same..“) als Kontrapunkt sorgt zusätzlich vor allem für Gelächter. (Nein, sind wir nicht :-))) Was für ein Gegensatz zur hiesigen Betroffenheitslyrik. Randy Newman sagt: Wir sind alle ziemliche Arschlöcher, mich selber eingeschlossen, aber wir sollten wenigstens wissen, dass wir es sind. Wäre das so daneben?

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        Lieber KJN, als Ergänzung meiner Interpretation lasse ich gern die Ihre stehen. Und bei „Rednecks“ werden wir eine ähnliche Dialektik am Werk sehen.

  2. avatar

    @APo

    … Sie glauben gar nicht, was für Vorteile ‚bescheidene‘ Englischkenntnisse beim Tanz in Discotheken oder Konzerten haben. In Afrika haben mir jambo in Swahili und ‚change for change‘ genügt. 😉

    ‚etwas übertrieben‘ Im Übrigen dachte ich Rock & Roll hätte seinen Ursprung im ’schwarzen‘ Rhythm and Blues u.ä..

    Und auch Robert A. Zimmerman, der für mich in der Hierarchie, als Singer-Songwriter und Lyriker, ganz oben steht, hatte Vorbilder. Woody Guthrie – zum Beispiel.

    (Gut, gut in der Geschichte des Rock & Roll gab es keine Mecklenburger.)

  3. avatar

    Was ist „jüdisch“ @Alan Posener ?

    Um mal bei Wolf Biermann zu bleiben, dessen Eitelkeit für mich nur zu ertragen ist, weil er auch ein Becherchen Selbstironie hineinschüttet ,,,

    Um ein großer Sprachkünstler zu WERDEN (Doch, das ist er,
    Sachverhalte in wenigen Worten zu verDICHTEN, das ist große Sprachkunst.) …

    Um ein großer Sprachkünstler zu werden bedarf es

    3. ein unterstützendes Netzwerk,
    2. Fleiß, ja geradezu Besessenheit und zuallerest
    1. Talent.

    Da ist die Geschichte der Ermordung seines Vaters im Dritten Reich, die auch ihn zum Kommunisten machte.

    Da sind die Umstände in der SED, seiner gewissermaßen eigenen Truppe, ihn herausgefordert, seine Besessenheit geweckt, es „denen zu zeigen“.

    Und nicht zuletzt halte ich eine schon vor dutzenden von Generationen hochgehaltene Lesekompetenz (egal sogar in welcher Sprache und sogar in welchen Schriftzeichen) für talentförderlich (Doch, doch, da bleibe ich dabei: So was wirkt sich noch auf die WEIT Nachgeborenen aus).

    Was daran ist „jüdisch“ ?
    Wahrscheinlich werden Sie sagen: Alles.

      1. avatar

        APo: ‚Lieber Bodo Walther, jüdisch ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde.

        … logisch, nur die Mutter weiß wer der Vater ist. Kann rassistisch oder optimistisch ausgelegt werden. 😉

      2. avatar

        Auch, lieber Alan Posener. Sagt die Halacha. Wenn wir beim Justitiablen ankommen wollen, also beim israelischen Rückkehrgesetz, wird es komplizierter.

      3. avatar

        Nein. Nach dem Gesetz kann sogar jemand, der nur einen jüdischen Großelternteil hat, einwandern und Bürger Israels werden. Das Gesetz definiert ausdrücklich nicht, wer Jude ist. Ich habe väterlicherseits zwei jüdische Großeltern, könnte also Aliyah machen; aber das macht mich nicht hier zum Juden.

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    Na , ich weiß nicht, ob das immer alles mit Juden zu tun hat..
    Da geht’s wohl eher darum, dass (vermeintlich) unattraktive ‚short people‘ als Projektionsfläche für (vermeintlich) eigenes schlechtes Aussehen herhalten. Was Randy Newman mit seinem prägnanten Lied (ich kann seit Jahrzehnten den Text auswendig..) sagen wollte, können wir zwar nur erahnen – wenn ich aber an sein ‚It‘s a jungle outthere‘ denke, würde ich auf ein verstärktes Interesse an Psychologie tippen. Das ist alles natürlich hochaktuell..

    1. avatar

      Nein, KJN, es geht ganz bestimmt nicht um kurzwüchsige Leute. Es geht um Vorurteile. Und das älteste Vorurteil ist „das Gerücht über die Juden“ (Adorno).

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