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Die Abenteuer des Joseph Samuel Posener (12 und Schluss)

Am 8ten April (1857) habe ich Haag verlassen, und den 9ten nach Berlin angelangt, sogleich einen Brief an meine Braut verabfolgen lassen. – Heute den 12ten April. Welchen Grahm und welche Angst habe ich bis jetzt überwinden müßen, drey Tage ohne Nachricht von Ihr zu haben, das ist nicht zum Aushalten, ich kann nicht mehr Ruhig bleiben, und beeile mich heute wieder einen Brief zu schreiben. –

Den 20ten. Lange zwar habe ich warten müssen, und sehr lange die größte Pain Leiden müssen wegen dem Mangel der Nachricht von meiner lieben Braut, aber Gott sei Dank Ihr Brief den ich heute erhalten hat mich sämtlich Beruhigt; du bist wohl meine theure Cateau und liebst mich. oh! Tausend mahl habe ich diese zwey Worte an meine Lippen gedrükkt. Schon sehr lange hat mein Herz Geschlafen, jetzt ist es wieder Erwacht zur leidenschaftlichsten Liebe, oh, möchte diese Liebe nur Ihrerseits getheilt werden! wie Glüklich währe ich dann, aber warum nicht? hat Sie nicht alle Ursache um Ihr eigenes Gefühl freien Lauf zu geben? Sie ist jung (20 Jahre den 1ten April 1857 geworden, welches ich das Glükk hatte mit zu feiern). Sie ist Tugendreich, Sie ist eine Vervollkommenheit der Natur; Sie ist Reich und einziges Kind, alle Vortheile stehen Ihr zu gebote um ganz nach ihrem Geschmak wählen zu können, nun warum hätte Sie mich Gewählt wenn Sie keine Neigung für mich gehabt? dieses ist ein Beweis daß sie mich Liebt, in allen Ihren Thaten, in Ihren Briefen, hat sie mir den größten Beweis gegeben, oh mit welcher Güte und Zuforkommenheit will ich dier meine einzige, meine theure Cateau deine Liebe vergelten.

Der Allmächtige flöße mir nur solche Gedanken ein, um deine Neigung für mich … würdigen zu müssen, und überhäufe uns mit seinem Segen.

Die Zeit rast mit Riesen Schritten heran. So langsam und monoton wie auch die Tage dahin schleichen, sie vergehen jedoch desto müder, und mit ein jedem vergang der Tage flößt mir eine neue Angst ein, denn ich Befürchte ich werde nicht zur Zeit meine geringen Geschäfte hier (abschließen) können, und daß ist meine größte Pain. Heute haben wir schon den 17ten May und den 15ten Juny habe ich schon versprochen dort zu sein, nun ich muß es auf Gott ankommen lassen, und wenn es dann sein wird muß ich Zufrieden sein.

Den 22ten May 1857 bin ich nach Lobsens und nach Flatow gereist und den 1ten Juni abends nach Berlin wieder zurük gekommen.

Lobsens ist das heutige Lobzenica im damaligen Landkreis Wirsitz, wo die Familie Samuel / Posener herkommt. Wer von der Familie damals dort gewohnt hat, weiß ich nicht.

Den 1ten Juli von Berlin abgereist und den 2ten Juli nach Mittags um 8 1/2 Uhr nach Haag in Holland angelangt.

Mitwoch den 14ten October 1857 habe ich mit Cateau Meerloo aus Haag in Holland eine überall (unverständlich) Ehe geschlossen.

Den 16ten Februar 1858 war ein Tag der größten Betrübniß für Mich, meine Frau, und Schwieger-Eltern; weil an diesem Tag der Prozeß von den Erben Lasalle (Rijers-?) gegen meinen Schwieger-Vater bei der …bank hier in Nachtheile meines Schwieger-Vaters Meerloo ausgesprochen wurde.

Worum es bei diesem Prozess ging und wie groß der finanzielle Schaden für Meerloo war, weiß ich nicht. Auch weiß ich nicht, ob Joseph im Geschäft seines Schwiegervaters gearbeitet hat.Jedenfalls bleibt Joseph die nächsten vier Jahre in Den Haag, wo ihm Cato vier Kinder schenkt.

Freitag Abend um neun Uhr 50 Minuten (24 September 1858) ist meine innigste geliebte Frau Cateau mit einem gesunden Knaben entbunden.

Den 24ten September 1858 habe ich mein Sohn beim Civil Gericht Haag mit dem Nahmen Julius aufschreiben lassen, und den 2ten October 1858 ist das Kind nach der jüdischen Rite circumzisirt und hat den Jüdischen Nahmen (unverständlich) empfangen. …

Das ist Julio, der später nach Brasilien ging, um sich um die dortigen Geschäfte zu kümmern. Vielleicht gibt es dort immer noch Nachkommen von ihm.

Den 18ten November 1859 habe ich meine Tochter beim civil Gericht hier mit dem Nahmen Mathilde aufschreiben lassen und hat Sie den jüdischen Nahmen (unverständlich) den 24 December … empfangen. Geboren Freitag früh um 5 Uhr den 18ten November 1859.

Mathilde Posener, verheiratet Herz, die sich später Mathilde Herz-Meerloo nannte, lebte am Ende ihres Lebens im jüdischen Altersheim Lichterfelde bis zu dessen Auflösung durch die Nazis. Die 82-Jährige wurde mit dem 18. Alterstransport nach Theresienstadt gebracht, wo sie am 17. August 1942 starb.

Den 26ten Januar 1861 des Morgens halb sieben Uhr ist meine Tochter Geboren worden, welche auf dem hiesigen Stadtgericht aufgegeben den 28ten dieses mit dem Nahmen Sara.

Den 28ten April 1861 Sontag Nachmittag um 4 Uhr ist unser lieb Kind Sara von dem Allmächtigen Gott zu sich genommen worden.

Es ist interessant, dass Sara als einziges Kind einen jüdischen Namen erhält. Die anderen Kinder erhielten jüdische Namen nur als zweite Vornamen, so auch

Maurits Geboren den 10ten Juni 1862 um halb sechs Uhr des Morgens. Haag.

Das ist mein Großvater Moritz Moses Posener.

https://sammlung-online.stadtmuseum.de/Details/Index/173598

Der Patriot Moritz entdeckte 1914 zu seinem Entsetzen, dass er, da in Den Haag geboren war, nicht deutscher, sondern holländischer Staatsbürger war. Er hat das schnell geändert.

Louis Geboren Donnerstag den 6ten August 1863 des Morgens 8 1/4 Uhr. Berlin den 9ten August 1863

Inzwischen leben die Poseners also in Berlin. Welchem Umstand der Umzug geschuldet ist, weiß ich nicht. Mein Vater schreibt in seinen Memoiren: „Cató sprach Holländisch und Französisch, hat aber niemals richtig Deutsch gelernt. Mein Vater – also Moritz – sprach von ihr als einer lieben, zarten, ein wenig hilflosen Frau, die sich bei ihrem Mann über die ungezogenen Kinder zu beklagen pflegte: ‚Die Maurice hat mich wieder frech gewesen.‘“

Über Louis schreibt mein Vater: „Louis starb jung. (Moritz) hat oft erzählt, wie er in Nervi und Genua die traurigen Geschäfte der Beisetzung zu erledigen hatte. Daran dachte ich später viel, als meine Mutter in Genua starb, auf dem Wege nach Palästina, und ich das tun musste.“

 Georges Geboren den 2ten November 1870 in Berlin.

Georg Posener kommt in den Memoiren schlecht weg, als herausragendes Beispiel des „Posener’schen Selbstmitleids“ und als Versager, der in Tegel Zahnarzt wurde (während sich Moritz dank dem Vermögen seiner Frau in Lichterfelde seiner Kunst und seiner Familie widmen konnte). Jedoch hatte Georg in jüngeren Jahren einen gewissen Einfluss auf die literarische Szene in Berlin. 1898 rief er zusammen mit Paul Scheerbart die „einfache Bühne“ ins Leben, die „auf all die komplicirten Kulissenspässe Verzicht leisten“ und kurze Stücke begabter Amateure aufführen wollte.

https://scheerbart.de/50t/th-idx/thtxt/uber-das-theater/

Scheerbart gehörte wie Richard Dehmel (der die Dichterin Paula Oppenheimer heiratete, Schwester des Ökonomen Franz Oppenheimer, der mit Moritz eng befreundet war und wie Moritz eine Oppenheim-Tochter heiratete) und Otto Erich Hartleben (dessen Gedichtband Pierre Lunaire Moritz illustrierte) zum Freundeskreis der Poseners in Lichterfelde. Georg starb 1934, sein Sohn Heinz 1935, seine Frau Margarete wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Worüber mein Vater nie ein Wort verlor, ebenso wenig wie über seine Tante Mathilde und seinen Onkel Alfred Oppenheim, die beide in Theresienstadt umkamen.

Hier, mit dem letzten Kind, endet das Tagebuch des Joseph Samuel Posener. Das Bild zeigt ihn als alten Mann, gemalt von seinem Sohn Moritz. Es hängt bei mit im Wohnzimmer.

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2 Gedanken zu “Die Abenteuer des Joseph Samuel Posener (12 und Schluss);”

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    Lieber Alan Posener,
    vielen herzlichen Dank für diese wunderbaren, berührenden Texte Ihres Vorfahren, für Ihre Serie hier auf dem Blog. Gäbe es das als Buch – Sie mögen schon darüber nachgedacht haben – würde ich es sofort kaufen.

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      Ja, ich habe darüber nachgedacht. Aber ich glaube, es würde sich nicht verkaufen. Ich empfehle aber die Memoiren meines Vaters:
      – Heimliche Erinnerungen
      – In Deutschland 1945/46
      – Fast so alt wie das Jahrhundert

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