Das ist schon ein paar Jahre her, aber immer noch aktuell. Ich habe es wieder entdeckt und jetzt aufgeschrieben. Ich, im folgenden ich genannt, unterhalte mich mit Arnim Töpel. Im Folgenden Arnim genannt. Ein ganz wunderbarer Bluesmann, Pianist, Sänger, Kabarettist. Musikkabarettist würde man ihn besser nicht nennen, das könne als Beleidigung aufgefasst werden in einer Zeit, in der unter diesem Etikett all zu viel Flachkarätiges tourt. Wir unterhalten uns also.
Es geht um Günda, seinen Romanhelden, der ist Kommissar, löst aber eigentlich keine Fälle. Während er das tut, hört er sogar Musik und hat fast so einen guten Geschmack wie Ian Rankins Inspector Rebus. (Letzterer steht auf Wishbone Ash und Rankin sagt auch gelegentlich Konzerte der Band an, im echten Leben. Aber das nur am Rande).
ARNIM: „Ich hab‘ kürzlich auf einem 50. Geburtstag gespielt, und da hatte einer seine Plattensammlung hingestellt. Und dann hab ich gedacht: ja, super, die guck‘ ich mir gleich mal an. Weil Du ganz viel über den Menschen erfährst. Denkst du, und dann stellst du fest, dass der Gastgeber überhaupt keinen Bezug dazu hat. Und ich ziehe was raus und sage: Wollen wir das mal spielen? Und er sagt: was ist das, kenn‘ ich garnicht. Da siehst du, dass die Musik bei dem nicht die Rolle gespielt hat, die sie bei mir gespielt hat und dass das eben – das siehst Du auch an dieser Top 1000 Hitparade – da ist ganz viel….
ICH: Schnulli?
ARNIM: Ja. Und das ist bei Günda nicht so.
ICH: Ich denke immer, jeder Mensch müsste 7.000 bis 10.000 Tonträger im Regal stehen haben!
ARNIM: …. und müsste sie vor allem auch kennen und wissen, wann er jede Platte gekauft hat.
ICH: Ich kann dir jedenfalls zu jedem Tonträger, der bei mir steht, mindestens zwei Sätze sagen. Bei manchen würde es zwei Nächte dauern.
ARNIM: Ja, so geht’s mir auch. Weil es so eine ungeheuere Bedeutung hatte. Also, das ist bis heute so: wenn ich ’ne uralte Platte auflege, die ich wirklich nicht mehr gehört hab‘, seit ich 16 war, und der erste Titel läuft, dann weiss ich, was danach kommt. Ich weiss, wie lange die Pause ist und ich weiss, was jetzt einsetzt. Das ist wirklich irre. Was gab ich kürzlich gehört? „Father Of Day, Father Of Night“. Das ging mir überhaupt nicht mehr aus dem Kopf, ich denke in den unmöglichsten Situationen dran. Kürzlich war ich auf einem Geburtstag und unterhalte mich mit einem, und unser Musikgeschmack ging dann völlig auseinander, aber im Verlauf des Gesprächs sagte er dann: Eins muss ich zugeben, mein allererstes Konzert war Slade. Und da waren wir beide. Ich war eine Slade-Fan, Das durfte man nur damals nicht laut sagen. Ich hab‘ nach dem Konzert tagelang nichts mehr gehört. Ich weiss auch garnicht, wieso meine Eltern das erlaubt haben, ich war 13 oder so. Und er sagt, sein Vater weiss bis heute nicht, dass er dort war. Und dann haben wir uns über Slade unterhalten, und schlagartig war alles wieder da, auch das ganze Umfeld. Deshalb verstehe ich auch die Leute mit ihrem Kuschelrock nicht.
ICH: Kürzlich habe ich mich mit einem Kollegen unterhalten, der einen völlig anderen Musikgeschmack hat als ich, nur abstruses Zeug hört. Und ich hab‘ gesagt: ich bin mittlerweile davon abgekommen, Leute nach ihrem Musikgeschmack zu beurteilen. Aber ich finde nach wie vor, Menschen, die gar keinen haben, sind schlechte Menschen sind. Die Leute also, die auf die Frage, was sie denn so hören, antworten: Was halt so kommt. Ich schreie dann immer sehr laut: Es kommt nix! Nirgends!
ARNIM: Das steht auch in meinen Buch drin, genau die Situation, wo Gündas Kollege Freese auf eben diese Frage sagt: Mal hör ich das, mal hör ich das. Und da denkt Kommissar Günda auch; Du hast keine Ahnung! Und das bin auch ich, das erschüttert mich immer wieder.
Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ mit Musikern und anderen Kulturmenschen.
Was für ein feiner Dialog. Danke für diesen Text. Und, ja, ich bin unbedingt der Meinung, dass man 10 000 Tonträger braucht.
Bei Interesse: Ein ausführliches Gespräch mit Arnim Töpel gibt es hier. https://open.spotify.com/episode/2GCdKhGBCc6cCdvThSb7qW
Es ist vermutlich richtig, Menschen nicht nach ihrem Musikgeschmack zu richten, aber es fällt mir schwer. Als ich 15 war, hatte ich eine Freundin, mit der ich hätte schlafen können, wenn ich mich getraut hätte. Habe ich aber nicht. Und dann schlief sie mit dem Roadie von Dave Dee, Dozie, Mick & Titch. Und ich dachte mir: müssen es gerade DIE sein? Mit einem Stones-Roadie, das hätte ich verstanden.
Es hätte schlimmer kommen können. Hätte sie z.B. mit einem Roadie von Hermans Hermits oder den Tremeloes gepennt.