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Töne aus dem Orbit: Eine Liebeserklärung an Steve Lukather

Man muss sich Steve Lukather als einen total sympathischen, wortgewaltigen, lustigen Typen vorstellen. Als ich ihn das erste Mal traf, war ich einen langen, unsympathischen, kargen und kurvigen Weg gefahren in die schwäbische Provinz nach Winterbach weit hinter Stuttgart. Dort residierte der Gitarrist von Toto, der Mann, der auf unzähligen Alben als Studiomusiker seine Spuren hinterlassen hatte, um über das damals aktuelle Studioalbum „Falling In Between“ zu sprechen. Ich wartete, es dauerte, Es war lange nach High Noon, aber Herr Lukather schlief noch. Dann saß er mir gegenüber, oder besser lag – und ich konnte zusehen wie ein verkaterter, von jahrzehntelangem Alkohol- und Drogenmissbrauch etwas schwammig gewordener Mann mich aus geschlossenen Augen missmutig, ja misstrauisch – und offenbar noch im Tiefschlaf – anstarrte. Was mir in Erinnerung blieb: Er sagt ziemlich oft „fuck“. Und auch manchmal „fucking fuck, fuck“, glaube ich zumindest. Auf was sich das bezog, war seine Worten nicht eigentlich zu entnehmen, wie überhaupt nicht viel Substanzielles dabei rumkam.

Es war trotzdem Liebe auf den ersten Blick, die bis heute anhält. Weil der Mann echt war. Echt, darauf lege ich Wert. Nicht authentisch, das ist etwas ganz anderes. Dass der nicht den Rockstar gab, obwohl er auf Zillionen Tonträgern zu hören ist. Irgendein anderer Gitarrengott – war es Steve Vai, Joe Satriani oder Eddie Van Halen – hat einmal auf die Frage, wie es sich denn anfühle, der beste Gitarrist der Welt zu sein, geantwortet: „Woher soll ich das denn wissen? Da müssen sie schon Steve Lukather fragen“. Ich würde das eventuell so unterschreiben, obwohl ich nie in Kategorien wie der Beste, der Einflussreichste, etc., denke. Sondern einfach aus Trotz.

Jahre nach dem seltsamen Treffen in diesem miefigen Hotel erst begriff ich, dass die Scheisse, in der Lukather damals steckte, wirklich verfickte Scheisse war.Die Jungs, die Toto 1977 als Freunde gegründet hatten, waren nicht mehr dabei oder in den Rock‘n‘Roll Himmel umgezogen. Wenn Steve sich auf der Bühne umschaute, sah er nur noch fremde, obzwar hochqualifizierte Gesichter. Und dann stand am Mikro zu jener Zeit auch noch dieser Sänger, der keinen Ton mehr traf und die Spitzen seiner Cowboystiefel von oben nicht mehr sehen konnte, ohne sich ganz weit vorzubeugen. Und er selbst, Steve – der Perfektionist, war dabei, sich um den Verstand zu saufen.

Und was für ein Perfektionist er ist. 180 Spuren sind schon mal zu mischen, wenn es an die Endproduktion eines Toto Albums geht, hat er mir später mal lachend gesteckt. Und für diesen Perfektionismus hassten die Kritiker ihn und seine Band, von Anfang an. Denn 1977 hatte die Musikpresse eine neue Sau gefunden, die sie durchs Dorf treiben konnte, und die hieß Punk. Dilettantismus war Kritiker-Kanon, man verglich die Sex Pistols oder The Clash mit Bands wie Toto. Wer sein Instrument beherrschte oder gar Musik studiert hatte, machte sich verdächtig. Toto und Schmähkritik ist ein genauso in Stein gemeisseltes Begriffspaar wie konvulsivisch und Zuckungen: Gerade auch in der Zeit, da die Band zu ihrem zweiten Frühling anhub. Der Kritiker des englischen Guardian etwa hörte auch noch 2013 bei einem Toto-Konzert „tödliche Banalität“, „Grotesk altmodische Powerballaden“ und „70er-Jahre Middle Of The Road in seiner linkischsten und aufgeblähtesten Form“.

Für manche reichte und reicht ja schon das gänzlich Erscheinungsbild der Kapelle, um sie zu verdammen. „Wenn du dir die Fotos anschaust, da siehst du nur uns Typen, die genauso rumstehen und aussehen wie im alltäglichen Leben. Keine Airbrush-Geschichten, nichts Dunkles, keine Totenschädel. Bloß ein paar ältere Herren, die es immer noch schaffen. Platten aufzunehmen“, hat Lukather mir 2016 erzählt. Was erlaube Toto? Hä?

Das Unverständnis der Kritiker mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Band sich nie auf einen Stil festnageln liess. Die vier Singles ihres erfolgreichsten Albums „Toto IV“, darunter „Rosanna“ und „Africa“, hätten kaum unterschiedlicher sein können. Das Album als Ganzes kennt keine Scheuklappen. Rock, Pop und Jazz-Elemente haben nebeneinander Platz in diesem großen Schmelztiegel. Belohnt wurde das mit mehreren Grammies und den immergleichen Verrissen. „Ein Album, dass sich etwa so echt anfühlt wie ein orangefarbener Veloursamt-Trainingsanzug“ war da noch unter den freundlicheren.

Selbstredend muss man Lukather nicht glauben, dass er sich über „den ganzen Scheiß“ nicht mehr aufregt, schließlich teilt der Mann bis heute in jedem zweiten Interview gegen den amerikanischen Rolling Stone und seinen Herausgeber Jann Wenner aus. Eine zuverlässig funktionierende, mindestens drei Jahrzehnte alte Männerfeindschaft. Denn Toto hatten Wenner schon 1983 den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt, als ihnen eine Titelgeschichte angeboten wurde. Vermutlich hatte Lukather, als bandintern darüber beraten wurde, ganz oft „fuck, fucking fuck, bloody fucking bullshit“ und ähnliches gesagt. Herrn Wenner hat er dann gesteckt, er soll es sich das Titelbild in den Arsch schieben. Mit der nachgeschobenen öffentlichen Begründung „I mean, would you put your ballsack into a woodchopper?“ Auf gut deutsch: man müsse ja nicht freiwillig seine Eier in eine Kreissäge hängen. Das war nun wirklich Punk. Dass sie niemals in die Rock’n’Roll Hall Of Fame – deren Mitbegründer Wenner ist – aufgenommen würden, da sind sie ebenso sicher. Aber möchte man auch wirklich einem Verein angehören, der sich Rock’n’Roll Hall Of Fame nennt, aber Madonna einen Mitgliedsausweis spendiert? Und in den Deep Purple erst 2016 aufgenommen wurden, mit der jahrzehntelang vorgeschobenen Begründung, die Band sei ein One Hit Wonder. Und in der Liste der 100 besten Gitarristen, die der Rolling Stone zusammengestellt hat, findet man natürlich keinen Lukather, aber dafür Kurt Cobain. Kurt Cobain! Ein Gitarrist? Nicht dass ich wüsste.

Obwohl Toto den doch sehr eigenen Startrompeter Miles Davis zum Mitspielen auf einem ihrer Alben animieren konnte, obwohl Lukather mit drei der vier Beatles gearbeitet hat, obwohl die ganze Toto-Crew praktisch die ganze Musik des vom Rolling Stone hoch gelobten Michael Jackson Albums „Thriller“ eingespielt hat: Es half nichts. Der Rolling Stone war sich ja nicht einmal zu blöde, hinterhältig zu fragen, wie es wohl Produzent Qunicy Jones geschafft habe, die Musiker von Toto zu einer halbwegs geschmackvollen Performance zu bringen. Über die Jahrzehnte haben die Toto-Musiker eine gewisse Hinterfotzigkeit in Umgang mit ihren ärgsten Verächtern entwickelt. Auf ihrem Coveralbum „Through The Looking Glass“ von 2002 haben sie „Watching The Detectives“ von Elvis Costello nur deshalb aufgenommen, um den bekennenden Toto-Hasser Costello zu ärgern. Lukather kommentiert das mit den Worten: „Ich hätte Costello gern beim Anhören der Toto-Version zugeschaut“. Ich auch.

Lukather säuft inzwischen nicht mehr, und behauptet, er wolle sich auch nicht mehr aufregen. Das hat er mir bei einem unserer letzten Telefon-Interviews versichert und glaubhaft begründet. Sein Kumpel Don Henley von den Eagles habe ihm schon in den 80er Jahren gesagt: „Du musst nur einfach so lange am Ball bleiben und all die Tiefschläge einstecken, bis alle, die dich mal gehasst haben, dir Tribut zollen. Ich bin jetzt vierzig Jahre dabei, ich kann über diesen ganzen Scheiss lachen“. Wahrscheinlich hatte Henley dabei diese alte chinesische Spruchweisheit im Hinterkopf: „Stell dich ans Ufer des Flusses, und wenn du lange genug wartest, wirst Du die Leichen deiner Feind vorbei schwimmen sehen“. Da kann Steve Lukather ganz beruhigt sein: Es sind schon viele Leichen vorbei geschwommen, und es werden ständig mehr. Wahrscheinlich hat er’s vor lauter Fluchen und Schimpfen gar nicht gemerkt.

Thomas Zimmer schreibt seit 1980 über Rock, Pop und Folk. Er war Rundfunk-Musikredakteur, Dozent für Pop- und Rockgeschichte an der Musikhochschule Karlsruhe. Er hat u.a. die Biografie des BAP-Drummers Jürgen Zöller und ein Buch mit Konzertkritiken aus 20 Jahren veröffentlicht. Er hat Rock-Größen wie Phil Collins, Ian Gillan, Beth Hart und viele mehr interviewt. Er moderiert eine regelmässige musikalische Live-Talkshow im Jazzclub Bruchsal und betreibt den Interview-Podcast „Das Ohr hört mit“ mit Musikern und anderen Kulturmenschen.

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