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Die Abenteuer des Joseph Samuel Posener (8): Verliebt in eine Christin

Seit dem letzten Eintrag sind drei Jahre vergangen, in denen Joseph es offensichtlich geschafft hat, sich wieder nach oben zu arbeiten.

Heute den 12ten Juny 1849. Ein sehr betrübter Tag ist der Heutige, der Erste meines Lebens in dieser art, alle anderen Unglüksfälle sind kein vergleich zu solch einer Trauer, alle Unglücksfälle die mich überkamen, sie haben mir nichts weiter als eine trübe Erinnerung hinterlassen, aber der heutige kostet mir bittere Trähnen, keine Mutter mehr!  Oh! diese Nachricht die ich Heute erhalten ist Schräklich, arme Mutter, ihr ganzer Lebens-Wandel war eine unaufhörliche Quahl, sie hätte noch Freuden gehabt, jetzt da ich ein bischen im stande gekommen Sie ihr Leben zu erleichtern, nimt Sie der liebe Gott sich hin; jetzt bin ich Waise.

Joseph ist nicht Waise. Der Vater lebt noch und ist zu der Tochter in die Nähe von Berlin gezogen. Joseph übertreibt wieder einmal. In seinen Memoiren spricht mein Vater – aus anderem Anlass – vom „Selbstmitleid der Poseners“.

Oh! wie Greulich ist dieser Gedanke, und so weit von Ihr entfernt, nicht einmal hatte ich das Glükk Sie noch ein mahl zu Sehen, wie gerne hätte ich Sie mit meinem eigenen Blute gerettet, aber Leider den armen Menschen ist nicht einmahl dieses vergönnt. Wie oft habe ich schohn Bedauert von meinem Vaterlande gegangen zu sein, ich hätte mich lieber das bitterste Leben unterwerfen (?) sollen, und nur bei den Meinigen bleiben, aber was hilfts, ein jeder Mensch muß sein Schiksal unterliegen. Nun lieber Vater bleibst du mir allein, Dich wird der liebe Gott noch sehr lange Jahre erhalten, damit ich noch das Glükk habe dich wieder zu sehen, an dich will thun alles was ich an der armen Mutter nicht habe thun können. Sorge nicht mehr für dein zukünftiges Leben, der Allmächtige wird deinem Sohn … so viel beistehen, daß er dich stehts unterstützen wird. Ich schikke dir also mit gegenwärtiger die Summe von 200 Thaler, für deine Tage und für das Bedürftige meiner Geschwister mit der Bitte zum Allmächtigen daß Ihr dieselben mit gesund und Glükk brauchen wird.

Heute den 20ten September 1849. Seit einigen Tagen bin ich in dieser Stats Victoria Provinz Espirito Santo angelangt, daß Geschäft geht hier so ziemlich gut, und ich hoffe mit der Hilfe Gottes etwas hier zu verdienen.

Der Bundesstaat Espiritu Santo liegt an der Küste nördlich von Rio Grande und wurde um die Zeit von Einwanderern vor allem aus Deutschland umgestaltet, dieZuckerrohr und Kaffee anbauten. Die Hauptstadt Vitória galt als Provinznest.

Eine Erscheinung, aber eine lebende Erscheinung hat mir heute mein so viel von Unglück abgestumpftes Herz wieder rege gemacht, welcher Himmlischer Engel, Augusta, die Tochter eines Arztes, von 14 Jahr, welche Statur, welche schöhnen blauen Augen, welch volles raben schwarzes Haar, welches Engel Mündchen mit zwey reihen von Perlen; zwey mahl hat Sie mich Gesehen, beide mahl ist sie hell Roht geworden und wich zurükk, auch ich wich  beide mahl zurükk, als wen mich ihr Angesicht Blenden wollte. Ich weiß nicht was ich fühle, mein Herz ist voller Feuer, ich gehe hundert mahl des Tages am Fenster um Sie zu Erblicken; ist es Zufall oder beidseige Ahnung, auch Sie scheint mich zu suchen.

Joseph ist jetzt 27 Jahre alt; es wirkt nicht nur aus heutiger Perspektive schockierend, dass er sich in eine 14-Jährige verliebt und sogar ans Heiraten denkt. In Deutschland heirateten Frauen damals im Schnitt mit 30; in orthodoxen jüdischen Haushalten (und damals gab es, zumal im Osten, kein liberales Judentum) lag das Heiratsalter zwar niedriger, bei 18 Jahren, auch in den Kolonien, wo man angesichts von Krankheiten und der Notwendigkeit, schnell Kinder zu bekommen, die Mädchen schneller verheiratete. Aber 14 …

Nein, es ist gar nicht mehr Auszuhalten, ich habe die ganze Nacht nicht Schlafen, immer stand sie mir für Augen. Ist es möchlich? Sollte ich schohn ohn es zu wollen mein Herz so wieder freien Lauf gelassen haben? Nein! das kann nicht sein, ich darf gar nicht mehr daran denken, meine Verflichtungen sind größer, gegen meine Eltern und Geschwister, und aus diesen werde ich mich gewiß nicht Leiten lassen.

Es ist nicht klar, was Joseph mit „schon wieder“ meint. Vielleicht die „Rosa“, die er bei seinem Abschied in Schneidemühl unversehens wieder getroffen hat und zuvor „thöricht beleidigt“ hat? Oder das verlorene Jahr in New Orleans? Wo allerdings weniger das „Herz“ eine Rolle gespielt zu haben scheint.

Seit 14 Tage Leide die fürchterlichste Angst, der Kampf mit mein Herz und Gewissen ist sehr groß. Ach wie unrecht ist es, daß dieser Rilions-Unterschied Existirt? wie hätte ich sein können mit diesem Engel welcher mich auch Leidenschaftlich Liebt; warum hat der allmächtige nicht alle Menschen mit gleichem Glauben beschaffen? Mein Herz bricht für Trauer.

Ich liebe Sie und darf Ihr meine Liebe nicht beweisen, warum? weil Sie eine Cristin und ich ein Jude bin. Sie ist deshalb doch nicht minder ein wahrer Engel, ihr Herz und Gewissen ist Rein und so klar wie die Sonne. Ihre Liebe zu mir ist die einer heiligen Jungfrau, denn hat Sie mir in diesen paar Tagen nicht allein einen, sondern mehrere Beweise gegeben. Ihre Briefe welche Sie mir geschrieben habe ich mit Trähnen benetzt und doch kann ich Sie Ihr nicht Beantworten, und Sie soll es auch niemahls wissen wie viel Sie in meinem Herscht. Verführen nein, daß will ich Sie nicht, denn daß währe eine Sünde welche ich niemahls Büßen kann. Verführen! nein niemahls, solche Unschuld, solch ein zahrtes Geschöpf der Allmächtige nein, lieber den Toht.

Heirahten auch nicht! den daß währe meine Regilion profaniert(?), da würde ich meine arme Mutter in ihrem Grabe beschähmen, da würde sich mein guter Vater zu Tode grähmen, da würde meine Familie das recht haben mich zu Verachten. Nein, nein tausendmahl nein, ich muß nun hier fort, der Allmächtige wird mir diese Kraft verleihen. Adjö meine theure Augusta, nie werde ich deiner vergessen, deine Gegenwart wird mir stehts für Augen sein, oh wie gern würde ich dich umarmen nur ein mahl, zum letzten mahl, aber nein, wer weiß ob ich so viel Kraft besitze dich zu Wiederstehen. Oh wie Unglüklich bin ich doch! zum ersten mahl hat sich mein Herz zu dieser Wonne aufgethan, und ich muß ihm Ruhe bieten. Adjö! nehme Sie meine Umarmungen, meine Küsse, mein Herz, dein Angedenken wird mir stehts eine theure erinnerung sein, nochmahls Adjö.

Es ist interessant, dass letztlich die „Rilion“, also die Religion, für Joseph den Ausschlag gibt, sich heimlich fortzuschleichen, ohne sich von Augusta zu verabschieden. Dass er von ihr als einer „heiligen Jungfrau“ spricht, zeigt den Einfluss des Christentums. Freilich war die biblische Maria vermutlich auch erst 14, als sie „vom heiligen Geist“ schwanger wurde. In seinen Erinnerungen von 1990, „Fast so alt wie das Jahrhundert“, schreibt mein Vater, das Mädchen sei „die Tochter des Gutsherrn“, eine Posener’sche Übertreibung, und fügt hinzu, Joseph erzähle seine Geschichte „in der überschwänglichen Sprache der deutschen Romantik“. Nun ja, ich finde eher: in der kitschigen Sprache des deutschen Groschenromans. Aber mein Vater hat Recht: „die leidenschaftliche Liebe klingt wahr“.

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Ein Gedanke zu “Die Abenteuer des Joseph Samuel Posener (8): Verliebt in eine Christin

  1. avatar

    APo: ‚… jetzt bin ich Waise.
    ‚Joseph ist nicht Waise.‘.

    … er hat nicht übertrieben. Waise bezeichnet den Verlust ein oder beider Elternteile im Kindes- oder Jugendalter. Und wer im 27. Lebensjahr, zudem ‚in der Fremde‘, das so fühlt, dann sehe ich darin auch kein Selbstmitleid. Eher eine Liebe zu seinen Eltern.

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