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Der Möchtegern-Impf-Held: Über die Fassade und die Realität des Agierens von Jens Spahn

Foto-Credit: IMAGO / Political-Moments

Jens Spahn spielt sich bei „Anne Will“ als Deutschlands Impf-Held auf und findet es brillant, die Priorisierung aufgehoben zu haben. Tatsächlich handelt es sich um ein plumpes Wahlkampfmanöver in eigener Sache zu Lasten der Risikogruppe
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Es war einmal ein Mann, der trat öffentlich als oberster Impfmeister, ja gar als Deutschlands Impf-Held auf. Jens Spahn ist sein Name. Voller Selbstbewusstsein saß er Sonntag in der Talkshow von Anne Will, lobte sich selbst, weil er die Impfpriorisierung zum 7. Juni, also zum kommenden Montag aufgehoben habe. Bereits am 17. Mai geschah das.

Tatsächlich hat Jens Spahn damit ein pures Chaos ausgelöst. In Hamburg etwa wurde die „Gruppe 3“ der Priorisierungen erst an diesem Montag vollständig freigegeben (zuvor gab es Freigaben einzelner Untergruppen), also 14 Tage nach Spahns vollmundiger Ankündigung. Es gab gerade einmal 30.000 Termine, ein schlechter Scherz angesichts einer so umfangreichen Priorisierungsgruppe wie jener der Kategorie 3, zu der gemäß § 4 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) neben Menschen über 60 auch Leute mit nicht gerade seltenen Krankheiten wie „behandlungsfreie in Remission befindlichen Krebserkrankungen“, „Herzinsuffizienz, Arrhythmie, Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit oder arterielle Hypertonie“ sowie „Personen mit Asthma bronchiale“ zählen.

Man könnte also meinen, dass ein Gesundheitsminister gerade auch diese vulnerablen Gruppen zu schützen gedenkt und sie vor Impfkonkurrenz schützt. Aber weit gefehlt. Denn es ist Wahlkampf. Und Jens Spahn muss endlich sein Image als gefallener Gesundheitsengel korrigieren, will er seine politische Karriere retten.

Robin Alexander berichtet in seinem neuen Buch über den Aufstieg und den Fall von Jens Spahn

Der WELT-Journalist Robin Alexander schreibt in seinem luziden, gerade erschienenen Buch „Machtverfall- Merkels Ende und das Drama der deutschen Republik. Ein Report“ treffend: über Jens Spahn:

Umso härter wird sein Absturz nur ein paar Wochen später: Als die Bundesregierung daran scheitert, die Bevölkerung schnell zu impfen, wird er zum Buhmann einer neuen Republik (…). Er gilt jetzt als Pannenminister, Skandalpolitiker und Rücktrittskandidat. Die Pandemie hat ihn innerhalb weniger Monate nach ganz oben gespült – und wird ihn dann innerhalb weniger Wochen ganz nach unten reißen.“

Spahns Rise & Fall erinnert an die Gegenrichtung eines Pop-Songs der 00er Jahre, den die deutsche Sängerin Sarah Connor damals aus den Boxen schmetterte: „From zero to hero“. Spahn ist längst wieder bei zero angekommen.

Contra gegen Spahns Aktionismus bei „Anne Will“

Mit seinen 40 Jahren und seinem außerordentlich großen Ehrgeiz bleiben Jens Spahn bis zu Wahl am 26. September nur wenige Wochen, um sich, sollte die CDU überhaupt im Angesicht ihres schwachen Kandidaten Armin Laschet die Regierung bilden können, aus dem Image-Loch heraus zu retten. Wie so oft gerät ein solcher Image-Wechsel mit der Brechstange zur Farce.

Man kann einer so besonnenen Expertin wie der SZ-Journalistin Christina Berndt nur dankbar sein, wenn sie wie bei „Anne Will“ geschehen, den Ego-getriebenen Aktionismus des amtierenden Gesundheitsministers Spahn als das decouvriert, was er ist: sehr gefährlich für vulnerable Gruppen. Exemplarisch seien deshalb die folgenden Statements zitiert:

Anne Will: „Sie wollen vom nächsten Montag an die Impfpriorisierung aufgeben. Sie geben damit ein Impfversprechen für alle ab. (…) Freilich ohne genügend Impfstoff zu haben.“

Spahn: „Wir können ja nicht warten, bis der Allerletzte sozusagen in einer Priorisierungsgruppe sich noch entschieden hat .Ich weiß, dass einige sozusagen bei ihrem Termin auch noch dran sind.“

„Einige“? Wie gesagt: Die sehr große Gruppe der Prio 3 ist hier in Hamburg erst seit Montag zur Impfung eingeladen. Es gab gerade einmal 30.000 Termine im Impfzentrum und die Ansage, dass keine weiteren hinzukommen werden in den nächsten Wochen und ab sofort alles über die Haus- oder Fachärzte laufen wird. Da können sich dann die Leute die Finger wund wählen, denn es erklingt stets am Telefon die Aussage: „Wir sind ausgebucht und nehmen keine Termine mehr an“.

Christina Berndt hat dieses Chaos bereits Sonntag bei „Anne Will“ antizipiert:

Christina Berndt: „Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen, jetzt zu diesem Zeitpunkt (…). Aber warum zu diesem Zeitpunkt? Wir haben noch so viele Menschen, die in diese bedürftige Gruppe 3 gehören, die noch kein Impfangebot haben, keinen Termin in Aussicht (…). Und jetzt fangen wir plötzlich an, ein solches Windhundrennen zu eröffnen, allen Menschen in diesem Land zu sagen: „Ihr könnt Euch jetzt auch melden. Dadurch werden Hausärzte nun noch mehr überrannt. (…) Und wir haben mindestens noch 6 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe 60 bis 69, die noch kein Impfangebot haben, weitere 12 Millionen Vorerkrankte (…). Diese 60 bis 69Jährigen haben 8 Prozent der Todesfälle in dieser Pandemie ausgemacht. Allein diese Dekade, diese Menschen brauchen diese Impfung. Und zwar deutlich mehr als die Jüngeren, die vielleicht die Stärkeren und die Schnelleren sind und ihre Hausärzte eher bedrängen können oder auch eher schneller am Computer sind. Ich finde das nicht richtig. Die Menschen haben jetzt so lange gewartet, monatelang, weil sie glaubten „jetzt bin ich bald dran“ und jetzt das.“

Wie gesagt, es war einmal ein Gesundheitsminister. Möge Jens Spahn, in welcher künftiger Regierung auch immer, diese Funktion nicht mehr innehaben Denn die Gesundheit von Menschen schützt man anders. Und schon gar nicht ordnet man sie dem Wahlkampf in eigener Sache unter.

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5 Gedanken zu “Der Möchtegern-Impf-Held: Über die Fassade und die Realität des Agierens von Jens Spahn;”

  1. avatar

    Durchaus zutreffende Kritik, allerdings sehr, sehr spät.

    Ich bin ja nur kleiner Projektmanager in extrem grossen Projekten, aber bei mir war Spahn bereits durch während des Maskenbeschaffungschaos im Frühjahr 2020. Und sollten sich die Berichte bestätigen, dass er versuchte, bewusst untaugliche (!) Masken an die Schwächsten der Gesellschaft (Arme und behinderte Menschen) ausgeben zu lassen, um Beschaffungsversagen zu kaschieren, ist er menschlich einfach nur ein Schw* und für überhaupt keinen Politikerposten mehr tauglich.

    Dass er seinem Job nicht gewachsen ist, kann man jedenfalls seit etwa einem Jahr wissen. Denn das war er schon auf dem Höhepunkt seiner Umfrageergebnisse nicht. Journalistisches Versagen (wieder einmal), der Tatsache geschuldet, dass 99% der Journalisten heute mangels Erfahrung Show nicht mehr von Substanz unterscheiden können, selbst dann nicht, wenn sie das wollen.

    Gruss,
    Thorsten Haupts

    1. avatar

      Update:
      Ich korrigiere meinen Vorbehalts-Vorwurf, Spahn hätte die Schwächsten der Gesellschaft mit untauglichen Masken versorgen lassen.
      Trifft nicht zu!
      Ich Dämel nehme immer noch zu häufig an, Medien würden sich zumindest bemühen, wenigstens Fakten sauber zu berichten.

      Gruss,
      Thorsten Haupts

  2. avatar

    Ich habe einige Äußerungen von Jens Spahn bei Anne Will als Unverschämtheit empfunden.
    „Wir können ja nicht warten, bis der Allerletzte sozusagen in einer Priorisierungsgruppe sich noch entschieden hat . “ Es geht nicht darum, dass die sich entschieden haben, sondern es geht darum, dass viele Personen der Prio-Gruppe 3 bei ihrem Hausarzt bisher keinen Impftermin bekommen konnten. Ich kenne persönlich viele aus dieser Gruppe, die den Umstand oder die Kosten der Fahrt zum Impfzentrum ( ländlicher Raum ) scheuten und sich auf Grund der zu optimistischen Ankündigungen darauf verlassen habe, spätestens Anfang Juni einen Termin beim Hausarzt zu bekommen. Heute berichtete mir jemand, dass in solchen Fällen, nur noch die ziemlich genervte Bandstimme des Arztes zu hören war, man habe viel weniger Impfstoff als bisher bekommen, und deshalb bitte er von ständigen Nachfragen Abstand zu nehmen.

    1. avatar

      Danke Ihnen für den Kommentar! Genau das ist das Problem: „und sich auf Grund der zu optimistischen Ankündigungen darauf verlassen habe, spätestens Anfang Juni einen Termin beim Hausarzt zu bekommen. Heute berichtete mir jemand, dass in solchen Fällen, nur noch die ziemlich genervte Bandstimme des Arztes zu hören war, man habe viel weniger Impfstoff als bisher bekommen, und deshalb bitte er von ständigen Nachfragen Abstand zu nehmen.“

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