Israelfeindschaft und Antisemitismus in linken und liberalen Milieus der Bundesrepublik schienen in den letzten Jahrzehnten abgeklungen. Aufklärerische linke Autoren haben begonnen, linken Antisemitismus zu dechiffrieren. Das hat andere aufklärungsresistente linke Autoren auf den Plan gerufen. Martin Jander bespricht einige ihrer Publikationen aus den letzten vier Jahren.
Längere Zeit schien es, als ob die Auseinandersetzung über „linken Antisemitismus“ in der Bundesrepublik abgeklungen wäre. Nach dem Ende der DDR und der Diktaturen sowjetischen Typs formierte sich sogar eine Strömung linker Autoren und Aktivisten, die Antisemitismus, Amerika- und Israelfeindschaft vehement zurückwiesen. Inzwischen aber zeigt sich, dass antiisraelische und antijüdische Tendenzen im linken Meinungsspektrum wieder deutlicher hörbar sind. Aus dem Umfeld der Autonomen, aber auch um die Partei „Die Linke“ herum, erscheinen verstärkt Publikationen, die die Existenz von Antisemitismus bei deutschen und anderen Linken abstreiten und behaupten, die Kritik an linkem Antisemitismus diene vor allem zur Diskreditierung politischer Gegner. Vier dieser Publikationen aus den letzten Jahren werden hier vorgestellt.
Terror und Kriege gegen Israel
Verwunderlich ist dieses neue Aufflammen einer Zurückweisung der Kritik des Antisemitismus bei Linken in der Bundesrepublik nicht. Spätestens mit der Vereinigung beider deutscher Staaten, dem Untergang der DDR, wie den anhaltenden Konflikten im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt, müssen politische Linke der alten Bundesrepublik wie der DDR sich der Tatsache stellen, dass die DDR nicht nur ideologisch, sondern auch militärisch die arabischen Staaten und Organisationen unterstützte, die Terror und Kriege zur Vernichtung Israels führten. Darüber hinaus müssen deutsche Linke sich der Tatsache stellen, dass sie selbst, möglicherweise ganz ohne freundschaftliche Gefühle für die DDR, in der „Palästinasolidarität“ Organisationen und Gruppen unterstützt und gefördert haben, die manchmal nur ideologisch, manchmal sogar terroristisch die Existenz Israels bestritten. Es gibt praktisch keine Strömung in der deutschen Linken, außer der Sozialdemokratie, die sich solche Fragen nicht stellen müsste. Die Anerkennung einer Mitverantwortung für die Dämonisierung von Juden und Israel ist nicht jedermanns Sache. Die vier vorgestellten Publikationen sind Ausdruck dieser Haltung.
Gerhard Hanloser
Ein Beispiel für die Zurückweisung der Kritik am linken Antisemitismus ist Gerhard Hanloser. Fast alle seine Publikationen handeln davon. Das Fragezeichen hinter dem Begriff „Linker Antisemitismus“ auf dem Titelblatt des von ihm jüngst herausgegebenen Sammelbandes kann man nach der Lektüre nur als Lesertäuschung verstehen. Die Beitragenden diskutieren nicht, ob es Antisemitismus bei Linken gibt und gab. Hanloser und seine Mitstreiter – unter anderem Markus Mohr und Moshe Zuckermann – sind ganz im Gegenteil der Auffassung, dass diejenigen, die diesen Antisemitismus analysieren und zurückweisen eine „Glaubensgemeinschaft“ formen, deren Kritik längst „zur Ideologie geronnen“ sei. In der Weimarer Republik seien linke Politiker von ihren Gegnern als „jüdisch“ oder „verjudet“ angegriffen worden. Heute erfülle die kritische Analyse, ein linker Politiker agiere oder artikuliere sich „antisemitisch“ dieselbe Funktion. Es ginge ausschließlich um die „Diskreditierung des Gegners“.[1]
Markus Mohr
Ein anderes Beispiel ist der eben schon genannte Markus Mohr. Er sagt von sich selbst, er habe die Häuser in der Hamburger „Hafenstrasse“ wie „ein kleiner Satan“[2] verteidigt. Publizistisch hervorgetreten ist er mit einer gemeinsam mit K. Andresen und H. Rübner herausgegebenen, vollständigen Ausgabe der linksradikalen Kampfzeitschrift „Agit 883“ (1967 – 1998).[3] Mohr strickt in seinem kürzlich erschienenen Sammelband mit dem Titel „Legenden um Entebbe“ an der Mär, die radikalen Linken links neben der SPD seien vor allem „Internationalisten“ gewesen. Ihr Antizionismus habe mit Antisemitismus nichts gemein gehabt und wer das behaupte, erzähle „Unfug“.[4] Auch Mohr und seine Mitstreiter – unter anderem der schon genannte Gerhard Hanloser und Moshe Zuckermann – setzen nicht nur die Behauptung in die Welt, die Kritik eines linken Antisemitismus sei „Unfug“, darüber ist die Kritik am linken Antisemitismus ihnen zufolge Teil „komplexer Deutungskämpfe“. Die Kritik werde von „Renegaten der radikalen Linken“ verwendet, die um ihre publizistische „Vergangenheitsbewältigung“ bemüht seien.[5]
Moshe Zuckermann
Selten kritisch diskutiert wird im Kontext des wiederaufflammenden Israelressentiments von vielen Linken und Liberalen der nun bereits zwei Mal erwähnte Moshe Zuckermann. Der israelische Soziologe ist seit 2009 der wissenschaftliche Leiter der Sigmund-Freud-Privatstiftung in Wien. Er unterstützt mit seinen Beiträgen nicht nur Mohr und Hanloser. Er publizierte ein ganzes Buch zum Thema linker Antisemitismus: „Der allgegenwärtige Antisemit“. Zuckermann ist enttäuscht von der Politik Israels und hält den Vorwurf des „Antisemitismus“ gegenüber deutschen Linken für einen Teil israelischer Staats-Propaganda. Für ihn hat sich in Israel angeblich ein „Grundmuster ideologisch vereinnahmender Instrumentalisierung der Shoah“ herausgebildet. Die Shoah müsse als „erbärmliche Pathosformel zur Förderung jedes nur erdenklichen Partikularinteresses herhalten.“[6] Darin drücke sich eine neue Form nationaler Selbstwahrnehmung aus, die „Opfer-Sein als Lustgewinn“ betrachte.[7] Diese Selbstwahrnehmung der israelischen Gesellschaft „entlaste“ sie „vom Unrecht eigener brutaler Aggression“[8] und legitimiere gleichzeitig alle Sicherheitsanstrengungen des Staates, die zu einem „Fetisch der politischen Kultur Israels geronnen“[9] wären.
Als wären das nicht schon der Ungeheuerlichkeiten genug, behauptet Zuckermann, dass je „mehr Opfer Israels Okkupationspraxis und die selbstverschuldete Gewalteskalation“[10] verursache, umso vehementer werde der eigene Opferstatus beschworen. Das habe mit einer „Verblendung gegenüber dem unhaltbaren eigenen Handeln und der Harmonisierung von narzisstisch kränkenden Selbstwahrnehmungs-Dissonanzen zu tun.“[11]
Claus Ludwig
Claus Ludwig, der an der Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung arbeitet und Mitglied im Bundesvorstand der trotzkistisch orientierten „Sozialistische Initiative“ (SAV) ist, zitiert in seiner Publikation „Antisemitisch?!“ die Thesen Zuckermanns weidlich. Er bezieht seine Zurückweisung der Existenz aber hauptsächlich aus einer Veröffentlichung Abraham Léons (1918 – 1944) aus dem Jahr 1942 über das Verhältnis von Kapitalismus und Juden.[12] Ludwig formuliert als Identität der SAV, man orientiere sich marxistisch und internationalistisch und lebe in Deutschland: „Doch wir sehen es als unsere Pflicht, Unterdrückung und Diskriminierung in jeder Form und überall zu bekämpfen, mit unseren Genossinnen in der ganzen Welt, auch in Israel und Palästina.“[13] Den „Antisemitismus von links“ sieht Ludwig als „ideologisches Konstrukt zur Diskreditierung von Kritik am israelischen Staat und zur Delegitimierung der Palästina-Solidarität.“[14] Es gebe heute keine linke Strömung, die eine antisemitische Position einnehme.
Schuldabwehrantisemitismus
In keiner der hier kurz vorgestellten Publikationen wird auch nur der Versuch gemacht, das Phänomen des linken Antisemitismus zu begreifen. Es geht dabei um eine neue Variante des Antisemitismus, den sogenannten „sekundären“ oder auch „Schuld- und Erinnerungs-Abwehr-Antisemitismus“.[15] Dieser ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Stereotype, die im klassischen Antisemitismus vorgebracht wurden, nach der Shoah in einem etwas veränderten Gewand daherkommen, der Hass und Ressentiment jedoch bleiben dieselben.
Es handelt sich um die Sorte antisemitischen Hasses, die etwa die SED artikulierte, als sie ihr langjähriges Mitglied Paul Merker zunächst nur attackierte, später aus der Partei ausschloss und ins Gefängnis warf. „Es unterliegt“, so verkündete das SED-Zentralkomitee im November 1952, „keinem Zweifel mehr, dass Merker ein Subjekt der USA Finanzoligarchie ist, der die Entschädigung der jüdischen Vermögen nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen. Das ist die wahre Ursache seines Zionismus.“ Außerdem hieß es da: „Merker fälschte die aus den deutschen und ausländischen Arbeitern herausgepressten Maximalprofite der Monopolkapitalisten in angebliches jüdisches Eigentum des jüdischen Volkes um.“ Und: „Die zionistische Bewegung hat nichts gemein mit Zielen der Humanität und wahrhafter Menschlichkeit, sie wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschließlich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten.“[16]
Dieser Antisemitismus, deshalb hat ihn Adorno „Schuld- und Erinnerungsabwehr Antisemitismus“ genannt, ist der Versuch, Verantwortung und Haftung für die Shoah abzuweisen. So etwa formulierten die „Tupamaros Westberlin“ in einem Flugblatt vom 13. November 1969: „Jede Feierstunde in Westberlin und der BRD unterschlägt, dass die Kristallnacht von 1938 heute täglich von Zionisten in den besetzten Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen wiederholt wird. Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen.“[17]
Hier werden pure Projektionen verbreitet. Angeblich, so deutsche Linke, sei der Zionismus eine vom US-Imperialismus „befehligte“ Ideologie, die nichts mit Humanität und Menschlichkeit zu tun habe. Angeblich kooperiert Israel mit den USA, um das palästinensische Volk auszurotten.
Die Leser dieser Buchrezension sind sicher in der Lage die anderen Verkehrungen der Wirklichkeit, die sich in diesen und ähnlichen Formulierungen verbergen, zu dechiffrieren. Israelische Politik wurde und wird mit solchen propagandistischen Verkehrungen dämonisiert. Kriege und Terror gegen Israel und Juden lassen sich damit rechtfertigen. Die beteiligten deutschen Linken verschaffen sich noch dazu ein gutes Gewissen. Angeblich vertreten sie eine antiimperialistische, antifaschistische Sache.
Solche Projektionen, die Wahrnehmung Israels als imperialistischer, kolonialer oder faschistischer Staat, bilden das Herz des „Schuld- und Erinnerungsabwehr-Antisemitismus“, den Adorno und seine Kollegen bereits in den 50er Jahren in einer Studie entdeckten.[18] Israel und Juden wurden und werden von Deutschen als das absolut Böse imaginiert, um einer Anerkennung von Schuld, Verantwortung und Haftung für die deutschen Verbrechen auszuweichen.
Ausblick
Die Anerkennung, dass deutsche Linke – DDR-Funktionäre, maoistische und spontaneistische Linksradikale, Mitglieder der DKP und andere – an der ideologischen Dämonisierung Israels beteiligt waren, ist offenbar nicht jedermanns Sache. Auch die Übernahme von Verantwortung und Haftung dafür, dass die DDR Kriege zur Vernichtung Israels seit 1967 militärisch unterstützte und westdeutsche Linksradikale sich mit der Waffe in der Hand am palästinensischen Terror gegen Israel und Juden beteiligten, ist es nicht. Die Publikationen von Hanloser, Mohr, Ludwig und Zuckermann befördern diese Weigerung der Anerkennung, wie der Verantwortung und Haftung. Sie bestreiten, dass es den „Schuld- und Erinnerungs-Abwehr-Antisemitismus“ bei Linken überhaupt gegeben hat und gibt und liefern damit Stichworte für aufklärungsresistente Linke in der Gegenwart.
Man kann die Publikationen aber auch anders lesen. Schaut man auf die nicht kleine Liste der von den Autoren immer wieder aufgeführten Gegner – genannt werden neben dem israelischen Staat etwa Martin Kloke, Samuel Salzborn, Lars Rensmann, Jeffrey Herf, Richard Herzinger, Armin Pfahl Traughber und viele andere –, dann sind die Bücher vielleicht auch als Abgesang einer aufklärungsresistenten deutschen Linken anzusehen, die mittlerweile viel weitergehender unter Erklärungszwang zu stehen scheint, als dies etwa noch in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts der Fall war.
Sammelrezension zu:
Gerhard Hanloser (2020) (Hrsg.): Linker Antisemitismus? Mandelbaum Verlag: Wien. ISBN 978-3-85476-691-9, 301 Seiten, 22 €uro.
Claus Ludwig (2019): Antisemitisch?! Manifest Verlag: Berlin. ISBN 978-3-96156-073-8, 164 Seiten, 11.90 €uro.
Moshe Zuckermann (2018): Der allgegenwärtige Antisemit: Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit. Westend: Frankfurt a. M. ISBN 978-3864892271, 256 Seiten, 20 €uro.
Markus Mohr (2016) (Hrsg.): Legenden um Entebbe. Unrast Verlag: Münster. ISBN 978-3-89771-587-5, 400 Seiten, 19.80 €uro.
[1] Zitiert nach: Gerhard Hanloser (2020) (Hrsg.): Linker Antisemitismus? Mandelbaum Verlag: Wien. S. 7-8.
[2] Zitiert nach: Autoreninformation des Unrast Verlages zu Markus Mohr (https://www.unrast-verlag.de/autor_innen/markusmohr-159 – abgerufen am 16.07.2020).
[3] Siehe: Rotaprint 25 (2006) (Hrsg.): Bewegung, Revolte, Underground in Westberlin 1969–1972. Verlag Assoziation A: Hamburg. (Online: https://plakat.nadir.org/883/index.html – abgerufen am 16.07.2020).
[4] Zitiert nach: Markus Mohr, Vorwort, in: Markus Mohr (2016) (Hrsg.), Legenden um Entebbe, Unrast Verlag: Münster, S. 12.
[5] Zitiert nach: Freia Anders, Alexander Sedlmaier, „Unternehmen Entebbe“ 1976, in: Markus Mohr (2016) (Hrsg.): Legenden um Entebbe, Unrast Verlag: Münster 2016, S.45-49.
[6] Zitiert nach: Moshe Zuckermann (2016): Operation Yonathan, in: Markus Mohr (Hrsg.), Legenden um Entebbe. Unrast Verlag Münster, S. 56.
[7] Ebenda., S. 57.
[8] Ebenda.
[9] Ebenda.
[10] Ebenda.
[11] Ebenda.
[12] Abraham Léon (1971): Judenfrage und Kapitalismus.Trikont: München.
[13] Zitiert nach: Claus Ludwig (2019): Antisemitisch?! Manifest Verlag: Berlin. S.11.
[14] Zitiert nach: Claus Ludwig (2019): Antisemitisch?! Manifest Verlag: Berlin. S.122.
[15] Siehe: Adorno, Theodor W. (1955). Schuld und Abwehr. In ders., Gesammelte Schrift-en ,Band 9.2 (S. 121-324). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Siehe zu einer schnell verfügbaren Erläuterung des Begriffs und weiterführender Literatur: Malte Holler, Sekundärer Antisemitismus (Online: https://www.anders-denken.info/informieren/sekund%C3%A4rer-antisemitismus-1 – abgerufen am 16.07.2020).
[16] Zitiert nach: Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slánský, Beschluß des ZK der SED vom 20. Dezember 1952, in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 4, Berlin (Ost) 1954, S. 199.
[17] Zitiert nach: Schwarze Ratten TW (1969): SCHALOM + NAPALM. In: Agit 883 vom 13. November 1969, 1. Jg.., Nr. 40, S. 9. (Online: https://plakat.nadir.org/883/ausgaben/agit883_40_13_11_1969.pdf – abgerufen am 13.07.2020).
[18] Adorno, Theodor W. (1955). Schuld und Abwehr. In ders., Gesammelte Schriften ,Band 9.2 (S. 121-324). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Siehe zu einer schnell verfügbaren Erläuterung des Begriffs und weiterführender Literatur: Malte Holler, Sekundärer Antisemitismus (Online: https://www.anders-denken.info/informieren/sekundärer-antisemitismus-1 – abgerufen am 16.07.2020).
Markus Mohr kennt Mahler und Rabehl nicht
Als jüngere Linksaktivisten traten Horst Mahler und Bernd Rabehl als Antifaschisten und Antiimperialisten auf. Etwas in die Jahre gekommen, wendeten sie sich ganz offen völkischem Nationalismus und antijüdischen/antiisraelischen Ressentiments zu. Aber, schon in ihren „linken Zeiten“, spielten Schuldabwehr und „Israelkritik“ eine wichtige Rolle. Ich habe deshalb, da hat Markus Mohr Recht, Mahlers Buch, in dem er seine Wende zur antisemitischen völkischen Rechten unüberhörbar darlegt, ganz absichtlich mit auf das Bild meiner Buchrezension montiert. Die Bild-Botschaft lautet: Wird für Markus Mohr, Gerhard Hanloser u. a. die in ihren Büchern und Artikeln formulierte „linke Israelkritik“ auch, wie bei Rabehl und Mahler, eine Durchgangsstation in den ganz offenen artikulierten völkischen Wahn sein?
In der Tat, da hat Markus Mohr ganz Recht, ich kenne Horst Mahler ziemlich gut. Er war häufig zu Gast in einer sogenannten „Sozialistischen Weinrunde“, an der ich teilnahm. Ich konnte seine Häutung vom linken USA- und Israelfeind in den völkischen Demagogen aus nächster Nähe beobachten. Als mein langjähriger Freund Bernd Rabehl sich ähnlicher Weise häutete, habe ich sehr deutlich protestiert und ihn, wir arbeiten beide im „Forschungsverbund SED-Staat“, öffentlich attackiert (https://taz.de/Der-Nationalbolschewist/!1309611/?goMobile2=1591488000000) und etwas später seine Häutung ausführlich analysiert (http://www.unwrapping-history......schein.htm). Horst Mahlers Wende zum völkischen Demagogen hab ich ebenfalls, ich glaube sogar der Artikel ist mir ganz gut gelungen, später ebenfalls analysiert (Martin Jander: Horst Mahler. In: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 1. Hamburger Edition, Hamburg 2006, ISBN 3-936096-65-1, S. 372–397). Da meine Kollegen im Forschungsverbund dieser Kritik nicht anschließen wollten, habe ich den die Gruppe verlassen.
Eben weil ich die Wenden von Mahler und Rabehl aus nächster Nähe kenne, lese ich die „Israelkritik“ von G. Hanloser, M. Mohr und anderen mit bereits an Rabehl und Mahler geübten Augen und Ohren. Beide Autoren weisen, ganz ähnlich wie Mahler und Rabehl in jungen Jahren, die Existenz einer von Linken zum Ausdruck gebrachten Schuldabwehr als Unfug zurück. Sie leugnen auch die Beteiligung linksradikaler Aktivisten und von SED-Funktionären an den Kriegen gegen Israel (https://www.hagalil.com/2017/01/legenden-um-entebbe/). Diese Haltungen sind für kritische Sozialwissenschaftler unverzeihlich. Die Weigerung der Autoren sich mit den Tatsachen linker Politik nach 1945 auseinanderzusetzen und ihre Weigerung, ihre eigene Herkunft aus der deutschen Gesellschaft kritisch zu reflektieren, wird sich zweifellos früher oder später entsprechend artikulieren. Mahler und Rabehl lassen grüßen. Auch linke Deutsche können Juden Auschwitz nicht verzeihen.
Die Bücher von Hanloser, Mohr und Ludwig, sind, wie Alan Posener richtig anmerkte, eine „Lektüre für Masochisten“. Neue Argumente und Zugänge zum Thema „Linker Antisemitismus“ enthalten sie nicht. Ich habe mich lange gefragt, ob ich sie überhaupt rezensieren soll. Auch mit dem heftigsten Verriss macht man noch Werbung für das rezensierte Buch, leider. G. Hanloser und M. Mohr sind aufklärungsresistente „linke Israelkritiker“, die bereits heute die kritische Analyse von linkem Antisemitismus für ein Propagandamanöver des israelischen Staates halten. Dieser linke Antizionismus führt antijüdische und antiisraelische Ressentiments mit sich, wie die Wolke das Gewitter.
Jander kennt seinen Mahler
Der Beitrag von Martin Jander u.a. zu dem von Gerhard Hanloser herausgegebenen Buch „Linker Antisemitismus?“ ist mit einer nicht näher erläuterten Fotografie aufgemacht. Vor der Kulisse eines gefüllten Bücherregals zeigt es das aufgestellte Buchcover im Vordergrund. Direkt dahinter ist das Buch „Schluss mit deutschem Selbsthass“ zu sehen, dass von dem SS-Mann Franz Schönhuber gemeinsam mit dem Antisemiten Horst Mahler verfasst worden ist. „So wird es wohl von Jander für diese Fotografie gereiht worden sein!“ denkt man sich da, und assoziiert dazu: In diesen nazistischen Bezug soll die Veröffentlichung „Linker Antisemitismus?“ eingeordnet werden.
Jander weiß selber, dass das kein Argument in der Debatte ist, es kennzeichnet aber die aktuelle Situation in der Diskussion um Israel und Antisemitismus, die Micha Brumlik als „neuen McCarthyismus“ bezeichnete. Argumentfrei wird denunziert und halluziniert, wenn Kritiker der israelischen oder deutschen Regierung den Antisemitismusvorwurf hier wie da zurückweisen. Wer hier nicht dazu bereit ist nach der Pfeife der deutsch-israelischen Staatsräson zu tanzen, soll letztlich irgendwie des nazistischen Teufels sein. So ersetzt die Denunziation und Demagogie jede Form der freien Diskussion, das ist klar.
Und in diese Demagogie ist eine interessante psychobiographische Tiefe bei Jander selbst eingeschrieben. Denn im Gegensatz zu Autorinnen und Autoren des Sammelbandes von Hanloser wie Moshe Zuckermann, Karin Wetterau, Ilse Bindseil oder meine Wenigkeit existierte zwischen Mahler und Jander eine berufliche Verbindung. War Martin Jander doch in den Jahren 1995 – 2000 als Mitarbeiter des Forschungsverbund SED-Staat tätig. Sicher ist hier, dass wenigstens Janders bedeutende Arbeitskollegen im Forschungsverbund Bernd Rabehl und Jochen Staadt 1998 mit Mahler publizistisch kooperiert haben. Beide haben sich in diesem Jahr sogar um einen Lehrauftrag von Mahler am Otto-Suhr-Institut bemüht. (Vgl. Vgl. M. P. Lubinsky, Kein Lehrauftrag für EX-RAF-Mitglied Mahler an der FU, in: WamS vom 15.11.1998; P. Nowak, Langer Marsch nach rechts, in: Jungle World Nr. 8 vom 24.2.1999) Ob auch Jander Mahler damals persönlich einmal die Hand geschüttelt hat, kann nicht belegt werden. Wer aber die vermutlich von ihm arrangierte Fotografie genau mustert, wird sehen, dass sich in dem Schönhuber/Mahler-Buch gelbe Lesezettel befinden, – in dem Buch von Hanloser aber kein einziger. Das legt die Hypothese nahe, dass Jander das Buch von Hanloser letztlich gar nicht gelesen hat, was sich auch an seinem Besprechungstext mit einer Reihe von falschen Unterstellungen und Behauptungen zeigt. Dafür kennt er sich aber auch heute noch ziemlich gut – siehe die Lesezettel – mit „seinem Mahler aus“, wie man umgangssprachlich sagt. Wenigstens das! Aber auch so diskursiv eingetaktet zeigt sich Jander dann völlig außer Stande die tragenden Kritiken, die in „Linker Antisemitismus?“ vorgelegt werden, aufzunehmen, zu verstehen und adäquat auf sie zu antworten.