Ein Gastbeitrag von Bruno Heidlberger
Lange hörte man nichts von der AfD. Umso lauter waren die Corona-Rebellen und Verschwörungstheoretiker. Hauptsache „gegen die da oben“ im Namen des Grundgesetzes. Bald sprang die AfD auf diesen Zug, aber ohne nennenswerten Erfolg. Während sie immer weiter nach rechts rückte und sich von innen her zerlegt, hofft sie auf ein „Geschenk“ wie 2015. Die Ereignisse um Stuttgart nutzt sie als Reanimation. Jetzt kommt es darauf an auf der „hellen Seite zu stehen“ und den „Kurs der bürgerlichen Mitte“ nicht zu verlieren. Eine sach- und eine am Recht orientierte Analyse der Ereignisse von Stuttgart kann helfen.
Der vorübergehende Ausnahmezustand der AfD
Anfangs wirkte die AfD wie gelähmt. Sie tat sich schwer eine einheitliche Linie zu finden. Am 4. März hieß es noch, es sei ein gefährliches Virus (Alice Weidel).
Sechs Wochen später am 14. Mai machte sich die AfD-Fraktion über das Virus lustig. Sie missachtete demonstrativ das Abstandsgebot im Bundestag und erntete entweder einen Ordnungsruf durch die Bundestagspräsidentin Petra Pau oder Kopfschütteln. Nichtsdestotrotz stellte sich auch die AfD hinter die beschlossenen Covid-19-Schutzmaßnahmen der Regierung Merkel, die in der Krise ihre demokratische Handlungsfähigkeit und die Wirksamkeit der Maßnahmen klar unter Beweis stellte. „Ihre Führung in der Coronaviruskrise ist universell herausragend“, so der Kolumnist der „New York Times“.
Nicht nur die Frage des Umgangs mit Covid-19 führte in der AfD zu heftigen Richtungskämpfen. Manche fanden die Einschränkungen richtig, wie Jörg Meuthen, anderen gingen sie zu weit; wieder andere hielten das Virus für kaum gefährlicher als eine Grippe. So blieb der oppositionelle Angriff von Rechtsaußen aus. Der „Wutmaschine funktionierte nicht mehr“, schrieb der „Tagesspiegel“. Das stereotype fundamental-Narrativ der AfD, die Bundesregierung handele gegen die eigene Bevölkerung, funktionierte nicht mehr. Weil die Partei vielen in den rechten Echokammern nicht radikal genug war, setzten Blogger auf Verschwörungsideologien. Die Umfragewerte der Rechtsnationalisten fielen in den Keller. Die Aktivierung allbekannter Feindbilder – Flüchtlinge, Fridays-for-future und Angela Merkel – lief diesmal ins Leere. Andere Mandatsträger der Partei hielten an der Fundamental-Opposition fest. Auch Christian Drosten und das RKI gehörten bald zu den Schuldigen.
Das Schüren von Ressentiments gegen das Robert-Koch-Institut, Christian Drosten und die Wissenschaft
Von der Regierung abweichende Meinungen in der Corona-Diskussion würden unterdrückt: ein alt bekanntes AfD-Narrativ, das bereits in der Flüchtlings- und Klimadebatte verbreitet wurde. Nachdem die erste Schockwelle vorüber war ,rückte nicht ganz unerwartet das RKI in das Zentrum der Kritik. Dankbar griff die AfD diese Vorlage auf, die Hobby-Experten, wie FDP-Chef Christian Lindner – der schon einmal meinte, Klimapolitik sollte man den Experten überlassen – an Ostern lieferte. „Mundschutz ja, Maulkörbe nein“. Markus Söder verlangte vom RKI verlässliche Zahlen und Lindner meinte, die Informationspolitik des RKI gebe nicht „die wahre Lage wieder.“ Christian Linder erwies sich neben Armin Laschet als Eisbrecher für Lockerungen, auch durch die Diskreditierung führender Wissenschaftler und des RKI. „Dieses Hin und Her“ der Virologen ärgere ihn doch sehr, erkläre Lindner bei Maybrit Illner. Profiteure waren die Plattformen der „alternativen Medien“ und die AfD, die das Misstrauen einer kleinen Minderheit befeuerten, die hinter den Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 geheime Interessen – etwa eine anlasslose Überwachung der Bürger – wähnte.
Bald wurden selbsternannte Fachleute durch die neurechten alternativen Plattformen durchgereicht, die in kürzester Zeit millionenfach geklickt wurden.
Wenn Wissenschaftler es „nicht so genau wissen“, wie auch Wolfgang Schäuble in einem ARD-Extra am 22. Mai behauptete, ist es auch egal, wie ich mich verhalte.
Wissenschaft ist eine kritische und empirische Methode und kein Orakel. Das offene Problem: Das Virus ist schneller als die Forschung. „Das RKI handelt nicht proaktiv, es läuft eigentlich immer hinterher“, sagt Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler von der Uni Bremen. Wissenschaft erklären, deren Erkenntnisstand sich exponentiell steigert – und dennoch manchmal widersprüchlich bleibt.“ Nach allem, was wir wissen…“, hieß es oft. Das Institut habe „aus Fehlern gelernt und das ist entscheidend“, sagt Gerd Gigerenzer. Klar ist: Politik hätte gerne Gewissheiten, statt Wahrscheinlichkeiten. Ein Verdacht liegt allerdings nahe: Wer immer wieder unterstellt, wie uneins sich „die Wissenschaftler“ sind, will sich eventuell von den wissenschaftlichen Empfehlungen befreien, weil er gegenteilige politische Maßnahmen präferiert und Sonderinteressen verfolgt. So werden, willentlich oder nicht, Zweifel gegenüber der Wissenschaft erzeugt, der Boden auf dem Verschwörungsideologien bestens gedeihen.
2020 ist nicht 2015 – der Wind hat sich gedreht
Während die AfD mit ihrer Camouflage ab 2015 relativ erfolgreich war, blieb ihr 2020 der Erfolg bisher versagt; auch weil Politik und viele Medien mit den politischen und mörderischen Folgen der verharmlosend als „Rechtspopulismus“ bezeichneten Politik dieser Partei in den letzten zwei Jahren konfrontiert wurden und dazu gelernt haben, namentlich CDU/CSU. Vor allem die CSU habe, so der Generalsekretär Markus Blume kürzlich in einem Beitrag in der Zeit, ihre „Lektion aus dem Jahre 2018 gelernt“. Blume: „Du musst auf der hellen Seite stehen, brauchst einen klaren Kurs der bürgerlichen Mitte. Und vor allem: „Du kannst ein Stinktier nicht überstinken.“ Zu lange wurde rechte Gewalt in Deutschland von CDU/CSU unterschätzt. Mit der Entlassung von Hans-Georg Maaßen, heute Mitglied der rechtskonservativen Werteunion, und der Ermordung von Walter Lübcke, kam eine weitere politische Zäsur.
Schaut man sich Maaßens Kommentare bei Twitter an, wundert man sich. Beispielsweise gehe es bei dem vom rot-rot-grünen Senat beschlossenen Antidiskriminierungsgesetz „nicht um Antidiskriminierung“, mutmaßt der ehemalige Verfassungsschützer. „Die Zerstörung oder Lahmlegung ‚bürgerlicher Institutionen‘“, orakelt Maaßen, „diene dem Ziel der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft.“ Heute wirkt diese Kalte-Krieg-Propaganda, überholt.
Im rechten Milieu wiederum diskreditiert man vielfach jede soziale, ökologische und humane Idee als Unheil und konstruiert einen Gegensatz zwischen Freiheit und Menschenrechte+Sozialstaat, der das Grundgesetz nicht vorsieht. Linksradikale werden mit Linken, Sozialdemokraten und Grünen, in einen Topf geworfen und einen blutigen Jokobinismus unterstellt, den diese unter dem Denkmantel des Antifaschismus zelebrierten. Der neue Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang nimmt die rechtsextremistische Bedrohung sehr ernst. Zwei Wochen nach dem Mord erklärte der Bundesinnenminister, dass in Deutschland die größte Gefahr vom Rechtsextremismus ausgehe. Dem Mord kommt laut Bundesgerichtshof ein „gesamtstaatliche Bedeutung“ zu.
Die Gefahr eines „vagabundierenden Autoritarismus“ bleibt virulent
Erst die AfD selbst, dann der Wechsel der Spitze des Verfassungsschutzes und nun Corona, haben die AfD vorübergehend ins Abseits befördert. Bis auf die von der Kanzlerin kritisierten „Öffnungsdiskussionsorgien“ um die schnellsten Lockerungen fand die Partei keinen Anknüpfungspunkt die allgemeine Stimmung ins Wanken zu bringen. Lange wirkte sie hilflos, aktuell ist sie dabei sich zu zerlegen. Noch wartet man auf ein „Geschenk“ wie 2015. Vielleicht entpuppen sich die Ereignisse in Stuttgart und der unsägliche Artikel in der taz zu so einem Geschenk? Man meint die Sektkorken bei der AfD knallen zu hören.
In der Corona-Krise kann es vor und mit der zweiten Welle noch zu ganz anderen Bündnissen und Wahlergebnissen kommen. Vertrauen in Merkels Regierung kann wieder in Mistrauen umschlagen. Wer glaubt, dass das Problem AfD sich mit Corona erledigt hat, der irrt. Die hohe Akzeptanz der staatlichen Corona-Maßnahmen trägt ein Janus-Gesicht. Sie ist nicht allein Ausdruck der Vernunft, sondern, so paradox das klingen mag, Ausdruck der Bereitschaft der Unterwerfung des „vagabundierenden Autoritarismus“, weil es ums eigene Überleben ging. Dieser ist nach wie vor gefährlich, „Einstellungen können latent sein oder manifest geäußert werden, aber sie bleiben über die Zeit stabil“, heißt es in der Leipziger ‚Mitte‘-Studie 2018/2019. In den letzten Jahren haben eine deutliche Polarisierung und Radikalisierung stattgefunden. Zudem sei ein großer Teil der jungen Menschen bereit, Gewalt anzuwenden. Gleichwohl steht die übergroße Mehrheit der Deutschen zur Demokratie.
Gewalt gegen die Polizei ist mit nichts zu rechtfertigen, sie ist immer Gewalt gegen Menschen, gegen Repräsentanten des Rechtsstaates und gegen die Demokratie. Gleichwohl darf nicht zu rechtfertigende Gewalt von Polizisten gegen Menschen, egal welcher Hautfarbe, weder verharmlost noch unbestraft bleiben. Empathie und Mitgefühl gilt es nicht nur gegenüber Polizisten, sondern auch gegenüber Bürger*innen zu zeigen, wenn deren Rechte und Würde mit Füßen getreten werden. Wir wissen auch: Hass fällt nie vom Himmel, sondern hat Ursachen. Diese lassen sich nicht wegsperren, man muss sie erkennen und vernünftig bearbeiten.
Ein Schlüssel für die Antwort scheint der angestaute Frust wegen des Corona-Lockdowns, ein erhöhter Testosteron- und Alkoholpegel und der sich angesammelte Hass auf die Polizei zu sein, wie verschiedene Jugendliche berichten: Die Stimmung im Schlosspark habe sich in den vergangenen Wochen hochgeschaukelt. Keine Maske, kein Abstand und Alkohol. Einmal sei er an einem Tag dreimal von der Polizei kontrolliert worden, erzählt Erion. Luciano ergänzt: „Die schauen genau auf Typen wie uns. Leute, die gern mal einen Joint spliffen. Sie wissen schon, Kanaken halt.“ War nicht schon längst mit solch einem Ausbruch von Aggression nach einem über dreimonatigen Lockdown, der besonders jungen Menschen viel abverlangte, zu rechnen? Haben es nicht schon andere auf ihre Art und Weise vorgemacht? Fand nicht erst kürzlich auf dem Cannstatter Wasen die größte Massendemonstrationen gegen die sogenannte „Corona-Diktatur“ statt? Die Grundrechte würden unzulässig verletzt, erklärte der Veranstalter von „Querdenken“ Michael Ballweg. Viele schätzten das Coronavirus als nicht so gefährlich ein. Rief man nicht zum Widerstand gegen Merkels Corona-Politik auf? Sind die Randalierer von Stuttgart nicht eher die wild gewordenen Kinder von Cannstatt – der Hetzer aus dem rechten- und verschwörungsideologischen Milieu sowie Opfer des Lockdown? Die AfD sieht hier naturgemäß keinen Zusammenhang.
Führt Stuttgart und der unsägliche Artikel in der taz zur Reanimation der AfD?
Wie erwartet, nutzt die AfD die Ausschreitungen in Stuttgart, um sich als Saubermann des Rechtsstaates in Szene zu setzen. Gauland, Brandner, von Storch und Weidel wittern Beute. „Das Gewaltmonopol des Staates ist nicht verhandelbar. Es ist entscheidend für das Funktionieren unseres Rechtsstaates“, erklärte Gauland. Die Sündenbock-Partei scheint ihre Rolle wiedergefunden zu haben. Noch vor den Ergebnissen der polizeilichen Untersuchungen werden Ursachen und Schuldige benannt: Merkel, Grüne, Linke und die Antifa. Wer sonst! Das alt bekannte Programm. Die „Kuschelpolitik der Altparteien“ seien, twittert Stephan Brandner „für den Straßenterror in #Stuttgart verantwortlich.“ „Das ist das Ergebnis einer ungeregelten, illegalen #Einwanderungspolitik aus gewaltaffinen Gesellschaften, die auf unseren Rechtsstaat pfeifen“, twitterte Weidel am 23. Juni. Noch am gleichen Tag twitterte sie: #Linksextremismus darf nicht länger verharmlost werden! #Stuttgart #AfD #Migrantifa #Antifa. Linksextremisten mit Migrationshintergrund? Der Rundumschlag wird noch besser: Für Alice Weidel seien diese „Schläger und Plünderer“ keine ‚Partyleute‘“, wie sie in der Jungen Freiheit am 22. 06. versichert. Grüne, Linke und SPD hätten die Polizei „durch haltlose Unterstellungen und Generalverdächtigungen de facto zum Freiwild gemacht wird.“ Die Wurzeln lägen aber tiefer. Der „Rassismus“-Generalverdacht gegen die „Mitte der Gesellschaft“ im allgemeinen und die Polizei im besonderen (Original) sei der rote Faden des Kampfes „gegen rechts“, der in Wahrheit ein Kampf um die politische Hegemonie“ sei, wobei die „kulturmarxistische Linke dieses perfide Spiel auf die Spitze getrieben“ habe.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn Profiteure der Verrohung „Strafanzeige wegen Volksverhetzung“ stellen, aktuell gegen die taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah. War es nicht von Storch, die 2016 die deutsche Polizei an der Grenze auch auf Frauen und Kinder schießen lassen wollte? Wollte nicht Gauland 2017 die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz „in Anatolien entsorgen“? Ist es nicht die völkische AfD, die missliebige Minderheiten auszugrenzen sucht? Verfügen nicht Teile der AfD verfassungsschutzgemäß verbrieft über ein „Fascho-Mindset“
In der Psychologie nennt man das Projektion. Es ist zeugt von ideologischer Verblendung davon auszugehen, dass die Jugendlichen aus Stuttgart Linksextremisten seien und den Text aus der taz als Blaupause für die Randale genommen hätten. Horst Seehofer sieht von einer Anzeige, wohl nach Rücksprache mit Merkel, ab. Er lädt die taz ins Innenministerium ein, weil sie „zur Verrohung der Gesellschaft beigetragen“ habe. Hauptsache, Seehofer verliert nicht den klaren Kurs der bürgerlichen Mitte! Aber warum wurden nicht schon längst Compact, Sezession, der Kopp-Verlag, Pi-News (Politically Incorrect), usw. eingeladen? Während weltweit gegen rassistische Übergriffe und Polizeigewalt demonstriert und über neonazistische Strukturen in der Polizei und Bundeswehr diskutiert wurde, ist nach Stuttgart damit zu rechnen, dass jetzt Forderungen nach mehr Polizei, mehr Überwachung, härteren Strafen und nach dem Verbot der sogenannten Antifa, die es als Organisation gar nicht gibt – von Ende Gelände, FFF, EX, Greenpeace, Umwelthilfe, über die Grüne Jugend, bis zu antifaschistischen Initiativen, gar die Linke, die Grünen und die SPD, laut werden. Ob der AfD diese staats- und demokratiezersetzende Politik bei der Bundestagswahl nutzt wird sich zeigen.
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Bruno Heidlberger
*1951,1987 Promotion zum Dr. phil., Studienrat für Politik, Philosophie. Geschichte, Lehraufträge an der TU Berlin und derzeit an der MHB Brandenburg. Autor. Aktuell: „Wohin geht unsere offene Gesellschaft? 1968‘ – Sein Erbe und seine Feinde“, Logos Verlag Berlin 2019, Verfasser von Essays und Rezensionen in philosophischen und politischen Fachzeitschriften. Einen ausführlichen Text mit dem Titel: „Fluchten ins Autoritäre im Lichte aktueller Entwicklungen. Die Verletzlichkeiten der modernen hochtechnologischen Welt und ihre Mängel – Die Natur schlägt zurück, Teil 1“ erscheint demnächst in Aufklärung und Kritik 4/2020 (Hg. Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg).
Hallo Derblondehans,
Peter Heller, den Sie zitieren, schreibt auf Tichys Einblick
„Ein wohl historisch beispielloser Akt der Entmündigung, den nicht einmal die schlimmsten Diktatoren der Vergangenheit und Gegenwart je in Erwägung gezogen haben.“
Sie kennen sicher die deutsche Unrechtsgeschichte von 1933-45. Warum zitieren Sie dann einen solchen Satz?
Der Lockdown in Deutschland war weltweit einer der sanftesten und erfolgreichsten. Frau Merkel wollte, dass die Menschen weitgehend freiwillig mitziehen. Sie wissen sicher auch, dass in China, Frankreich, Italien oder Spanien der Lockdown viel härter war als in Deutschland.
War der Rechtsstaat in Deutschland außer Kraft? Im März warf Schäuble die Frage auf, ob man ein Notparlament wie für den Kriegsfall einberufen soll. Die Fraktionen lehnten ab und sprachen sich für befristete Notfallregelungen aus. Tage zuvor telefonierte Merkel mit allen Fraktionsvorsitzenden, auch mit denen der AfD, und unterrichtete sie über die Regierungspläne. Nicht die Regierung hat Staatsstreichs artig, sondern das Parlament hat am 27. März, ohne dass hierbei jemand bedroht oder unter Druck gesetzt wurde, den Pandemie-Notstand („Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“) ausgerufen. Auch die AfD hat zugestimmt und sich unter die Fittiche des Rechtsstaates begeben.
Die Krise ist die Stunde der Exekutive. Einige Freiheitsrechte wurden richtiger- und vernünftigerweise außer Kraft gesetzt, um das Grundrecht auf Leben zu schützen. Das ist Aufgabe und Pflicht unseres Rechtsstaates. Diese Aufgabe hat er, trotz einiger Fehler, sehr gut erfüllt. Schauen Sie im Vergleich dazu auf die USA. Ein parlamentarischer Notstand existierte aber nie. Vielmehr hat das Parlament weiterhin getagt und Gesetze beschlossen. Auch waren nicht alle Grundrechte außer Kraft. So zentrale Grundrechte, wie Meinungs- und Pressefreiheit, waren weiterhin in Kraft. Wie wirksam der Rechtsstaat funktionierte, zeigt auch Stuttgart. Dort hob das Bundesverfassungsgericht wie zuvor in Gießen das Verbot einer Demonstration auf.
Bei Correctiv Recherche für die Gesellschaft heißt es: „Ein Grundrechtseingriff ist nicht, weil es ein Grundrechtseingriff ist, per se rechtswidrig“, sagt Sigrid Wienhues, Fachanwältin für Verwaltungsrecht und Vorsitzende des Ausschusses für Verwaltungsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Maßgeblich sei vielmehr, dass der Eingriff gerechtfertigt sei….Trotz aller Kritik finden sich unter den Experten nur sehr wenige, der in der Novelle tatsächlich eine massive Erosion des Rechtsstaats sieht. Vereinzelt gibt es Juristinnen wie Beate Bahner, die mit eben dieser Behauptung viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sigrid Wienhues ärgert sich darüber, dass manche damit „möglicherweise zusätzlich zur Verunsicherung beitragen“.
https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/05/15/rechtsstaat-ende-juristen-corona-massnahmen
Hallo Herr Haupts, der Satz
„Ob der AfD diese staats- und demokratiezersetzende Politik bei der Bundestagswahl nutzt wird sich zeigen,“ ist in der Tat der den Text zusammenfassende Schlusssatz und bezieht sich auf die gesamte AfD-Politik. Natürlich nicht auf Forderungen nach mehr Polizei usw. Zur Vermeidung von Unklarheiten hätte ich besser statt „diese“ „ihre“ schreiben sollen.
… nun, werter Hr. B.H., schon beim Teaser ‚… starke Rechtsstaat‘, entschlüpfte meinem Hamster mal wieder ein Bäuerchen, ich zitiere, damit erspare ich mir die Mühe eigene Sätze zu formulieren; ‚… da wird dann eben handstreichartig und ohne Möglichkeit der Gegenwehr ein ganzes Land sozial und ökonomisch paralysiert, werden Grundrechte ausgesetzt, wird massiv in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen. Ohne mit der Wimper zu zucken, formulieren Landesminister und ihre Verwaltungsbeamten Verordnungen, die selbst bekannte dystopische Zukunftsromane in den Schatten stellen. „Zwischen Personen ist im öffentlichen und privaten Bereich grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.“, schreibt beispielsweise das Land Brandenburg seinen Bürgern wortwörtlich vor und in den anderen Bundesländern gelten ähnliche Regeln. Ein wohl historisch beispielloser Akt der Entmündigung, den nicht einmal die schlimmsten Diktatoren der Vergangenheit und Gegenwart je in Erwägung gezogen haben.‘
Na ja.
Das ist der mit Abstand unstrukturierteste, ziel-loseste und gedanklich undisziplinierteste Beitrag, den ich in dem guten Jahr seit meiner Entdeckung dieses Blogs lesen konnte.
Pars pro toto:
„… dass jetzt Forderungen nach mehr Polizei, mehr Überwachung, härteren Strafen und nach dem Verbot der sogenannten Antifa, … laut werden.“
Möglich, wahrscheinlich, was auch immer. Nur fehlt da jeder, absolut jeder, Zusammenhang zu dem Folge- und Abschlussatz:
„Ob der AfD diese staats- und demokratiezersetzende Politik bei der Bundestagswahl nutzt wird sich zeigen.“
Äh … Warum Forderungen nach mehr Polizei, mehr Überwachung und härteren Strafen demokratie- und staatszersetzend sein soll, erschliesst sich mir nicht auf Anhieb? Umso weniger, als genau solche Forderungen integraler Bestandteil der Verlautbarungen von z.B. GRÜNEN und LINKEN sind. Nur dass es dann um sogenannte „Hassrede“, „Fake News“, „Rassismus“, „Sexismus“ oder sonstige Anliegen der modernen Linken geht. Und nicht um physische Gewalt- und Zerstörungsorgien.
Sind diese Forderungen jetzt also auch demokratie- und staatszersetzend?
Man weiss es nicht, weil Herr Heidelberger zu faul war, den nach seinen Kernargumenten folgenden endlosen Nebensatzabschweifungen entweder noch eine kurze Erklärung folgen zu lassen, warum die Forderung nach mehr Polizei staatszersetzend sein soll. Oder einen Absatz einzuschieben, der den Vorwurf der Demokratier- und Staatszersetzung zusammenfasst und erst dann mit seinem Abschlussatz zu enden.
na ja – ein Rechtsstaat im strengen Sinne des Wortes sind wir zurzeit nicht. Das InfSchG ist zwar parlamentarisch legitimiert, aber es ermächtigt die Exekutive des Bundes und der Länder zu erheblichen Einschränkungen der Grundrechte. Bis zum 20.April hielten sich auch Gerichte zurück. Ob der Staat, sprich die Länder „stark“ sind, ist Beurteilungsfrage. Eigentlich hätte Spahn und das RKI die Gesundheitsämter so ausstatten müssen (und sei es nur mit Geld des Bundes), dass sie drohende Hotspots durch präventive Tests identifizieren können. Bei den Schlachthöfen ist das – jedenfalls nicht in NRW – tatsächlich geschehen. Beauftragt werden können auch private Labore. Es fehlt immer noch an genügend Test-Kapazität. Der schnelle Griff zur Bundeswehr war sehr problematisch.
Deutschland ist gut durch die Krise gekommen, nicht weil der Staat so gut war, sondern weil das Gesundheitssystem relativ gut ist und die Intensivmediziner großartig reagiert haben und sich sehr schnell fortgebildet haben. Auch haben sie sich sehr gut vernetzt (vgl. etwa das Portal von Prof. Gernot Marx – Uniklinik Aachen).
Also einen besonders starken RECHTSSTAAT haben wir zurzeit nicht gerade. Es sind exekutive Staatsaktionen von höchst unterschiedlicher Qualität, die wir gerade erleben.
Wer die läge nur – in Abgrenzung von der AfD – analysiert, greift sehr kurz!