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Ein erinnerungskultureller Schwächeanfall – Die Patriotismus-„Probleme“ des Thomas de Maizière

Der Bundesinnenminister hat in der „BILD am Sonntag“ einen Zehn-Punkte-Katalog zum Thema „Leitkultur“ veröffentlicht. Sein Essay konstruiert deutsche Identität als Gegenentwurf zu plumpen Islam-Klischees. Doch der eigentliche Sündenfall ist seine relativierende Sicht auf die NS-Vergangenheit. 

Er wollte doch nur eine „Debatte“ in Gang bringen. So begründet Thomas de Maizière seine zehn Thesen zur deutschen „Leitkultur“, die er am Sonntag doppelseitig in der BamS ausbreitete. Doch leider erzeugte sein bizarrer Identitäts-Katechismus in erster Linie Spott – und scharfe Kritik, die mit ebenso scharfen Gegenangriffen gekontert wurde: „Nicht, was Thomas de Maizière gesagt hat, ist ein Skandal, sondern, das, was jetzt daraus gemacht wird“, erklärte CDU-Vize Julia Klöckner. Damit könnte der letzte Akt des Dramoletts beginnen: Nochmaliger Aufzug des Chors der Empörten, Finale Furioso, und dann Bühne frei für die nächste Wahlkampf-Posse.

Doch es gibt tatsächlich Diskussionsbedarf. Denn was der Bundesinnenminister vorgelegt hat, ist skandalös.

Der Text ist nicht nur nationalüberheblich in seiner Konstruktion deutscher Tugenden, die „uns von anderen unterscheide(n)“, und latent islamfeindlich in dem Sinne, dass das Deutsche unschwer erkennbar in Abgrenzung von einer einzigen Kultur bzw. Religion definiert wird, wenn es heißt: „Wir sind nicht Burka.“ „Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“ Oder: „Wir verknüpfen Vorstellungen von Ehre nicht mit Gewalt“. All das bietet Angriffsfläche, denn es bekräftigt längst bestehende Ressentiments und fragwürdige „Gehört nicht zu Deutschland“-Konzepte wie sie die Rechtsaußen-Konkurrenten von der AfD propagieren. Der Flirt mit populistischen Islam-Klischees ist keinesfalls neu im Repertoire der etablierten Parteien – genauso wenig wie die krypto-identitäre „Leitkultur“-Debatte, die alle Jahre wieder von den Toten aufersteht.

Nein, neu und fassungslos machend ist die nonchalante Art und Weise, wie der Bundesinnenminister seine normativen Identitäts-Entwürfe mit beschönigendem Geschichtsrelativismus verbindet – so augenfällig, dass es schwerlich als stilistischer „Unfall“ durchgehen kann.

Raunende Platzhalterrhetorik statt plastisches Erinnern

De Maizière schreibt blumig, ja: richtiggehend lyrisch über die identitätsstiftende Prägekraft der deutschen Vergangenheit. Doch kann er sich im Parlando-Fieber weder zu einer expliziten Erwähnung der Nazi-Zeit noch zu einer Nennung des Begriffs „Holocaust“ (o. Ä.) durchringen. Stattdessen erschöpft sich das Erinnern in einem schwammigen „Bekenntnis“ zu deutschen „Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen“, gefolgt von einem bach- und goethegesättigten Hohelied auf die deutsche „Kulturnation“, das sich zu der Behauptung versteigt: „Kaum ein Land ist so geprägt von Kultur und Philosophie wie Deutschland.“

Das ist befremdlich und klingt verdächtig nach AfD, die die angebliche Fixierung auf die „Zeit des Nationalsozialismus“ zugunsten einer „erweiterten Geschichtsbetrachtung“ einschließlich der „positiven, identitätsstiftenden“ Vergangenheits- „Aspekte“ aufbrechen will. So steht es im Grundsatzprogramm der Partei und so wird es von AfD-Politikern wie Jörg Meuthen oder Alexander Gauland immer wieder mantrahaft eingeklagt.

Das Perfide dieser vermeintlich harmlosen Forderung liegt darin, dass der Fokus auf das monumentale Ganze die Wahrnehmung verzerrt – genauso wie das Verwenden von möglichst banalen und abstrakten Platzhaltern für die Gräuel der NS-Zeit. Das zeigt sich mustergültig in der AfD-Formel von den „zwölf Jahren“, die den Nationalsozialismus und seine Verbrechen sowohl quantitativ als auch qualitativ verharmlost, jedes Mal, wenn ein AfD-Politiker die Chiffre scheinbeiläufig in die Öffentlichkeit trägt. Die NS-Diktatur wird mithilfe dieses „Framings“ zur Episode geschrumpft und zugleich entpersonalisiert und entdramatisiert. Die Schuld der Täter und das unermessliche Leid der Opfer verlieren ihre Gestalt und degenerieren zu einem aus allen Kausalzusammenhängen herausgelösten Raunen im Hintergrund.

Gleiches gilt – mit Abstrichen – für de Maizières weichzeichnenden Exkurs über die deutschen „Höhen und Tiefen“, der nur an einer Stelle halbwegs konkret wird: Dort, wo das besondere „Verhältnis zum Existenzrecht Israels“ auf sperrige Weise zur Sprache kommt.

NS-Verbrechen und andere Patriotismus-„Probleme“

Am deutlichsten zeigt sich das verstörende Geschichtsbild des Bundesinnenministers jedoch in Leitsatz 8. Darin feiert de Maiziere die Deutschen als „aufgeklärte Patrioten“ und stellt fest: „Ein aufgeklärter Patriot liebt sein Land und hasst nicht andere“. Das allein ist grenzwertig, denn wenn erst Hass den „Patriotismus“ in hässlichen „Nationalismus“ verwandelt, kann so einiges als „patriotisch“ durchgehen, was den verharmlosenden Namen nicht ansatzweise verdient. Zum Beispiel Björn Höcke und andere neurechte „Ethnopluralisten“, die sich reinen Gewissens als „Patrioten“ bezeichnen. Motto: Wir hassen und bekriegen fremde Völker nicht, wir lieben sie. Und weil wir die kulturelle Vielfalt lieben, muss jede Kultur ihr „Eigenes“ an ihren eigenen Ort bewahren, was in letzter Konsequenz bedeutet: Deutschland den Deutschen. Also: denen, die schon seit Generationen hier sind.

Dass die „Patriotismus“-Definition des Bundesinnenministers solchen Feinden des Pluralismus Schlupflöcher bietet, kann im Zweifelsfall noch als Fahrlässigkeit durchgehen. Nicht durchgehen kann dagegen die Art und Weise wie de Maizière seine unbeholfene Unterscheidung zwischen „gutem“ Patriotismus und schlechtem „Nationalismus“ verharmlosend über die NS-Zeit stülpt. Das klingt dann wie folgt: „Ja, wir hatten Probleme mit unserem Patriotismus. Mal wurde er zum Nationalismus (!), mal trauten sich viele nicht, sich zu unserem Land zu bekennen.“

Nein, so will man dagegenhalten, die Nazi-Diktatur war mehr, weit mehr als eine bloße Abweichung von der patriotischen Norm, die zusammen mit dem labilen Nachkriegsbewusstsein der Deutschen unter „Probleme mit unserem Patriotismus“ abgespeichert werden kann. Sie war singulär monströs. Sie war Weltkrieg und industrieller Massenmord – und in der Anerkennung dieser Verbrechen und der daraus erwachsenen Schuld liegt der alleinige Grund dafür, warum die Deutschen nach 1945 nicht mehr ganz so unbefangen deutsche Fahnen schwenkten.

Was genau aber will de Maizière den BILD-Lesern mitteilen, wenn er schreibt: „…mal trauten sich viele nicht, sich zu Deutschland zu bekennen“? Spricht er von Einschüchterung? Wenn ja: durch wen? Oder waren die Nachkriegsdeutschen nach Ansicht des Innenministers einfach nur zu schüchtern, um in Sachen Nationalstolz ganze Arbeit zu leisten, womöglich gar: schuldkomplexbehaftet?

Hier werden durch ebenso unscharfe wie andeutungsreiche Formulierungen neuralgische Assoziationen getriggert, im konkreten Fall: Ideen von verordneter und einengender Vergangenheitsbewältigung. Doch es kommt noch schlimmer: Gleich im nächsten Satz konstatiert der Minister mitten im Angesicht der rechtspopulistischen Bedrohung: „Alles das (i. e. der Nationalismus und die nationale Scham) ist vorbei“.

Ein Bundesminister zieht den Schlussstrich

So klingt Schlussstrich-Rhetorik von einem Mitglied der Bundesregierung – und sie zeigt eindrücklich, wie verlogen und selbstimmunisierend die Gleichsetzung von NS-Relativierung und „rechter Rand“ in Wahrheit ist. Denn der Ruf nach einem „Ende“ der Schuld, nach nationaler Regeneration und einer „Normalisierung“ des Blickes auf den Nationalsozialismus war in der Vergangenheit bereits mehrfach in der Lage, Schnittmengen zwischen der Neuen Rechten und Teilen der bürgerlichen „Mitte“ zu schaffen.

So war es Mitte der Achtziger, im Zuge des „Historikerstreits“ um Ernst Nolte und die vermeintliche „Vergangenheit, die nicht vergehen will“. So war es kurz nach der Wiedervereinigung, als konservative und neurechte Intellektuelle erneut den Schlussstrich forderten, diesmal unter dem Schlagwort der „selbstbewussten Nation“, und so war es auf dem Höhepunkt der Kontroverse um das Holocaustmahnmal, als Martin Walser in seiner Friedenspreisrede gegen die „Moralkeule“ Auschwitz polemisierte.

Doch es gibt auch neuere Belege für den weit verbreiteten Wunsch nach tabula rasa: So ergab eine Bertelsmann-Studie aus dem Jahre 2015, dass 81Prozent der Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen“ wollen.

Dennoch (oder gerade deshalb?) versucht der amtierende deutsche Innenminister mitten im Wahljahr 2017 mit „Geschichtsrevisionismus light“ zu punkten – sei es aus bloßer Taktik, um nationalkonservative Wähler zurückzugewinnen, oder aber aus echter Überzeugung. Das ist skandalös und verantwortungslos – zumal die Voraussetzungen für eine „erinnerungspolitische Wende“ selten so günstig waren wie dieser Tage, da die Globalisierungsangst und die verstärkte Migration allenthalben das Bedürfnis nach nationaler Identität stärken – und rechtspopulistische „Bewegungen“, die daraus Kapital schlagen.

Gegenwärtig versuchen autoritaristische Parteien in ganz Europa, die Nationalgeschichte ihrer Länder von unerwünschten Kapiteln zu reinigen und auratische Traditionen für eigene Zwecke zu kapern. Auch die deutschen Rechtspopulisten üben sich in dieser Disziplin – im stillen Vertrauen darauf, dass die viel beschworene „Zivilgesellschaft“ auch in diesem Punkt anfälliger ist, als es vordergründig den Anschein macht.

AfD-Politiker aller Schattierungen wissen: Holocaustleugnung und Loblieder auf die Nazis sind tabu und verschrecken die Bürger. Doch mit dem Glattbügeln, Totschweigen und Kleinreden des Zivilisationsbruchs lassen sich mithin auch in der „Mitte“ der Gesellschaft politische Gewinne einfahren – vorausgesetzt, man interpretiert das revisionistische Thema in der Kuschelrock-Variante statt das Juste Milieu in bester Höcke-Manier mit völkischem Thrash Metal zu überrollen.

Fatale Normalitätsverschiebung

Thomas de Maizières Zehn-Punkte-Katalog trägt dazu bei, derartige Vorstöße vom Stigma des „Extremen“ zu befreien und relativierende Sichtweise auf die NS-Zeit unter dem Stichwort „Leitkultur“ salonfähig zu machen. Damit begeht er einen Sündenfall sondergleichen – und begünstigt, was der Soziologe Wilhelm Heitmeyer im „Tagesspiegel“ (3. Februar 2017) unter dem Stichwort „Normalisierungsverschiebung“ beschrieben hat: die schrittweise Gewöhnung an ehemals tabuisierte politische Inhalte, die – einmal in der Mitte des gesellschaftlichen Diskurses angekommen – möglicherweise „bald nicht mehr problematisiert werden können, weil sie unter anderem von der AfD auf den Weg gebracht und von anderen Parteien zum Teil aufgesogen werden“, so dass schließlich ein „undurchdringliche(r) Normalitätspanzer“ entsteht.

Vor nicht allzu langer Zeit taugten Äußerungen, wie sie de Maizière in der BamS ausbreitet, noch für einen Aufschrei. Inzwischen muss der Tabubruch als grelle „Nazi-Rede“ daherkommen, um als solcher erkannt zu werden.

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6 Gedanken zu “Ein erinnerungskultureller Schwächeanfall – Die Patriotismus-„Probleme“ des Thomas de Maizière;”

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    Wie erwartet, glaubt wirklich niemand im ganzen Land, dass dies eine ernste Diskussion werden sollte. Und das schlimme ist, es wurde auch keine. Der deutsche Innenminister schreibt Thesen über das Zusammenleben und niemand nimmt ihn ernst. Es gab ein paar Kommentare (wie diesen), die das Thema ernst aufgreifen wollten, aber in der Breite empfindet niemand den Innenminister als Ideengeber. Es ist ernüchternd, wie wenig Inspiration der Diskurs aus der Regierung zieht.

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    Ein Hinweis auf den aporetischen Charakter des Begriffs der Leitkultur sei erlaubt. Was berechtigt eigentlich dazu, von „Wir“, „Uns“ überhaupt zu reden, bei einer Familie oder einer Gruppe dürfte das einfach sein. Aber bei einer Gesellschaft? Schon die Vertragstheorien krankten daran, daß der meist fiktive oder auch manchmal reale Konsens ja schon voraussetzt, was es erst begründen soll, nämlich daß gesichert sei, daß sich alle daran halten wollen bzw. werden. Wenn es das wäre, müßte man ja gar keinen Vertrag mehr herstellen. Das hätte ja nun der Thomas, nicht Hobbes, sondern de Maiziére, ja gern, ungeschriebene (und das meint ja wohl auch ungesagte überhaupt) Regeln. Wenn diese ja nun nicht durch gesatztes Recht zustande kommen, können es ja nur moralische Regeln sein, also Normen als „kontrafaktische Verhaltenserwartungen“. Da sie nun nirgends geschrieben stehen weder in Torah, Bibel oder Koran, wo sollen sie denn herkommen. Sie müßten a priori – also auch unabhängig von Geburt, Sozialisation – sein, dann aber sind sie so universell, daß sie keineswegs so etwas wie eine Exklusion beinhalten. Der Soziologe Max Weber wußte schon, daß empirisch – etwa aus gemeinsamer Geschichte, Sprache usw. – gar nicht sich ermitteln läßt, was „Nation“ ist:
    „»Nation« ist ein Begriff, der, wenn überhaupt eindeutig, dann jedenfalls nicht nach empirischen gemeinsamen Qualitäten der ihr Zugerechneten definiert werden kann. Er besagt, im Sinne derer, die ihn jeweilig brauchen, zunächst unzweifelhaft: daß gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidaritätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei, gehört also der Wertsphäre an. Weder darüber aber, wie jene Gruppen abzugrenzen seien, noch darüber, welches Gemeinschaftshandeln aus jener Solidarität zu resultieren habe, herrscht Uebereinstimmung.“ (Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft S. 528)

    Dies im Kopf lese man die Basis-Aussage von unseren Thomas de Maizière:
    „Ich finde den Begriff „Leitkultur“ gut und möchte an ihm festhalten. Denn er hat zwei Wortbestandteile. Zunächst das Wort Kultur. Das zeigt, worum es geht, nämlich nicht um Rechtsregeln, sondern ungeschriebene Regeln unseres Zusammenlebens. Und das Wort „leiten“ ist etwas anderes als vorschreiben oder verpflichten. Vielmehr geht es um das, was uns leitet, was uns wichtig ist, was Richtschnur ist. Eine solche Richtschnur des Zusammenlebens in Deutschland, das ist das, was ich unter Leitkultur fasse.“(Thomas de Maizière)
    Der Rest sind assertorische Urteile oder anders gesagt: bloße Versicherungen, die das Gegenteil nicht ausschließen, da nützt die Wiederholung und Aufzählung weiterer, vielleicht begleitet durch Aufstampfen mit dem Fuß, rein gar nichts.
    Solche Regeln des Zusammenlebens bedarf es doch nur deswegen, weil ein Bewußtsein davon existiert, daß es auch Menschen gibt, die anders sich verhalten. In der Antike entstand deswegen eine moralische Reflexion, die das „Naturgemäße“ zum Prinzip hatte, während anderswo schon Zivilisation (=Kultur) entstand, die das über das animalische Dasein des Menschen hinausgehende beinhaltete, die gerade die Verbesserung der Welt (tikkun olam) als geistiges Prinzip hatte. In dem Sinne haben Freud oder Marx etwas der Naturidolatrie entgegengesetzt.
    Asiatische Spezialitäten wie Sauerkrat, die südamerikanische Kartoffel, das babylonische Bier, das in der Antike im ganzen Mittelmeerraum seine Liebhaber hatte, als die „Germanen“-Invasion ins (west)römische Reich stattfand, sind exotische Speisen und Getränke, die den Deutschen unbekannt sein müßten. Daß man jemanden damit beleidigen will, wenn man den Händedruck nicht erwidert, ist weniger Ausdruck von Kultur, als strategisches Handeln, das von oben kommt und das Interesse beinhaltet an einem bestimmten Bild von Fremden und Eigenen festzuhalten, um die Gefolgschaft bei der Stange zu halten und funktioniert auch nur solange jemand sich dabei beleidigt fühlt. Angesichts der Übertragung von Grippe vor allem durch Händeschütteln, vielleicht bei Epidemien nicht mal angebracht. Aber de Maizière dachte wohl mehr an ein Fall, wo die Verweigerung politisch-strategisch gemeint war. Da gleich mit Leitkultur aufzuwarten, ist übertrieben, solche Dinge würden sich von selbst erledigen, wenn die Menschen miteinander umgehen und ist auch nicht viel schwerer wie der Umgang mit anderen Individuen, die man für „Seinesgleichen“ hält. Das ist auch gar nicht das Problem, das de Maizière Unbehagen an „fremder“ Kultur bereitet. Eher doch ist es das, wenn Eltern, die selber keine Kopftücher trugen, zumal das in der Türkei in der Öffentlichkeit verboten war, ihren Töchtern es aufzwingen, weil es Geldprämieren, die aus dem Ausland stammen, dafür gibt. Und ebenso ist es mit Dingen, die die hierlebenden Muslime von sich aus gar nicht tun würden. Statt diese vor dem zu bewahren, was ihnen von anderswo her eingetrichtert wird, sie zu beschützen und ihnen eigenständige Organisation ihrer Lebensverhältnisse zu ermöglichen, sie zu bedrängen und damit Prinzipien zu verletzen, die doch eher als das Gedöhns, das da beispielhaft angeführt wird, eine Demokratie ausmacht, hat ja nun schon ein später Verfassungsrichter gewordener Autor schön formuliert. Der Staat und seine Repräsentanten können den Menschen keine Sitten aufzwingen und haben gar nicht das Recht, ihnen – außer im Falle der Strafe bei Rechtsbruch – die Freiheit zu nehmen. Die meisten werden ahnen, was ich meine:
    „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“(Ernst-Wolfgang Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit. 1976, S. 60)
    Das heißt aber auch, daß der Staat die Bedingungen dafür setzen muß, daß es geht. Einmischungen saudiarabischer Herrschaften auf islamische Gemeinden z.B. wären zu unterbinden, ebenso türkische Einflußnahme auf islamische Organisationen. Wäre es nicht teilweise zu spät, wären eine Reihe von Konflikte, die mit angeblicher Vielheit von Kulturen, gar nicht möglich. Da käme man nur auf unsittliche Ideen, wie die türkische Kaffeekultur zu verbieten (daran erinnert vielleicht das C, A, F, F, A von Emanuel Sebastian Bach), den Arbeitern das (orientalische) Bier und den Köchen das asiatische Sauerkraut und südamerikaische Kartoffel zu verbieten.
    De Maiziére hat allenfalls einen dritten Wahrheitswert verdient, also: nicht richtig, nicht falsch, sondern: aber gut gemeint und potentiell falsch umgesetzt.

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    Vielleicht haben die „Patriotismus“-Probleme des Innenministers ja etwas mit den Wandlungen seines Vaters General a. D. Ulrich de Maizière zu tun. Er repräsentiert ja geradezu vorbildlich problematische Traditionen, aber auch Wendungen der „Wehrmacht – Bundeswehr“ im 20. Jahrhundert.
    Hoffen wir also auf etwas Entspannung bei unserem notorisch verkrampften Innenminister. Würde er dafür sorgen, dass die Flüchtlingskinder alle so schnell wie möglich in Schulen kommen und Azubis – ohne Bleiberecht – ihre Ausbildung hier beenden dürfen, was auch für Erwachsene, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, gelten sollt, dann wäre für diese Menschen „Patriotismus“ nicht so zynisch, wie es das BAmf zurzeit erzwingt. Das ist ja keine Behörde, die durch Führungsstärke auffällt.

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    Don Geraldo bringt es auf den Punkt: ein leicht zu durchschauender Doppelpass!
    Gut dass von der Leyen den Grafen Baudissin und die „Innere Führung“ ins Spiel bringt.
    Damit punktet sie bei potentiellen Wählern und Wählerinnen, denen diese Anbiederung bei Rechten schon lange auf die Nerven geht. Nur der deutlich gealterte Seehofer versteht nicht, dass es „rechts“ von der CSU nun doch Platz gibt, weil eine „Volkspartei“ und Deutschland nicht mehr „Rechts“ punkten kann. Eigentlich ganz gut!

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    Wenn CDU-Politiker von Patriotismus reden ist das doch nur eine Show-Veranstaltung.
    Man spielt Doppelpass mit dem Koalitionspartner der diesen bösen Nationalismus kritisieren darf um damit bei der linken Klientel zu punkten, während die CDU als Sachwalter deutscher Interessen erscheint um fehlgeleitete AfD-Wähler heim ins CDU-Reich zu holen.

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