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Der Herr Kollhoff und der Genosse Ulbricht

Man muss nicht, wie ich, Autor eines „Springer-Blatts“ sein, um es befremdlich zu finden, wenn Walter Ulbricht als Autorität in Sachen Architektur zitiert wird. Doch das tat der für seinen kalten Formalismus berühmte – andere sagen: berüchtigte – Architekt Hans Kollhoff neulich im Berliner „Tagesspiegel“. Der Aufschrei blieb aus.

Kollhoffs Intervention richtete sich gegen den Plan des Berliner Senats, der Wohnungsnot in der Hauptstadt durch den Bau einer Reihe mittelgroßer Siedlungen, die meisten davon am Stadtrand, zu begegnen. Ein Vorhaben, das auch deshalb notwendig wurde, weil die notorisch störrische Berliner Bevölkerung der ursprünglichen Absicht ihrer Stadtregierung, die Randflächen des früheren Flughafens Tempelhof zu bebauen, per Volksentscheid eine Absage erteilt hat. Dabei fehlt es Berlin nicht an Grün, sondern an bezahlbaren Wohnungen, und die Nichtbebauung des Tempelhofer Felds hat die Gentrifizierung in den am Tempelhofer Feld angrenzenden Stadtteilen, etwa Neukölln, beschleunigt und damit die Wohnungsnot vergrößert.
Ob Siedlungen am Stadtrand die richtige Antwort auf Wohnungsmangel in der Stadt sind, darf man natürlich bezweifeln. Gerade weil Berlin genüg innerstädtisches Grün, Industriebrachen und dergleichen hat, wäre eine Verdichtung, wie sie Kollhoff befürwortet, möglicherweise sinnvoller. Freilich gibt die Bürgerbewegung gegen die Bebauung des Tempelhofer Felds einen Vorgeschmack auf die Schwierigkeiten, denen die Stadtregierung bei solchen Vorhaben begegnet. (Von Stuttgart 21 wollen wir gar nicht erst reden.) Laubenpieper, Haus- und Grundstücksbesetzer, Naturschützer, Baulärmgegner, Stadtbildbewahrer, Berufsrevolutionäre und Sozialromantiker gehen in Berlin – aber nicht nur dort – gern Bündnisse ein, um dem Staat das Handwerk zu legen. Demokratie und Rechtsstaat machen es der Exekutiven schwer, einfach durchzugreifen. Da kann einen baulustigen Architekten schon mal eine gewisse Diktatoren-Nostalgie anwehen, zumal wenn er – wie Kollhoff – ohnehin aus ästhetischen Gründen die Gebäude von Architekten aus dem Büro Albert Speer oder vom biegsamen Herrmann Henselmann, der den Nazis und den Kommunisten diente, der Produktion eines Hans Scharoun oder Le Corbusier vorzieht.

Kultur- und raumfremde Architektur
Aber muss man deshalb den Mörder und Mauerbauer Ulbricht zitieren? Selbst wenn das Zitat etwas Wahres ausdrückte, müsste man dafür einen weniger belasteten und belastenden Zeugen finden. Bertolt Brecht etwa hat sich zur Stalinallee geäußert. Aber da er vom „kleinbürgerlichen Geschmack“ der Architektur-Funktionäre sprach, ist er für Kollhoff nicht brauchbar. Es musste also wohl Ulbricht sein. Schauen wir uns aber das Zitat mal näher an. Auf dem Dritten Parteitag der SED sagte Ulbricht am 22. Juli 1950: „Einige unserer Architekten wollten die Hauptstadt Deutschlands verniedlichen durch den Bau von niedrigen Häusern und wollten Gebiete der Innenstadt nach den Richtlinien für Stadtrandsiedlungen bebauen. Der grundsätzliche Fehler dieser Architekten besteht darin, dass sie nicht an die Gliederung und Architektur Berlins anknüpfen, und im Glauben, dass man in Berlin Häuser bauen könne, die ebenso gut in die südafrikanische Landschaft passen.“
Das richtete sich gegen den von Hans Scharoun entwickelten „Generalplan zum Wiederaufbau Berlins“ und die von ihm bereits realisierten „Laubenganghäuser“ an der Frankfurter Allee, die 1949 in Stalinallee umbenannt worden war. Tatsächlich hatte der Generalplan nichts mit der traditionellen Berliner Wohnarchitektur zu tun, die charakterisiert war von Blockrandbebauung mit vierstöckigen Mietshäusern, in deren Hinterhöfen sich oft Fabrikgebäude, Stallungen und dergleichen befanden. Scharoun hatte eine aufgelockerte Bebauung in einer Art Parklandschaft vorgesehen, was Ulbricht als „Verniedlichung der Hauptstadt“ kritisierte.
Außerdem kritisierte der SED-Chef mit dem Seitenhieb gegen Architektur, die „ebenso gut in die südafrikanische Landschaft passen“ würde, die Architektursprache des „internationalen Stils“. Dass Ulbricht von Südafrika sprach, verrät einen Rest historischen Schamgefühls. Denn schon die Nazis hatten diese Architektur als artfremd kritisiert. Die Weißenhofsiedlung in Stuttgart etwa, an der auch Scharoun beteiligt war, nannten die Nazis ein „Araberdorf“. Die Anspielung auf das „Semitische“ dieser Art des Bauens war deutlich. Tatsächlich war die SED-Kampagne gegen Scharoun und seine Mitarbeiter Teil einer großangelegten Kampagne im gesamten sowjetischen Machtbereich gegen den „Kosmopolitismus“, der als Waffe des westlichen Klassenfeinds angesehen wurde; in Russland, Polen und der Tschechoslowakei hatte diese Kampagne deutliche antisemitische und „antizionistische“ Züge. Die Ideen des Bauhauses waren denn auch mitnichten irgendwo in „Südafrika“ verwirklicht worden, sondern etwa in Tel Aviv.

Kollhoff oder die Liebe zur Gigantomanie
Freilich knüpfte das, was dann an der Stalinallee entstand, allenfalls in Details an „die Gliederung und Architektur Berlins“ an. Um Anregungen zu holen, reiste 1950 eine deutsche Regierungsdelegation nach Moskau, Kiew, Stalingrad und Leningrad. Um sicher zu gehen, dass die Deutschen auch die richtigen Anregungen empfanden, wurden der Moskauer Chefarchitekt Alexander W. Wlassow und Sergej I. Tschernyschew, Vizepräsident der Akademie für Architektur, als „Berater“ für die Stalinallee herangezogen. Von Verniedlichung konnte bei dem, was Ulbricht und seinen Herren in Moskau vorschwebte und dann realisiert wurde, nicht die Rede sein. Eine gewaltige Ost-West-Achse von geradezu Speer’schen Proportionen entstand, die freilich genauso gut in Moskau oder Peking, Bukarest oder Warschau hätte stehen können. Bis heute ist die Karl-Marx-Allee, wie sie heute heißt, ein Fremdkörper in der Berliner Stadtarchitektur, der Gigantisches und Auftrumpfendes wie etwa der Wiener Ring oder die Champs Élysées eigentlich fremd ist.
Doch gerade das Gigantomane ist es, was Kollhoff bewundert: „Es fährt einem die Erkenntnis schockartig in die Glieder, welche gewaltige städtebauliche und architektonische Leistung die ehemalige Stalinallee ist, die heutige Karl-Marx-Allee, insbesondere das Frankfurter Tor. Sie ist das einzige Beispiel deutscher Stadtbaukunst und Architektur, die an die große Tradition des 19. Jahrhunderts anknüpfen konnte und den Vergleich nicht zu scheuen brauchte mit den europäischen und amerikanischen Großstädten.“ Hätte Speer die geplante Nord-Süd-Achse durch Kreuzberg ausführen können, hätten wir vermutlich zwei Beispiele. Aber das war’s dann für Kollhoff schon. Alles andere, etwa die großen Berliner Siedlungen der 1920er und 1930er Jahre, Hufeisenseidlung, Onkel Tom, „Weiße Stadt“ und so weiter, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen: „Bloße Befriedigung des Existenzminimums, vor allem des Wohnens, zunächst des genossenschaftlichen und am Ende ‚sozialen‘ Wohnungsbaus.“ Und damit uninteressant.
Dabei, man muss es wiederholen, ist die Stalinallee eben keine „städtebauliche Leistung“. Sie war und bleibt ein Potemkin’sches Dorf. Hinter den „Arbeiterpalästen“, in denen aber nur „verdiente Arbeiter des Volkes“ wohnen durften, war Wüste und Slum, schließlich erzwungener Leerstand. Erst die Wiedervereinigung hat aus den vergammelten Quartieren Friedrichshains den zunächst alternativen, jetzt schicken Bezirk gemacht, in dem es heute vor kleinen Geschäften, Kneipen, Restaurants und so weiter nur so wimmelt. Die Stalinallee war nie gedacht als ein Ort städtischen Lebens, und sie ist es bis heute nicht geworden. Sie war gedacht als Kulisse für Massenaufmärsche, gegebenenfalls mit Militärbegleitung. Sie ist ganz nett anzuschauen, wenn man sie etwa im Sommer aus einem Cabrio begutachtet und die Fontänen funktionieren. Nicht um alles in der Welt aber will man an dieser innerstädtischen Autorennbahn wohnen. Auch Kollhoff nicht. Er wohnt in West-Berlin, dort wo man den Verkehr beruhigt hat und das Kleinteilige pflegt.

Gibt es keine totalitäre und keine demokratische Architektur?
Kollhoff behauptet immer wieder bei Diskussionsveranstaltungen, es gebe keine Nazi-, keine kommunistische und auch keine demokratische, sondern nur gute und schlechte Architektur. Aber das ist Unsinn. Es mag Bauten geben wie den Flughafen Tempelhof oder das Olympiastadion, bei denen die gelungene, sogar originelle Bewältigung einer technischen Aufgabe die Nazi-Elemente überspielt. Es gibt, etwa in Dresden und Dessau, Wohnkomplexe aus der Stalin-Zeit, die sich durchaus sehen lassen können, wie übrigens überall im früheren Ostblock. Die auftrumpfende Stalinallee gehört nicht dazu. Sie ist schlechte Architektur, eben weil sie kommunistische Architektur ist, weil sie eine kommunistische Aussage machen will, sie ist die Stein gewordene Diktatur des Proletariats. Nicht zufällig nahm von hier aus der Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 seinen Ausgang, und das ist so ziemlich das Beste, was man über sie sagen kann. Die Anstrengung, diese Kulisse errichten zu müssen, hat die DDR-Bauwirtschaft nie verkraftet. Bald danach ging sie dazu über, die Wohnungsnot mit Plattenbauten zu bewältigen und die Innenstädte veröden zu lassen.
Kollhoff mokiert sich darüber, dass Berlin im 20. Jahrhundert nichts hervorgebracht hat, was an die großbürgerlichen Häuserzeilen in London, Paris und Mailand, vor allem aber in New York erinnert. Das hat damit zu tun, dass Berlin vor dem Ersten Weltkrieg die „Hauptstadt der Parvenüs und Arbeiter“ war, wie Walter Rathenau anmerkte, und danach die Stadt der Ausgepowerten, später der Ausgebombten und schließlich im Osten der Funktionäre und im Westen der vom Bürgertum verlassenen Frontstädter. Es ist doch absurd, sich über den sozialen Wohnungsbau zu echauffieren, ohne sich zu fragen, warum es ihn gab und geben musste. Berlin ist eben nicht New York oder Paris, auch nicht London. Und genau darin liegt sein Charme. Man muss dafür freilich ein Gefühl haben, und nicht vor dem Protz im Staub liegen.

Anders leben, anders wohnen
Auch Berlins Großbürgertum war anders als anderswo. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Berlin eine andere Form großbürgerlichen Lebens als Paris, London oder New York, nämlich den geplanten Villenvorort: Lichterfelde und Frohnau, Dahlem und Zehlendorf etwa. Das Leben in Licht und Sonne, unstädtisch und dennoch stadtnah, kinderfreundlich und informell, schlicht und doch gediegen, war eine ganz eigene bürgerliche Utopie, und es waren die besten Köpfe des Bürgertums, die sich fragten, wie man dieses privilegierte Leben den weniger privilegierten ermöglichen könnte. Daraus entstanden Gartenstädte und Siedlungen, die noch heute bewundert werden. Auch wenn Kollhoff dort nicht wohnen möchte und sie verächtlich als „bloße Befriedigung des Existenzminimums, vor allem des Wohnens, zunächst des genossenschaftlichen und am Ende ‚sozialen‘ Wohnungsbaus“ abtut: Leer steht in diesen Siedlungen und den ihnen nachempfundenen Projekten (in einem davon, der McNair-Siedlung in Lichterfelde, wohne ich) keine Wohnung, kein Reihenhaus. Man wohnt hier gern.
Hansaviertel statt Stalinallee
Es ist heute zwar nicht cool, das in bürgerlichen Kreisen auszusprechen, aber das im Sinne des Scharoun’schen Masterplans und als Gegenentwurf zur Stalinallee errichtete Hansaviertel ist nach wie vor ein wunderbares Quartier. Es fährt einem nichts „schockartig in die Glieder“, wenn man da durchfährt, man wird von keinen dramatischen Steinmassen erschlagen, aber man wohnt dort gut – nahe dem Zentrum West rund um den Zoo, der Technischen Universität und dem Tiergarten. Von den 1960er bis zu den 1980er Jahren war hier auch mit der Akademie der Künste und dem Kino am Hansaplatz, später Gripstheater, ein Zentrum des kulturellen und intellektuellen Lebens in West-Berlin.
Gegen solche Versuche – und gegen die neuen Pläne des Senats, sie mögen gut oder schlecht sein – ausgerechnet die Stalinallee in Anschlag zu bringen, ist schlicht und einfach geschmacklos. Gewiss verleiht der Tabubruch Distinktionsgewinn; doch sollte man mit 69 Jahren dem pubertären Drang zur Provokation widerstehen können. Zu fürchten ist aber, dass Kollhoff keineswegs Tabus bricht, sondern nur ausspricht, was im neureichen deutschen Bürgertum Konsens ist: Man will wieder wer sein, ein bisschen auftrumpfen, ein bisschen was hermachen. Und in diesem Sinne war ja alles nicht schlecht an den beiden deutschen Diktaturen.

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2 Gedanken zu “Der Herr Kollhoff und der Genosse Ulbricht;”

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    na ja,
    es ist in meinen Augen ein ambivalentes Weltkulturerbe. Gemessen an den Furchtbarkeiten der DDR an anderen Orten ist es sogar ein mittlerweile relativ gelungenes Projekt, allerdings erst jetzt gelungen, da sich vorher nicht diese urbane Lebenslust um diese Prachtallee mit gehobenen Sozialwohnungen gebildet hatte.
    Als Nicht-Berlinerin finde ich den Mix interessant.

  2. avatar

    Sehe ich genauso, Herr Posener. Ich bin gar nicht in der Lage zu so erhabenen Gefühlen, wie sie Herrn Kollhoff beim Durchfahren der Frankfurter Alle aufgehen. Viellleicht liegt das am fehlenden Cabrio; auf dem Fahrrad fühlt man sich auf dieser Straße jedenfalls deutlich zu klein. Es wäre schön, wenn man Berlin so umbaut, dass möglichst viel Platz zum Wohnen und Leben seiner wenig betuchten Bürger entsteht. Wenn man zusätzlich ein erhabenes Gefühl in prächtigen Alleen erleben möchte, könnte man, sofern noch Urlaubsgeld übrigbleibt, mal wieder nach Paris fahren.

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