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Billiges Geld und die Folgen

Unter Kollateralschäden versteht man im Militärischen die Begleitschäden, die unbeabsichtigt erfolgen, die aber um der  eigentlichen Waffenwirkung willen in Kauf genommen werden. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es auch Kollateralschäden. Nur sind sie weniger offensichtlich als die militärischen, weil es die Opfer nur allmählich merken, dass sie durch etwas in Mitleidenschaft gezogen werden, das sie nicht beeinflussen können.

Am 10. März 2016  hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf 0,05 % abgesenkt. Das Volumen der monatlichen Anleihekäufe wurde auf 80 Milliarden Euro angehoben. Der Strafzins, den Banken für Einlagen bei der EZB zahlen müssen, wurde auf minus 0,4% abgesenkt. Gleichzeitig wurde signalisiert, dass  dies noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeute. Im Jahre 2012 hat  Notenbankchef Mario Draghi  mit seiner geldpolitischen Bazooka die Politik des billigen Geldes eingeläutet. Draghi wollte damit einerseits das Abgleiten in eine Deflation verhindern, andererseits die Unternehmen dazu veranlassen, mit Hilfe von billigen  Krediten  Investitionen vorzunehmen, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollten. Damit glaubte er die Wachstumsschwäche in der Europäischen Union überwinden zu können. Nach vier Jahren ist es an der Zeit zu fragen, ob  sich diese Voraussagen erfüllt haben.

Liest man  den aktuellen  Konjunkturbericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. März 2916, stellt man fest, dass die Wachstumsschwäche der europäischen Volkswirtschaften keinesfalls überwunden ist. Im vierten Quartal 2015 betrug das Wirtschaftswachstum in den Staaten der EU gerade mal 0,3%. Die Arbeitslosigkeit verharrt immer noch auf dem hohen Wert von 10,3%. An einem Indikator kann man ablesen, dass die  Geldpolitik der EZB vielleicht doch ein stumpfes Schwert darstellt: Das Volumen an Krediten, die Banken an Privatleute und Unternehmen vergeben haben, ist innerhalb eines Jahres nur um magere 1,1% gestiegen. Von einem Investitionsfeuerwerk kann keine Rede sein.

Die Nebenwirkungen der ultralockeren Geldpolitik sind hingegen schon deutlich zu spüren. Menschen, die ihr Geld auf einem Spar- oder   Geldmarktkonto liegen  haben, erzielen keine Zinsgewinne mehr. Das bedeutet gerade für die Menschen in Deutschland, dem Land der Sparer, eine deutliche Wohlstandseinbuße. Lebensversicherungen, die bei den Deutschen ebenfalls beliebt sind, können ihre Garantierenditen nicht mehr halten und geraten in wirtschaftliche Schieflagen. Dasselbe geschieht mit den Rentensparplänen, die von vergangenen Regierungen („Riesterrente“) als Schutz vor Altersarmut propagiert  wurden. Heute schon ist absehbar, dass die Altersarmut steigen wird, weil die Summen, die  man ansparen kann, bis man in Rente geht, zu gering ausfallen werden, um eine auskömmliche Zusatzrente zu garantieren.

Das billige Geld ist bislang vor allem in den Wohnungsbau geflossen und hat dort Spekulationsblasen erzeugt. Die Folge sind kräftig steigende Mieten in den Ballungszentren. Was Studenten im Studium der Volkswirtschaft  schon im ersten Semester lernen, kann man hier besonders beispielhaft studieren: Wenn der Zins für Geld künstlich manipuliert – in unserem Fall: erniedrigt –  wird, verliert er  seine marktwirtschaftliche Lenkungsfunktion. Der künstliche Zins  verführt  Investoren  zu Investitionen, denen nicht unbedingt ein gesundes Geschäftsmodell zugrunde liegt, die sich aber unter aktuellen Finanzierungskosten rechnen. Wenn später  die Zinsen wieder steigen, brechen solche  Finanzinvestitionen zusammen wie ein Kartenhaus. Nach der klassischen Geldtheorie  signalisiert der Zins für Kredite das damit verbundene Risiko. Diese Lenkungswirkung geht beim künstlich beeinflussten Zins verloren. Das  für die Marktwirtschaft wichtige Haftungsprinzip wird so  außer Kraft gesetzt.

Ökonomen haben  festgestellt, dass eine über Jahre verfolgte Politik des billigen Geldes  auch eine ungünstige Verteilungswirkung entfaltet. Während Wohlhabende, die in Immobilien und Aktien investieren, davon profitieren, gehören die weniger Wohlhabenden, die keine Immobilien und Aktien, sondern nur Sparkonten besitzen, zu den Verlierern. Der durch billiges Geld erzeugte  Beschäftigungseffekt  kann diesen negativen Verteilungseffekt nicht ausgleichen. Mich hat immer schon gewundert, weshalb linke Parteien stets einer  Politik des lockeren Geldes  das Wort reden, obwohl sie wissen müssten, dass dies ihrer eigenen Klientel schadet.

Das billige Geld der Europäischen Zentralbank hat die Reformanstrengungen der europäischen Krisenländer nahezu zum Erliegen gebracht. Sie  sehen keine Notwendigkeit mehr, die strukturellen Wachstumshemmnisse zu beseitigen, weil sie glauben, die Ausweitung der Staatsschuld mit Hilfe des billigen Geldes werde schon für ausreichend Wachstum sorgen. Die französische Regierung hat nach heftigen Studenten- und Schülerprotesten die ohnehin nur halbherzig  ausgestaltete  Reform des Arbeitsmarktes  noch weiter  verwässert. In Portugal hat die neue Linksregierung Reformen der Vorgängerregierung wieder zurückgenommen. In Spanien droht dasselbe, wenn auch dort bald  eine Linksregierung zustande kommt. Griechenland hinkt hinter dem verabredeten Zeitplan der Reformen her. Die Flüchtlingskrise wird verhindern, dass die EU-Kommission  die Einhaltung der Reformagenda anmahnt. So wird Griechenland dauerhaft am finanziellen  Tropf  der EU  hängen.

Der künftige Chef des Münchener Ifo-Instituts Clemens Fuest geht mit der Geldpolitik der EZB hart ins Gericht. Für ihn erschwert diese Politik die endgültige  Bewältigung der EURO-Krise: „Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, denen private Investoren nicht mehr vertrauen. Dadurch werden für einzelne Staaten Anreize gesetzt, sich auf Kosten  anderer zu verschulden. Auf die Dauer ist die Eurozone so nicht tragfähig. Es darf nicht sein, dass sich ein Land auf Kosten anderer verschulden kann.“ (FAZ vom 31. 03. 2016)

Der Aufkauf von Anleihen betrifft auch Unternehmensanleihen. Dadurch kann es passieren, dass durch diese Geldzufuhr Unternehmen „gerettet“ werden, die es unter ökonomischen Gesichtspunkten gar nicht verdient hätten, weiter zu existieren. Dasselbe könnte mit maroden Banken geschehen. An diesen Beispielen kann man sehen, dass die EZB-Politik den positiven Ausleseprozess, den jede Krise  auch  bedeutet, behindert. In einem Kommentar der HSH-Nordbank hieß es zum Aufkauf von Unternehmensanleihen:  „Statt die Volkswirtschaft mit Schmierstoff zu versorgen, werden Marktprozesse außer Kraft gesetzt. Es wird Zeit, dass die Notenbanker sich der negativen Folgen dieser Eingriffe bewusst werden.“

Es gibt ein Land, das uns einen Anschauungsunterricht darüber gewährt, was eine Politik des billigen Geldes anrichtet: Japan. Seit nunmehr 25 Jahren bekämpft die japanische Notenbank die anhaltende Wachstumskrise mit Hilfe billigen Geldes. Bis heute ist der Erfolg ausgeblieben. Dafür ist die Staatsschuld auf  die unglaubliche  Summe von 7,8 Billionen Euro geklettert, das entspricht  245,9% des Bruttoinlandsprodukts. Die intendierten Ziele dieser Geldpolitik haben sich allesamt  nicht erfüllt. Weder ist die Inflation auf  die Zielmarke  von 2% geklettert  noch hat das Wirtschaftswachstum  nennenswert  zugenommen. Gesunken ist allerdings das Lohnniveau, weil die Firmen in Japan – dem konsensualen Anspruch der Gesellschaft folgend – auf Entlassungen verzichtet, dafür aber die Löhne gesenkt haben. Man kann prophezeien, dass in Europa dieselbe lang andauernde Stagnation eintreten wird, wenn überall  die bequeme Ausweitung der Staatsschulden an die Stelle wachstumsfördernder Strukturreformen treten wird.

Ich vermute, dass der Politik des billigen Geldes, den die EZB in Nachahmung der Politik der amerikanischen Notenbank (FED) fährt, ein Denkfehler zugrunde liegt. Im angelsächsischen Bereich mag eine expansive Geldpolitik Investitionen im privaten Sektor anschieben, weil dort die Unternehmen weit weniger durch staatliche Regulierungen  gefesselt sind. Sie können Arbeitskräfte bei Bedarf  leicht einstellen, sie aber auch bei schlechter Auftragslage wieder leicht entlassen. In Europa ist das ganz anders.    In  Frankreich bremsen ein rigider Kündigungsschutz mit horrenden Abfindungen, eine mangelnde Flexibilität bei der Arbeitszeit (35-Stunden-Woche) und hohe Arbeitskosten die Wirtschaftstätigkeit – unabhängig vom Niveau der Kreditzinsen. Warum sollte ein französisches oder italienisches Unternehmen den Verlockungen billiger Kreditzinsen nachgeben, wenn es weiß, dass es dadurch die Fesseln, die ihm eine rigide staatliche Regulierung anlegt,  nicht abschütteln kann? Es ist offensichtlich, dass der Bazooka-Schütze Draghi das Pferd vom Schwanze her aufzäumt.

 

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5 Gedanken zu “Billiges Geld und die Folgen;”

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    @Gert Weller: Ich schätze, Ludwig Erhard würde sich verkneifen, auf Klischees wie „Die Südländer können nicht mit Geld umgehen“ zurückzugreifen. Zudem würde er respektieren, daß die Beschlüsse nicht vom EZB-Präsidenten allein getroffen werden, sondern vom EZB-Rat, in dem auch die Notenbankchefs von Finnland, Luxemburg, Österreich, den Niederlanden und Deutschland vertreten sind.

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    Die D-Mark ist abgeschafft, Chef der Euro-Bank ist ein Italiener, der früher an der Wall-Street gezockt hat, wo für Griechenland gefälschte Gutachten erstellt wurden. Was würde Ludwig Erhard dazu sagen?

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    @Oliver
    „auf Biegen und Brechen etwas aufrecht zu erhalten, was man besser sterben lassen sollte“
    Sie wollen also unser Wirtschaftssystem sterben lassen. Was wollen Sie denn ‚anstatt‘ setzen?

    Im Moment ist (bis auf Weiteres, ich komme noch dazu) die Nullzinspolitik das Mittel, um das Geld einigermaßen im Umlauf zu halten. Deswegen verstehe ich das Lamento gerade von konservativ-bürgerlicher Seite nicht, denn es ist egal, ob wir Inflation haben und Zinsen bekommen oder keine Inflation haben und keine Zinsen bekommen. Aber Herr Werner hat schon recht, das Rentensystem schwächelt enorm unter diesen bedingungen und deswegen rechne ich ich auch mit der Einführung einer einheitliche Grundrente für alle, irgendwie in Stufen. Wer mehr haben will, legt selber an der Börse an oder macht noch was nebenbei, was (hoffentlich) dann auch gehen wird.
    Es ist doch schon lange erkennbar, daß die Verbraucher- bzw. Investitionsmärkte gesättigt sind und nur noch anschaffen und modernisieren, wenn es gar nicht mehr anders geht. Daran ist nichts zu kritisieren, dieses Verhalten ist vernünftig, ökonomisch und damit auch ökologisch, auch wenn uns derzeitige Ökologie-Ideologen versuchen, etwas anderes weiszumachen.
    Es ist genau diese hochideologische Brille der sogenannten Ökologen (und Klimaschützer), die uns die neuen Märkte nicht erkennen lassen (wollen): Dezentralisierung von Arbeit und Produktion, Entbetrieblichung der Betriebe (sic), Entzerrung des Verkehrs (Google-Auto), psychische Gesundheit (bereits in den 80ern lange vorhergesagt), bessere Ressourcen-Nutzung (Biosphäre + Technosphäre bzw. ökonomisch sinnvolles Recycling).. allgemeine Dezentralisierung im Zusammenhang mit dem Internet (was im Übrigen nicht bedeutet, @lucas, daß große Unternehmen, wie Google u.A. gegenüber sogenannten Mittelständlern, die meist hochzentralisiert und hochhierarchisch arbeiten, politisch zu benachteiligen wären – im Gegenteil – es geht nur um die Organisationsform).
    Wenn diese Märkte identifiziert werden, steigen auch wieder die Zinsen.
    Ich hoffe, daß wir ideologische Brillen absetzen und sie erkannt werden – ich für meinen Teil bevorzuge die Schumpetersche Zerstörung vor der realen durch Kriege etc.

  4. avatar

    Die deutschen Spareinlagen sollen dezimiert werden – kein Denkfehler, sondern Absicht. Enteignung über Geldpolitik, gleichzeitig Zeit kaufen und hoffen.
    Kollateralschäden? Das Geld wechselt nur den Besitzer, es ist nicht verloren – oder?!
    Als DM und Lira zusammengingen, war schon alles klar. Na ja, im Augenblick eher unwichtig.
    Zu den Reformen, um die Staaten auf Linie zu bringen: https://www.youtube.com/watch?v=Zt7lONlgU-o&nohtml5=False

  5. avatar

    Das ganze ist ein Zeichen von Hilflosigkeit. Es wird immer offensichtlicher, dass unser Wirtschafts- und Finanzsystem nicht mehr funktioniert. Nachdem man sich aber an das alte klammert versucht man auf Biegen und Brechen etwas aufrecht zu erhalten, was man besser sterben lassen sollte.

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