Über 700 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. 2014 hatten 219.000 Menschen die Flucht versucht, 3500 von ihnen waren ertrunken. So kann, so darf es nicht weitergehen. Doch was tun?
Vier Ziele müssen gleichzeitig verfolgt werden:
1. Flüchtlinge in Seenot retten, damit niemand mehr ertrinkt;
2. In den Staaten, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, muss die EU geordnete Einreise- und Einwanderungsmöglichkeiten nach Europa anbieten;
3. Der gefährliche Weg der Flüchtlinge über das Mittelmeer darf nicht zum Ziel führen;
4. Die EU muss – gemeinsam mit den afrikanischen Staaten – an der Bekämpfung der Fluchtursachen arbeiten.
Ohne in verzweifelten Notlagen zu sein, würden sich Menschen weder in die Hände von kriminellen Schleppern geben, noch sich auf den höchst riskanten Weg in kleinen Booten über das Mittelmeer wagen. Das Risiko, dabei ums Leben zu kommen, erscheint ihnen offensichtlich tragbar, gemessen an der verzweifelten Lage, der sie durch die Flucht entkommen wollen.
Krieg und Bürgerkrieg, wirtschaftliches Elend, korrupte Regierungen, Verfolgung, Umweltkatastrophen – das sind Gründe für die Verzweiflung, die die Menschen in die Boote treibt. Solange diese Ursachen nicht angegangen und beseitigt werden, werden viele Menschen einfach nur weg wollen aus vielen afrikanischen Ländern.
Gegenüber der Afrikanischen Union und den Staaten, aus denen die Menschen fliehen, müssen diese Fluchtgründe klar und deutlich benannt werden und die Europäische Union muss beständig und nachdrücklich eine Änderung der Verhältnisse einfordern und dabei ihre Hilfe anbieten. Gleichzeitig muss die EU prüfen, ob eigene Politiken (Fischereipolitik, Agrarpolitik, Handelspolitik) zu wirtschaftlicher Verelendung in afrikanischen Ländern beiträgt und gegebenenfalls Korrekturen vornehmen.
Diese Politik wird allerdings erst mittel- und längerfristig spürbare Verbesserungen und Hoffnungsperspektiven für die Menschen bringen. Deshalb müssen gleichzeitig auch die ersten drei Punkte angegangen werden.
Kein Argument rechtfertigt unterlassene Hilfeleistung. 140.000 Menschen hatte die Aktion Mare Nostrum der italienischen Marine von Oktober 2013 bis Oktober 2014 vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet. Als Rettungsoperation der Europäischen Union und der Marinekräfte ihrer Mitglieder sollte diese Aktion wieder aufgenommen werden. Auch die deutsche Bundesmarine sollte sich daran beteiligen. Nach vereinbarten Kontingenten sollten die Flüchtlinge dann auf alle Mitgliedsstaaten der EU verteilt werden.
Allerdings sollten die Flüchtlinge, die den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gewählt haben, nur noch für eine Übergangszeit in Europa aufgenommen werden. Danach müssen sie ausnahmslos und unmittelbar wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Denn nur wenn klar wird, dass der gefährliche Weg über das Mittelmeer keinesfalls zum Erfolg führt, werden verzweifelte Menschen ihn nicht mehr riskieren.
Diese unmittelbare Rückführung darf allerdings erst dann beginnen, wenn die EU in den Haupt-Herkunftsländern Einreise- und Einwanderungszentren eröffnet hat, in denen die Asylverfahren abgewickelt werden können. Außerdem sollte die EU darüber hinaus jährliche Einwanderungskontingente bereit stellen, für die man sich nach transparenten Kriterien bewerben kann.
Gegenüber Auffanglagern an der nordafrikanischen Mittelmeerküste haben diese dezentralen Zentren in den Herkunftsländern mehrere Vorteile: Die Auffanglager an der Küste würden schnell zu großen Flüchtlingslagern anwachsen mit entsprechenden Belastungen für die Küstenländer. Auch deshalb ist deren Bereitschaft, sich dafür zur Verfügung zu stellen, begrenzt und müsste entsprechend teuer bezahlt werden.
Außerdem müssen die Flüchtlinge, um in Auffanglager an der Küste zu gelangen, oft lange Strecken durch die Wüste zurücklegen. Viele sterben dabei.
Dezentrale EU-Einreise- und Einwanderungszentren in den Ländern, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, vermeiden diese Nachteile. Sie unterstreichen die Mitverantwortung dieser Länder für das Problem. Auch längere Wartezeiten dürften von den zur Flucht Entschlossenen leichter in Kauf genommen werden, als in einem für die Flüchtlinge fremden Land an der nordafrikanischen Mittelmeerküste.
Nach erfolgreichem Abschluss der Verfahren würden die Flüchtlinge von der EU nach Europa gebracht und nach Kontingenten auf alle Mitgliedstaaten verteilt. Von der EU gemeinsam finanzierte Programme müssten die Aufnahmeländer bei der dauerhaften Integration der Flüchtlinge unterstützen. So würde Europa im Einklang mit seinen Werten handeln und seiner gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.
Diesen Forderungen ist nichts hinzuzufügen
Lieber Herr Polenz,
Sie haben die Misere und die Lösungsmöglichkeiten richtig beschrieben. Was die Finanzierung angeht: Legte die Staatengemeinschaft sich hier mit derselben Entschlossenheit ins Zeug, wie bei der Bankenrettung in der Finanzkrise, wären wir bei der Lösung des Problems schon weiter. Anscheinend waren die Flüchtlinge bisher nicht „systemrelevant“. Bald sind sie es.
Mit freundlichem Gruß
Stefan Trute
Punkt 1. und Punkt 3. Ihrer Aufzählung widersprechen sich, auch wenn im nachfolgenden Text versucht wird, das zu relativieren.
Punkt 2. ist Nonsens.
Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus Kosovo, Albanien und andere Balkanstaaten. Die haben „geordnete“ Einreisemöglichkeiten und nutzen diese auch, um wirklich verfolgten die Plätze in den Flüchtlingsheimen wegzunehmen.
Und die Vorstellung, daß ausgerechnet „in den Haupt-Herkunftsländern Einreise- und Einwanderungszentren“ eröffnet werden können ist grotesk. Diktaturen werden so etwas niemals erlauben (außer man bezahlt sie dafür, toll), und in anderen Ländern macht es keinen Sinn, da es dort keine politische Verfolgung gibt.
Punkt 4. ist von ähnlicher Qualität:
Herr Polenz sollte als langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages wissen, wieviel Geld in den letzten 50 Jahren in diverse afrikanische Staaten geflossen ist. Er sollte auch wissen, was dieses Geld dort bewirkt hat: Es gibt heute in Afrika mehr Gründe zur Flucht als direkt nach der Entkolonialisierung.
Möglicherweise wird Herr Polenz jetzt auf die Flüchtlinge aus Syrien und Irak verweisen, die ja mit der verfehlten Afrikapolitik der letzten 50 Jahre nichts zu tun haben.
Als überzeugter Pro-Amerikanist (Beiratsmitglied der Atlantik-Initiative) war er bisher allerdings sehr schweigsam bezüglich der flüchtlingsverursachenden US-Politik in dieser Region.
Genauso schweigsam war er, als kürzlich über die Morde von moslemischen Flüchtlingen an christlichen Flüchtlingen berichtet wurde. Vergleichbare Bericht gab es schon länger, allerdings wurde das bevor sich die Mainstreampresse des Themas annahm als Verschwörungstheorie abgetan. Ob Herrn Polenz Schweigsamkeit mit seiner Tätigkeit als Vorsitzender der christlich-muslimischen Friedensinitiative e. V.[6] und Kuratoriumsmitglied der Christlich-Islamischen Gesellschaft zusammenhängt ?
Natürlich nur Verschwörungstheorie.
Niemand will das diskutieren, aber letztlich ist es die Systemfrage an den ausbeutenden Kapitalismus. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wird größer und größer. Massenhafte Flucht wird die Folge bleiben. Es wird immer so allgemein von „Ursachen bekämpfen“ gesprochen. Das aber hieße das Ende unseres überbordenden Reichtums. Sprechen wir darüber?