Die schottischen Nationalisten haben ihren Separationskrieg verloren. Europa atmet auf. Doch die Büchse der Pandora ist geöffnet. Beim nächsten Mal im Baskenland oder in Bayern könnte es klappen. Denn, so sagen die Nationalgestimmten, Blut ist dicker als Pappe. Der Siegeszug des Nationalen scheint nicht aufzuhalten. Wiedergeburt der autochthonen Nationen? Was wirklich nicht mehr zu schließen ist, das ist die Schere von europäischer Zentralregierung und regionalen Stammeskulturen.
Wer unverbrüchlich weiß, was deutsch ist, hat zugleich einen Stiernacken, Knasttattoos und einen IQ, mit dem man in Lüdenscheid in die Nordkurve passt.
Nationalisten sind „fanatics without a case“: Sie verherrlichen eine edle Rasse oder eine besondere Masse, die es außerhalb ihres dumpfen Empfindens gar nicht gibt und deren Ansprüchen sie selbst am wenigsten entsprechen. Das sah man am lächerlichsten bei Joseph Goebbels, der die hochgewachsene blonde Herrenrasse verherrlichte und ein Gnom mit Klumpfuß war. Wir sind in der Welt der Ressentiments. Die Schotten sind mutige Hünen und die Engländer bucklige Schwuchteln, hörte ich noch eine Woche vor der Abstimmung in Edinburgh in meiner Bar.
Das ist das große Unglück der räsonierenden Menschheit, dass sich die Dummen ihrer Sache immer so sicher sind. Und die Klugen so voller Zweifel. Dem schlichten Gemüt stehen klare Gegensätze vor Augen. Schotte oder Engländer, Bayer oder Preuße. Die Dinge sind gut oder schlecht. Das eine ist des Himmels, das andere der Hölle. Eine Sache ist gewonnen oder verloren. In einer Welt chargierender Grautöne erkennt der Depp schwarz oder weiß.
Den Idioten ist alles selbstverständlich. Sie halten für Natur und Gesetz, was bloßer Zufall und Menschenwerk ist. Ich kenne einen englischen Witz über Waliser und Schotten, den ich hier nicht erzählen kann. Er ist Ausdruck deftiger Vorurteile. Er will in englischem Hochmut die blöden Bewohner von Wales und die Bravehearts in den Highlands beleidigen. Es geht um die Art, wie in Edinburgh oder in Cardiff, beziehungsweise den jeweils umgebenden ländlichen Gebieten, den Schafen unter Zuhilfenahme von hohen Gummistiefeln von den Bauernlümmeln beigewohnt wird.
Der englische Humor weiß auch von Dingen zu berichten, die er für typisch irisch hält. Dass nur ein toter Ire ein guter Ire sei, gehört dabei zum Geringsten. Und in Nordirland, der zu London loyalen Provinz, gibt es Anekdoten über die katholischen Nationaliren, die man noch weniger wiederholen kann als die Frage, wie es beim sheep shagging zugeht. Iren, Schotten und Waliser sind für den Engländer Wesen von einem anderen Stern. Man nenne einen Franken Oberbayer oder einen Badener Schwabe oder einen Westfalen Rheinländer…Die Menschen sind Stammeswesen.
Nationalstaaten sind zerbrechliche juristische Konstruktionen, die sich aus Zusammenschlüssen mehrerer Stämme ergeben haben, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die Deutschen haben Jahrhunderte um die Einheit kämpfen müssen und immer neidvoll nach Frankreich und England geschielt. Das waren Nationen mit Metropolen, vom Herrgott in Granit gehauen. Nun, in Großbritannien ist die Illusion, dass dieses Konstrukt vom Schöpfer selbst stamme, zerbrochen. Little Britain, das Ununited Kingdom, hätte als Flagge nur noch einen Jack, die zusammengezimmerte Union des Union Jack wäre dahingewesen. Das Vereinigte Königreich hat aber trotz der knappen Rettung vor der Separation die Selbstverständlichkeit des Vereinigungswillens verloren. Die Ehe ist nicht mehr heil, wenn die Scheidung nur vertagt wird.
Aber es gibt über den Stammeskulturen einer Region eine Sonne, die die meisten, die unter ihr wandeln, erleuchtet. Das Abendland hat Aufklärung und Moderne zustandegebracht, und wir haben ein Gefühl, was westliche Werte denn nun sind. Der politische Ausdruck dessen ist Europa und Nordamerika, das Transatlantische, der Westen. Unter diesem Schirm werden die Nationalstaaten aber weiter zerfallen, und aus ihrem Mosaik kann auf dem Kontinent werden, was die USA politisch sind: ein gigantischer Föderalstaat. Die darunter handelnden Größen künftiger Politik werden Texas heißen oder Bayern, Wales oder Baskenland.
Kann das gut gehen? Ja. Es braucht eine starke Zentralregierung, sprich Europa, und Subsidiarität. Was das ist, kriegen wir später.
Sehr geehrter Herr Kocks,
mit Verlaub, Sie haben das Referendum in Schottland nicht verstanden. Es war ein emotionaler Mix dabei, woran Mr Salmond nicht ganz unschuldig ist, aber niemals rein nationalistisch. Ein Tipp von einem Schotten: Glauben Sie nicht immer alles, was in der Zeitung steht.
Greets
J.Taylor