Wenn Berlin-Touristen – die historischen Altstädte Madrids, Prags oder Lissabons vor Augen – nach dem historischen Stadtkern Berlins fragen, kann es durchaus passieren, dass sie von unkundigen Stadtführern durch das Quartier um den Hackeschen Markt oder durch die Friedrichsstadt geführt werden.
Beides ist gleichermaßen falsch, befinden sich doch diese Areale außerhalb der Mauern der beiden Gründungsstädte Berlin und Cölln. Allenfalls das Nikolaiviertel kann noch als Überbleibsel des alten Stadtkerns gelten. Es wurde von der DDR ab 1981 in Anmutung an das mittelalterliche Vorbild rekonstruiert. Alle anderen Quartiere des historischen Stadtkerns, die Luisenstadt, das Viertel Heiliggeist, das Klosterviertel und Alt-Cölln, sind von der Bildfläche verschwunden. Bestenfalls stehen noch Solitärbauten wie die Marienkirche oder das Rote Rathaus, das 1861-69 das Alte Rathaus und die mittelalterliche Gerichtslaube ersetzte. Zwischen den spärlichen baulichen Überbleibseln breiten sich öde Brachflächen aus, die – wie der Platz vor dem Roten Rathaus – von ungeordnet wachsenden Bäumen bestanden und von Trampelpfaden durchzogen sind. Der Platz vor dem Rathaus der Hauptstadt gilt als der hässlichste in Berlins Mitte. Zurzeit wird er durch die U-Bahn-Baustelle noch zusätzlich verschandelt.
Der Verlust der alten Mitte Berlins ist natürlich den Bombenschäden des Zweiten Weltkrieges geschuldet. Die Bombardements legten die kleinteilig bebauten Stadtquartiere in Schutt und Asche. Die DDR-Führung „beräumte“ die Flächen, um an dieser prominenten Stelle das Zentrum des sozialistischen Staates zu gestalten. Auf die Rekonstruktion der historischen Stadtstruktur wurde verzichtet, um Raum für die für den Sozialismus typischen Massenaufmärsche zu schaffen. Finanzielle Gesichtspunkte spielten dabei auch eine Rolle. Der Wiederaufbau historisch gewachsener Stadtstrukturen war teurer als die Errichtung von Neubausiedlungen auf der grünen Wiese, deren Bauteile industriell vorgefertigt werden konnten. So entstanden die Plattenbausiedlungen in Marzahn, Hellersdorf und in der ehemaligen Stalinallee.
Die Zerstörung der historischen Stadtstruktur im alten Berlin geht bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Im Zuge der Industrialisierung während der Gründerzeit wurde durch das alte Berlin eine neue Magistrale geschlagen, die Kaiser-Wilhelm-Straße (heutige Karl-Liebknecht-Straße), die den mittelalterlichen Grundriss zerstörte. Die damalige Presse bejubelte das „Reinigungswerk“ des Abrisses der alten Häuser, die als die verrufensten und schmutzigsten Berlins galten. Es war aber auch Zilles „Milljöh“, was dem Modernisierungsdrang weichen musste.
Was sieht die heutige Stadtplanung für die historische Mitte Berlins vor? Im Jahre 2009 hat die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in ihren Grundsätzen festgelegt, dass das als „Rathausforum“ bezeichnete Quartier (gemeint ist die historische Marienstadt) als Freiraum erhalten werden solle: „Bebauungsüberlegungen sind im Zeitalter des Klimawandels äußerst kritisch zu prüfen.“ Im Klartext: Die Rekonstruktion des alten Stadtkerns von Berlin ist nicht vorgesehen. Konsequenter Weise soll die Internationale Bauausstellung 2020 (IBA) Konzepte für die Bebauung des Stadtrandes entwickeln („Draußenstadt“). Diese Entscheidung negiert nicht nur den Willen der Alt-Berliner, in der Innenstadt zu wohnen. Auch die meisten Neu-Berliner favorisieren die Wohnbezirke innerhalb des S-Bahn-Ringes. Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg belegte vor kurzem diesen Trend mit aktuellen Zahlen: In den ersten drei Quartalen des Jahres 2012 hatte der Bezirk Mitte ein Wanderungsplus von 2247 Einwohnern. Alle Randbezirke Berlins stagnieren hingegen in der Einwohnerbilanz. Die „Draußenstadt“ ist nicht nur ein Konzept von gestern, sie ist auch unter ökologischen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig. Die Gewinne in der Ökobilanz, die durch die Nichtbebauung der Innenstadtareale erzielt werden, würden durch den erhöhten CO² – Verbrauch infolge des beruflichen Pendelverkehrs mehr als aufgezehrt. Außerdem ist Berlin schon die Stadt der Grünflächen. Wer auf dem S-Bahn-Ring die Innenstadt umkreist, fährt an unzähligen Laubenkolonien, Parks, zugewucherten Brachflächen und am gigantischen Tempelhofer Feld vorbei. An Innenstadt-Grün ist nun wahrlich kein Mangel. Aber an Wohnungen fehlt es an allen Ecken und Enden. Die riesigen Aufmarschflächen zwischen dem Alexanderplatz und dem Schlossplatz, die 14 Hektar umfassen, sind seit der Wiedervereinigung ohne jede Funktion. Als Plätze sind sie so unwirtlich, dass sie nicht zum Verweilen einladen. An den Trampelpfaden, die die Passanten angelegt haben, kann man deren Nutzung ablesen: Nichts wie hindurch! Zur U- oder S-Bahn oder ins Kaufhaus am Alex. Hier könnte man Tausende neuer Wohnungen bauen: im historischen Stadtkern Berlins, mit idealer Verkehrsanbindung und mit überreichem kulturellem Angebot in unmittelbarer Nähe.
Der Befreiungsschlag zur Bebauung des historischen Stadtkerns kam von unerwarteter Seite. Der Vorsitzende der Berliner SPD Jan Stöß hat vor kurzem vorgeschlagen, dieses alte Stadtareal wieder auf der Grundlage des alten Stadtgrundrisses zu bebauen. Für einen Politiker, den die öffentliche Wahrnehmung eher dem linken Flügel der SPD zugerechnet hat, ist dies eine erstaunliche Position. Für die politische Linke in Berlin gilt die historische Rekonstruktion des alten Berlin nämlich als das finstere Werk rückwärtsgewandter Berlin-Traditionalisten. Außerdem klammert sie sich an jeden noch so verloren in der Landschaft herumstehenden Baum, als hinge der Erhalt der Schöpfung von dessen Existenz ab.
Die Blaupause für die Rekonstruktion des alten Berliner Stadtkerns liegt vor. Für die Wiedererrichtung der Marienstadt hat der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann zusammen mit dem Architekten Bernd Albers ein stimmiges Konzept entwickelt und in einem Buch vorgestellt („Berliner Altstadt: Von der DDR-Staatsmitte zur Stadtmitte“). Wie die Häuser in diesem rekonstruierten Stadtquartier aussehen könnten, kann man am Werderschen Markt (nahe Auswärtiges Amt und Kirche Friedrichswerder) besichtigen. Es sind individuell gestaltete Häuser, die auf den alten, kleinteiligen Parzellen errichtet wurden. Natürlich sind sie technisch modern gebaut, oft als Niedrigenergiehäuser konzipiert. Sie bedienen eher das höhere Preissegment. Als „Townhouses“ in aller Welt vermarktet, ziehen sie Menschen an, die sich in der Kreativ-Metropole Berlin niederlassen wollen. Das finanziell gebeutelte Berlin kann den Zuzug zahlungskräftiger, steuerzahlender Neubürger gut gebrauchen. Zu kritisieren, dass hier keine Sozialwohnungen entstehen, ist kurzsichtig. Oft verlassen Menschen, die vorher in den Altbauten des Prenzlauer Bergs oder Kreuzbergs gewohnt haben, ihre Mietwohnungen und kaufen sich eine moderne Eigentumswohnung in der neuen „alten“ Mitte Berlins. Es handelt sich also nicht um einen Verdrängungswettbewerb, sondern um eine Entlastungsaktion. Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen können in die Altbauwohnungen einziehen, die die besser Betuchten für ihre schicken Neubauwohnungen verlassen haben. Gentrifizierung zum Wohle aller!
Mit der Wiedergewinnung der alten Mitte Berlins könnte man gegenüber der grassierenden Geschichtsvergessenheit einen Kontrapunkt setzen. Der DDR-Stadtplanung des ideologisch bedingten Tabula rasa sollte man zudem den späten Triumph nicht gönnen, die wertvollen Innenstadt-Areale als Brachflächen fortbestehen zu lassen. Und den Berlinern gäbe man ein Stück Historie zurück. In einer Stadt, die sich dem permanenten Wandel verschrieben hat, ist eine solche Identifikation mit einem Stück Stadtgeschichte nicht zu unterschätzen.
Alte städte sind kunstwerke die die seele entzücken.
Politisieren brauch mann das nicht. Die linken haben Keine ahnung VON KUNST MUSIK UND KULTUR ACHITEKTUR
Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Areal war nach dem II Weltkrieg nicht gänzlich zerstört und auch noch geschäftlich und wohnlich genutzt. Erst in den 1960iger Jahren wurde das Areal freigeräumt. um Platz zu schaffen für die DDR Städteplanung.
Alte Bilder aus den 1950iger Jahren belegen dieses.
MfG
Thorsten Bartel
„Gebt Berlin seine historische Mitte zurück!“
Das ist eine rückwärtsgewandte und auch ahistorische Forderung, weil Berlins Mitte (und die Mitten anderer Städte auch) Ausdruck deutscher Geschichte ist.
Ich fände es viel interessanter, sich die Frage zu stellen, wie das urbane Leben von morgen aussehen könnte. Statt sich an den Lösungen von damals sollte man sich besser am Gestaltungswillen, dem Mut und der damit zum Ausdruck kommenden Zuversicht vergangener Zeiten orientieren. Das ist der beste historische Bezug, den man nehmen kann. Alles andere ist bestenfalls Kitsch.
@ Rainer Werner
Für die Sammlung über Schule
Unterkapitel:
1. Die Eltern
2. Die Ablenkung durch die Medien, wegen Erziehungsschwächen zurück zu 1. Die Eltern
3. Das Junkfood (außer Steak), zurückzuführen durch falsches Einkaufen auf 1. Die Eltern.
Wie sollen Lehrer das kompensieren?
http://www.welt.de/vermischtes.....lafen.html
Herr Posener: Genau so ist es. Wir (wir sind uns selber die Musterfamilie) sind inzwischen davon abgekommen, komplett nach draußen in den Speckgürtel in die Einfamilienhauspampa zu ziehen, weil es uns dort doch eher trostlos vorkommt, aber in die Urbanität wollen wir auch nicht. Wir wünschen uns stattdessen einen Platz in einer hübschen Gartensiedlung in S-Bahn-Nähe.
Herr Werner: Ich bin überrascht. Meinen Sie nicht, dass die Grünen nicht auch an diesen Fehlentwicklungen schuld sind, oder haben Sie das nur vergessen zu erwähnen?
Lieber Rainer, unbedingt d’accord: Bebaut die alte Stadtmitte! Aber bitte nicht nach dem Muster der Townhouses am Friedrichwerder’schen Markt. Die ganz und gar unbürgerliche Unfähigkeit, sich auf eine gemeinsame und verbindliche Gestatlungssatzung zu einigen, hat dort zu einer Ansammlung modischer Fassaden geführt, die einander anschreien, statt sich zu ergänzen.
Und: Da du und ich weit draußen im Grünen wohnen, wissen wir beide, dass sich das Konzept von Draußenstadt – der Villenkolonien, Gartenstädte und Siedlungen – keineswegs erledigt hat. Viele Millionen Menschen leben so und wollen so leben, egal, was die Theoretiker der „Urbanität“ schwadronieren. Zu überlegen, wie dieser Traum des Wohnens so zu gestalten ist, dass er nicht zu einem Albtraum wird, das ist allemal eine IBA wert. Und man wird entdecken, dass die Konzepte des Werkbunds und des Bauhauses von erstaunlicher Aktualität sind.