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„Wie der Markt die Moral zerstört“ oder: Wie man bei Versuchen das beweist, was man ohnehin glaubt

Kürzlich berichtete ein Artikel in der „Zeit“, dem Zentralorgan deutscher Studienrätinnen, über einen Versuch, der angeblich beweise, dass der Markt die Moral zerstöre.

Hier ist der Link, und es erleichtert die Lektüre und Diskussion meines Beitrags, wenn Sie zunächst den „Zeit“-Artikel lesen:

http://www.zeit.de/2013/21/wirtschaft-markt-moral-experiment/seite-1

Um dennoch kurz den Versuch zusammenzufassen:

Es ging um „überflüssige“ Mäuse, die bei Genversuchen anfallen und danach von den Labors vergast werden.

In einem Versuch wurden Probanden – deutschen Studenten – gesagt, dass sie wählen könnten zwischen einer Belohnung von 10 Euro, dann müsste die Maus sterben, oder dem Verzicht auf die Belohnung. Dann würde das Geld gespendet, und die Maus würde leben. 45 Prozent der Studenten entschieden sich fürs Geld und also für den Tod der Maus.

Im zweiten Versuch wurde ein Verkäufer dazwischengeschaltet und die Summe, um die es ging, verdoppelt. Nun konnten die Probanden um das Leben der Maus per Computer feilschen. Einigten sie sich nicht, lebte die Maus. Einigten sie sich auf eine Aufteilung der 20 Euro, starb sie.  In diesem Fall entschieden sich 75 Prozent für das Geld. Und zwar wurde das Leben der Maus von Verhandlungsrunde zu Verhandlungsrunde billiger.

Womit „bewiesen“ war, was der – nach eigenem Bekunden „linksliberale“ – Versuchsleiter beweisen wollte: In einer Marktsituation sind wir eher bereit, unsere moralischen Bedenken über Bord zu werfen.

„Unter den Ökonomen schlägt das Bonner Experiment schon Wellen“, so die „Zeit“. Das muss man hoffen. Denn der Versuch hat mit Wissenschaft ungefähr so viel zu tun wie Mäuse mit Menschen.

1. Beginnen wir, erstens, mit der Versuchsanordnung. Ob die Probanden – sämtlich Studenten, die sicherlich zwischen einem Experiment und der Wirklichkeit unterscheiden können – wirklich glaubten, die Mäuse würden tatsächlich, je nachdem, wie sie sich entschieden, getötet, darf entschieden bezweifelt werden. Und wenn ja, dann hatten ja die Wissenschaftler mit ihrer Versuchsanordnung schon den moralischen Maßstab sehr tief gelegt. Offenkundig ging es hier, völlig legitim, um ein Spiel mit dem Leben von Tieren.

2. Fragen wir uns, zweitens, wer wirklich unmenschlich ist: Der „Markt“, bei dem – immerhin – Menschen bereit waren, auf Geld zu verzichten, um Tiere zu retten, oder die Forschungseinrichtung, die im Interesse der reinen Wissenschaft regelmäßig Hunderte von Mäusen vergast?

3. Überlegen wir, drittens, wie die Ergebnisse ausgefallen wären, wenn – analog dem berühmten Milgram-Versuch – den Studenten in einer Kontrollgruppe befohlen worden wäre, die Mäuse zu töten oder töten zu lassen. Wenn also keine Marktsituation da wäre, sondern die einer Kommandowirtschaft.  Erinnern wir uns: Beim Milgram-Versuch waren die meisten Probanden bereit, einem lernschwachen Schüler auf Befehl des Forschungsleiters potenziell tödliche Stromstöße zu verabreichen, obwohl sie seine Qualen durch eine Glasscheibe sehen und seine Schreie hören konnten. (Der Schüler wurde durch einen Schauspieler gespielt, die Stromstöße waren virtuell; aber das wussten die Probanden nicht.)

4. Bedenken wir, viertens: Was hat dieser Versuch mit einer echten Marktsituation zu tun? Um die von Uwe Jean Heuser selbst bemühten Beispiele Billigfleisch und Billig-T-Shirts zu bemühen: Die Frage, ob man bei Aldi und H&M einkauft, statt beim Neuland-Fleischer und im Edelboutique, hat eher was mit der Einkommensverteilung zu tun als mit dem Gewissen. Ab einem bestimmten Einkommen handelt man nach dem Berliner Prinzip: „Lieber wat Jutet, dafür’n bisken mehr.“ Im Übrigen hat der Verbraucher hierzulande ein Recht auf die Annahme, dass auch bei der Massentierhaltung und beim Import billiger Kleidung auf das Einhalten bestimmter Standards geachtet wird. Dass dem oft nicht so ist,  stimmt zwar; aber das wissen wiederum eher die Leute, die das Geld haben, die „Zeit“ (oder die „Welt“) zu abonnieren, als die Konsumenten des Frühstücksfernsehens. Auch hier haben wir es also mit einer sozialen Frage zu tun.

 

Ob also das Experiment überhaupt etwas über die reale Welt aussagt, geschweige denn „bewiesen“ hat, kann man also getrost bezweifeln.

 

Zum Glück werden in jener realen Welt  Tag für Tag Versuche angestellt. So schreibt der „Economist“ in einem seiner Leitartikel vom 1. Juni 2013, dass wenigstens eines der im Jahre 2000 aufgestellten so genannten „Millenniumsziele“ der Vereinten Nationen – die Halbierung der Zahl der Menschen, die unter der absoluten Armutsgrenze von US$1,25  pro Tag leben müssen – vorzeitig erreicht wurde, nämlich 2010.  Das sind fast eine Milliarde Menschen. Könnte man das in den nächsten zehn bis 15 Jahren wiederholen, wäre das materielle Elend in der Welt – wer weniger als einen Euro täglich zum Leben hat, ist nicht arm, sondern elend – faktisch eliminiert.

Wie der „Economist“ schreibt, hängt der „Kollaps“ der Armutszahlen seit 2000 im Wesentlichen mit dem Wachstum in den sich entwickelnden Ländern zusammen; und dieses Wachstum ist vor allem dort zu finden, wo der Kapitalismus und der freie Handel sich entwickeln konnten. „China ist für dreiviertel dieser Leistung verantwortlich“, schreibt das Blatt, kein Bewunderer der Kommunistischen Partei Chinas und ihrer Politik. „China hat zwischen 1981 und 2010 680 Millionen Menschen aus der Armut herausgezogen und seine Rate absoluter Armut von 84 Prozent im Jahre 1980 auf gegenwärtig zehn Prozent reduziert.“

Das sind atemberaubende Zahlen. Und sie hängen zusammen mit der Übernahme der kapitalistischen Marktwirtschaft durch die KP, die 1981 beginnt. Wie sagte Deng Hsiao-Ping, der Architekt dieser Kursänderung: „Mir ist es egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hautsache, sie fängt Mäuse.“ Deng war kein sympathischer Mann, obwohl gewiss sympathischer als das Ungeheuer Mao Tse-tung, aber von Mäusen verstand er etwas, und von Experimenten in der realen Welt auch.

Der Markt mag also in einem fragwürdigen Experiment einige hundert virtuelle Mäuse das Leben gekostet haben, die im realen Leben ohnehin der Wissenschaft geopfert wurden. Im realen Leben hat der Markt einer Milliarde Menschen wenigstens die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben vermittelt. Das kann ich kaum unter Zerstörung der Moral fassen.

Adam Smith, der Theoretiker des Freihandels, war ja – wie der Bonner Versuchsleiter Armin Falk anmerkt – Moralphilosoph. Smith machte sich über die Moral der Marktteilnehmer keine  Illusionen. Aber eben deshalb setzte er auf den Markt: der Ausschluss der Konkurrenz, meinte er, käme der Einladung an die Produzenten gleich, eine Verschwörung gegen die Konsumenten zu bilden.

Auch Falks Versuch war eine Verschwörung. Gegen die Probanden. Hätte er zum Beispiel die Studenten aufgefordert, in Arbeitsgruppen Ideen zu entwickeln, wie Labormäuse möglichst kostengünstig zu retten wären: Vermutlich hätte sein Experiment mehr erbracht als die Bestätigung seiner eigenen Vorurteile, denen – und seinem eigenen akademischen Ruf – er das  Leben vieler Tiere geopfert hat.

 

Dass die „Zeit“ wiederum das alles nicht durchschaut, verwundert nicht.  Sie hat nicht die höchste Auflagenzahl aller deutschen Wochenblätter dadurch erreicht, dass sie die Ansichten ihrer Leser und Leserinnen in Frage stellt.

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184 Gedanken zu “„Wie der Markt die Moral zerstört“ oder: Wie man bei Versuchen das beweist, was man ohnehin glaubt;”

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    @Moritz Berger: unbedingt! Ich wohne gegenüber einer Schrebergartenkolonie, die sich regsten Zulaufs erfreut. Früher waren dort eher Rentner beheimatet, inzwischen wimmelt es geradezu vor anbaufreudigen Familien. Es gibt lange Wartelisten und viele Fälle von Korruption 🙂

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    EJ: Und weil das so ist: Markt nur unter strengster Kontrolle und Überwachung!

    … jau! … wirklich … wie ich schon mal geschrieben habe: in der ‚DDR‘ hätten Sie es mindestens zum Kreissekretär der Sozialistischen Einheitspartei [sic!] Deutschlands geschafft. Unter Stalin vielleicht sogar Rayonvorsitzender, Gebiets-ältester, o.ä.

    … haben Sie, bei Ihren Führungsqualitäten, schon mal an Auswanderung gedacht? …

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    @ Roland Ziegler: [zu Markt und Mord]

    Nach Adam-Alan Posener-Shmith ist Gier gut/i>. Funktional und ethisch gut, weil sie alle Menschen (oder jedenfalls mehr Menschen als alle anderen „Systeme“) ausreichend versorgt. – Das ist nicht ganz von der (unsichtbaren) Hand zu weisen.

    Weil der auf Gier-Basis funktionierende Markt aber nicht ethisch motiviert ist, eben das ist ja die Pointe aller kapitalistischen Marktphilosophie, kann er selbst zwischen Markt und Mord (und sonstigen Gangstereien) nicht unterscheiden. Dieselbe Gier und Habgier ist der Motor sowohl des Marktes wie des Mordes und all‘ dessen, was dazwischen liegt.

    Ich denke, angesichts gerade des amoralischen oder unethischen Selbstverständnisses des Marktes, ist es unmittelbar evident, dass eine – möglichst starke – Gegenkraft den jederzeit möglichen (fließenden) Übergang vom Markt zum Mord verhindern muss. Ohne Staat, der den Markt auf sich selbst verweist und auf sich selbst beschränkt, gibt es (auf Dauer) keinen guten Markt.

    Dass der Markt selbst diese Aufsicht und Kontrolle ablehnt, muss uns, wiederum gerade vor dem Hintergrund seines unethischen und amoralischen Selbstverständnisses, nicht kümmern. Er weiß es nicht besser und kann es – per definitionem – nicht besser wissen.

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    Lieber Herr Ziegler,

    in Anlehnung an die Werbung von Danone:

    Früher oder später kriegen wir euch alle

    würde ich es in Ihrem Fall formulieren:

    Früher oder später steuern Sie auf die Selbstversorgung zu 🙂

    Beispiele für urban-farming gibt es doch genügend in Berlin oder ??

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    @Moritz Berger: Zu Hühnern und Karnickel hat es nicht gereicht, zum Leidwesen meiner Kinder; meine ökonomische Integration (aka die Pflicht, Geld ranzuschaffen) steht dem entgegen. Auch Unlust, sich um die Tiere zu kümmern, muss ich zugeben; lieber liege ich auf der Gartenliege. Täglich den arthritischen Hund herumzuführen reicht mir völlig.

    @EJ: Ja, deswegen, aber auch wegen des Schummelns. Auch wenn sich dann der eine oder andere finanzielle Freigeist in seinen Geschäften eingeschränkt fühlt und gegen den vermeintlichen Totalitarismus zu Felde zieht.

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    @Der Markt ist an allem Schuld: Genauso kann man behaupten: Das Feuer, die Autos, der Computer etc. ist an allem schuld. Oder die Gier.
    Ersteres sind Werkzeuge, letzteres eine Triebkraft. Der von A.P. zitierte FAZ-Artikel zeigt es doch auf, wo die derzeitigen „Zwänge und Möglichkeiten des Marktes“ herrühren: Aus der gnadenlosen Bereitschaft vieler Akteure ihre Gier und Maßlosigkeit zu organisieren, zu bündeln, gleichzuschalten. Du darfst – z.B. Schuhe bei Zalando bestellen und nach einmal Tragen wieder zurückschicken. Du darfst – die große Show im kleinen Restaurant abziehen, weil die Teller nicht genügend vorgewärmt sind usw. usf. und wenn du das nicht machst, bist du blöd, unattraktiv, was weiß ich. Und das, EJ, ist der falsch verstandene Individualismus, den ich meine – jeder Regung nachgeben, lautstark Ausdruck verleihen um über diese Marginalien die Orientierung zu verlieren. Das ist doch krank!
    Und wenn das schief geht – und es geht derweil schief – muss der Markt (@EJ, Stefanovic) unter „… strengste(r) Kontrolle und Überwachung!“
    Statt, wenigstens ein wenig, an Einsicht zu appellieren und glauben. Was für ein Menschenbild..

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    und wenn wir schon wieder in der ökonomischen Debatte sind, hier einige Fundsachen aus der Schweiz zum Thema Grundeinkommen:

    http://www.nzz.ch/aktuell/schw.....-1.9969677

    http://www.grundeinkommen.ch/g.....z-und-faz/

    http://www.tagesanzeiger.ch/ip.....y/29482237

    Ob dass der “ Schlüssel “ für unsere Herausforderungen ist ??

    Dennoch ein Blick über den Tellerrand nach einem 3. Weg lohnt sich immer.

    Denn wer hätte z.B. gedacht dass ein kommunistischer Mäusefänger wie Deng Hsiao-Ping eines Tages ein kapitalistisches System installiert???

  8. avatar

    Hier noch ein guter Artikel aus der FAZ
    zu “ ökonomischen Laborexperimenten “ zu den
    “ behavorial economics “ und dem „liberalen Paternalismus „.

    http://www.faz.net/aktuell/wir.....23976.html

    Die große Frage bleibt allerdings immer noch:

    „Vielleicht sollte man sich angesichts dieser Unübersichtlichkeit auf alte wirtschaftspolitische Tugenden besinnen: Der Staat setzt den Rahmen, der für Fairness, sozialen Ausgleich und Effizienz sorgt, und lässt seinen Bürgern innerhalb dieses Rahmens größtmögliche Freiheit – auch die Freiheit, sich unvernünftig zu verhalten.“

    Was heißt größtmögliche Freiheit und was heißt
    “ unvernünftig“ ??

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    @ Roland Ziegler: auf dem Markt hat auch ein Menschenleben seinen Preis

    Und weil das so ist: Markt nur unter strengster Kontrolle und Überwachung!

  10. avatar

    Die „De-Personalisierung des Marktgeschehens“ halte ich für einen der bequemen Mythen im Geschehen der Globalisierung, um zu verschleiern, dass es sehr wohl immer noch personale Verantwortlichkeiten gibt und auch politische Entscheidungsfähigkeit.Die Ausbeutung von Menschen ist niemals und unter gar keinen Umständen „alternativlos“.Doch zu viele Akteure, die sehr wohl zu identifizieren wären, verdienen zu gut an dem Mythos der alternativlosen Selbstbeschränkung der Arbeitnehmer.Selbstbeschränkung wäre aber auch seitens der Unternehmen (geringfügig geringere Gewinnmargen) und der Konsumenten (geringfügige Mehrkosten oder geringfügig weniger Geiz) bereits ein großer Teil der Lösung.Es ist die schiere Gier, die diese Zustände für unabänderlich hält.

  11. avatar

    Zum Thema Moral :

    hier eine Fundsache von unserem Bürokalender:

    Moral ist, wenn man moralisch ist.

    Georg Büchner

    Und gibt es eigentlich Steigerungsformen von moralisch?

  12. avatar

    Lieber Roland Ziegler,

    wenn Sie einen Kleingarten haben, Ihre eigenen Hühner und Karnickel entfernen Sie sich so allmählich vom eigentlichen Marktgeschehen,

    Aber ich vermute, Sie sind wie wir alle immer noch in unserer ökonomisierten Gesellschaft integriert…oder???

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    @Stevanovic: Ich denke nicht, dass es Konformitätszwang oder Sentimentalität ist, wenn man die Maus nicht töten will, sondern möchte, dass sie lebt. Bei mir jedenfalls nicht. Ich meine kurz gesagt, man sollte Tieren einen moralischen Wert zusprechen, auch Mäusen. Das muss nicht dazu führen, dass man sich grundsätlzich gegen (halbwegs artgerechte) Schlachtviehhaltung oder medizinische Tierversuche ausspricht. Der moralische Wert ist ja nicht absolut. Auch unser Essen, auch das Fleisch Essen hat einen moralischen Wert, der sich nicht zu 100% in den Ersatzwert „Geld“ ausdrücken/übertragen lässt. Vegetarier zu sein erscheint mir schon schlüssig, allerdings nicht zwingend (ich bin jedenfalls keiner, aber sowieso nicht besonders moralisch, d.h. könnte auch mit Selbstwidersprüchen zurechtkommen).

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    …sorry, im anschließenden Statement zu EJ, das ich überlesen hatte, sagen Sie ja klipp und klar: „Es geht darum, dass der Markt die Menschen weder moralischer noch amoralischer macht.“ Dann erübrigen sich meine eben gemachten Bemerkungen, die dagegen angingen, dass der Markt die Menschen moralischer machen würde.

    Moralischer also nicht. Vielleicht hat er aber irgendeine andere zivilisierende Funktion? Statt zu kämpfen treibt man Handel. Um die Handelswege zu sichern, kämpft man danach allerdings wieder.

    Macht der Markt die Menschen im Gegenteil amoralischer? Das wäre die Aussage des Experiments. Man könnte das Experiment auch als Korruption interpretieren. Wenn Menschen Werte gegen Geld handeln, für Werte Geld angeboten bekommen, entsteht früher oder später die Korruption. Ich fürchte, Korruption ist eine Folge jeder Form von Wirtschaft, gerade auch der Marktwirtschaft.

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    …es ist ja schwierig, für alle zu sprechen. Aber was mich betrifft: ich nehme nicht besonders intensiv am Markt teil. Vielleicht bin ich nicht so moralisch wie die anderen? Und liegt das dann an meiner reduzierten Marktteilnahme? Ich glaube grundsätzlich eine diffuse Unlust zu spüren, am Markt teilzunehmen. Ich fürchte aber, erst war die Unlust da, und daraufhin erschien dann die reduzierte Marktteilnahme. Nicht umgekehrt.

  16. avatar

    @ Moritz Berger
    „Dennoch zählt Sri Lanka zu den Ländern mit der höchsten ” sozialen Gerechtigkeit ” einhergehend mit hohen Standards in der Gesundheitsversorgung, im Bildungswesen, in der Ernährung etc.

    Hier wird auch von der Weltbank der noch nicht ausreichende ” Markt ” beklagt.“

    Und inzwischen weiß jeder, wie das gemeint ist. DER MARKT hat sich total verselbstständigt und entpersonalisiert, wie ja KJN auch bemerkt:
    „Was die Moral betrifft: Es wird immer auf den Markt an sich eingedroschen, gemeint ist aber die Entfremdung (!!) im entwickelten, rationalisierten und oligarchisierten und durch Konzerne kollektivierten Marktgeschehen mit der Bereitschaft, von jeglichen Zusammenhängen, Moral einbezogen, zu abstrahieren – und an Großstrukturen zu deligieren. Gefährlich ist das!“

    @ Alan Posener
    1. Ich glaube nicht, dass das Milgram-Experiment heute noch so ausgehen würde. Höchstens in Asien.
    2. Was die Betrachtungen über Armut/Elend betrifft, muss ich eher Moritz Berger Recht geben. Wenn DER Markt so viel Armut beseitigt, wieso wächst dann die Kriminalität?
    Und wieso nimmt die Schwere der Delikte im Drogenmilieu eher zu, siehe Mexiko oder angrenzende Gebiete der USA? Oder werden diese Geschäfte etwa zum „Markt“ gerechnet? Und apropos offene Grenzen/Schengen: Wird dieser Rattenschwanz etwa auch zum Markt gerechnet? Wie ist es mit Einbrüchen? Die kann man getrost zum Markt rechnen, weil prophylaktisch mehr versichert wird, mehr Alarmanlagen gekauft werden. Also alles erwünscht? Ja dann – dann sollte man lieber keine Kinder kriegen und diese Welt dann doch den wilderen Kriegern überlassen? Oder ist noch Zeit, eine politische Handlungsfähigkeit anzufordern, ohne dass Grüne (=Dumme?) sofort reflexhaft Populismus bellen?

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    @Alan Posener: Ja, wir sind moralischer als unsere Vorgänger; die Frage ist nur, warum. Das ist sicherlich eine schwierige Frage. Liegt das daran, dass wir so intensiv am Markt teilnehmen? Oder z.B. daran, dass wir eine umfassendere, auch moralischere Erziehung genossen haben als unsere Vorgänger?

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    @EJ: Das Ergebnis wäre anders ausgefallen, weil der Mord „furchtbar unmoralisch“, d.h. extrem unmoralisch ist. Anders als bei der getöteten Maus. Dann wäre die Entscheidung nicht in richtung Geld, sondern in Richtung Moral ausgefallen (zumindest bei 99% aller Testpersonen). Dass man jemanden aber grundsätzlich auch gegen Geld umlegen lassen kann, ist ja kein Geheimnis, d.h. auf dem Markt hat auch ein Menschenleben seinen Preis (der allerdings normalerweise höher ausfällt als 10 Euro). Der Geldwert spiegelt in gewisser Weise den moralischen Wert. Geld ist eine Art Ersatz für Wert allgemein, d.h. auch für moralischen Wert, würde ich sagen. Geld verhält sich zu Moral wie Ersatzkaffee zu Kaffee, um mal etwas zum Feuilleton beizutragen. Wenn alle Moral an jemandem abperlt, er keine Werte mehr hat, Zyniker ist, ihm nichts auf der Welt mehr etwas bedeutet, dann kann ihn das Geld bzw. die Jagd nach den wachsenden Zahlen trotzdem bei Laune halten. Aber angenehmer ist es normalerweise schon, mit sich und seiner Moral im Reinen zu sein.

  19. avatar

    Die These, dass „Welt“ und „Zeit“ qualitativ besser im Sonne von wahrhatiger seien als Frühstücksfernsehen, halte ich doch für gewagt

  20. avatar

    Lieber Herr Posener,

    „Die Aussage ist leider nicht richtig:
    Dass dem oft nicht so ist, stimmt zwar; aber das wissen wiederum eher die Leute, die das Geld haben, die „Zeit“ (oder die „Welt“) zu abonnieren, als die Konsumenten des Frühstücksfernsehens. Auch hier haben wir es also mit einer sozialen Frage zu tun.“

    Da muß ich Sie leider enttäuschen, auch die Personen, die die Welt oder die Zeit abonnieren blicken leider nicht über den Tellerrand Ihrer deutschen Heimatidylle 🙂

    Wie war das noch bei Marie Antoinette:

    „Wenn Sie kein Brot haben, dann sollen Sie doch Kuchen essen.“

    Meine These ist eher, die Personen, die Billigprodukte kaufen (weil Sie es z.T. müssen) können sich u.U. etwas besser in die Situation der “ Armen “ in Bangladesch versetzen als es der Fall bei unserer “ upper class “ ist.

  21. avatar

    @ Stevanovic: Nicht jede Ausbeutung im Rahmen einer Arbeitsteilung ist dem Markt zuzuschreiben.

    Daran habe ich arge Zweifel. Ist aber ein eigenes Thema. Für diesen Fall aber auch nicht relevant. Europa kauft Kohlen aus China, Kik verkauft seine Klamotten ebenfalls in Europa. Das Ganze in einem komplexen Austauschsystem – um was sollte es sich dabei handeln, wenn nicht um Markt?

    Markt schenkt

    Das wäre nicht Markt. Per definitionem nicht 😉
    Im Ernst: Wir kaufen(!) dergleichen. Trotzdem ist die Entwicklung insgesamt – siehe unten, @ Posener – nur zu begrüßen. Das meinten Sie wahrscheinlich.

    Autobauer

    Wenn Sicherheit einen „zu hohen Preis“ hat oder angemessen langsame, weiche Gummi-Autos nicht attraktiv sind – wer bestimmt das bzw. was ist das, wenn nicht der Markt?

    @ Alan Posener: ist es so, dass wir nicht unmoralischer sind als unsere Vorgänger, sondern moralischer

    Unterschreibe ich. Nur hat das was (mit Aufklärung und) Liberalismus zu tun. Und Liberalismus ist (anders als vielfach behauptet) nicht identisch mit Markt oder Marktwirtschaft. Marktwirtschaft ist sicher Teil des Liberalismus, aber bei weitem nicht identisch mit ihm.

    Der Markt hat das Problem, dass die Grundmotivation, der Ur-Antrieb derjenigen, die sich auf ihm bewegen, derselbe ist, der Menschen zu allen möglichen Handlungen antreibt, darunter zu den verwerflichsten. Das muss klar sein. (Und darauf, ob gelungen oder nicht, zielt das Bonner Experiment.)

    Dass der Markt sich, ähnlich wie Sie darstellen, durch das Aufeinandereinwirken gegenläufiger Kräfte selbst (moralisch) domestiziert, gilt nur für einen Markt, der sich annähernd im Gleichgewicht befindet. Ansonsten kann (beliebig akkumulierbare) Marktmacht nur durch außenstehende – moralische bzw. politische – (Gegen-)Macht in Schach gehalten werden.

    Und das entspricht genau der historischen Entwicklung, auf die wir so stolz sind. Und die für diverse Weltregionen noch nachzuholen, aber auch für uns noch keineswegs beendet ist. Der Markt ist noch längst nicht unanstößig, moralisch unanstößig in eine liberale Gesellschaft integriert.

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    Lieber Herr Posener,

    was ist denn eine „echte Marktsituation“ ?

    eine Markt à la Milton Friedman in dem der Staat z.B. fast keine Rolle mehr spielt oder spielen soll?

    ein Markt á la (Neo)liberalismus, der einzig und allein den homo oeconomicus anerkennt.

    Dass Adam Smith sich in seinen Betrachtungen zum Wirtschaftsgeschehen nicht so “ homogen “ war wie Sie es hier darstellen beruht letztlich auch auf seiner Veröffentlichung:

    http://en.wikipedia.org/wiki/T.....Sentiments

    Was Ihre Definition der “ Armut “ betrifft (hier beziehe ich mich auf den Artikel im Economist:

    http://www.economist.com/news/.....should-aim

    Mir fehlt hier leider auch eine exakte Definition was Sie unter Armut verstehen.

    Sie machen Wohlstand mehr oder weniger am Indikator des Wirtschaftswachstums fest (korrigiere Sie mich bitte wenn ich Sie falsch interpretiere)

    wenn Sie sich z.B. Sri Lanka im Vergleich zur VR China anschauen, werden Sie feststellen, dass Sri Lanka sicherlich nicht so hohes Wirtschaftswachstum wie die VR China aufweist.

    Dennoch zählt Sri Lanka zu den Ländern mit der höchsten “ sozialen Gerechtigkeit “ einhergehend mit hohen Standards in der Gesundheitsversorgung, im Bildungswesen, in der Ernäherung etc.

    Hier wird auch von der Weltbank der noch nicht ausreichende “ Markt “ beklagt.

    Es ist doch überraschend, dass außer
    “ d e m M a r k t “ noch andere Einflußfaktoren gibt, die es ermöglichen die extreme Armut (und nicht wie Sie schreiben die Armut) zu verringern.

    Und Sie wissen auch, dass das
    “ Wirtschaftswachstum “ in China in realen Größen nicht 8-10 % p.a. beträgt, sondern lediglich 2 bis 3 % .

    Unter den Tisch lassen Sie leider die negativen Auswirkungen eines solchen rapiden Wachstums fallen.

    Die da sind: 50% des Trinkwassers in China ist nicht mehr genießbar. Die Luftverschmutzung führt zu einen sehr hohen Zuwachs an Asthmaerkrankungen etc.

    Ein wenig mußte ich schon lächeln, dass Sie als Exsozialist noch immer der Tonnenideologie à la DDR anhänge.

    Die Bekämpfung der Armut á la Modell-China führt mehr oder weniger in die Sackgasse.

    Unseere neiliberalen Ökonomen wie z.B. Straubhaar beginnen so all mählich den homo oeconomicus in den Schublade zu packen.

    http://www.ftd.de/politik/konj.....03717.html

    Hier ein paar Zitate:

    „Es ist unstrittig, dass die Deregulierung, die in der Reagan-Zeit angefangen hat, zu weit gegangen ist. Dass mehr Ineffizienzen durch Marktversagen erzeugt wurde und mittlerweile mehr Kosten als Gewinne durch Abbau von Regeln entstehen …“

    „Ich traue den alten Weisheiten nicht mehr, die mich geprägt haben – nachdem sich einige dieser Weisheiten empirisch als falsch erwiesen haben.“

    „Die Globalisierung der Finanzmärkte hat die gängige Lehre überrollt, wonach die Finanzwirtschaft nur dazu dient, die reale Wirtschaft zu bedienen. Die Kapitalmärkte haben vielmehr ein Eigenleben entwickelt, das nicht mehr mit dem Tempo der Abläufe und Veränderungen in der Realwirtschaft synchron läuft. Das kann, etwa beim Hochgeschwindigkeitshandel von Devisen, der realen Wirtschaft stark schaden.“

    „Es gibt seit Jahren neuere Forschungszweige wie die Verhaltensökonomie, die nicht von einem abstrakten Homo oeconomicus ausgeht, sondern vom realen Menschen. Das Problem ist, dass diese Erkenntnisse bisher zu wenig in wirtschaftspolitisch relevante makroökonomische Modelle eingebaut worden sind. Da ist noch viel zu tun.“

    Der Charme des ökonomischen Leitmotivs der letzten 30 Jahre lag darin, dass es eine einfache Formel gab: Der Markt ist immer besser. Was ist denn die neue Formel?

    Straubhaar Vielleicht ist die Lehre gerade, dass es die einfachen Weisheiten nicht mehr gibt. Vielleicht war diese Einfachheit auch eine große Illusion. Die Welt ist zu komplex. Und wir sollten dringend bescheidener werden.

    Und dass werden Sie doch hoffentlich nicht bestreiten:

    Der Charme des ökonomischen Leitmotivs der letzten 30 Jahre lag darin, dass es eine einfache Formel gab: Der Markt ist immer besser. Was ist denn die neue Formel?

    „Straubhaar: Vielleicht ist die Lehre gerade, dass es die einfachen Weisheiten nicht mehr gibt. Vielleicht war diese Einfachheit auch eine große Illusion. Die Welt ist zu komplex. Und wir sollten dringend bescheidener werden.“

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    Was übrigens das Beispiel Bangla Desh angeht, so ist meines Erachtens dieser Kommentar der FAZ von großer Sachkenntnis geprägt. Bei 400 Toten möchte man nichts rechtfertigen, aber die Textilindustrie dort hat nun einmal auch andere Seiten. Worauf übrigens Karl Marx sofort hingewiesen hätte:
    http://www.faz.net/aktuell/wir.....70282.html

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    @ DonGeraldo / Parisien: Interssante Unterhaltung!
    @ Roland Ziegler: Jede technisierte, global vernetzte Gesellschaft würde im konkreten Vollzug des Lebens ein hohes Maß an Abstraktion aufweisen, auch eine Planwirtschaft. Trotzdem ist es so, dass wir nicht unmoralischer sind als unsere Vorgänger, sondern moralischer. Lesen Sie Steven Pinkers Buch „Gewalt“.
    @ EJ: Es geht darum, dass der Markt die Menschen weder moralischer noch amoralischer macht. Er schürt einerseits die Konkurrenz, was natürlich einen Anreiz zur Ausbeutung setzt. Siehe Bangla Desh, Chile usw. Andererseits ermöglicht er den Vergleich – nicht nur über den Preis. Und wenn sich die ArbeiterInnen organisieren, so dass ihre Konkurrenz untereinander nicht ausgenutzt werden kann, wenn also eine Marktsituation mit halbwegs gleichen „Waffen“ hergestellt wird, kann auch der Arbeiter bessere Bedingungen für sich herausholen. Von allein wird natürlich weder irgendetwas hergestellt noch eine Gewerkschaft gegründet.
    Interessant ist natürlich der Befund, dass die KPChinas, die größte Mordorganisation der Geschichte, zugleich (also zeitlich später) verantwortlich ist für die größte Hebung des materiellen Wohlstands in der Geschichte der Menschheit. Das zeigt natürlich auch, dass billige Parolen bei der analyse der Wirjklichkeit nicht viel helfen.

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    @ EJ

    Wenn einer für den anderen arbeitet, dann ist das nicht unbedingt Markt. Hatte man ja schon immer, die Arbeitsteilung. Die Menschen in den Bergwerken Chiles werden vom selben umgebracht, wie vor der Ankunft des Kolumbus. Dank Markt profitieren wir heute davon und haben dank Markt Einfluss, den wir nutzen können, oder eben nicht. Nicht jede Ausbeutung im Rahmen einer Arbeitsteilung ist dem Markt zuzuschreiben.

    Chile: Lebenserwartung 2000 – 75 Jahre, 2012 – 78 Jahre

    Wenn der Markt die Macht hat zu töten, dann schenkt er anscheinend auch Leben.

    „Warum “anders”? Weil – erstens – ein Menschenleben einen höheren Marktpreis hat? Oder weil – zweitens – Menschenleben auf dem Markt grundsätzlich nicht handelbar ist.“

    Das ein Menschenleben einen Preis hat, kann ihnen jeder Autobauer sagen. Trotzdem: liegt es am Markt?

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    @ Roland Ziegler @ Stevanovic

    “Wenn es um einen Mensch gehen würde, der für 10 Euro gemordet werden würde, wäre das Ergebnis mit Sicherheit anders ausgefallen.”

    Sehr sybillinisch.

    Warum „anders“? Weil – erstens – ein Menschenleben einen höheren Marktpreis hat? Oder weil – zweitens – Menschenleben auf dem Markt grundsätzlich nicht handelbar ist.

    Wenn zweitens, fragt sich, wer die Menschen in den Fabriken in Bangladesch (oder in den Bergwerken Chinas oder Chiles) denn nun umbringt? Auf welchem „systematischen Tarrain“ finden diese Todesfälle denn nun statt, wenn nicht „auf dem Markt“?

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    @Ziegler

    „Wenn es um einen Mensch gehen würde, der für 10 Euro gemordet werden würde, wäre das Ergebnis mit Sicherheit anders ausgefallen.“

    Genau das – das Ergebnis ist nicht auf eine Fabrik in Bangladesch übertragbar, sagt deswegen über die Moral im Markt wenig aus.

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    @KJN

    „Vielleicht ist Moral ja eine Evolutions/-Zivilisationsimanente Erscheinung?“

    Im Fall von Mäusen bestimmt.

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    @Ziegler

    „Ich kann das an meinen kleinen Kindern gut beobachten (und unterstütze diese moralische Entwicklung natürlich auch selber kräftig, weil ich sie für richtig halte).“

    Mache ich auch, aber aus Konformitätszwang – so wichtig ist mir die Sache nicht, als das meine Mädels als Psychos geoutet werden. Tiere als Nutztiere sehen ist nicht gerade populär.

    Manchmal braucht man Dialog mit anderen, um zu erkennen, dass es nicht Moral sondern Sentimentalität ist. Kann es nicht sein, dass der Markt in dem Fall eine heilende Wirkung hat, nämlich die Maus als das zu sehen, was sie ist: ein Bio-Motor, der entweder in einer schmerzfreien Plastiktüte sein frühzeitiges, aber nicht sinnloses (danke für die Kohle!) Ende findet, oder von einer Schlange lebend verdaut wird (die sich nicht mal bedanken würde). Eine Ressource, die sich jemand krallen wird, warum dann nicht ich? Wird erst klar, wenn der andere ein Mensch ist und das Walt Disney Syndrom nachlässt = Marktsituation. Der Vorgang wäre nicht unmoralisch, sondern geradezu emanzipatorisch.

    Und gerade weil dieser Vorgang, d.h. der Nutzen, so abstrakt ist (wir essen die Maus nicht direkt, wir kaufen dafür einen Big Mäc – danke, Schwester Kuh) leisten wir uns die Sentimentalität – also genau umgekehrt: weil unser Nutzen abstrakt ist, ist das Töten für uns unmoralisch. Im Endeffekt aber nicht unnützlicher als das Suppenhuhn schlachten – was ja moralisch ok ist, wenn es Bio ist.

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    …achso, Stevanovic, wenn Sie den Akzent auf „furchtbar“ legen wollten, haben Sie einen wichtigen Punkt markiert: Das Töten einer Maus ist tatsächlich nicht „so furchtbar unmoralisch“, eben nur normal unmoralisch. „Normal unmoralisch“ tritt hier gegen „Ein bisschen Geld“ an. Hier drücken viele mit ein bisschen schlechtem Gewissen ein Auge zu und nehmen das Geld. Wenn die Maus ihnen entrückt wird, indem ein Computer dazwischengeschaltet wird, machen das noch mehr. Wenn es um einen Mensch gehen würde, der für 10 Euro gemordet werden würde, wäre das Ergebnis mit Sicherheit anders ausgefallen.

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    @Stevanovic
    „Damit jedes Moralexperiment im Grunde immer wieder dasselbe beweist, dass wir einen Führer brauchen, sei es nur spirituell?“
    Der Kern der Frage ist doch wohl: Töte ich „nebenbei“, einfach weil’s geht oder gibt es einen übergeordneten Zusammenhang, ein Regulativ. Ein Gefühl dafür, was unanständig ist oder sein könnte. Bevor man danach fragt, wer einem den Weg weisen könnte, würde ich erst mal die Frage versuchen zu beantworten, was einen daran hindern könnte, moralisch /anständig /maßvoll zu handeln. Vielleicht ist Moral ja eine Evolutions/-Zivilisationsimanente Erscheinung?

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    …als moralische Lehrmittel werden eingesetzt: kindliche Tierzeichnungen (in rauen Mengen); Erzählungen über Tiere, Märchen mit sprechenden Tieren, Tier-Dokumentarfilme, Tier-Zeichentrickfilme, Zoobesuche, Kuschelzoos, Ausflüge in die Natur, Haustier-Anschaffungen usw. usf. p.p. – eine unendliche Liste; in den Kinderzimmern ist alles voller Tiere. Wenn so ein Kind größer wird, möchte es normalerweise nicht, dass ein Tier wie eine Maus ohne guten Grund getötet wird. So entsteht die Moral, um die es hier geht.

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    @Stevanovic u.a.: Zu Ihrer Frage: „Was macht denn diese Handlung (Maus, nicht Bangladesch) so furchtbar unmoralisch?“

    Die Teilnehmer, die sich für das Töten der Maus entschieden haben, würden wahrscheinlich angeben, dass man eine Maus ohne guten Grund (!) nicht töten soll. Dies ist eine moralische Aussage, eine unausgesprochene Implikation des Experiments, die keineswegs selbstverständlich ist. Es wäre z.B. eine Gesellschaft denkbar, in der als moralischer Satz gilt: „Nur tote Mäuse sind gute Mäuse.“ Eine solche Gesellschaft hätte für dieses Experiment vermutlich kein Verständnis.

    Hierzulande ist es aber anders; hier gilt eine Moral, nach der man Tiere, jedenfalls Säugetiere, nicht ohne guten Grund töten darf. Und „nur“ Geld dafür zu bekommen, ohne dass ein anderer Nutzwert im Hintergrund bestünde (wie z.B. bei Kammerjägern), gilt eben nicht als „guter“, sondern als „niederer“ Grund.

    Woher kommt diese Moral? Von uns natürlich, von der Mehrheit. Nicht nur von den Eltern, auch von den Verwandten, Bekannten und kindlichen Freunden, in den Kindergärten und den Schulen werden unsere Kinder gelehrt, dass man Tiere nicht ohne Grund töten darf. Den Kindern wird mit großem Aufwand beigebracht, Empathie grundsätzlich, aber eben auch auch mit Tieren zu entwickeln, so dass sie das dazugehörige moralische Gesetzt schrittweise verinnerlichen. Ich kann das an meinen kleinen Kindern gut beobachten (und unterstütze diese moralische Entwicklung natürlich auch selber kräftig, weil ich sie für richtig halte).

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    Siegreich im Systemvergleich ist ja übrigens weniger eine „neoliberale“, d.h. reine Marktwirtschaft, sondern eine Mischform aus Markt- und Planwirtschaft, die sich gegenüber reiner Planwirtschaft, aber auch reiner Martkwirtschaft durchsetzt. Im China von heute gibt es immer noch eine zentralistische KP, die auch im chinesischen Marktgeschehen ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen hat. Und hierzulande gibt es eine ganze Reihe von staatlichen Institutionen – finanziert über das Steuerwesen – , die ein deutliches Gegengewicht zu der Marktwirtschaftlichkeit bilden. D.h. sowohl planerische und freie Elemente sind gleichermaßen vorhanden und auch nötig für ein vernünftiges Wirtschaftssystem. (Wieso man für die Entwicklung eines Gemeinwesens den menschlichen Geist – seine Zukunftsentwürfe, Planungen, Prüfungen und Entscheidungen – komplett an den Nagel hängen sollte, um stattdessen auf irgendeinen Automatismus zu vertrauen, so wie es einige Neoliberale sich offenbar vorstellen, war mir schon immer ein Rätsel.)

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    @ Alan Posener

    Doch. Ich habe schon „aufmerksam gelesen“. So „aufmerksam“ wie sie geschrieben haben.

    Jetzt schreiben Sie: Laut Adam Smith (und Alan Posener) sind die Marktteilnehmer ganz normale Menschen, d.h. auf ihren Eigennutz bedacht. Unter ihnen sind Leute, die dabei bereit sind, über Leichen zu gehen.

    Das ist immer noch nicht deutlich genug. Kommt der Tatsache aber schon näher, dass der Markt als solcher ein Gebot Du sollst nicht knechten und nicht über Leichen gehen nicht kennt. Das Gebot kommt „von außen“, aus anderen Lebensbereichen.

    Es mag sein, dass der Markt die Moral nicht zerstört. (Und gar nicht zerstören muss. Es gibt draußen ja wenig genug.) Er selbst jedenfalls hat keine. Der Markt ist eine Veranstaltung ohne Moral.

    Als „aufmerksamer“ Leser frage ich mich nicht, ob Sie das Bonner Experiment in diesem Sinne oder, sehr „aufmerksam“, mit genau gegenteiliger Intention kritisieren wollten.

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    @Don Geraldo
    „Gibt es eigentlich eine unnötigere Wissenschaft als die Wirtschaftswissenschaften ?“
    Sie meinen die Volkswirtschaften /Nationalökonomie. Die haben sich in den 1980ern – 90ern selbst abgeschafft und durch BWL ersetzt. Daß die nix mehr vorhersagen kann ist klar, liegt in der Natur der Sache.

    Was die Moral betrifft: Es wird immer auf den Markt an sich eingedroschen, gemeint ist aber die Entfremdung (!!) im entwickelten, rationalisierten und oligarchisierten und durch Konzerne kollektivierten Marktgeschehen mit der Bereitschaft, von jeglichen Zusammenhängen, Moral einbezogen, zu abstrahieren – und an Großstrukturen zu deligieren. Gefährlich ist das!

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    @DonGeraldo
    „Gibt es eigentlich eine unnötigere Wissenschaft als die Wirtschaftswissenschaften ?“ Aber natürlich gibt es sie. Die Klimawissenschaft. Arbeitet ausschließlich mit computergersteuerten Klimamodellen nach mathematischen Gleichungen. Es würde viel viel Geld sparen, befolgte man den Rat Mark Twains bei dieser Art von Wahrsagerei: Vorhersagen sollte man stets vermeiden. Vor allen, solche über die Zukunft.“
    Zum Ursprungsthema hier, gab es gestern einen ausgezeichneten Interview mit einem Wirtschaftsgeschichtler in der FAZ am Sonntag: Es ist verrückt, was heute geschieht.“

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    Hier ist von Moral die Rede. Was ist mit Moral gemeint? Das Halten von bestehenden Gesetzen? Die innere Überzeugung, egal woher sie kommt? Meinen wir vielleicht, dass wir einen Hang oder Zwang zu moralischem Handeln hätten? In der Geschichte gibt es ausreichend Beispiele dafür, dass gerade Gesellschaften mit hohem (moralischem) Anspruch zu den größten und profiliertesten Untaten fähig sind.

    Das Maß der Sympathie bzw. Empathie untersucht. Mehr nicht. Und genau diese Sache ist in großem Maße relativ.

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    Wir essen kiloweise Fleisch und lassen dafür hunderte Tiere töten. Ebenso für unsere pflanzlichen Produkte, wir vernichten den Lebensraum der Tiere. Soweit wir nicht heute schon selbst damit Geld machen, bezahlen wir auch noch dafür. Dem Kreislauf ist noch keine Gesellschaft seit Entstehung der Menschheit entkommen. Wir lassen töten, um zu leben und bezahlen dafür. Ist es mehr als überleben nennen wir es Kultur. Ist es dann nicht gesunder Menschenverstand eine Maus über die Klinge springen zu lassen und dafür diesmal auch noch selbst Geld zu bekommen? Macht ein Bauer seit tausenden Jahren nicht anders, vom Bauern im harmonischen Märchenland eines Schweinchen Babe abgesehen. Was macht denn diese Handlung (Maus, nicht Bangladesch) so furchtbar unmoralisch? Ist der Versuch nicht eher ein Beweis für ein verlogenes Moralkonstrukt, dem nicht einmal die gebildete Schicht entsprechen kann? Dieses humanistische Mitleid mit jedem Lebewesen: kann es nicht sein, dass die Instinkte der Studenten noch gesund sind, wenn sie eine Maus in erster Linie als Nahrung oder (hier) Geldquelle sehen?

    Besteht die Unmoral nicht darin, aus dem Verhalten gegenüber Mäusen auf das Verhalten gegenüber Menschen zu schließen und damit Mensch und Tier gleich zu stellen? Womit jede Handlung, die nicht den strikten Regeln eines (?) Buddhismus entspricht per se unmoralisch ist, sich der Kreis zur ewigen Erbsünde des Menschen schließt. Dahinter lauert doch die Vorstellung, dass Eigennutz (so er nicht aus der Sphäre des geistigen die Dinge materialisieren kann) immer unmoralisch ist. Damit jedes Moralexperiment im Grunde immer wieder dasselbe beweist, dass wir einen Führer brauchen, sei es nur spirituell?

    Mir drängt sich da auch die Frage auf: was ist an dem Linksliberal? Blonder Hans – ihr Einsatz ist gefragt!

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    @Alan Posener: Ja. Allerdings bedeutet das moderne Marktgeschehen genau die von Ihnen beschriebene Abstraktion. Beispiel Spekulation: Es ist nur marktwirtschaftlich, nicht aber moralisch egal, ob man Aktien aufkauft und hortet, um den Preis hochzutreiben, oder ob man dasselbe mit Staatsanleihen oder Grundnahrungsmitteln tut (die dann in Silos vergammeln, während Menschen verhungern).

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    @ Don Geraldo

    Wer würde es selbst machen?
    Ich. Ich war sogar noch Student. Es war eine ganze family. Eine konnte ich fangen mit Speck in einem Eimer. Die habe ich ‚runtergetragen. Die anderen sind nach nächtelangen Versuchen, sie zu fangen, draufgegangen mit Cumarin, nachdem sie die Fallen nicht benutzten.
    Ich würde eher sagen, dass Leute, die zehn Euro für eine Maus liegen lassen, nicht alle Tassen im Schrank haben. In Bangladesh würden sie staunen, die Leute, wenn sie das wüssten. Wenn der Brahmaputra über die Ufer tritt, können sie sich vor Mäusen und Ratten nicht retten. Und Schlangen. In den Everglades gibt es bald nur noch eine Art: Den Python. Wer den nicht einfängt und zu Handtaschen verarbeitet, ist in meinen Augen nicht mehr ganz dicht.

  42. avatar

    Gibt es eigentlich eine unnötigere Wissenschaft als die Wirtschaftswissenschaften ?

    Kein einziges wirtschaftliches Problem konnten diese Wissenschaftler jemals vorhersagen.
    Vom Schwarzen Freitag bis zur Euro- und Finanzkrise, immer wurden die Wirtschaftswissenschaftler vom Eintritt der Ereignisse überrascht.
    Im Nachhinein werden dann Modelle entwickelt mit denen man die Probleme hätte vorhersagen können, aber für die nächsten Probleme sind die neuen Modelle schon wieder nicht geeignet.
    Also alles noch mal von vorn.

    Letztlich hat auch dieses Experiment keine Erkenntnisse gebracht, die Psychologen (Stichwort Milgram-Experiment) nicht schon lange hatten.

    Wenn das gleiche Experiment nicht virtuell, sondern an einem realen Ort mit echten Mäusen durchgeführt worden wäre hätte es wahrscheinlich ein anderes Ergebnis erbracht.
    Selbst Leute die für 10 Euro irgendwo eine Maus sterben lassen möchten dabei vielleicht nicht zusehen. Und wieviele würden es – gegen Bezahlung – selbst machen ?

    Das Experiment sagt gar nichts aus über den Markt.
    Es bestätigt nur die alte Erkenntnis, daß Menschen in der Anonymität zu schlimmeren Dingen bereit sind als in der Öffentlichkeit.
    Eine Erkenntnis, die sich auch verbrecherische Regime immer wieder zu Nutze gemacht haben.

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    Lieber Alan Posenee!

    Der Versuch beeindruckt mich gar nicht. Ich hätte als Student das Geld genommen. Wenn es sich aber um Katzen, Affen oder Hunde gehandelt hätte, hätte ich das Tier gerettet.
    Jetzt müssen wir das umdenken. Drastische Sprache ist dafür nötig. Nehmen wir das Billigteil aus Ländern, wo Menschen arm sind, weil sie „brüten wie Mäuse“? Und das muss eindeutig mit nein beantwortet werden. Wir kaufen das Teil, weil kein Geld da ist, um etwas Teureres zu kaufen, wobei die chice Boutique ebfs. Kleider aus Stoffen aus jenen Ländern haben kann. In dem Moment, wo eine Fabrik zusammenstürzt, fangen die meisten erst an, darüber nachzudenken, ob man von dort etwas kaufen sollte. Ich würde sagen, ja, unbedingt. Am nächsten Tag waren die Islamisten auf der Straße. Die Alternativen in solchen Ländern sind im Moment Billigarbeit vs. Mittelalter.
    Der Mäuseversuch hat einen Haken: Er bezieht sich auf den Konsumenten. Der Konsument, der kein Geld hat, kann nicht unmoralisch sein. Ein Armer hat keine Wahl zwischen Moral und Unmoral, er hat überhaupt wenig choice.
    Der Großkapitalismus kommt da ins Gerede, wo er in korrupten Ländern nicht für bessere Verhältnisse sorgt bzw. seine puppets, die Politiker, nur dazu verwendet, die Türen zu öffnen, nicht aber, um in der Folge die Verhältnisse zu verbessern.
    Bei verbesserten Verhältnissen würde der Ärmere seine Teile aus dem nächsten Land kaufen, das ganz unten an der Leiter steht. Das ist nicht unmoralisch.
    Unmoralisch ist nur, nicht darüber nachzudenken, den Profit zu verringern!, sprich die Aktiengesellschaften aufzulösen, die ganze Chose so zu verkleinern, das wieder jeder für seins verantwortlich ist, also back to the beginnings.

    Versuche, in denen man den Konsumenten zu moralisch oder unmoralisch deklariert, sind zynisch. Das würde bedeuten, dass der Student aus gutem Hause, der auf die zehn Euro pfeift, moralischer ist, als der Kevin von der Chantal aus dem Wedding, der da auch sitzt, aber zehn Euro höher ansetzt.
    Unmoral findet man bei maximalem, alles verdrängenden Wettbewerb und Profitstreben plus willigen Politmarionetten, aber doch nicht bei einem Studenten, der eine Maus draufgehen lässt.
    Unmoralisch ist, wie gegen den Willen der Bevölkerung die historische Innenstadt von Istanbul umgebaut wird. Zum Beispiel.

    Interessant wäre ein Versuchsteil 3 gewesen, wo man vorher in einem Film zeigt, welche Krankheiten Mäuse und Ratten übertragen.

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    Lieber EJ, Sie haben nicht aufmerksam gelesen, deshalb unterstellen Sie mir eine Theorie, die ich nicht vertrete. Laut Adam Smith (und Alan Posener) sind die Marktteilnehmer ganz normale Menschen, d.h. auf ihren Eigennutz bedacht. Unter ihnen sind Leute, die dabei bereit sind, über Leichen zu gehen. Das gilt für Fabrikbesitzer in Manchester im 19. Jahrhundert nicht weniger als für Fabrikbesitzer in Bangladesh (und China) im 21. Diese Erkenntnis hat aber auffällig wenig mit diesem Versuch zu tun. Assangista hat völlig zu Recht nach der Kontrollgruppe gefragt; und ich habe wiederholt geschrieben, dass dem Staat die Regulierung der Marktbedingungen obliegt. Auch in Bangladesh.
    Lieber Roland Ziegler: Einige points taken, zumindest for the sake of argument. Sie schreiben nämlich in Ihrem ersten Gegenargument, dass es (nicht um den Markt an sich, sondern) um die „direkte Konfrontation“ geht. Das stimmt, und das heißt: Wenn wir durch einen gewissen Abstand und eine gewisse Abstraktion vom Ergebnis unserer Handlungen getrennt sind, fällt es leichter, Dinge zu tun, die wir direkt nicht tun würden. Der Bomberpilot drückt auf einen Knopf. Der Drohnenpilot ist nicht einmal in der Nähe des Tatorts. Der Aktienhändler jongliert Zahlen am Computer. Der Politiker versucht, den Staatshaushalt auszugleichen und streicht eine Sozialleistung. Ich esse eine Currywurst usw. usf. Dabei würde der Pilot wahrscheinlich zögern, Frauen und Kinder direkt antzuzünden, der Aktienhändler würde nicht Menschen ihrer Ersparnisse mit vorgehaltener Pistole berauben, der Politiker würde vielleicht nach einem Gespräch mit einer Arbeitslosen-Familie anders entscheiden, ich könnte kein Schwein mit eigenen Händen töten.
    Das alles hat jedoch mit der spezifischen Marktsituation nichts zu tun. Sondern, wie gesagt, mit dem Grad der Abstraktion. Im Falle der Studenten war es die Dazwischenkunft eines Computers. Wären die Studenten zum Beispiel angeordnet worden um eine Art Zirkusrunde, in der die Mäuse zu sehen waren, wäre das Ergebnis vermutlich ein anderes gewesen. In so fern muss man den Versuchsaufbau als manipulativ kritisieren, zumal eine Kontrollgruppe fehlte; und die Aussage des Versuchs ist – um es vorsichtig auszudrücken – keineswegs so eindeutig, wie die Bonner wissenschaftler (und die „Zeit“) das behaupten.

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    EJ – kennst du die vielen Fabrikunglücke in kommunistischen Ländern? Nein? Lag es ganz bestimmt daran, dass sie nicht stattfanden?

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    Herr Posener, ich kann Ihnen nur teilweise zustimmen. Dass dieser Versuch irgendeine neuartige Erkenntnis begründen würde, kann ich wie Sie nicht finden. Jeder weiß, dass Moral nicht nur durch Alkohol, sondern auch durch verschiedene Abstraktionsformen benebelt oder außer Kraft gesetzt werden kann. Hierzu gibt es z.B. den Begriff des Schreibtischtäters (jemand, der über Tötungen von Amts wegen befindet wie eine beliebige andere Amtshandlung und – im Gegensatz etwa zu einem Messerstecher – keinen Unterschied zu seinen sonstigen Handlungen erkennen kann).

    Ihre vier Gegenargumente gehen m.E. aber alle ins Leere.

    „1. Falscher Versuchsaufbau“ – Das wissen wir nicht. Wenn es so wäre, würde das Experiment zu einer Spielsituation werden. Dadurch wäre das Ergebnis – dass sich in der direkten Konfrontation deutlich mehr Leute für das Leben der Mäuse entscheiden als in einer abtrakteren Martksituation – aber nicht entkräftet. Es wäre trotzdem da und erklärungsbedüftig.

    2. Diese Frage – ob „die Wissenschaft“ nicht evt. ebenfalls Unmoral produziert, ggf. sogar noch unmoralischer ist als „der Markt“ – ist eine andere Frage, um die es hier aber nicht geht. Man kann die Antwort auf eine Frage nicht zurückweisen, indem man eine ganz andere Frage stellt.

    3. Sie sagen, dass die Unmoral in einer „Kommandowirtschaft“ ggf. noch stärker wäre als in einer Marktwirtschaft. Das kann ja sein. Aber das ist kein Gegenargument für die These, dass eben auch die Martwirtschaft die Moral zerstöre. Das ist ebenfalls eine andere Frage.

    4. Beim Markt geht es um die Einkommensverteilung, nicht um das Gewissen. Das Gewissen tritt umso stärker in den Hintergrund, je abstrakter das Marktgeschehen ist und – das darf man ergänzen – je wichtiger das Geld für den Teilnehmer ist. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Auch das wussten wir bereits.

    Alldas widerlegt wie gesagt nicht die Aussage, dass der Markt tatsächlich die Moral zerstören oder zumindest seine Bedeutung als Handlungsmotivation herunterstufen würde. Was man allerdings entgegenhalten muss, ist, dass wir in jedem Fall irgendeine Art Markt und Marktrationalität brauchen, ganu unabhängig von der Moralfrage. Und dann stellt sich die Frage, welche Art Martkrationalität es sein sollte – welche Farbe die Katze haben soll. Da stellen Sie im Anschluss an den „Economist“ gute Grundsatzüberlegungen an, die die Überlegenheit des kapitalistischen gegenüber der anderen Martkformen betreffen. Allerdings rennen Sie damit weitestgehend offene Türen ein. Der Kapitalismus hat in fast allen Gebieten der Erde gesiegt, weil er besser, d.h. effizienter war. Dies hat auch eine moralische Komponente, wie Sie gut darstellen. Nun sollte es aber nicht mehr um einen Systemvergleich mit bereits überwundenen Systemen gehen, sondern darum, welche Schwachstellen das siegreiche System hat und wie man die ausbessern kann.
    Sonst beweist man mithilfe des Economist wieder nur das, was man bereits weiß, macht also denselben Fehler wie die, die man gerade kritisiert hat.

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    Die Relativitätstheorie des Marktes von Einstein-Posener:

    Der Fabrikeinsturz in Bangladesch hat mit Kapitalismus gar nichts zu tun. Die Mäuse-Menschen in Bangladesch (die nach einem kurzen Leben ohnehin gestorben wären) sind gar nicht für den Markt gestorben. Sie sind für Leute mit schlechtem Einkommen und für Leute gestorben, die (weil schlechtes Einkommen) keine Ahnung von den „Standards“ haben. Und das ist eine soziale Frage und keine des Marktes.

    So einfach ist das. Als Nicht-Genie wäre man da nie drauf gekommen! Danke, APO!

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