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Rübe ab, einsperren, Schlüssel wegwerfen: Neues von Law & Order

Thilo Sarrazin in der Verkleidung eines schwarzen Zuhälters, denke ich, als ich in das Gespräch meiner Nachbarn hinein höre. Die Sprüche des deutschen Stammtisches kann man also auch im Ausland vernehmen. Die bunte Truppe am Nachbartisch intoniert: „Lock the gangsters up und throw away the keys!“ Wir sind im industriellen Herzen Englands, den West Midlands, wo Bandenkriminalität als Kehrseite von Multi-Kulti erscheint.

Die Sarrazinschen Horrorszenarien hatten Birmingham eingeholt, bevor sie in Berlin überhaupt aufschienen. Vor zehn Jahren gab es hier zweimal am Tag einen Schusswechsel im Migrantenmilieu. In die entsprechenden Vororte ging man nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Aber Ausgrenzung und Bestrafung lösten das Problem hier so wenig wie in New Jersey, der Heimat berühmter Bandenkriege.

Das ist Thema in Birminghams Island Bar, einer knallvollen Cocktail Lounge, die offensichtlich keine Kleidervorschriften macht. Die Herrschaften um den Pimp-Sarrazin sind so bunt und lasziv gekleidet, dass man sie eher einer Punkband zurechnen würde. Sie sprechen lautrein das proletarische Englisch der Midlands, ihre Familien stammen offensichtlich ursprünglich aus afrikanischen, indischen und sonstigen asiatischen Ländern. Und ich habe mich verhört. Man fordert nicht Rübe ab, sondern macht sich über solche Forderungen lustig.

Mit seinen neuen Waffengesetzen will der amerikanische Präsident einen zweiten Versuch unternehmen, europäisches Denken in den USA einzuführen. Erst eine vernünftige Krankenversicherung, jetzt eine Entmilitarisierung der Zivilgesellschaft. Das sind Vokabeln, die mich endgültig erstaunen. Die Punker sprechen die Sprache europäischer Sozialpolitik. Sie erinnern sich an den Spruch des damaligen französischen Präsidenten, dass man den Schmutz mit dem Kärcher aus den Vororten vertreiben müsse, mit bitterem Humor. Gemeint waren die Jugendgangs von Einwanderern.

Da meine mithörenden Ohren inzwischen eine Größe wie beim afrikanischen Buschelefanten erreicht haben, mein Interesse also bemerkt wird, bittet man mich und meinen Kumpel an den Nachbartisch. Es haut uns um. Die YMCA-Truppe sind Beamte auf einem Absacker nach Dienstschluss. Willkommen bei den Jungs und Mädchen vom West Midlands Mediation and Transformation Service. Sie sehen aus wie ihre Kunden, sagen sie. Das kann ich jetzt bestätigen. Wir wirken in unseren Geschäftsanzügen in der Runde wie Pinguine im Zoo. Eine wirklich wilde Vorstadt-Gang in Begleitung ihrer Anwälte.

In den letzten zehn Jahren haben sich die „gun crime incidents“ von über siebenhundert im Jahr auf weniger als dreihundert mehr als halbiert. Aus vier, fünf ernsthaften Schießereien am Wochenende ist jetzt eine geworden. „Still one too many!“ Die Sensation liegt in der Begründung für den Rückgang: Es ist nicht mehr die Polizei, die sich um die Probleme kümmert, jedenfalls nicht vorderhand. Alle Verantwortlichen der Kommune haben sich an einen Tisch gesetzt und eine gemeinsame und vor allem neue Strategie beschlossen, die auf einer ungewöhnlichen Überzeugung beruht. Law & Order hilft nicht als alleiniges, schon gar nicht als erstes Rezept.

Aus allen Militarisierungen der Parallelgesellschaften kennt man die sich aufwärtsdrehende Spirale von leichten zu mittleren zu schweren Delikten. So rückt Organisierte Kriminalität vom Rand in die Mitte der Gesellschaft. Die volle Wucht der Strafjustiz, sagt mein Sarrazin-Zuhälter, ist eine Bildzeitungsillusion („tabloid illusions“), die die reaktionären Gemüter beruhigt, aber das Problem vergrößert. In Birmingham kümmern sich Mediatoren um die Kommunikation zwischen den Gangs, um die Kultur der Vororte. So wird aus einer (empfundenen) Respektlosigkeit keine Schießerei, aus einen Gerangel kein Krieg. Im Idealfall.

Der baumlange Baseballspieler mit westindischem Hintergrund zeigt sich endgültig als Sozialarbeiter, als er mir vorrechnet, dass ein einziger Mordfall ein bis zwei Millionen Pfund an Aufklärungskosten verzehre, die Verhinderung nicht mal ein Zehntel koste; wohl gemerkt, die Verhinderung von 300 Gang-Morden kostet nicht ein Zehntel, fügt er an. „To be fucking clear, mate:  We are spending taxpayer‘s money to save taxpayer‘s money. Full stop.“

Mediation statt Strafjustiz. Das nehme ich jetzt mit nach Moabit, wo ich täglich am Knast vorbei fahre. Neuerdings mit der Vorstellung, dass dort eines Tages ein Schild hängen könnte: Zimmer frei.

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2 Gedanken zu “Rübe ab, einsperren, Schlüssel wegwerfen: Neues von Law & Order;”

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    Naechtlicher Besuch auf einem mexikanischen Narco-Friedhof – gefilmt von der U.S. mexikanischen Dokumentaristin Natalia Almada – ist leider nur als Trailer noch unter „El Velador PBS“ – aber warte – auch noch 8 Minuten von dem Dokumentar unter: „el velador : los jardines del humaya cemetary“ oder auch unter: video.pbs/video/2283492273/ . Mit Subtiteln in Englisch. —- Buenas Noches ! Gutes Nacht!

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    Die einzige Verallgemeinerungen zum Vergleich der Zustaende betreffs dieses Themas in verschiedenen Nationen: 1. Sozial-wirtschaftliche Unterschiede, 2. Volkskultur oder ethnische Kultur. 3. Temperament. In Brasilien sind in den letzten 30 Jahren eine Million Menschen ermordet worden. Letztes Jahr 50,000 – mehr als in Mexiko, Irak, Syrien, Afghanistan. Trotz der unheimlichen Kriminalitaet – entstanden die Mehrzahl der Morde durch „Impulstaten“: Streit in the Familie, zwischen Nachbarn, im Strassenverkehr.(Brasilien hat fast 200 Millionen Einwohner). Also, in Brasilien and einigen anderen Nationen Lateinamerikas (z.B. Puerto Rico ) – ist der Impuls, die fehlende Selbstbesinnung ein Umstand welcher sehr zur Mordstatistik beitraegt. In Mexiko spielt auch noch die Todesverachtung der indianischen Kulturen eine Rolle – Tod als ein nicht zu ernstes Ereignis welches man philosophisch und sogar humorstisch betrachtet. „Today is a good day to die!“ war der Schlachtruf der von dem Schamenen der Sioux stammte – als sie den (deutschstaemmigen) General Custer und seine U.S. Cavalry 1876 umritten und massakrierten. Die Mexikaner versammeln sich am Todes-Sonntag im November am Grab ihrer Vorfahren – mit einer Party mit Fresserei und Alkohol- auch fuer Verstorbenen . Die Kinder werden in einen Skelett-Anzug gekleidet und essen Marzipan-Todeskoepfe. Kaspertheater hat auch die Skelettpuppe. Kunstgemaelder befassen sich mit toll gekleideten Skeletten in Tanzveranstaltungen. (Eine tapfere U.S.-mexikanische Journalistin hat ein Dokumentar gefilmt im Friedhof der Narco-Banden-Hochburg – Culiacan: Aus der Sicht der Nachtwaechters. Sieh“ EL VELADOR PBS „). In USA hat wahrscheinlich fast jeder seine Waffe im Haus. Aber im Allgemeinen wird das unter nuechteren und vernuenftigen Menschen fast niemals erwaehnt -man hat so etwas wie man auch Pflaster und Baltrian hat – „in case“. Das Assaultwaffen-Rummel beschraenkt sich hauptsaechlich auf die rustikalen Weissen und kriminelle junge „Minorities“.

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