Berlin hat ein Luxusproblem. Vor einigen Jahren noch vom Regierenden Bürgermeister als „arm, aber sexy“ charakterisiert, gehört die Stadt mittlerweile zu den wichtigsten Zielen für internationale Touristen und gilt auch als attraktiver Wohnort für Leute mit Geld.
Das hat dazu geführt, dass Wohnungen und Mietshäuser, die noch vor einigen Jahren allenfalls als Steuerabschreibungsobjekte für Ärzte und andere Selbständige interessant waren (wie viele meiner in den Heilberufen tätigen Bekannten klagten damals darüber, dass sie von den entsprechenden Fonds hereingelegt worden und dass die Dinger unvermietbar seien!), nunmehr reißenden Absatz finden.
Litt die Stadt früher (und, wenn wir ehrlich sind: sie leidet immer noch) an einem Mangel zahlungskräftiger Steuerbürger, so gibt es jetzt angeblich zu wenige billige Wohnungen, weil zahlungskräftige Bürger den Markt leer kaufen. Wie man’s macht, ist’s falsch.
Manche Wohnungen werden als Ferienwohnungen ausgestattet und vermietet. So wurden meine Frau und ich vor zwei Jahren auf einer Ziegenfarm mitten in der Negev-Wüste von einem israelischen Pärchen angesprochen, das gehört hatte, wie wir beim Käse-Essen miteinander deutsch sprachen. Sie wollten sich eine Wohnung in Berlin kaufen und hatten gehört, Neukölln sei „the place to be“: ob das stimme? Wir bejahten und rieten zur Eile. Denn schon der Sohn von Bekannten in Jerusalem hatte uns die gleiche Frage gestellt und war nach Berlin aufgebrochen.
Andere Wohnungen werden zusammengelegt und für zahlungskräftige Mieter oder Käufer „luxussaniert“: Wobei unter Luxussanierung in Berlin schon der Einbau einer Fußbodenheizung oder eines Kamins, eines zweiten Bads oder Balkons, ja eines „hängenden Klos“ gelten kann. Nun heißt es, dass kleinere und billige Wohnungen knapp werden.
Zweifellos, es gibt ein Problem:
Während die Bevölkerung Deutschlands schrumpft, soll Berlin laut Projektionen der Landesregierung bis 2030 um eine Viertelmillion Menschen wachsen; am schnellsten die Gruppe der Alten (ab 65) und der Jungen (6 bis 18). Das ist das Ergebnis der beiden Babybooms: des Nachkriegsbooms und des Booms der ersten und zweiten Zuwanderergeneration, der aber – aufgemerkt, Herr Sarrazin! – bereits vorbei zu sein scheint: Die Gruppe der Kinder unter 6 Jahren bleibt – trotz der schwäbischen Kampfmütter vom Prenzlauer Berg und der kleinen Kopftuchmädchen des türkischen Gemüsehändlers vom Wedding – bis 2030 konstant.
Besorgnis erregend ist aber: Die Erwerbsbevölkerung bleibt etwa gleich, bei 2,3 von dann 3,75 in der Hauptstadt lebenden Menschen. Vielleicht bleibt Berlin sexy. Es bleibt auf jeden Fall arm. Und eine Stadt der Gegensätze: jung und alt, arm und reich, zugewandert und alteingesessen, neuschwäbisch und altschwäbisch.
Außerdem haben wir es mit einem Schweinezyklus zu tun: wenn Alte wie ich wegsterben, dürfte es eine deutliche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt geben, aber unzuverlässig und egoistisch wie wir Babyboomer nun einmal sind, leben wir immer länger, wollen nicht ins Altenheim und blockieren Wohnungen, die für Familien mit Kindern oder junge Erwachsene gebraucht werden. Wenn die Stadt jetzt Wohnungen baut, riskiert sie, in 20 Jahren auf ihnen sitzen zu bleiben.
Noch einmal. Es gibt ein Problem. Und ich gehöre nicht zu jenen, die auf jedes Problem die Antwort geben, man solle auf die Kräfte des Markts vertrauen. Der Markt ist notorisch kurzsichtig, und die Stadtplanung eine Sache langfristigen Denkens.
Allerdings erwecken die Leistungen der Berliner Politik auf diesem Feld auch nicht gerade Begeisterung. Ich rede gar nicht vom „Großflughafen“, der bereits bei der Eröffnung – inzwischen peilt man „irgendwann im Jahr 2014“ an – zu klein sein wird. Ich denke nicht einmal an ästhetisch-planerische Katastrophen wie den Bereich Potsdamer Platz – Leipziger Platz – Kulturforum oder das die Stadt zerschneidende „Band des Bundes“ mit dem überdimensionierten Kanzleramt, den Neubau des Hohenzollernschlosses ohne eine klare Vorstellung von dessen Nutzung usw. usf. Nein, ich denke vor allem an Großsiedlungen wie die Gropiusstadt und das Märkische Vierteil in Westen, Marzahn und Hellersdorf im Osten.
In die „Reparatur“ solcher monokulturellen Wohnwüsten, die im Osten Alkoholismus und Rechtsradikalismus, im Westen Jugendkriminalität und Drogensucht hervorgerufen haben, musste und muss die Stadt noch mehr Geld stecken als in deren verpfuschten Bau. Wo Berlin richtig gut ist, das ist bei der Schaffung von städtischem Grün, wie jetzt beim neuen Gleisdreieckpark, also beim Nichtbauen. Dass die Politik angesichts ihres eigenen Versagens als Bauherr verzagt wirkt, wenn es um die Lösung des Wohnungsproblems geht, kann man verstehen.
Dennoch: Gerade hier böte sich eine Chance für innovatives Denken an. Die Stadt ist voller Industriebrachen und umgeben von leeren russischen Kasernen; die Großsiedlungen schreien nach städtischer Verdichtung und sozialer Durchmischung; der billige und schnelle – und dafür erstaunlich gute – Wohnungsbau der 1950er Jahre hat überall in der Stadt Handlungsbedarf geschaffen, um aus trostlosen Schlafquartieren lebendige Kieze zu machen. Kurzum: Das Programm der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984, insbesondere die „behutsame Stadterneuerung“, wie sie von Hardt-Waltherr Hämer propagiert und realisiert wurde, gilt es fortzusetzen.
Mit einem Ideenwettbewerb, zum Beispiel. Vielleicht mit einer neuen IBA.
Stattdessen setzt die Berliner Politik auf Zwangsbewirtschaftung.
Innerhalb einer einzigen Woche wurden drei Maßnahmen bekannt gegeben, die angeblich dem Wohnungsmangel abhelfen sollen, in Wirklichkeit lediglich Menschen schikanieren und die Bürokratie aufblähen werden:
- Ferienwohnungen sollen verboten werden. Die Nutzung einer Mietwohnung als Ferienwohnung wird künftig in der ganzen Stadt als „Zweckentfremdung“ geahndet. Pech für unsere Zufallsbekannten aus dem Negev. Pech für viele junge Touristen, für Schnupperberliner aus Südeuropa oder für Familien mit Kindern, die sich künftig keinen Urlaub in Berlin leisten können. Pech für die Findigkeit und Eigeninitiative, die mit Ferienwohnungen auf eine klaffende Marktlücke im Billigsegment reagiert hat. Pech für die Stadt, die auch und gerade solche Besucher – und Besitzer – braucht. Schön für die Berliner Hoteliers, deren Sprecher schon die Maßnahme begrüßt hat. Schön für die Bürokratie, die nun überall auf der Suche nach zweckentfremdetem Wohnraum herumschnüffeln kann: das schafft zwar kaum Abhilfe beim Wohnungsmangel, dafür aber Denunzianten, Planstellen und Lebenszeitbeamten. Berlin ist zwar arm, aber nicht so arm, dass es sich nicht ein Heer von Wohnraumkontrolleuren leisten könnte. Dafür kann man ja bei den Lehrern sparen.
- Luxussanierungen sollen verboten werden. Den Anfang hat der Bezirk Pankow gemacht, früher im Westen ein Synonym für die DDR-Regierung, deren Nomenklatura dort relativ luxuriös residierte, zwischenzeitlich bekannt als Hort des Widerstands gegen den Bau einer Moschee, jetzt Vorreiter im Kampf gegen die Gentrifizierung. Auch hier wird hauptsächlich die Bürokratie profitieren, die fortan jeden Antrag auf Verbesserung der Wohnqualität im Bezirk auf Luxusverdacht prüfen wird. Das Bezirksamt dürfte ziemlich schnell eine Überforderung seiner Politkommissare feststellen und die Schaffung entsprechender Planstellen in die Wege leiten. Die Beamten wohnen dann in Bezirken, wo sie noch Wohnungen mit dem in Pankow verbotenen Gästeklo (gern auch hängend), einem zweiten Balkon und Fußbodenheizung bekommen können. Wenn Sozialneid und Beamtenwillkür (wer bestimmt, was „Luxus“ ist?) Stadtplanung und Initiative ersetzen, leiden nicht nur die unmittelbar Betroffenen – als da wären: Hausbesitzer, die in die Zukunft ihres Eigentums investieren, Aufsteiger, die ihren Familien und sich besseren Wohnraum gönnen wollen, wodurch sie übrigens billigeren Wohnraum frei machen, Einzelhändler und Dienstleister, die in aufgewerteten Stadtbezirken neue Bedürfnisse der Bewohner als Chancen wahrnehmen, Schulen, die ein anspruchsvolleres Klientel bekommen. Es leidet die ganze Stadt, weil sich eine Kultur des Neidens, Denunzierens und kleinlichen Verbietens breit macht.
- Kleingärtner sollen enteignet werden. Auf den ehemaligen Parzellen sollen Wohnungen gebaut werden. Das ist schlicht empörend. Laubenpieper gehören seit jeher zu Berlin. Oft als Piefkes verspottet, sind sie Leute, die statt auf Konsum auf Produktion setzen: Gemüse und Honig, Obstbäume und Blumenstauden. Ihre Gärten sind oft Kunstwerke, in jahrelanger Arbeit entstanden. Ja, zuweilen gartenzwergkitschig, aber das ist noch nicht verboten. Die Laubenkolonien sind blühende Oasen in der Stadt, unentbehrlich für Insekten, Vögel und andere Stadttiere – und außerdem die ökologischste Art und Weise, Urlaub zu machen oder ein Wochenende im Grünen zu verbringen. Sie tragen dazu bei, die Zersiedlung des Stadtumfelds zu verlangsamen, da eine Mietwohnung plus Parzelle für viele Städter eine attraktive Alternative zum Bau eines Häuschens am Stadtrand darstellt. In der letzten Zeit sind sie auch vielfach zu Werkstätten der Integration geworden: Viele Türken grillen jetzt auch auf der Parzelle neben den deutschen Nachbarn statt im Park unter sich. Wohnungsbau gegen Kleingärten auszuspielen, ist schofel, bedeutet, die Bevölkerung zu spalten, Neid und Missgunst zu fördern, macht Berlin ärmer.
Diese sozialistischen Maßnahmen wurden, wohlgemerkt, nicht unter der Rot-Roten Regierung auf den Weg gebracht, die jahrelang alles in allem eine angenehme Politik des Laufenlassens befolgte. Nein, um eine solche Politik gegen das Eigentum, die Eigeninitiative und den Geist des neuen Berlins umzusetzen, brauchte es die Regierungsbeteiligung der CDU.
Da die Oppositionsparteien Linke, Grüne und Piraten gegen diese Politik nichts einzuwenden haben, ja sie in den Bezirken (etwa in Pankow) führend vorantreiben, gibt es faktisch keinen parlamentarischen Widerstand gegen die Pläne des Senats. Demokratie bedeutet aber unter anderem, dass es eine Opposition gibt, die der Regierung auf die Finger schaut, und für die Bürger die Möglichkeit, ohne Gewalt durch Wahl einer anderen Regierung eine andere Politik zu erzwingen. In diesem Sinne ist die Demokratie zurzeit in Berlin ausgesetzt.
@ derblondehans
guter Link! Alan Poseners benevolent empire in der Konkursverschleppung. Aber Sie denken zu voluntaristisch! In Deutschland, lese ich, dass die Ex aka Merkel forever ist.
Fußweg = Bürgersteig
Nochmal kurz zu den Gärten: Ich weiß nicht wie das in der McNair-Siedlung ist, aber die Gärten vor den meisten Reihenhaussiedlungen sind, wie Moritz Berger richtig sagte, keine Gärten, sondern städtische Oberflächenversiegelungen mit anderen Mitteln, bei denen man das Beton oder Asphalt durch Gras ersetzt hat. Auch in den Einfamilienhaussiedlungen wachsen die Bäume nicht in den Himmel; ab Schulterhöhe werden sie einfach gekappt, weil alles Höhere als unschicklich gilt. Die Büsche sind frisiert, der Rasen ist gemäht, und wenn man das anders handhaben will, wird man schief angeguckt. Letzteres ist für mich ein echtes Problem. In Pankow ist das übrigens wohltuend anders: Da kann man innerhalb seines Grundstücks wirklich machen, was man will, solange der Fußweg drum herum frei ist.
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