avatar

Der geteilte Himmel

Am ersten Tag des neuen Jahres ging ich in die Neue Nationalgalerie. Nach „Moderne Zeiten. Die Sammlung. 1900-1945“ wird nun der zweite Teil der Präsentation zur Kunst des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung der Nationalgalerie unter dem Titel „Der geteilte Himmel“ gezeigt. Er umfasst die Kunst in der geteilten Welt – und besonders im geteilten Deutschland – von 1945 bis zum Revolutionsjahr 1968.

Um es vorweg zu sagen: auch wenn die ausgestellten Stücke alles in allem gegenüber der Schau 1900 – 1945 abfallen, und auch wenn eine viel zu laut eingestellte Endlosschleife aus dem Film „Yellow Submarine“ entsetzlich nervt, sind viele Schönheiten zu bewundern:die Berlin-Bilder Werner Heldts etwa aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, zwei Arbeiten von Willi Baumeister, die große Plastik „Deutschland, bleiche Mutter“ von Fritz Cremer, der „Beinamputierte am Strand“ von Willi Sitte, Plastiken von Karl Hartung, ein „Lichtraum“ von Otto Piene, ein Wandrelief von Lee Bontecou, Architekturfotografien von Bernd und Hilla Becher und vieles andere mehr.

Wie Sie an der obigen Aufzählung sehen, bin ich durchaus der Meinung, dass Künstler aus der DDR – Cremer, Sitte, auch Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke wären zu nennen, die allerdings in der Schau nicht mit ihren besten Arbeiten vertreten sind – einen bedeutenden Platz in der Kunst der Nachkriegskunst einnehmen müssen. Manche ihrer Arbeiten, das zeigt diese Ausstellung, werden die eher dem Zeitgeist verpflichteten Werke eines Josef Beuys oder Wolf Vostell überdauern.

Wie kommt das? Darauf komme ich unten zurück.

Zuerst aber will ich über ein Ärgernis berichten, das die Beantwortung dieser Frage erschwert.  Die Ausstellung pflegt nämlich ein Haltung des künstlerisch-politischen Relativismus, die man nur als empörend bezeichnen kann. So heißt es im Einführungstext:

„Wirtschaftswunder und Bau der Mauer, Kuba-Krise und Vietnam-Krieg, Sputnik und Apollo, Kennedy und Mao – schroffe Kontraste und harte Fronten prägten die Jahre zwischen 1945 und 1968. Die bildende Kunst dieser Zeit war von der Atmosphäre des ‚Kalten Krieges‘ und den damit verbundenen politischen Ideologien erheblich beeinflusst. Ost und West trennten vor allem zwei große Wege, die Figuration und die Abstraktion. Die offene Struktur der abstrakten oder auch informellen Kunst verklärte der Westen zum Symbol der Freiheit. Auch die darauf folgende Pop-art war keineswegs zufällig in den Großstädten des Westens entstanden, wo man die Phänomene der Massenproduktion und des ausufernden Konsums direkt vor Augen hatte. Im Ostblock wiederum stellte der sozialistische Realismus einen elementaren Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen dar. Hier geriet der Mensch zum Maßstab aller Dinge, wurde die ‚conditio humana’ von den Künstlern und Künstlerinnen in den Mittelpunkt ihres Schaffens gestellt. Unter dem Titel ‚Der geteilte Himmel’ (benannt nach einem Roman von Christa Wolf) stellt die Neue Nationalgalerie die Hauptpositionen dieser Epoche vor. Dabei geht der Blick über alle Grenzen hinweg und richtet sich auf übergreifende Kunstideen. Im Mittelpunkt des ‚geteilten Himmels’ stehen die internationalen Diskrepanzen: das Nebeneinander der Stile und Künste, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.“

Nun gut, die Schlusssätze kann man als Kuratoren-Blabla abtun. Was mich empört, sind Aussagen wie diese:
1. „Die bildende Kunst dieser Zeit war von der Atmosphäre des ‚Kalten Krieges‘ und den damit verbundenen politischen Ideologien erheblich beeinflusst.“

Beim Kalten Krieg, daran sollte man in Berlin eigentlich nicht erinnern müssen, ging es nicht um einen Kampf zweier „politischer Ideologien“, zu dem man irgendwie eine Haltung der Äquidistanz pflegen könnte. Es ging um den Kampf zwischen Demokratie und Diktatur; um die Abwehr des Kollektivismus und die Behauptung des Individualismus, um Kommunismus gegen Kapitalismus, Plan gegen Markt, Willkür gegen Rechtsstaat, Unterdrückung gegen Freihiet. Nirgends war das deutlicher als in Deutschland. Und: die Kunst war von diesen Ideologien nicht nur „erheblich beeinflusst“; sie war im Osten als „Waffe im Klassenkampf“ dem Diktat der „Partei der Arbeiterklasse“ unterworfen. Sie war schlicht und einfach unfrei. Diesen Wesensunterschied darf man nicht verwischen. Er wird aber in diesem Text verwischt, etwa wenn es heißt:

2. „Ost und West trennten vor allem zwei große Wege, die Figuration und die Abstraktion. Die offene Struktur der abstrakten oder auch informellen Kunst verklärte der Westen zum Symbol der Freiheit. Auch die darauf folgende Pop-art war keineswegs zufällig in den Großstädten des Westens entstanden, wo man die Phänomene der Massenproduktion und des ausufernden Konsums direkt vor Augen hatte.“

Ost und West trennten vor allem zwei große Wege: Freiheit und Diktatur. Wer abstrakt malen wollte, musste das im Osten heimlich tun; öffentliche Aufträge jedenfalls wären für einen Anhänger des „bürgerlichen Formalismus“ nicht zu haben gewesen. Und wer figürlich malte, konnte im Osten auch seine Themen nicht frei wählen. Es ist also nicht so, dass die abstrakte oder informelle Kunst vom „Westen“ (wer war das?) zum Symbol der Freiheit „verklärt“ wurde. Die Möglichkeit, nach Lust und Laune abstrakt oder figürlich, konservativ oder experimentell, kritisch oder affirmativ, destruktiv oder dekorativ tätig zu sein, war nun einmal nur im Westen gegeben. Kritik am bestehenden System war im Osten schlicht und einfach nicht möglich. Es ist deshalb in der Tat „nicht zufällig“, dass die Pop-Art im Westen entstand. Nicht, weil es im Westen halt Missstände gab, die angeprangert werden mussten, sondern weil es im Westen die Freiheit zur Innovation gab. Es ist bezeichnend, dass die Ausstellungsmacher nur ein gesellschaftliches Übel aus dieser Zeit benennen: den westlichen „ausufernden Konsum“. Politische Unterdrückung, Bespitzelung, Indoktrination, erzwungener Konformismus und, ja, eingeschränkter und zweitklassiger Konsum: all diese Merkmale des Kommunismus finden keine Erwähnung, stattdessen heißt es:

3. „Im Ostblock wiederum stellte der sozialistische Realismus einen elementaren Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen dar. Hier geriet der Mensch zum Maßstab aller Dinge, wurde die ‚conditio humana’ von den Künstlern und Künstlerinnen in den Mittelpunkt ihres Schaffens gestellt.“ Nun, der „sozialistische Realismus“ stellte nur deshalb einen „elementaren Ausgangspunkt“ da, weil er bei Strafe des Berufsverbots vorgeschrieben war. Und der Mensch „geriet“ nicht zum „Maßstab aller Dinge“. Vielmehr wurde die „allseits entwickelte sozialistische Persönlichkeit“ zum Maßstab und Erziehungsziel der Kunst erklärt, die sich gefälligst nicht mit individualistischen und bürgerlichen Regungen zu befassen habe, und schon gar nicht mit  Krankem, Dekadentem, Abartigem. Wobei die Partei bestimmte, was krank, dekadent und abartig war. Nicht die „conditio humana“ also wurde „von den Künstlern und Künstlerinnen in den Mittelpunkt ihres Schaffens gestellt“, sondern der Mensch, wie er zu sein hatte, wurde von der Partei in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens gestellt: ein zutiefst verlogenes Menschenbild. Und im Großen und Ganzen hat dieses Diktat die Kunst und die Künstler ruiniert.

Kein Wort, nirgends über diese Sachverhalte. Geschichtsvergessenheit? Oder Opportunismus? Schließlich regierte bis vor kurzem in Berlin die Linkspartei mit. Egal. Ein Skandal, so oder so, gesponsert übrigens von der Sparkassen-Finanzgruppe.

 Dass unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus überhaupt bemerkenswerte Kunst und Literatur entstehen konnte, bleibt also das zu Erklärende.

Niemand kann leugnen, dass Cremer und Sitte, Bertolt Brecht und Christa Wolff, Dmitri Schostakowitsch und Hanns Eisler Werke geschaffen haben, ohne die wir ärmer wären. Hier ist zwar nicht der Ort, eine umfassende Erklärung zu versuchen, mir scheint aber, dass man hier der Unzulänglichkeit der Totalitarismustheorie auf die Spur kommt. (So wie Marx bei der Erörterung der griechischen Kunst und Stalin bei der Erörterung sprachwissenschaftlicher Theorien unversehens die Armut des dialektischen Materialismus aufdecken.) Ich denke, es kommt daher, dass Sozialismus und Kommunismus in der europäischen Tradition des Christentums und der Aufklärung, des Humanismus und der Wissenschaft stehen. Der Kommunismus ist ein unter fürchterlichen Opfern ins Werk gesetzter, unter entsetzlichen Verlusten gescheiterter Traum, aber doch ein positiver Traum, anders als jener Albtraum des ewigen Kampfes der Rassen, den der Nationalsozialismus fordert. Auch wenn der Traum von Fanatikern und Funktionären tausendmal verraten wurde, auch wenn seine Realisierung – etwa im israelischen Kibbuz – auch etwas Beklemmendes hat, so bleibt in den Werken der Besten unter den Künstlern des Kommunismus etwas von der Utopie und den diesen Traum inspirierenden Traditionen erfahrbar, so wie in der Kunst des Mittelalters, allem Wissen um die unterdrückerische Rolle der Kirche zum Trotz.  Deshalb können uns diese Werke berühren.

Das festzustellen, ist etwas ganz anderes als der ärgerliche Relativismus der Ausstellungstexte, die Udo Kittelmann als Direktor der Nationalgalerie zu verantworten hat.

 


Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

25 Gedanken zu “Der geteilte Himmel;”

  1. avatar

    @ APO: Sie haben meinen Text nicht verstanden. […] Nichts von dem, was sie mir böswilligerweise unterstellen, steht im Text, weshalb Sie auch nichts von mir zitieren.

    OK. Ich versuche mal, mich da raus zu arbeiten. – Da konkrete Hinweise (Zitate) auf mein intellektuelles und mein moralisches Versagen fehlen, rekonstruiere ich mal auf eigene Faust. Was habe ich Dummes und Böses gesagt? Wahrscheinlich waren es mehrere Dinge. Der Übersicht halber beschränke ich mich zunächst aber nur auf meine Behauptung: APO entpolitisiert die Kunst des Westens.

    Die Behauptung, APO entpolitisiert die Kunst des Westens, bezieht sich konkret auf folgenden Satz, wobei ich „Pop-Art“ als pars pro toto genommen und stillschweigend auf moderne Kunst bzw. Avantgarde erweitert habe. Sie: „Es ist deshalb in der Tat „nicht zufällig“, dass die Pop-Art im Westen entstand. Nicht, weil es im Westen halt Missstände gab, die angeprangert werden mussten, sondern weil es im Westen die Freiheit zur Innovation gab.“

    Eine mehr als erschütternde Behauptung, APO! Wo ist in Ihrer Interpretation der antiautoritäre, der „antibürgerliche“ Charakter der modernen Kunst bzw. der Avantgarde geblieben? Selbstverständlich trifft die Behauptung zu, dass Pop-Art da nicht entstehen konnte, wo sie verboten war, im Osten etwa. Das heißt aber nicht, dass Pop-Art im Westen entstand, weil dort die Freiheit dazu bestand. Die Freiheit ist eine notwendige, aber längst keine hinreichende Bedingung. Es muss etwas hinzukommen, dass aus Freiheit Pop-Art wird. (Und würde die Freiheit bestimmen wollen, was hinzukommen muss, wäre sie keine.)

    Sie betonen und steigern Ihre Interpretation aber noch. Sie bestreiten ausdrücklich, dass Kunst im Westen lediglich von außen, heißt: von Nicht-Kunst/ von Politik, instrumentalisiert, zum Symbol der Freiheit „verklärt“ wurde. Sie: „Es ist also nicht so, dass die abstrakte oder informelle Kunst vom „Westen“ (wer war das?) zum Symbol der Freiheit „verklärt“ wurde.“ Sie meinen, West-Kunst war selbst, war aus sich selbst heraus Ausdruck und systemkonforme und systemaffirmative Feier der westlichen Freiheit.

    In diesem Sinne stellen Sie von Anfang an Kunst in den Streit von westlicher Freiheit und sozialistischer Diktatur. Sie: „Es ging um den Kampf zwischen Demokratie und Diktatur; um die Abwehr des Kollektivismus und die Behauptung des Individualismus, um Kommunismus gegen Kapitalismus, Plan gegen Markt, Willkür gegen Rechtsstaat, Unterdrückung gegen Freihiet.“

    Genau in diesem „Kampf“ stand mindestens die West-Kunst aber nicht. Und wenn sie es tat, stand sie eher auf der falschen Seite. Es gab im Westen keine Kunst gegen Kollektivismus, Kommunismus, Plan, Willkür und Unterdrückung, wie sie im Ostblock real existierten.

    Entsprechend ist es historisch-faktisch völlig abwegig, der West-Kunst zu unterstellen, sie sei vor 1968 etwas wie Systemkunst gewesen. Kunst für Demokratie, Individualismus und Kapitalismus, womöglich noch Kunst für Demokratie, Individualismus und Kapitalismus in der real existierenden Version der damals regierenden CDU/CSU und nationalliberalen FDP gab es nie! Wie es im Westen auch nie eine Kunst gegen Kollektivismus, Kommunismus, Plan, Willkür und Unterdrückung gab.

    West-Kunst, sofern es sich nicht um den geschnitzten brünftigen Hirschen auf der Kredenz oder die Madonna mit dem Kinde im Schlafzimmer handelte, stand mindestens so sehr in Opposition zu den im Westen herrschenden Verhältnissen, war mindestens so antiautoritär und antibürgerlich wie etwa die APO und ihre Vorläufer in der Anti-Atom- und in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung usw.

    In diesem Sinne war West-Kunst immer politisiert. Es war gerade die Anprangerung (tatsächlicher oder vermeintlicher) innerwestlicher politischer und gesellschaftlicher Missstände, aus denen die West-Kunst lebte. Dass sie dabei auf der Basis der (häufig von ihr missachteten und geschmähten) westlichen Freiheit überhaupt erst leben konnte, trifft fraglos zu.

    Deshalb aber, wie Sie es tun, APO, die innerwestlichen Auseinandersetzungen, die innerwestliche Kritik, gerade auch in ihrem übertriebenen und ungerechten Charakter, als Ursprungsort der modernen(!) West-Kunst zu leugnen, heißt, sie zu entpolitisieren und ihren spezifisch modernen Charakter misszuverstehen.

  2. avatar

    @ Alan Posener

    Sie schreiben „Die Frage ist aber – und das ist mit “Äquidistanz” gemeint: Sind beide Diktaturen in irgendeiner Weise gleichwertig? Und meine Antwort ist: Nein. Die Gängelung gerade der großen Künstler durch partei und Staat(im Kleinen konnte man überleben, auch als Abstrakter) ist ein Verbrechen, während die Nichtbeachtung durch den Markt lediglich sehr bedauerlich ist.“

    Sie meinen doch nicht mit „beiden Diktaturen“ die Sowjetische Besatzungszone (Partei) und die Bundesrepublik Deutschland (Markt)?

  3. avatar

    …und zum Dritten: was ich soeben zum Zweiten geschrieben habe, ist leider ziemlicher Quark. Schade um die Aufmerksamkeit, aber die Aufmerksamkeit, die diesem Thread gezollt wird, ist ja eher gering. Jedenfalls muss ich mich korrigieren: Kunst macht man aus 1001 Gründen, eine freiere Geselschaft liefert eine bessere Grundlage als eine unfreie, die Frage des Glücks und die 1000 anderen Fragen der Kunst sind normalerweise keine, die gesellschaftlich beantwortet werden können. In der Kunst erscheint Freiheit, nicht Unfreiheit, selbst wenn ihr Thema die Unfreiheit ist.

  4. avatar

    …ich bin eben von den gesellschaftlichen Bedingungen ausgegangen und habe von dort auf die Kusnt geblickt. Wenn man umgekehrt von der Kunst ausgeht und von dort auf die Gestaltung der gesellschaftliche Bedingungen blickt, stellt man dasselbe fest: dass es viel weniger die Freiheit als die Unfreiheit ist, die dort erscheint. Nicht die Unfreiheit des Ostens wohlgemerkt, sondern die unserer westlichen Gesellschaft. Ich bin wie Sie der Meinung, dass diese Gesellschaft die freieste ist, die es bislang gegeben hat. Trotzdem erzählen viele Künstler in ihren Werken davon, wie schwierig es ist, in heutiger Zeit in unserer Konsumgesellschaft in Selbstbestimmung und Originalität zu leben. Das muss man ernst nehmen und darf daraus keine implizite Feier der Martkwirtschaft o.ä. machen. Die mag dem Kunstliebhaber entgegenkommen, weil der sich einer großen Auswahl erfreuen kann, aber nicht unbedingt der Kunst.

  5. avatar

    @Alan Posener: Ihrer Antwort widerspreche ich nicht. Wenn es an die Bewertung geht, ist es natürlich mit der Äquidistanz vorbei. Bewertung heißt ja gerade, die Distanz aufzugeben, um sich zu entscheiden.
    Wer als „großer Künstler“ in die Kunstgeschichte eingeht, weiß man allerdings immer erst nachher. Und auch aus unserer Perspektive, die wir „den Osten“ als untergegangene Diktatur wahrnehmen, zeigt sich nur, was aus welchen Gründen auch immer den Untergang des Ostens überlebt oder zumindest sichtbar geblieben ist.
    Was man auch bedenken sollte, ist, dass die besten gesellschaftliche Bedingungen nicht zwangsläufig die beste Kunst produzieren. Da muss man nicht mal den Osten mit seinem besonderen System heranziehen; es reicht, sich in den Armenvierteln des Westens umzusehen. Was z.B. der winzige karibische Raum an musikalischen Innovationen hervorgebracht hat, steht in umgekehrt proportionalem Verhällnis zur Qualität der dortigen gesellschaftlichen Bedingungen.

  6. avatar

    @ EJ: Sie haben meinen Text nicht verstanden. Das ist nicht meine Schuld, sondern Ihre. Nichts von dem, was sie mir böswilligerweise unterstellen, steht im Text, weshalb Sie auch nichts von mir zitieren.
    @ Roland Ziegler: Schon als ich den Text schreib, dachte ich: Irgendjemand wird kommentieren, was heißt hier Freiheit der Kunst, im Osten diktierte die Partei, im Westen der Markt. Freilich ist es so. In meinem Haus und Garten finden Sie Werke exzellenter Künstler wie Axel Sander, Siegried Kühl, Achim Pahle (von meinem Großvater Moritz Posener ganz zu schweigen), die am Markt nicht reüssiert sind. Die Frage ist aber – und das ist mit „Äquidistanz“ gemeint: Sind beide Diktaturen in irgendeiner Weise gleichwertig? Und meine Antwort ist: Nein. Die Gängelung gerade der großen Künstler durch partei und Staat(im Kleinen konnte man überleben, auch als Abstrakter) ist ein Verbrechen, während die Nichtbeachtung durch den Markt lediglich sehr bedauerlich ist.

  7. avatar

    @ Roland Ziegler

    Ja. Man müsste sich die Ausstellung ansehen. Bis dahin muss leider unklar bleiben, ob (und, wenn ja, wie) auch die Ausstellung Politik macht. Dass sie es ebenfalls tut, ist wahrhrscheinlich bis sicher. Alan Posener jedenfalls bastelt unzweifelhaft an the german Kulturnation.

    Und die ist („schon immer“) weitestgehend entpolitisiert, und zwar rechts-entpolitisiert. Dementsprechend formuliert APO in seinem Ausgangsposting nachträglich Erwartungen an die „Westkunst“, die auf eine nachträgliche Entpolitisierung jedenfalls des Westens hinauslaufen: Was gab’s im Westen schon zu kritisieren? (Gruselig, APO, gruselig!) Gleichzeitig macht er für die ideologisierte und politisierte „Ostkunst“ den Zugang zu den Ruhmeshallen, wenn schon nicht dicht, dann jedenfalls sehr eng.

    Das hat ein Vorbild: In unserer Kulturnation findet weder das „Tausendjährige Reich“ noch das „Dritte Reich“ noch die Nazizeit statt. Was nur „politisiert“, mit einem historisch-politischen Erklärungsschwanz dran, Eingang in sie finden könnte, fällt raus. Die andere Möglichkeit ist eher nur eine theoretische (und im Einzelfall heftig umstrittene, vgl. z.B. Gottfried Benn): der Erklärungsschwanz fällt raus und das „reine Kunstwerk“ bleibt drin.

    In jedem Falle haben wir am Ende einen Kanon und eine (gesamtdeutsche) Kulturnation, in denen weder das „Dritte Reich“ noch die DDR oder überhaupt etwas – so oder so – Kritisches vorkommen, sondern nur noch sprachlose Ohs und Ahs – Oh, diese Musik! Oh, diese Sprache! Usw. usf. – und ein knochenloser, ideal-runder, universalweiser, alles- und nichtssagender Goethe. – Das Land der Dichter und Denker gerettet! Für jede politische Instrumentalisierung und Verwertung. Jetzt eben mal im kapitalistisch-demokratischen System.

  8. avatar

    @EJ: ich fürchte, dass Sie recht haben. APO meint offenbar in erster Linie das, was sich so als vekrusteter Schorf an der Oberfläche des Organismus abgesetzt hat. Im Fall der Ostkunst ist sogar dieser bereits verstorben. Ich war nicht in der Ausstellung, wahrscheinlich müsste man mal nachsehen, was da alles als Kunst ausgestellt wird.

  9. avatar

    @ Roland Ziegler: Was mir so alles nach der Wende von Küchentisch-Künstlern aus dem Osten zu Ohren gekommen ist, zeugt, sofern es glaubwürdig war, von einer ganz anderen Integration der Kunst im Alltag, wie wir sie im Westen gar nicht kennen.

    Schön gesagt! – Um die unmittelbare, zeitgenössische, auch zeitgenössisch-intime Funktion von Kunst geht es APO aber gar nicht. Die geht ihm am …. vorbei. Es geht ihm, nicht anders als dem beliebigen ZK-Sekretär, um Kanonisierung. Er möchte festlegen, was bleibt. Nur das ist ihm wichtig. APO geht’s nicht um Kunst, sondern um Geschichtspolitik. Er macht schlicht Propaganda, hätte man zu anderen Zeiten gesagt. Auf höherem Niveau wäre das Ideologie.

  10. avatar

    @ Jean-Luc Levasydas

    Danke für Ihren Link. Ich kannte das Interview nicht. Es gibt eine gute Erläuterung zu dem, was APO im vorletzten Abschnitt seines Ausgangspostings schreibt: „gescheiterter Traum, aber doch ein positiver Traum“.

  11. avatar

    @ APO, ich habe Ihren Text noch ein-, zweimal gelesen. Er wird nicht besser. Im Grunde ist das Stammtisch, was Sie schreiben. Eine Variante von „Geht doch rüber!“: Im Westen gab’s nichts zu kritisieren. Die eigentliche Aufgabe der „Westkunst“ hätte im Osten gelegen.

    Wie ein so ausgeprägtes Kunst- und Geschichtsverständnis zu Ihren sonstigen Texten zu Achtundsechzig und zur Vor-68er-Zeit passen soll, bleibt Ihr Geheimnis. Die Frage danach erübrigt sich aber wohl auch: Der Sieger schreibt die Geschichte. (Und, selbstverständlich, die Konvertiten, die Saulus/Paulusse, sind seine blind-eifrigsten Autoren.)

  12. avatar

    Guten Tag und frohes neues Jahr allerseits! (Die Arbeit hat mich ähnlich nervig-lärmend aus dem schönen Winterschlaf zurückgerufen.)

    Zum Artikel: Ich bin über den Begriff Äquidistanz gestolpert, den ich auch andernorts schon angetroffen ubd auch dort bereits in seinerr negativen Konnotation nicht verstanden habe. Man könne zum Kampf der beiden Ideologien Kapitalismus und Kommunismus keine Äquidistanz einnehmen, sagt Herr Posener. Warum nicht? Äquidistanz meint doch offenbar Distanz und Neutralität, welche genau die Voraussetzungen sind, um überhaupt irgendetwas vernünftig beschreiben zu können. Objektivität. Warum sollte man die nicht einnehmen können? Oder es wenigstens versuchen? Das Gegenteil von Äquidistanz wäre Parteilichkeit, Schieflage, Distanzlosigkeit. Ohne die Bemühung um Äquidistanz gäbe es weder Journalismus noch Wissenschaft, von der Kunst ganz zu schweigen. Das Problem des Textes, den Herr Posener hier kritisiert, scheint deshalb auch eher sein Mangel an Äquidistanz zu sein. Der Text enthält eine asymmetrische Distanz: Die Bedingungen der Kunstproduktion in der kommunistischen Welt werden geschönt bzw. sehr unvollständig dargestellt – dies ist der eigentliche Vorwurf.

    Außerdem: „öffentliche Aufträge“ im Osten waren für einen bürgerlichen Formalisten nicht zu haben; ja, aber auch im Westen kam nicht jeder Künstler an „öffentliche Aufträge“. Was im Osten die Partei regelte, regelt im Westen der Markt. Wer nicht marktkonform produziert, bleibt draußen vor der Tür, und diese Regel des Westens erhält im Fall der Kunstproduktion eine besondere Problematik durch den Umstand, dass Kunst nicht marktkonform sein darf. Kunst soll ja Blickwinkel verändern usw.; das verlangt ihre Gesellschaft von ihr. Der Blickwinkel darf aber auch nicht allzu schräg sein. Die Kunst muss sich außerhalb der Mainstream-Perspektive stellen, wo sie ganz schnell soweit abseits zu liegen kommt, dass sie auch im Westen an keine „öffentlichen Aufträge“ mehr kommt. Weshalb auch die Künstler im Westen oft fundamentale Kritiker der Ideologie sind, in der und für die sie produzieren: des Westens. Bei Herrn Posener liest es sich so, als würden die Westkünstler ihre Gesellschaft feiern. Das ist in der Regel nicht der Fall. Wenn Sie alte Pop-Art anführen, denken Sie bitte nicht an Ihre Beatles, sondern z.B. an The Clash.

    Was man wohl sagen kann, ist, dass die Kunst des Ostens nur in wenigen Fällen Aussagekraft in der Wirklichkeit des Westens hat. Was man aber nicht sagen kann, ist, dass sie im Osten keine Relevanz hatte. Im Gegenteil: Was mir so alles nach der Wende von Küchentisch-Künstlern aus dem Osten zu Ohren gekommen ist, zeugt, sofern es glaubwürdig war, von einer ganz anderen Integration der Kunst im Alltag, wie wir sie im Westen gar nicht kennen. Möglich, dass sich diese wichtige soziale Rolle der Ostkunst, deren Performance- und Zeichensysteme heute bedeutungslos geworden sind, auf die Städte beschränkte. Aber „öffentliche Aufträge“ sind jedenfalls nichts, was für die Bedeutung dieser Ost-Kunstszene eine tragende Rolle spielte. Hier geht es um die Bedeutung zwischen den Zeilen, und um Dinge, die man sich in seine Wohnung stellt, statt sie im Museum zu besuchen.

  13. avatar

    @ KP (!?): Nun, Brechts Verhalten am 17. Juni mag ein „Zankapfel“ sein, aber ein widerliches stalinistisches Stück wie „Die Maßnahme“ bleibt ein Schandfleck, ebenso wie sein Lobgedicht auf Stalin, „Die Erziehung der Hirse“, und einiges mehr. Dennoch – und dies wäre das zu Erklärende, ohne dass man an seinen Abgründen herumdeutelt – bleibt er ein großer Dichter.

  14. avatar

    A.P. schreibt (Kommentar 8):

    “In der Kunst war solches Grenzgängertum schwieriger als in der Literatur, wo sie schließlich auch unmöglich wurde, man denke an Brechts Kapitulation am 17. Juni […]“.

    Brecht und der 17. Juni… der ewige Zankapfel in der Brechtrezeption…
    In Kürze zur Ergänzung Zitate aus dem Brecht-Handbuch (Hg. Jan Knopf, Stuttgart/Weimar, 2003):

    – Aus der Chronik: “B. beobachtet die Vorgänge des 17. Juni […]. – Im ‘Neuen Deutschland’ erscheint [am 21.Juni] nur eine gekürzte Wiedergabe seines Briefes an Walter Ulbricht, die Vorgänge des 17. Juni betreffend” (BHb., Bd. 5, S. 122). Meines Wissens war es diese um kritische Passagen gekürzte Fassung, die im Westen Enttäuschung und Empörung ausgelöst hatte.

    – “Politisch suchte B. wirksam zu werden durch Veröffentlichungen im ‘Neuen Deutschland’. Z.B. warnte er anlässlich des 17. Juni 1953 davor, >die Arbeiter, die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben< [GBA 27, S. 250], mit >Provokateuren auf eine Stufe< zu stellen, damit die so dringliche große Aussprache über die allseitig gemachten Fehler nicht von vornherein unmöglich gemacht wird< [GBA 27, S. 250]" (Bhb., Bd. 4, S. 10). - "Zentrale Bedeutung im Jahr 1953 hatte für B. der 17. Juni, zu dem er am 20.08.im 'Journal' die vielzitierte Aussage machte, er habe >die ganze Existenz verfremdet< [GBA 27, S. 346]. Es finden sich 1953 mit den Hinweisen '[Zum 17. Juni 1953]', der 'Erklärung der Deutschen Akademie der Künste [GBA 23, S. 253], den Überlegungen zu 'Kulturpolitik und Akademie der Künste', den Anmerkungen zur 'Kunstkommission' [GBA 23, S. 260] sowie der '[Umwandlung des Amts für Literatur]' in diesem Zeitraum klare Positionsbestimmungen, die anzeigen, in welcher Weise B. Korrekturen des politischen Kurses in der DDR erwartet hat" (BHb., Bd. 4, S. 393). - Allerdings: B. hat 1954 auch den "Stalin-Friedenspreis" erhalten, den er offenbar nicht ausgeschlagen hat (vgl. Bhb. 4, S. 393). Ich bin gespannt auf die neue, wohl zwei-bändige Brecht-Biographie aus der Feder Jan Knopfs, die – soweit ich das recherchiert habe – noch nicht erschienen ist. --

  15. avatar

    Typisch übrigens für den Osten heute, wie selektiv „Brandenburg daily“ (s.o.) aus meinem Beitrag zitiert. Da wird auch mithilfe der Wahrheit gelogen.

  16. avatar

    @ EJ: Klar, damals klammerte kritische Kunst im Westen die DDR aus, und musste sie ausklammern, weil sie sonst affirmativ versandet wäre. Immer nur mit dem Finger auf die Unfreiheit im Osten zeigen, das ging nicht; die Kritik an jener Unfreiheit war implizit gegeben in der Wahrnehmung der real existierenden Freiheit der Kritik im Westen. Und: Ja, im Bezug auf Preußen (aber nicht nur auf Preußen, man denke an Biermanns Heine- und Brecht-Rezeption) gewann die DDR-Kultur eine gewisse Autonomie, übrigens auch gegenüber der westlichen Avantgarde. Biermann, daran sollte man auch erinnern, Biermann war den 68ern im Westen wichtig, weil er zeigte, dass Kritik am Osten Kritik am Westen nicht ausschloss, und umgekehrt. Im Westen hatte auch Günter Grass mit seinem grandiosen Stück „die Plebejer proben den Aufstand“ einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion geleistet. In der Kunst war solches Grenzgängertum schwieriger als in der Literatur, wo sie schließlich auch unmöglich wurde, man denke an Brechts Kapitualtion am 17. Juni, an die Ausbürgerung Biermanns, an die folterung des Jürgen Fuchs.
    @ Derblondehans: Für gewöhnlich halte ich Ihre Beiträge für wenig hilfreich. Aber mit Ihrer persönlich gefärbten Betrachtung zu Fritz Cremers Buchenwaldgruppe, die übrigens auch in der Ausstellung su sehen ist, haben Sie etwas sehr Wahres gesagt: Diese Plastik lügt mithilfe der Wahrheit. Oder: die Wahrheit dieser Plastik hilft der Lüge. Und das ist natürlich ein Problem der gesamten DDR-Kunst. Ich will nicht über einen Fritz Cremer richten, und auch nicht über seine Kunst, die – sozusagen aus ihrem Lügen-Kontext befreit – nach wie vor berühren kann. Man kann die gesamte DDR-Kunst nicht pauschal denunzieren. Aber es hätte sich für die Ausstellungsmacher gehört, diese Zusammenhänge zu erhellen, nicht zu vernebeln. Genau darum geht es in meinem Text.

  17. avatar

    Ich lese, du ließt – Orthograpie2.0

    Die (nachträgliche) gesamtdeutsche Rezeption liest in “guter” DDR-Literatur auch Fontane.

  18. avatar

    So vielleicht besser zu verstehen:

    …wie gut es den Ost-Arbeiten jeweils gelang, sich an das 19. und vor allem an das „realistische“ preußische 19. Jahrhundert anzuschließen

  19. avatar

    … so bleibt in den Werken der Besten unter den Künstlern des Kommunismus etwas von der Utopie und den diesen Traum inspirierenden Traditionen erfahrbar, so wie in der Kunst des Mittelalters, allem Wissen um die unterdrückerische Rolle der Kirche zum Trotz. Deshalb können uns diese Werke berühren.

    Ich habe im Deutsch-Unterricht, einst in Mecklenburg-Vorpommern, für eine aus dem ‚Stehgreif‘ vorgetragene Interpretation der Figurengruppe des Buchenwalddenkmals von Fritz Cremer ein ’sehr gut‘ bekommen. Damals wusste ich noch nicht, dass das Konzentrationslager 1945, nach Kriegsende, als Speziallager Nr. 2, in ein sowjetisches KZ, umgewandelt wurde. Das heißt, das Mahnmal sprach mich an, aber es hat mich belogen. Oder? (Ich glaub‘ so könnte man generell Sozialismus/Kommunismus beschreiben.)

    Insgesamt waren im Speziallager Buchenwald etwa 28.000 Menschen inhaftiert, davon etwa 1000 Frauen sowie einige in Buchenwald und anderen Lagern geborene Kinder. Mehr als 7000 Menschen kamen durch die unmenschlichen Lagerverhältnisse, insbesondere durch völlig unzureichende Ernährung und unbehandelte Folgeerkrankungen wie Dystrophie, Ruhr, Tuberkulose und Typhus ums Leben und wurden am Rande des Lagers in Massengräbern verscharrt.

    Soweit Ihre ‚Utopie‘ – Hr. Posener. Ach so, das noch: Kirchen wurden in der ‚DDR‘ gesprengt. Das ‚Kirche‘ Kunst ‚unterdrückt‘ hat, ist mir neu.

  20. avatar

    Ost und West trennten vor allem zwei große Wege: Freiheit und Diktatur. Das ist sicher richtig. Und richtig ist auch die unter der Voraussetzung der Opposition „Freiheit und Diktatur“ gelieferte Zustandsbeschreibung. Aber außer durch das Imperfekt gibt die Zustandsbeschreibung keinen Hinweis darauf, dass es sich um eine nachträgliche handelt. Tatsächlich kommt dem Selbstverständnis – der Epoche, hätte ich beinahe gesagt, dem damaligen Selbstverständnis aber die kritisierte Darstellung des „Einführungstexts“ näher. Allerdings, wiederum ohne Hinweis darauf, dass es sich um ein Referat eben des damaligen Gegenwarts-Selbstverständnisses handeln soll.

    Die uns heute unvorstellbare Äquidistanz der Ideologien war jedenfalls eine – mindestens im Westen (Deutschlands/ Europas) – völlig gängige Vorstellung. Dass dem damaligen Selbstverständnis nach die Kritik am Westen durchgängig irgendwie nicht echt oder jedenfalls irgendwie mindergewichtig (weil eigentlich unnötig) gewesen sein könnte, (weil man ja die Freiheit zu kritisieren hatte) ist abwegig. Die Kritik – ob diskursiv oder in der Überwindung (Zertrümmerung, Weiterentwicklung) der alten oder „Erfindung“ neuer Stile – war überwiegend ernst, oft sogar erbittert. Aber natürlich war sie im Westen auf ganz anders gerichtet, als sie im Osten hätte gerichtet sein müssen. Dort hätte es um Politik und politische Freiheiten gehen müssen, eben weil es sie nicht gab. Hier ging es um eine – tatsächlich durch Konsum, meinte man – verführte, bornierte und korrumpierte Gesellschaft, der selbstverständlich nichts ferner lag, als sich kritisieren zu lassen.

    Sicher ist es (so) richtig (wie trivial), die tieferen Ursachen der (Ausdrucks-)Differenzen zwischen Ost und West in der deutschen und europäischen Geschichte bzw. Geistesgeschichte und das heißt auch immer Geschichtsphilosophie zu suchen. (Moderne ist Geschichtsphilosophie!) Davon könnte jedoch später noch die Rede sein.

    Was die Qualitätsurteil über die Ost-Arbeiten betrifft, scheint es mir deutlich davon abzuhängen, wie gut es den Ost-Arbeiten jeweils gelang, sich an das 19. und vor allem an das preußische 19. Jahrhundert anzuschließen (Mit „anschließen“ ist so ziemlich das Gegenteil von „kopieren“ gemeint). So konnten die Vorgaben des Sozialisten Realismus ebenso erfüllt – wie unterlaufen werden. Der demokratische „amerikanische“ Westen konnte brav ausgeklammert, aber auch die Sowjetkunst konnte links liegen gelassen werden. Die DDR insgesamt hatte einen deutlichen, wenn auch notwendigerweise einen eher objektiv ironischen, Preußenbezug. Der Grund dafür war kein anderer als der, dass sich – gegen alle sozialistische Doktrin – ohne etwas Eigenes, ohne (eigene) Geschichte und Identität, ebenso schlecht leben wie – eben – auch „Kunst“ machen lässt. In (übertragbarer) Kurzform: Die (nachträgliche) gesamtdeutsche Rezeption ließt in „guter“ DDR-Literatur auch Fontane. Oder es is‘ eher nix.

  21. avatar

    …auch über die Kunst und deren vorgeschriebenes Menschenbild lassen sich ‚Parallelen‘ zwischen beiden deutschen Diktaturen erkennen, vgl. Abs. 3 des Artikels vom 03.01.:
    „[…] der Mensch, wie er zu sein hatte, wurde von der Partei in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens gestellt: ein zutiefst verlogenes Menschenbild. Und im Großen und Ganzen hat dieses Diktat die Kunst und die Künstler ruiniert“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top