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Die Grenzen sind offen – und kein Osteuropäer kommt?

Länger als die meisten anderen Länder in der EU haben wir unsere Grenzen für Osteuropäer abgeschottet. Nun sind sie offen. Jedes Mitglied der Europäischen Union kann sich auch in Deutschland niederlassen und hier arbeiten.

Anders als zur Jahrtausend-Wende löst diese Freizügigkeit nur noch bei den Gewerkschaften die üblichen Beißreflexe aus. Der deutsche Arbeitsmarkt insgesamt ist mit unter drei Millionen Arbeitslosen inzwischen robust genug, auch mehrere hunderttausend Zuzügler zu verkraften. Doch viel wahrscheinlicher ist, dass sehr viel weniger Menschen aus Osteuropa zu uns kommen wollen.

Denn zum einen haben sich die Volkswirtschaften in ihren Ursprungsländern stabilisiert und verzeichnen teilweise hohe Wachstumsraten. Zum anderen sind die weit weniger regulierten Arbeitsmärkte beispielsweise in Großbritannien oder den nordischen Staaten weit attraktiver für Osteuropäer. Insbesondere die gesuchten Akademiker und gut ausgebildeten Fachkräfte könnten deshalb auf dem schnellen Weg Deutschland einfach links liegen lassen.

Das wäre keine gute Nachricht. Denn inzwischen wird immer deutlicher, wie stark und schnell der demografische Wandel in Deutschland den Arbeitsmarkt verändert. Schon in diesem Sommer werden wir Geschichten lesen, mit welchen Vergünstigungen Arbeitgeber versuchen werden, ihre Lehrstellen zu besetzen.

Der Markt dreht sich: Aus einem Nachfragemarkt, bei dem die Arbeitgeber die Bedingungen bestimmten, wird ein Angebotsmarkt, bei dem die Angestellten ihre Wünschen äußern und immer öfter durchsetzen werden.Dieser Paradigmenwechsel wird die nächsten zwei Jahrzehnte dominieren.

Auch für ältere Arbeitnehmer sind das gute Nachrichten: Immer mehr Firmen werden sich auf ihre Bedürfnisse einstellen, um ihre erfahrenden Mitarbeiter zu halten. Noch sind nur wenige darauf eingestellt. Doch hier liegt der Schlüssel zum Erfolg im bevorstehenden Kampf um Fachkräfte: Frühverrentung war gestern. Flexibilität ist morgen. Wenn ein 63-Jähriger nur noch montags, mittwochs und freitags arbeiten will – warum nicht? Wer sagt, dass ein 68-Jähriger keine Lust mehr auf Job hat? Und warum sollte eine fitte 55-Jährige nach ihrer Familienzeit nicht nochmal eine neue Ausbildung starten? Diese Entwicklungen werden die Arbeitswelt der nächsten 20 Jahre prägen – und nicht die endgültige Öffnung der Grenzen für EU-Osteuropäer.

 

 

 

 

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6 Gedanken zu “Die Grenzen sind offen – und kein Osteuropäer kommt?;”

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    Halbtagsjob im Vergleich zu Ganztagsjob

    Die Firmen verteilen die Arbeitsstellen weil es ihnen dann leichter wird die Arbeitskräfte zu reduzieren wenn die Nachfrage abklingt. Je mehr der Arbeitsmarkt flexibel wird, desto mehr Ganztagsjobs gegründet werden. Firmen wollen imstande sein das Personal flüssig an die Konjunktur anpassen.

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    @Karl: Es gibt nicht nur geschönte Arbeitslosenstatistiken – nein, es gibt auch“geschönte Jobs.

    Clevere Unternehmer – und das mit vollster Billigung unserer Volksvertreter – wandeln z.B. den Ganztagsjob einer, sagen wir Sachbearbeiterin, in in zwei 400-Euro-Halbtags-Jobs um. Das ist gängige Praxis inzwischen.

    Bemerkenswert die Tatsache, daß so etwas hauptsächlich bei Jobs für Frauen praktiziert wird. Merken Sie etwas?
    Als Mann, meine ich!

    Bei diesem Arbeitssektor benötigen wir keine Frauenquote.
    Hier werden vorzugsweise Frauen geradezu ausgebeutet.

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    @ Margaret Heckel: Immer mehr Firmen werden sich auf ihre Bedürfnisse einstellen, um ihre erfahrenden Mitarbeiter zu halten.

    Das setzt aber seinerseits Erfahrung im Umgang mit den Mitarbeitern voraus. Genau die gibt’s aber nicht mehr. Seit mehr als einen Vieteljahrhundert sind Mitarbeiter nichts als ein Kostenfaktor und gerade nicht das berühmte „Humankapital“ oder die „human resource“, mit denen man schonend und pfleglich umgehen müsste.

    Wenn mit „erfahrenen Mitarbeitern“ mehr und anderes gemeint ist als „alte, mehr oder weniger klapprige (Teilzeit-)Mitarbeiter“, nämlich Mitarbeiter, die eine an unsere spezifischen Probleme angepasste, eine – qua Erfahrungs-Krativität! – qualitativ veränderte Wirtschaftweise ermöglichen, haben wir ein dickes Problem.

    Erfahrene Mitarbeiter und Erfahrung überhaupt haben in unserer aggressiv dummen BWL-Betriebswirtschaft längst keinen (systematischen) Ort mehr.

    Im Grunde sind erfahrene Mitarbeiter und Erfahrung mit der Vollendung des „Wiederaufbaus“ in den 60er Jahren schon obsolet geworden. In der Produktion wurde Erfahrung durch das Fließband, in der Geschäftsführung durch BWL-steuerbare Betriebsabläufe ersetzt. Fehlte noch der neoliberale Überbau, der Produktion im Prinzip nur noch als die ärgerliche und möglichst zu vermeidende Stockung im Kapitalfluss begriff.

    Bevor Deutschland überhaupt nur daran denken kann, sich trotz seiner spezifischen Probleme – heißt: sich mit(!) seinen spezifischen Problemen, nämlich auf Erfahrungsbasis, durch Erfahrungs-Krativität – behaupten zu wollen, muss es erstmal weg von der strunzdumm armselig pubertären BWL-Kultur. – Die Aussichten darauf sind schlecht. Im Grunde setzt das einen Kahlschlag, eine Art tabula rasa (schon an den Universitäten) voraus …

  4. avatar

    Vielleicht gibt’s ja in Deutschland einfach nicht genügend Jobs? Vermutlich werden die Osteuropäer deshalb noch nicht hier aufgeschlagen sein.

    Tipp: Wenn man mal von einer realistischen Arbeitslosenzahl ausgeht und die stark schöngerechneten 3 Millionen links liegen lässt, sorgt das für eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Versteh eh nicht, warum so viele diese Lügenzahl weiterverbreiten.

  5. avatar

    Brasilien, China, Deutschland – ueberall Verzweiflung: Wo und wie bekommt man Arbeiter ? In Brasilien fahren Anwerber mit Lautsprechern durch die Nachbarschaften, sogar Stellenangebote werden in der Kirche nach der katholischen Messe verlesen. Das Konsulat von Bolivien soll Omnibusfahrer nach Brasilien locken. Die Arbeiter fangen den Tag an mit Fruehstueck von der Firma und koennen dann gleich ihre Menu-Wahl fuer die Mittagmahlzeit anmelden. Ingenieure werden von den spanisch-sprachigen Nachbarnationen geklaut. Und man blinzelt schon mit Furcht auf 2020 – dann wird auch die brasilianische Bevoelkerung veralten – und 2050 genau so wie Europa geriatrisch schrumpfen. Die Frauen in Brasilien haben heute auch nicht mehr Kinder als Schwedinen. Jetzt muessen Firmen junge Menschen einstellen welche erst einmal noch teilweise eine Schulbildung benoetigen. Auch Facharbeiter muss man nun – wie in Deutschland in der Firma als Lehrlinge aufzuechten. Und die Pionierregimenter der Heeres muessen nebenbei auch Baufacharbeiter fuer die oeffentlichen Projekte ausbilden. Beim Bau eines Staudammes im Amazonasraum, haben im Maerz die Arbeiter ihre Unzufriedenheit bemerkbar gemacht: Ploetzlich brannten 40 Omnibusse und hunderte von Unterkuenften. Die Firmen haben dann sofort die Loehne stark erhoeht und die Unterkuenfte werden jetzt wieder neu gebaut: Diesmal mit Klimanlage. – Die Russen beziehen ihre Arbeiter aus Zentralasien. In Suedchina arbeiten Vietnamiten auf in der Landwirtschaft, und in Shanghai suchen die Reichen ihre Dienstmaedchen von den Phillipinen. –Zur Not koennten doch die „Germans“ mal die Arbeitslosen von Ohio und Michigan nach „Bavaria“ einladen! Vielleicht kommt der Tag…

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    Es wird noch ca. 2 Jahre dauern, nach m.E. liebe Frau Heckel, bis die Gewinn-Optimierungs-Protagonisten sich zähneknirschend der demographischen Realität stellen müßen, die uns schon seit 10 Jahren bekannt ist.

    Bis dahin aber wird bereits ein dramatischer Bedarf an Spezialisten herrschen. Und ebenso werden bis dahin weitere 150.000 Deutsche jährlich unser Land verlassen ,weil nicht nur im Niedriglohnsektor, nein auch die Existenz der sog. Mittelschicht extrem bedroht ist, und die teilweise hochqualifizierten Zugwanderer werden vermutlich tatsächlich einen Bogen ums Wirtschaftswunderland machen, da die Gehälter und Löhne in Deutschland inzwischen gravierend unter dem europäischen Durchschnitt liegen.

    In den letzten 6 Jahren war die „Auswanderungsquote“ qualifizierter Deutscher Bürger adäquat derer im Jahr 1949, und das war die höchste Quote in der Geschichte unserer Bundesrepublik; während es keine Aufwiegung weder in der Zahl noch Qualifikation der Zuwanderer gab.

    Es wird einen sehr erfreulichen Paradigmenwechsel für die arbeitende Bevölkerung geben.
    Falls Sie sich noch erinnern sollten; zu Zeiten der Vollbeschäftigung, als die Gewerkschaften noch Einfluß auf Arbeitsbedingungen und Lohnentwicklung hatten, erklärten die Arbeitgeber den Krieg und meinten, es werden auch andere Zeiten kommen, und dann würden sie es den Werktätigen heimzahlen.

    Das haben sie ja nun ausgiebig in den letzten 25 Jahren getan, und unsere verehrten Sozialdemokraten haben sich ja schnell ins Bockshorn jagen lassen und sind ihnen förmlich in den Allerwertesten gekrochen.

    Es freut mich wirklich schauerlich für alle Arbeitssuchenden und die Nachfolgegenerationen, daß womöglich auch wieder die Menschenwürde ins Arbeitsleben einzieht!!!!

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