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Freiheit, die sie meinen

Schlagstöcke, Tränengas, Gummigeschosse und willkürliche Festnahmen – das ist die eine Seite. Die der ägyptischen Staatsmacht. Sie setzt auf Brutalität, nimmt sogar Tote billigend in kauf. Hauptsache, es herrscht Ruhe im Land. Was es auch kosten mag.

Mutige Demonstranten, »Weg-mit-Mubarak«-Rufe, Tage des Zorns, Kommunikation über Twitter und Facebook – das ist die andere Seite. Die der aufgebrachten Bürger, des Volkes. Menschen, deren Kampf von der Hoffnung auf Brot und Freiheit getragen wird. Sie haben Armut, Arbeitslosigkeit und Bevormundung satt, wollen endlich ein selbstbestimmtes Leben führen. Und deshalb proben sie den Aufstand.

Algerien, Jordanien, Libanon und Jemen, vielleicht auch bald Syrien, Libyen und Marokko – nach dem Vorbild Tunesiens breiten sich die Proteste gegen die Langzeit-Potentaten von eigenen Gnaden aus. Die arabische Welt taumelt. Aber in welche Richtung, das ist noch völlig unklar. Ziehen die Regime noch einmal ihren Kopf aus der Schlinge? Werden sie bald hinweggefegt und vielerorts durch islamische oder gar islamistische Regierungen ersetzt? Oder folgt der Pharaonendämmerung ein demokratische Aufbruch? Keiner weiß das sicher vorauszusagen. Zu unterschiedlich sind die Staaten am südlichen Mittelmeer, zu unüberschaubar die politische Lage, zu heterogen die jeweiligen Gesellschaften.

Doch es gibt zweierlei, was die Demonstranten von Tunis bis Amman zu verbinden scheint: Sehnsucht nach persönlicher Freiheit und Hoffnung auf ein besseres Leben. Von beidem sind die Menschen noch meilenweit entfernt. Doch sie haben ein Ziel vor Augen. Und das Rad der Geschichte lässt sich nicht so ohne Weiteres zurückdrehen. Die Repression der Unterdrücker, sie wird nach den Ereignissen der vergangenen Tage auf Dauer als Herrschaftsmittel nicht mehr funktionieren.

Allerdings sollten wir uns hier im beschaulichen Westen keinen Wunschträumen hingeben. Ob bald überall Demokratien nach hiesigen Vorstellungen die Autokratien arabischer Prägung ablösen werden, ist im besten Fall fraglich. Dieses Modell politischer Mitbestimmung konnte bislang keinerlei Verankerung in den Köpfen und Herzen der Menschen finden. Was auch dem Versagen, ja Unwillen Europas und der USA geschuldet ist, aus der Demokratie einen Exportschlager zu machen.

Im Gegenteil. Die Regierungen haben sich über Jahre hinweg richtig Mühe gegeben, die arabischen Herrscher zu hegen und zu pflegen. Hauptsache weder Terror noch Islamisten. Diesem Wunsch wurde fast alles geopfert, sogar die Freiheit der Tunesier, Ägypter und Jordanier. Selbst jetzt, da sie versuchen, sich Freiheit zu nehmen, mangelt es im Westen in kläglicher Weise an Mut machenden Signalen, geschweige denn nennenswerten Reaktionen auf die von der Staatsmacht ausgeübte Gewalt.

Und so haben sich die Menschen in den Häusern und auf den Straßen einen anderen Verbündeten gesucht: das Internet. Das Netz verheißt zumindest ein bisschen unkontrollierbare Selbstbestimmung. Die Regime stehen still, wenn dein starker Twitterarm es will. Das ist immerhin schon mal ein Anfang.

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7 Gedanken zu “Freiheit, die sie meinen;”

  1. avatar

    Die von einer – nicht blinden, rauschhaften! – Neinliebe zur Welt getragene Revolte als Weigerung, sich der Ungerechtigkeit und Unfreiheit zu beugen (Albert Camus), findet ihren wertadäquaten Ausdruck im Reformismus. Die Massenkundgebung kann eben nur ein Anfang dieser Strategie sein. Der Umschlag besagten Neins in den Haß negiert somit das Ja zum Vorletzten – und endet im rot, grün oder wie auch immer eingefärbten Massengrab. Soweit in diesem Kontext mein kurzer, persönlicher Appell zu Maß und Mitte insbesondere an die führenden Akteure der Protestbewegungen.

    „Politik ist angewandte Liebe zur Welt.“

    Hannah Arendt

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    Herr Böhme schrieb: Das Netz verheißt zumindest ein bisschen unkontrollierbare Selbstbestimmung.

    Kein Lebensbereich kann so effektiv und computergesteuert kontrolliert werden wie das Internet ;).

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    Nachhilfestunde fuer „Germans“: Polizeigewalt, Schagstoeckepruegel, Traenengas, willkuerliche Inhaftierung, „Terrobesuch“ um Mitternacht, „Vermisste“, dass gibt es nicht nur in den arabischen und muslimischen Nationen im Jahre 2011, und gab es nicht nur in Nazi-Deutschland bis 1945: Believe it or not: Das gab es in USA von 1776 bis 1964, sogar „amtlich“. Millionen von „Americans“ lebten unter diesem „Regime“ waehrend vielen Generationen der „Colored“ (heute „African-Americans) and „Mexkins“ (heute „Hispanic/Latino“) und Indigenen (heute „Native Americans“). Eigentlich sogar weit grausamer als in Nazi-Deutschland oder den orientalischen „Autokratien“: Tausende wurden von einer Strassenmeute ueberwaeltigt, auf das Pflaster geworfen, gemartert durch Zergliederung, Anbrennung, Emaskulierung. (Das saubere Haengen ist nur „Hollywood-Verschoenerung“!). Allein zwischen 1886 und 1948 sind fast 5000 „Lynchings“ dokumentiert in USA- vorwiegend vollzogen an „Colored“, aber auch ueber 400 „Hispanic-Latinos“, ein Dutzend Italiener, und sogar einige Juden. (Heirat zwischen Rassen war bis 1967 verboten – in 17 USA Staaten und mit Strafe von bis zu 8 Jahren Zuchthaus in Alabama). ABU GHRAIB hat noch 2004 bestaetigt: Die USA „Demokratie“ ist hautduenn – unless you got a good lawyer!

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    @ Jordan

    Ohne hier Vorurteile verbreiten zu wollen: die arabische Mentalität ist leider so, weil dort keine gesundene Streitkultur herrscht sondern nur Gewalt, Gewalt und Gewalt. Im Dritten Reich war es nicht anders. Heute noch, trotz 60 Jahre BRD, tun sich die Deutschen mit Streitkultur schwer. Demokratische Kultur braucht Zeit.
    Das demokratische Israel (ein Dorn im Auge der arabischen Despoten) hat vermutlich die arabische Massen zum Nachdenken bewogen. Selbst im vorbildlichen Jordanien wird es Meutereien geben.
    Eine zweite Unabhängigkeitswelle – von den eigenen Dämonen diesmal – ist überfällig.

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    Endlich wird Israel nicht mehr die einzige Demokratie im Nahen Osten sein!
    Fragt sich wer soll die flüchtige Saudis & andere arabische Diktatoren aufnehmen? Bestimmt Ahmadinejad. Selbst für ihn wird es irgendwann mal eng im eigenen Land.

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