Der berühmte Kleine Prinz, der Lieblingsroman aller Realschüler, sagt, dass man nur mit dem Herzen gut sehe. Das ist natürlich einfach sozialromantischer Kitsch. Und bestimmt das Lieblingsbuch von Christian Wulff aus Hannover.
Alles Quatsch: Man sieht nur mit den Augen gut. Allerdings ist man auch gut beraten, ihnen zu trauen und die Wahrnehmung nicht durch Sprüche überlagern zu lassen. Der Kaisers neue Kleider nimmt man wahr, wenn man sich die Ohren vor der majestätischen Propaganda verschließt und seinen Augen traut. Ich habe in Hannover diesen Freund, der gehörlos ist, ein Tauber, so hätte man das früher gesagt.
Er muss sich das Leben halt mit den Augen erschließen. Und es gelingt ihm mal schlecht und mal ganz gut und in vielen Fällen erstaunlich gut. Er selbst kann es nicht mehr hören, wenn man Menschen mit einem Handicap übersinnliche Fähigkeiten zubilligt, weil diese Annahme meist durch das schlechte Gewissen der Alltagsdiskriminierung diktiert ist.
Aber, da beißt die Maus keinen Faden ab, schon in der Antike war der Weise, der Seher, blind, siehe Teiresias bei Sophokles. So necke ich meinen Kumpel in Hannover mit dem Spitznamen Teiresias. Besuche ich ihn, erlebe ich das Fernsehprogramm ohne Ton, manchmal mit Untertiteln, meist aber einfach nur als Bilderfolge.
Ich entdecke erstaunliche Dinge, seit ich Politiker von ihrer Körpersprache her zu beurteilen suche. Der als künftiger Kanzler hochgelobte Adelsspross von und zu Guttenberg etwa hat die Gestik eines Modells für Herrenoberbekleidung aus Mailand.
Und zwar unabhängig vom Kontext: Er steht da wie der Armani-Mann, ob ihm nun ein Truppentransporter als Kulisse dient oder ein Untersuchungsausschuss. Die körpersprachliche Nähe zu anderen Angehörigen des fränkischen Society-Adels, etwa der glorreichen Gloria von Thurn und Taxis und ihrem verstorbenen Gatten, ist unübersehbar.
Der Mann posiert, Gel im Haar, die Kleidung sorgfältig gewählt. Man sieht deutlich, was ihn treibt, die Eitelkeit. Und die Kenner der griechischen Tragödie wissen, was ihn eines Tages umbringen wird, seine Eitelkeit.
Oder Maybrit Illner, die Lady aus der Talkshow, die sich für eine Journalistin hält und auf Kollegen wie den „Soft-Talker Lanz“ (Illner) und den „Show-Man Plasberg“ (Illner) herabblickt: Sieht man sie an, ohne ihre hastig haspelnde Sopranstimme zu hören, blickt man in ein erstaunlich beschränktes Repertoire von Schlaumeier-Mimik und Schweinchen-Schlau-Gestik; ach je, die gelernte Sportreporterin aus der DDR macht auf „intellent“, wie der Berliner zu sagen pflegt.
Und so sehr die schreibende Klasse sich auch an dem SPD-Chef Sigmar Gabriel reiben mag, seine Leute halten ihn nicht für einen Windhund, den die Presse gerne aus ihm zu machen sucht. Der Dicke meint, was er sagt, sagt, was er meint.
Für die Genossen hat er die Kraft eines Räumpanzers und die Lebensgewohnheiten, die auch für den eigenen Bauchansatz verantwortlich sind. Gabriel, den sie Harzer Roller nennen und Dampfwalze, hat das Potential eines Franz Josef Strauß, nicht der eitle Gutsherr im Boss-Anzug.
Und dann der Besuch der Kanzlerin bei den Herren der Atomwirtschaft im Kernkraftwerk Emsland in Lingen. Man sieht den RWE-Chef Grossmann, der oft auf das Ausmaß und die erhabenen Gründe seiner Korpulenz zu sprechen kommt, wie einen Lakaien mit Schirm vor dem Kanzlerauto stehen.
Ach je, ist das klein, denke ich und lese im SPIEGEL: „ Selbst mächtige Vorstandschefs können aufgeregt sein wie Schulbuben beim Vorsingen. Jürgen Grossmann, Boss des 50-Milliarden-Euro-Multis RWE, tropft der Schweiß auf die Krawatte. Johannes Teyssen, Chef des 80-Milliarden-Euro-Konzerns E.on, schiebt seine Hände immer wieder in die Hosentasche und heraus. Er stellt sich erst vor seinen Gast, dann daneben, schließlich hinter ihn. Er tapst von einem Bein aufs andere.“ Gerade hatte Grossmann noch die Machtfrage in der Energiepolitik mittels ganzseitigem Inserat gestellt; und schon kommt die Angst, dass ihm diese von der amtierenden Bundesregierung auch beantwortet wird.
Und dann, darauf bitte ich zu achten, der Herr Bundespräsident, der, gerade vom Anwesen des Multimillionärs Maschmeyer ins schnöde Berlin zurückgekehrt, neben seiner Frau herläuft. Er läuft mental hinter seiner Frau her.
Bettina, die First Lady, hat das Sagen; das hatte Bettina schon immer, sagt mein Kumpel aus Hannover, der sie aus dem Studium und vom Tresen eines Fitnessclubs vor Ort kennt. Wie Wilhelmine bei Heinrich Lübke selig, sagt er. Wer Augen hat zu sehen…
Was sagt Ihr Freund, der mit den Augen hoert denn zu den doch so First Lady-unlike Koerperzeichnungen der Praesidentengattin? Jugendsuende, Gossenaesthetik oder deutliches Zeichen einer vollends verwirklichten demokratischen Kultur?
Lieber Herr Kocks,
sehr schöner Artikel über die Art zu sehen und zu „Ansichten“ zu gelangen, in unserer Gesellschaft. Ich habe mich schon seit einiger Zeit mit dem Thema Körpersprache und Mimik auseinandergesetzt. Diese ursprüngliche Art unser Gegenüber wahrzunehmen (Im wahrsten Sinne dieses Wortes) ist uns im Laufe der Zeit leider abhanden gekommen. Oft ist es mir in der Vergangenheit passiert, dass ich fassungslos war, was die Gesellschaft sich durch hübsche Bilder und gezieltes Marketing als schön, gut, kompetent andrehen lässt, wobei diese Liste beliebig verlängerbar ist.
Gerade Herr Guttenberg gehört auch für mich zu denen, bei denen körpersprachliche und mimische Realität dem verkauften Bild seiner Person völlig widerspricht. Körpersprache ist ehrlicher als jedes Wort, schade dass das Lesen und Erkennen unseres Gegenübers nicht mehr zur Grundbildung gehört, könnten wir doch alle unglaublich davon profitieren. Ich danke Ihnen für das gute Gefühl, mit meiner „Ansicht“ nicht alleine dazustehen
Zum Thema Sehen:
Schon die Mathematik lehrt uns, dass man Nullen nicht übersehen darf. 🙂 🙂
Gabriel Laub