Es ist gut, dass jetzt auch – wieder – über die Fälle von sexuellem Missbrauch an der Odenwaldschule gesprochen wird. Denn angesichts der täglich neuen Offenbarungen über Päderasten und Sadisten im kirchlichen Dienst könnte man zur falschen Ansicht gelangen, das Phänomen der „Unzucht mit Abhängigen“ sei allein ein Problem perverser Priester.
Dem ist nicht so. Ständig wurden und werden die Grenzen zwischen pädagogischem Eros und Päderastie überschritten – in kirchlichen, privaten und staatlichen Heimen, Schulen, Sportvereinen und anderen Institutionen.
Über die Zustände an der Odenwaldschule in den 1970er und 1980er Jahren sagen ehemalige Schüler und Schülerinnen jetzt: „Jeder hat es gewusst“. Gesagt haben nur wenige etwas, herausgekommen ist noch weniger. Über die Zustände in den heutigen Heimen und Schulen weiß auch jeder, der damit etwas zu tun hat oder hatte, etwas zu berichten. Und auch da sagen nur wenige etwas, kommt noch weniger heraus.
Vorweg: mir geht es nicht darum, die katholische Kirche aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Sie steht zu Recht im Zentrum der Kritik – nicht nur wegen der Ausmaße der nun bekannt werdenden Fälle (die immer noch nur die Spitze des Eisbergs darstellen); nicht nur wegen der Kultur des Wegsehens, Verschweigens und Vertuschens; nicht nur wegen der vielfältigen Vereitelung strafrechtlicher Verfolgung; sondern vor allem wegen der ungeheuerlichen Bigotterie einer Institution, die jeden Splitter im Auge des anderen kritisiert, aber den Balken im eigenen Auge nicht sehen wollte und bis heute teilweise nicht sehen will.
Aber die Vorfälle an der Odenwaldschule – auch sie nur die Spitze eines Eisbergs – zeigen, dass die Diskussion über den Zölibat und die Tabuisierung der Homosexualität – ja der Sexualität überhaupt – in der katholischen Kirche Gefahr läuft, in selbstgerechter Blindheit zu verharren. An der Odenwaldschule war die Sexualität in den 1970er und 1980er Jahren ganz gewiss nicht tabuisiert; die Lehrer waren ganz gewiss nicht zum Zölibat gezwungen, und in mindestens einem Fall, von dem mir ehemalige Schüler berichtet haben, war der Täter, der auf Schulausflügen Mädchen zum Strip-Poker animierte und Jungen mit Streicheleien an den Genitalien bedrängte, ein nach außen hin „normaler“ Familienvater. In zwei anderen Fällen handelte es sich um Homosexuelle, die ihre Neigung an der Schule nicht verstecken mussten und nicht versteckt haben. Übrigens schilderte Klaus Mann, selbst Zögling des Internats, bereits vor dem Zweiten Weltkrieg den Internatsgründer Paul Geheeb als bisexuellen Päderasten.
Auch die Bigotterie ist kein Alleinbesitz der katholischen Kirche. Der frühere Leiter der Odenwaldschule, Gerold Becker, der nur deshalb dem Gefängnis entging, weil seine Taten zum Zeitpunkt ihrer Aufdeckung verjährt waren, ist studierter evangelischer Theologe und war lange nach Bekanntwerden der Zustände in seiner Odenwald-„Familie“ ein gern gesehener Redner bei kirchlichen Veranstaltungen zum Thema „Ethik und Erziehung“.
Und was Verschweigen und Vertuschen angeht: die Beziehungen zwischen Gerold Becker, seinem Lebensgefährten Hartmut von Hentig und anderen führenden Reformpädagogen der Bundesrepublik, die entweder aus dem homoerotisch geprägten George-Kreis stammten oder zum erweiterten Netwerk dieses Kreises gehörten, sorgten dafür, dass Ausmaß und Folgen der ständigen Grenzüberschreitung zwischen pädagogischem Eros und Päderastie nie thematisiert wurden.
Wenn nicht die gesamte Reformpädagogik, in den Strudel dieser Affäre gezogen werden soll, was einige konservative Pädagogen sehr gern sähen, müssen die Aktivitäten jenes „Netzwerks von Päderasten“ um Gerold Becker, von dem ehemalige Schüler sprechen, und jener Freunde und Förderer, die wider besseres Wissen das Treiben des Netzwerks gedeckt haben, von den betroffenen Institutionen und Personen selbst aufgedeckt werden.
Freilich haben einige gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Zeit dazu beigetragen, dass diese Aufklärung schwierig wird. Der Schwulenbewegung ist es – erstens – gelungen, den Homosexuellen generell eine Art Opferstatus zu verschaffen, so dass jede Kritik an einzelnen Homosexuellen als Ausdruck von Homophobie erscheint. Nun gibt es unbestritten Homophobie in der Gesellschaft, sie wird etwa vom deutschen Papst offensiv vertreten. Sie gilt dennoch unter aufgeklärten Menschen als nicht gesellschaftsfähig, und das ist auch gut so. Sie muss genauso geächtet werden wie der Antisemitismus oder andere Formen der Diskriminierung von Minderheiten. Aber ein homosexueller Päderast ist eben ein Päderast.
Zweitens hat in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren die Frauenbewegung das Ausmaß der sexuellen Übergriffe auf Mädchen und junge Frauen, vor allem in der Familie, bewusst gemacht, so dass auch Mädchen generell eine Art Opferstatus innehaben. Früher hieß es: tragen sie einen Minirock, werden sie von Männern dazu gezwungen. Heute heißt es: tragen sie ein Kopftuch, werden sie von Männern dazu gezwungen. Dass junge Männer – künftige Patriarchen – ihrerseits Opfer sexueller Übergriffe sein könnten, und dies obendrein durch Individuen aus der Opfergruppe der Homosexuellen, passte nicht in den feministischen Opferdiskurs, der jeden Penisträger als potenziellen Vergewaltiger verdächtigte.
Und drittens sind ja nicht alle Opfer im gleichen Maße Opfer. Schüler an der Odenwaldschule berichten, wie Gerold Beckers Lieblinge ihre erotische Macht über ihn ausnutzten, straflos seine Küche verwüsteten, sein Auto zu Schrott fuhren und so weiter. Fast jeder männliche Lehrer kann davon berichten, wie weibliche Schülerinnen ihre erotische Macht einsetzen, um bessere Zensuren zu bekommen.
Die Schule ist ein zutiefst erotisierter Raum. Dies gilt umso mehr für Internate und ähnliche Einrichtungen, was nicht gegen sie spricht. Pädagogik ist überdies ohne ein gewisses Maß an Eros nicht denkbar. Dieses Eros, ob homo- oder heterosexuell, in den Dienst der Menschenbildung zu stellen, ist eine der großen Herausforderungen der Pädagogik. Wer es schlicht verneint und verdrängt, wie es die katholische Kirche offiziell jedenfalls tut, fördert die Perversion. Wer ihm aber einfach nachgibt, wie es einige Reformpädagogen – und nicht nur sie – getan haben und wohl noch tun, pervertiert die Erziehung nicht minder. Wir sind – trotz „68“ und dem Versuch, die Sexualität aus der Zone des Schmuddeligen und Verschwiegenen herauszuholen – noch weit entfernt von einer öffentlichen Diskussion, die diesen Fragen ohne Tabuisierung und Skandalisierung nachgeht.
Ein Aspekt wird gänzlich außer acht gelassen, nämlich, dass es nicht nur Täter sondern auch Täterinnen sind, denen Jungen ausgesetzt sind. Ein sich als Opfer anerkennen ist diesen missbrauchten Jungen noch schwerer gemacht, durch die zukünftige Rolle als potenter, verführerischer Mann.
Ein Aspekt wurde hier noch gar nicht beleuchtet. Die Frauen sind bisher, traditionell, von Männergewalt gegen Frauen, bzw. Mädchen ausgegangen.
Jetzt stellen wir entsetzt fest, es gibt in genau so großer Anzahl, Männergewalt gegen Männer, bzw. Jungs.
Wir sind immer nur davon ausgegangen die Mädchen schützen zu müssen, in der irrigen Annahme, die Jungs könnten sich selber wehren, denen könnte so etwas nicht passieren.
Jetzt stehen wir einigermaßen fassungslos da, und wir müssen uns selber ebenso in Frage stellen, wie das die Männer tun sollten. Wir Frauen haben da versagt, weil unser Vorstellungsvermögen die offensichtliche Realität einfach nicht zugelassen hat. Zukünftig müssen Frauen Mädchen und Jungs vor „den Männern“ schützen, eine denkbar undankbare Aufgabe.
Was vielen Frauen momentan im Kopf herumgeistert, nicht nur mir. Die zögerliche Herangehensweise der Männer an das Thema Missbrauch, das Herumeiern um das Thema, das ständige Reflektieren der Tätermotive, läßt langsam alle Männer in den Generalverdacht kommen, möglicherweise hätte jeder so eine charakterliche Schmuddelecke.
Das fände ich jetzt weder gerecht(fertigt) noch besonders gut. Aber man hörte es so, unter Frauen.
Woran es liegen mag, daß bei den vorwiegenden Beiträgen beinahe ausschließlich die Motivation der Täter behandelt wird, doch über die Opfer kaum noch ein Wort verloren wird.
Hat uns EJ nicht eindeutig genug deutlich gemacht, welche Folgen Gewalt für manche Opfer lebenslang hat.
Keiner war bisher Mann genug, auch einmal ein Wort an die Opfer zu richten.
Ich bin blond, und blöd und eine Frau. Daher hoffe ich dies hier ungestraft tun zu können.
Ich entschuldige mich bei den Opfern. Dafür, daß ich nicht genau hingeschaut habe, weil ich kein Denunziant sein wollte. Daß ich womöglich nicht aufmerksam genug zugehört habe, wenn Kinder erzählt haben. Dafür, daß ich Pädagogen gegenüber zu vertrauensvoll war. Dafür, daß ich die Ursachen nicht erkennen konnte, wenn einer grundlos nicht mehr der Norm entsprach. Dafür, daß ich zu feige war zu fragen, wenn ich einen Verdacht hegte.
Aber besonders dafür, daß ich naiv genug war anzunehmen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.
Diese Tatsachen sind uns nicht unbekannt.
Trotzdem sind sie total „detailbesoffen“, wie viele, am Thema vorbeigeschrammt. Der große Komplex heißt Gewalt.
Männergwewalt, Frauengewalt, Pädagogengewalt, Elterngewalt usw.
Wer was, wo und weshalb, erscheint nebensächlich, neben der Aufklärung, die Not tut. Und die Beachtung und Versorgung der Opfer.
Ursachenforschung, nach Art des Hauses, können wir dann gemütlich die nächsten 65 Jahre betreiben
Das ist im Prinzip alles sehr präzise beobachtet und zusammengefasst. Dennoch sollte man einige „Traditionsstränge“ etwas genauer voneinander separieren – auch wenn es natürlich immer wieder Querverweise gibt.
Zu Cohn-Bendit/Grüne/Indianerkommune: Da gab es – unter dem Label „selbstbestimmte Sexualität“ – eine gewisse Zeit der Verharmlosung von Kinderfickerei. Man sollte dem grünalternativen Milieu aber immerhin zugute halten, dass es diese Verirrung – quasi in Selbstaufklärung – aus eigener Kraft überwunden hat, zumindest öffentlich: Die Verharmlosung von Kindersex war etwa Ende der 80er – nach Interventionen von Amendt u.a. – nicht mehr geduldet.
Die – quasi theoretische – Rechtfertigung von Päderastie mit den alten Griechen, dem pädagogische Eros etc. ist sehr viel älter und hat mit 68 nun gar nix zu tun, außer, dass sich die Hellenenfreunde in den 70er und 80er Jahren glaubten, bisweilen etwas offener äußern zu können. Wirkmächtig ist diese Spielart der Homoerotik bis heute über die Netzwerke des Stefan-George-Kreises und seiner Adepten, wie Ulrich Raulff ja sehr schön recherchiert hat.
Sexueller Kindesmissbrauch ist wiederum zuerst aus dem feministischen/alternativen Milieu heraus thematisiert worden (Zartbitter, Wildwasser etc.). In der Tat haben hier zwei Faktoren dafür gesorgt, dass der Missbrauch von Jungen dabei eher ein Nicht-Thema blieb: a) Die Opferkonkurrenz: Für Zartbitter-Aktivistinnen passten männliche Opfer schlicht nicht ins Schema. b) Teile der Schwulenszene glaubten sich gegenüber den (männlichen) Pädos zu grundsätzlichen Solidaität verpflichtet – gegen die Verfolgung als „sexuell diskriminierte Minderheit“. Hinter dem mittlerweile breiten Rücken der Schwulen-Gleichberechtigungs-Szene wissen sich praktizierende Pädos noch heute allzu oft trefflich zu verbergen. Da ist in der Schwulen-Community ein Prozess der Selbstaufklärung und Distanzierung mittlerweile überfällig.
Im alten wittelsbachtreuen Bayern ( „zuvoor doen S..preissen“ ) hatte jeder Dorfpfarrer eine „Koechin“ – und so its das auch heute noch in Lateinamerika: Das ist doch selbstverstaendlich das auch ein Priester normale Beduerfnise hat – der heutige Praesident von Paraguay, Fernando Lugo, war vorher Erzbischof und hatte schon ein paar Kinder mit verschiedenen Frauen. Jetzt kommen immer mehr Abkommen in die Nachrichten – also er ist wirklich ein „Vater der Nation“! Die normale Heterosexualitaet had natuerlichere Zuege in Lateinamerika – als in hochgeschraubten Gesellschaften wie Deutschland, Irland, USA. In USA wurden Lehrerinen verurteilt weil sie Schuelern etwas vom wirklichen Leben zeigten. Darueber schmunzelt man nur in Lateinamerika. Auch das der von USA erfundene Delikt „sexual harassment“ – wird in Lateinamerika nur von Humoristen verwendet (hostigamento sexual ). Ein brasilianische Psychologin meint: „Ich werde anfangen mich zu sorgen wenn die Maenner mir nichts mehr zufluestern!“. Es ist fast unhoeflich eine interessante Dame nicht pruefend zu beschauen – auch gehoert es sich zum Ton aelteren Damen offentsichtliche Uebertreigungen zu erklaeren: „Sie sehen heute are berauschend aus!“ In Lateinamerika hat sich das katholische Sexualregime nie eingebuergert: Lateinamerikaner bastelten sich ihre ganz eigene Lebensweise von den praktischen Verlangen der Indianerfrauen und Maennern von Europa und Afrika – von welchen der Kern der Lateiamerikaner abstammt. (Nur wenige Frauen kamen von Europa! Gracias a Dios!) Wie natuerlich man den Priester in Lateinamerika als Mensch darstellt, ersieht man in der Videoserie des mexikanischen Humoristen Hector Suarez, youtube „chabela se declara al padre“.
Bei der Diskussion fällt mir auf, dass letztlich vor 10 Jahren so ein Thema aufgrund der ” fehlenden Kommunikationsstränge ” sprich Web 2.0 sehr schnell wieder in die Schubladen geschoben worden wäre. Siehe auch den Beitrag in der FR aus dem Jahr 1999.
Aufklärung tut not
Ob hier sich hier ein fauler Kompromiss anbahnt, wie EJ es an anderer Stelle (Schavan/Leuthäuser-Sch.)prognostiziert … ich hoffe es nicht:
Der OSO Blog :
http://tinyurl.com/yatuc2f
ist ein Anfang
Lieber Dr. Strebel,
hier gibt es einige Katholiken,welche, die in einer katholischen Institution (wie z.B. ich) erzogen worden sind, und wie ich nur die allerbesten Erfahrungen gemacht haben, während eben z.B. EJ andere Erfahrungen gemacht haben.
Ich habe mich ganz bewußt auf Missbrauch in allen Institutionen bezogen, in den staatlichen ist der nicht weniger verbreitet, als in den kirchlichen. Hier hat sich eben gerade nicht ein Club der Kirchenbasher versammelt! Eher Menschen, die versuchen die Problematik aus den verschiedensten Perspektiven zu sehen, gleichzeitig aber mit den offenen Augen eines Kritikers.
Von allen Kommentaren, die ich bisher zu diesem Thema las, hat Herr Posener wirklich am qualifiziertesten differenziert, und das sage ich nicht nur, weil ich ihn schätze.
Sich entsprechend kritisch zu C.B. zu äußern, ist für einen sog. 68er tatsächlich mehr als problematisch.
Er gehörte zu den Flaggschiffen der „Revolution, mit einem schlauen Kopf. Es ist nicht jedermanns Sache, die eigenen, ehemaligen Ideale zu verraten. Obwohl ich nicht zu den Grünen zähle, habe ich zu der Angelegenheit ein ambivalentes Verhältnis. Ich gebe gerne zu, daß auch ich hier wohl etwas inkonsequent bin.Ich bitte nicht um Verständnis, eher um etwas Nachsicht. Zu denen, die „versehentlich“ konservativ geworden sind, gehöre ich noch nicht. In diesem Punkt könnte man Ihnen womöglich Recht geben, daß schon zu diesem Zeitpunkt auch die Medien noch nicht so sensibilisiert waren, für derartig ungeheure Vorgänge.
Trotzdem sind das Vorgänge die einige Zeit zurückliegen, und wir alle haben uns tatsächlich mit der Bewältigung der aktuell bekannt gewordenen Vorgänge zu beschäftigen.
Ich kenne die kath. Kirche vermutlich so gut, wie Sie. Ihre größte Stärke, gleichzeitig aber auch größte Schwäche ist, das sie ein militärisch durchgestylter Hauffen ist. Und beim Militär kommt die Offenheit meist zu kurz, während die Disziplin sehr hoch geschrieben wird. Diese Bemerkung sollte jetzt nicht despektierlich sein.
Die ganze Missbrauchs-Debatte dreht sich schon lange nicht mehr „nur“ um die Kirche, nur noch „auch“ um die Kirche.
Abschließend möchte ich noch bemerken dürfen, daß auch ich erfreut bin, nicht nur Herr Posener, daß hier auf so gutem Niveau diskutiert wird. Damit beteiligt sich nämlich jeder Einzelne daran, daß dies hier ein Qualitätsblog ist und bleibt. Und wir nicht in den Ruf der Meisten Blogger kommen, die der modeste Herr Broder einmal als „die Irren aus der Küche“ titulierte.
A. Posener schrieb: Sie reden sich in Rage,
Huch! Ich verstehe nicht, wieso mein Beitrag so angekommen ist. An der Bigotterie, Korruption und Bosheit der Menschen ändert man nur selten und mit grossen Mühen etwas. Aufregung ist da kontraproduktiv ;).
@Dr Oliver Strebel: Sie reden sich in Rage, was schade ist, denn ich habe mit meinem Beitrag ja gerade versucht, die Dinge differenziert zu sehen. Zu Daniel Cohn-Bendit habe ich mich, so weit ich weiß, noch nie geäußert, weder positiv noch negativ.
@EJ: Jein. Ich stimme Ihnen darin unbedingt zu, dass die Macht ein entscheidender Faktor bei solchen Übergriffen ist. Darum ist auch gerade aus den autoritären Klosterschulen die widerliche Verbindung von Sadismus und sexueller Objektivierung bekannt. Nicht zufällig galten auch die englischen Internate, auf denen man den größeren Jungen die Erlaubnis galt, jüngere zu züchtigen, auch als Horte der Homosexualität.
Ich selbst besuchte freilich zwei Jahre lang ein englisches Internat von 10 bis 12 Jahre, und erlebte Sadismus, aber keine Homoerotik. Anschließend besuchte ich eine koedukative deutsche Reformschule. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Sieben Jahre war ich auf der Schulfarm Insel Scharfenberg, und in dieser Zeit habe ich nur von zwei Fällen der sexuellen Verbindung zwischen Lehrern und Schülern gehört: einmal hatte eine Abiturientin eine Affäre mit ihrem Lehrer, der daraufhin versetzt wurde; ein anderes Mal hatte ein Schüler eine Affäre mit einer Erzieherin, die ebenfalls versetzt wurde.
Ganz bestimmt muss man unterscheiden zwischen Kindern bis etwa 13, 14 Jahre, die dem Erzieher ausgeliefert sind, und Jugendlichen, die in der Regel eher in der Lage sind, ihrerseits Macht auszuüben.
Wenn ich schrieb, die Schule sei ein durcherotisierter Raum, so muss dringend ergänzt werden, da haben Sie recht: Schule ist ein Raum, in dem Machtkämpfe ausgetragen werden. Beides wird man übrigens nicht ohne weiteres verändern können. Die 68er sind beim Versuch, die Erotik bewusst zu machen und dadurch zu entschärfen, und die Macht in Kooperation überzuführen, im Großen und Ganzen gescheitert. Aber das wäre ein Buch für sich.
@Frau Groda: Ja, die Frau Röhl hebt sich wirklich positiv bezüglich Cohn-Bendit vom Rest der Journalisten ab.
Allerdings werde ich Frau Röhl noch anschreiben und sie auf das Verhalten von Daniel Cohn-Bendit auf den Parteitagen der Grünen bezüglich der Indianerkommune Nürnberg hinweisen. Diese Indianerkommune war ein Zusammenschluss von Pädophilen und Kindern. Sein Verhalten habe ich genau in Erinnerung.
Das wurde damals groß in der Presse dokumentiert, um den Grünen zu schaden. Das ist in meinen Augen erheblich belastendes Material, weil es Cohn-Bendits Buch „Der große Basar“ m.E. nicht mehr als schlampig formuliertes Werk erscheinen lässt.
A. Posener schrieb: Auch die Bigotterie ist kein Alleinbesitz der katholischen Kirche. Gott sei Dank, die Debatte nimmt eine vernünftige Wendung. Über Bigotterie der katholischen Kirche ist hier vieles geschrieben worden, dem ich nur teilweise mit Einschränkung zustimme.
Was mir in ihrem Beitrag fehlt ist die Selbstkritik bezüglich Bigotterie von Journalisten, die jahrelang beispielweise Herrn Cohn-Bendit hofiert haben, obwohl er untragbare Äusserungen über Pädophilie auf Parteitagen der Grünen gemacht hat. Diese Journalisten, wie zum Beispiel Herr Friedman, dessen publizistische Tätigkeit ich genau verfolge, haben es nach meiner Kenntnis völlig unterlassen, die Haltung von Cohn-Bendit journalistisch zu thematisieren.
Diese Journalisten haben sich nicht nur Wegschauens und des Verharmlosens schuldig gemacht, sondern auch durch das hofieren von Herrn Cohn-Bendit seine Äusserungen als gesellschaftsfähig hingenommen. Herr Friedman kann mich ja gerne widerlegen, indem er seine journalistische Tätigkeit bezüglich der öffentlich gemachten Äusserungen von Herrn Cohn-Bendit präsentiert ;).
Ein runder Tisch der journalistischen Verharmloser von Pädophilie ist m.E. überfällig. Bezüglich der Fähigkeit zur Selbstkritik können sich Leute wie Herr Friedman, die journalistisch bezüglich Pädophilie versagt haben, ein Beispiel an der katholischen Kirche nehmen, die sehr offen ihr Versagen als Institution thematisiert.
Ziel des runden Tisches muß eine journalistische Nulltoleranz gegenüber Personen sein, die „Freiheit für Pädophile“ fordern. Alles andere ist Bigotterie, diskredietiert den gegenwärtigen Pädophilieskandal als primitive Kampagne gegen die katholische Kirche und landet als anschwellender Päderasten-Bocksgesang auf dem Lächerlichkeits-Scheiterhaufen der Republik.
Ob Sie da nicht einem „gebildeten“ Irrtum aufsitzen, lieber Herr Posener!
Wenn dem netten Herrn Lehrer angesichts der lieben Kleinen, die noch nicht Stimmbruch und nicht behaart sind, die Hose aufgeht, denkt der 12, 13-jährige Junge gewiss nicht daran, den netten Herrn Lehrer mal eben oral zu befriedigen oder sich von ihm anal penetrieren zu lassen. Es mag sein, dass der pädagogische Eros „von oben nach unten“ sexuell konnotiert ist. Von „unten nach oben“ ist er es aller Lebenserfahrung nach nicht.
Das tertium comparationis des fließenden Übergangs zwischen pädagogischem und sexuellem Eros ist (männliche) Macht sein, die eine, vielleicht noch immer die Spielart männlicher Sexualität stimuliert: Was unten liegt, wird gefickt. (Dass es sich bei dem Glauben, dass Ohnmacht in jedem Falle und natürlicherweise komplementär stimuliere, um einen legitimatorischen Männertraum handelt, spricht sich allerdings wohl zunehmend herum.)
Der „pädagogische Eros“, den es aus der Sicht des – unterlegenen bzw. „unten liegenden“ – educandus sicher ebenfalls gibt, ist eher nur ein Homonym des „pädagogischen Eros“, wie Sie ihn „klassisch“, ich könnte auch sagen, „aus der Sicht der alten Welt“ beschreiben, Herr Posener. (Und das ist es, was wir uns klar machen müssen, denke ich.)
Bravo, differenziert, kompetent und wortgewaltig.
Auch, was Sie darüber schreiben, wie Frauen in Schule und Uni den Eros bewußt einsetzen.
Nur könnte man dies, bei genauer Betrachtung, auch als eine Art Notwehr sehen.
Noch ergänzend. Ohne Skandalisierung gäbe es vermutlich bis heute keine öffnetliche Diskussion, nicht einmal entfernt!
Lieber Herr Posener,
einiges was Sie schreiben, ist mir in den letzten Tagen auch durch den Kopf gegangen und es wäre schön, wenn man die Unterschiede und spezifischen Gefahren der jeweiligen didaktischen Ansätze herausarbeiten könnte, aber auch die Parallelen, die nach meiner Einschätzung auch bestehen.
Heute habe ich ein wenig die Aussagen der ehemaligen Schüler und Lehrer der Odenwaldschule studiert, wobei mir der Satz, „Wer protestierte, wurde als Spießer geächtet“ besonders ins Auge stieß. Auch mir ist vor allem in den 80er-Jahren immer wieder aufgestoßen, dass in unserer Gesellschaft ein gewisser Gruppenzwang zur „einzig richtigen Freiheit“ ausgeübt wurde.
Ich glaube dieser „Zwang zur Freiheit“ kann zu ähnlichen Verletzungen führen wie andere Unterdrückungen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es sehr schwer, sich gegen diesen Druck zu wehren. Richtig ist, dass Sexualität in allen erdenklichen Formen unsere Gesellschaft durchzieht, aber eine wirklich vernünftige Kommunikation zu diesem Thema findet in den Familien und Medien eigentlich nicht statt.
Wenn man sich vor Augen hält, dass z.B. die Bücher von Arno Schmidt in den 50er-Jahren als pornographisch galten oder der Film die „Sünderin“ mit Hildegard Knef von aufgebrachten Bürgern gestürmt wurden, wundert es einen manchmal, wie ungerührt unsere Gesellschaft auf den Sexboom reagiert, den uns die privaten Fernsehanstalten und das Internet „beschert“ haben. Ich habe das Gefühl, dass wir das alles noch gar nicht reflektiert haben. Und ich finde Ihre Hinweise auf die ambivalenten Einflüsse der Enttabuisierung der Homosexualität und der feministischen Bewegung durchaus berechtigt.
Dem durchschnittlichen Jungen war bis vor kurzen gar nicht bewußt, dass es für ihn eine Gefahr des sexuellen Mißbrauchs überhaupt gab. Mißbrauchsopfer waren generell Mädchen. Literatisch verbrämte Beschreibungen von Mißbrauch an „Jünglingen“ stammten meist von homosexuellen, gesellschaftlich hoch angesehenen Schriftstellern oder Intellektuellen.
Ich selbst habe erst in den 1990er Jahren im Film „My Privat Idahoe“ zum ersten Mal dieses Problem offen und einigermaßen angemessen thematisiert gesehen. Durch mein Elternhaus oder die Schule bin ich auf diese realen Gefahren nie hingewiesen worden. Dass diese aber bestehen, werden die meisten Männer bestätigen können, die z.B. öfters getrampt sind. Ich selbst bin bei den wenigen Touren, die ich getrampt bin, mehrere Male von älteren Herren belästigt worden und von Freunden habe ich ähnliche Erfahrungen berichtet bekommen.
Mißbrauch bei Jungens gab es immer, doch der Umstand, dass darüber nicht geredet wurde führte in jüngster Vergangenheit vielleicht auch dazu, dass sich die Opfer dafür schämten und nicht in der Lage waren, sich ihren Eltern oder Freunden mitzuteilen. Gerade für einen Jungen in der Pubertät, der vielleicht noch gar keinen sexuellen Kontakt zu Mädchen hatte, muss es ja besonders verstörend sein, wenn er von einem erwachsenen Mann sexuell stimuliert wird. Da liegt es doch nahe, dass er nicht einschätzen kann, ob er vielleicht homosexuell ist, denn er hat ja auf die Stimulation reagiert oder ob ihm unsagbares Unrecht widerfahren ist.
Ich hoffe, dass die jetzige Debatte wenigstens dazu führt, dass die Jungen ein wenig besser auf die Gefahren vorbereitet werden.