Der französische Publizist Pascal Bruckner möchte ein Wort verbieten lassen. Eigentlich eher eine deutsche Obsession. Für Bruckner aber gehört das Wort „Islamophobie“ zu „jenen Begriffen, die wir dringend aus unserem Vokabular streichen sollten.“ Man fragt sich etwas bang, was die anderen Dinge sind, die wir nach Bruckner „dringend“ entworten sollten: Rechtspopulismus? Rassismus? Werterelativismus?
Nun gut. Bruckners Essay ist gut, weil er klipp und klar die wichtigsten Argumente gegen den Begriff „Islamophobie“ zusammenfasst und es damit jenen, die – wie ich – an diesem zugegeben unvollkommenen Begriff mangels eines besseren festhalten wollen, eine ebenso klare Erwiderung ermöglicht. Man kann den Essay auf Perlentaucher nachlesen, also hier:
http://www.perlentaucher.de/artikel/6639.html
Für jene, die das nicht wollen, fasse ich Bruckners wichtigste Argumente in seinen eigenen Worten zusammen:
„Ende der siebziger Jahre haben iranische Fundamentalisten den Begriff der Islamophobie erfunden, den sie sich von der „Xenophobie“ abgepaust haben. Sein Ziel ist, den Islam zu etwas Unberührbarem zu erklären. Wer diese neu gesetzte Grenze überschreitet, gilt als Rassist.“
Das Argument, Islamisten hätten den Begriff erfunden, um die Kritik am Islam in die krankhafte Ecke (eine Phobie ist eine irrationale Angst) zu drängen, mag richtig oder falsch sein. Es ist irrelevant. Der Begriff „Antisemitismus“ ist ja auch von Reaktionären erfunden worden, um ihrem vom christlichen Antijudaismus übernommenen Judenhass einen „wissenschaftlichen“ Anstrich zu geben. Tatsächlich hatten die „Antisemiten“ nie etwas gegen andere semitische Völker (etwa die Araber) einzuwenden, und ihr Hass richtete sich gegen eine Gruppe, die (Thilo Sarrazin und seinem „Judengen“ zum Trotz) genetisch zu den am wenigsten homogenen der Welt zählte und zählt. Dennoch benutzen wir heute den Begriff, und zwar nicht nur, um jene Ideologie zu bezeichnen, die damals von den europäischen Antisemiten entwickelt wurde. Niemand würde etwa ernsthaft behaupten wollen, Martin Luther sei kein Antisemit gewesen, bloß weil er von Rassen und Genetik nichts wusste und sie deshalb nicht heranziehen konnte, um seinen mörderischen Hass zu rechtfertigen.
„Aber ein Bekenntnis lässt sich so wenig mit einer Rasse gleichsetzen wie eine säkulare Ideologie. (…) Hat nicht der französischer Präsident selbst, dem wahrlich kein Lapsus zu schade ist, die Islamophobie mit dem Antisemitismus verglichen? Ein tragischer Irrtum. Rassismus attackiert Menschen für das, was sie sind: schwarz, arabisch, jüdisch, weiß.“
Lassen wir die Frage außen vor, ob sich die Islamophobie mit dem Antisemitismus „vergleichen“ lässt. (Natürlich lassen sich beide Erscheinungsformen der Diskriminierung „vergleichen“; das heißt, es lassen sich Ähnlichkeiten und Differenzen zeigen. Aber lassen wir die Frage hier beiseite, ebenso wie die Frage, ob sich die Rassendiskriminierung in den Südstaaten der USA, die Apartheid in Südafrika, die „ethnischen“ Säuberungen auf dem Balkan usw. mit der Politik der Nationalsozialisten „vergleichen“ lassen.) Hier gilt es, zwei Missverständnisse auszuräumen: 1. Rasse und „Bekenntnis“ lassen sich in der Vorstellung von Rassisten sauber scheiden. 2. „Rassismus attackiert Menschen für das, was sie sind“.
Beginnen wir mit der zweiten Behauptung, weil sie so offensichtlich falsch ist, dass ihre Widerlegung keine Mühe macht. Der Rassist greift Menschen an nicht für das, was sie sind, sondern für das, was sie seiner Meinung nach sind. Der Rassist vermutet etwa eine „jüdische Weltverschwörung“, dirigiert von den „Weisen von Zion“, die sich auf dem jüdischen Friedhof von Prag treffen. (So viel zur Unterscheidung von Religion und Rasse, aber dazu gleich mehr); Homophobe Zeitgenossen halluzinieren eine „verschwulte Republik“ herbei; Islamophoben „die Realität einer islamistischen Offensive in Europa“, unterstützt von nützlichen Idioten wie mir, die verbotene Wörter in den Mund nehmen.
Nun aber zum ersten Missverständnis. Die Behauptung, der „wissenschaftliche“ Rassismus habe mit herkömmlichen Vorurteilen, besonders religiösen, nichts zu tun, wird von den Rassisten selbst in die Welt gesetzt, wie erwähnt, um ihrer kruden Ideologie die Weihe des Wissenschaftlichen (Schädelmessungen, Statistiken) zu verleihen. Sie wird dankbar von der Kirche aufgegriffen, die ihren zweitausendjährigen Antijudaismus dadurch entschuldigt sieht. Schließlich habe sie ja nur ein „Bekenntnis“ (Bruckner) kritisiert; jeder könne aus dem „Volk der Gottesmörder“ (ups!) austreten, indem er sich taufen lässt. Aber wie schon die – von den Pius-Brüdern bis heute verwendete – Formulierung vom Volk der Gottesmörder zeigt, die eine Kollektivhaftung aller Juden für die angebliche Sünde ihrer Vorväter begründet, war der Judenhass immer mehr als Religionskritik, so wie auch Islamophobie mehr ist als Religionskritik.
Auch wenn Bruckner ihn nicht wahrhaben will: viele Autoren haben über den Einfluss religiöser Vorstellungen auf den Judenhass des getauften Katholiken Adolf Hitler geschrieben. Ich zitiere aus einer der neueren Untersuchungen. In seinem exzellenten Buch „Anständig geblieben: Nationalsozialistische Moral“ (Fischer 2010) widmet Raphael Gross ein Kapitel dem „Nachleben der Religionen im Nationalsozialismus“. Das Kapitel heißt: „‚Positives Christentum’: Religion und Moral in Hitlers Politik.“ Es ist insgesamt eine aufregende Lektüre, hier will ich mich darauf beschränken, aus Reden Hitlers zu zitieren, um den fließenden Übergang von Religionskritik und Rassismus klarzustellen. Am 27. Oktober sagte er: „Diese unsere Bewegung ist tatsächlich christlich. Wir sind erfüllt von dem Wunsche, dass Katholiken und Protestanten sich einander finden mögen (sic) in der tiefen Not unseres eigenen Volkes…“ Die Feinde des Christentums aber seien die Juden.
Zwar betonte Hitler, etwa in „Mein Kampf“: „Das Judentum war immer ein Volk mit bestimmten rassischen Eigenschaften und niemals eine Religion.“ Aber er bestimmte, wie Gross bemerkt, „das Judentum immer religiös, das heißt durch den Mangel an Religiosität“. So heißt es weiter in „Mein Kampf“, aus dem „ursprünglichen eigenen Wesen kann der Jude eine religiöse Einrichtung schon deshalb nicht besitzen, da ihm der Idealismus in jeder Form fehlt und damit auch der Glaube an ein Jenseits völlig fremd ist“. Hier wird aus einer Eigenschaft der Religion (ob sie so stimmt, ist eine andere Sache) auf eine Eigenschaft „des Juden“ geschlossen. Und so wie heute Rechtspopulisten wie Geert Wilders sagen, der Islam sei keine Religion, sondern eine politische Lehre, eine Anleitung zur Eroberung der Welt für die Umma, schrieb Hitler: „Die jüdische Religionslehre ist in erster Linie eine Anweisung zur Reinhaltung des Blutes des Judentums … Über den sittlichen Wert des jüdischen Religionsunterrichtes gibt es heute und gab es zu allen Zeiten schon ziemlich eingehende Studien“. Kurz, denen fehlen unsere „sittlichen Werte“ – denn Werte brauchen Gott: den christlichen, versteht sich. Schließlich, und damit sind wir beim Anfang angelangt, dem christlichen Wesen des Nationalsozialismus: Der Geist „des Juden“ ist, so Hitler, „dem wahren Christentum innerlich so fremd, wie sein Wesen es zweitausend Jahre vorher dem großen Gründer der neuen Lehre selbst war.“
Wie kann jemand behaupten, Kritik an einem „Bekenntnis“ und Rassismus hätten rein gar nichts miteinander zu tun – und dennoch erwarten, als Begriffswart ernst genommen zu werden?
„Auf weltweiter Ebene wird ein neues Meinungsdelikt konstruiert, das stark an das Vorgehen der Sowjetunion gegen ‚Feinde des Volkes’ erinnert.“
Dass „Islamophobie“, wie Bruckner behauptet, gegen Muslime selbst angewendet werde, um Kritik an der eigenen Religion zu unterdrücken, halte ich für ein Gerücht. Dazu reichen die in fast allen islamischen Staaten bestehenden, skandalösen Gesetze gegen Blasphemie, Apostasie und so weiter; und wenn sie nicht reichen, etwa weil der Kritiker außer Landes kann man ja eine Fatwa aussprechen, wie im Falle Salman Rushdie. Der Vorwurf der „Islamophobie“ wird von islamischer Seite fast ausschließlich gegen Nicht-Muslime (und, zugegeben, auch gegen radikale Kemalisten) erhoben; ich benutze ihn zur Kennzeichnung einer religiös verbrämten Fremdenangst.
Aber wenn Bruckner in seinem Kampf gegen die von Ihm imaginierte „islamistische Offensive“ schon die Sowjetunion bemüht, sollte man an den unseligen Missbrauch des Antikommunismus durch Leute wie Joseph McCarthy erinnern. Gegen den Kommunismus zu sein war in den 1950er Jahren nicht nur ehrenhaft; der Antikommunismus war als Ergänzung des Antifaschismus die einzig mögliche aufrechte Haltung für kritische Intellektuelle. McCarthy und seinesgleichen machten aber daraus eine Hysterie und die Begründung für eine Hexenjagd.
Ähnliches wird heute mit dem Islam und dem Islamismus versucht, und hier verläuft die Grenze zwischen Religionskritik und Islamophobie. Ich mache aus meinem Atheismus keinen Hehl. Ich habe zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Anlässen Christentum, Islam und Judentum kritisiert. Wenn aber jemand behauptet, zwischen meiner – wie ich hoffe – begründeten, wenn auch teilweise unfairen und polemischen Kritik an Ideen und Einrichtungen und der Herabsetzung ganzer Volksgruppen etwa durch Thilo Sarrazin gebe es keinen Unterschied, das sei alles Religionskritik, dann zweifle ich an den Ergebnissen der PISA-Studie, der zufolge sich auch Frankreich, was die Lesefähigkeit betrifft, im Mittelfeld der Industrieländer befindet.
Nennen wir das Kind, wie wir wollen: Es gibt eine Form der Islam-Kritik, die über den Begriff der „islamischen Kultur“ oder „islamisch geprägten Kultur“ und ihrer Abgrenzung von der „christlich-jüdischen Leitkultur“ dabei ist, die Vorstellung von Bürgern verschiedener Güteklasse zu etablieren. Getrieben wird sie von einer der McCarthy’schen Kommunisten-Hysterie vergleichbaren irrationalen Angst, die ich „Islamophobie“ nenne. (Ja, es gab auch kommunistische Spione in den USA; ja, es gibt islamistische Terroristen. Aber Hysterie und Angst sind keine guten Ratschläge im Kampf gegen Feinde der offenen Gesellschaft.) Vorschläge für bessere Namen nehme ich gern entgegen. Wer aber leugnet, dass ein solcher Prozess der Ab- und Ausgrenzung überhaupt im Gange ist, der leidet offenkundig unter Realitätsverlust. Da ist es nur logisch, auch die Worte verbieten zu wollen, die ihn an jene Realität erinnern.
@ Thomas Fuegner der Strafrichter
Erst Staatsanwalt, dann Strafrichter – wie wär’s denn zum guten Schluss noch mit Scharfrichter?
DAS wäre doch erst eine so richtig befriedigende Klimax. Oder nicht?