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Parteien können in ihren Satzungen vorsehen, dass Mitglieder, die ihre Beiträge über längere Zeit nicht zahlen, an parteiinternen Abstimmungen nicht mehr teilnehmen können. Kurioserweise soll das nach Ansicht der Bundeswahlleiterin aber ausgerechnet nicht bei der Aufstellung von Wahlkreiskandidaten gelten, einer der wichtigsten Entscheidungen von Parteien überhaupt. Damit ist der Wahlmanipulation und Kaperung von Parteien Tür und Tor geöffnet.
Wahlkämpfe sind teuer für Parteien. All die Veranstaltungsraumbuchungen, all die Plakate und Wahlwerbespots müssen bezahlt werden. Wer dafür nicht genug Geld hat, gerät schnell ins Hintertreffen. Vor genau diesem Problem steht, wie die „WELT“ Ende August berichtete, nun die CDU.
Ja, richtig gelesen. Man reibt sich die Augen. Ausgerechnet die CDU. Eine Partei mit einer vielfach bürgerlichen Klientel. Bereits jetzt wurde der Etat für die Europaparlamentswahl im nächsten Juni nach Angaben der „WELT“ schon von zehn auf acht Millionen reduziert. In Zeiten einer immer stärker werdenden AfD, der sich die CDU erwehren muss, ist das alarmierend. Man will sich gar nicht vorstellen, wie mau die Wahlkampfetats bei den Wahlen im nächsten Jahr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ausfallen könnten, wo die AfD den Christdemokraten jetzt schon in Umfragen massiv enteilt ist.
Die finanziellen Probleme der CDU und die Rolle der schwindenden Mitgliedsbeiträge dabei
Einer der Gründe für die finanzielle Misere ist dem „WELT“-Bericht zufolge ein Rückgang der Mitgliedsbeiträge, die 2021 noch knapp über 3,9 Millionen Euro lagen, 2023 aber nach Schätzungen der Parteispitze auf knapp 3,5 Millionen Euro heruntergehen könnten.
Grund genug für die CDU, die Zahlung offener Mitgliedsbeiträge nachzuhalten, sollte man eigentlich meinen. Doch wie der „Kölner Stadtanzeiger“ Anfang August berichtete, soll es im Kreisverband Köln der Partei ausstehende Beiträge in Höhe von 260.000 Euro geben. Erstaunlich. Vor allem angesichts des Umstands, dass der Kreisverband zudem Schulden in Höhe von 250.000 Euro haben soll. Insgesamt soll es zum Stichtag 31. Dezember 2022 um ca. 600 Mitglieder gehen, was bei einer Gesamtzahl von 4.500 Mitgliedern im Kreisverband eine hohe Zahl ist. Doch erst im Mai und Juni mahnte der Kreisverband die Zahlung mit Frist zum 10. August an.
Wer keine Mitgliedsbeiträge zahlt, kann das parteiinterne Stimmrecht nicht mehr ausüben
Die Nichtzahlung von Beiträgen hat neben dem finanziellen Aspekt auch eine andere, wichtige Dimension. Nach § 10 Absatz 2 des Parteiengesetzes kann die Ausübung der parteiinternen Stimmrechte der Mitglieder von der Erfüllung der Beitragspflicht abhängig gemacht werden. Genau eine solche Regelung enthält auch die Satzung des Kreisverbands Köln. Sechs Monate nach Eintritt der Säumnis ruhen die Mitgliedschaftsrechte automatisch. So weit, so gut, könnte man denken. Wer nicht zahlt, darf eben an der parteiinternen Willensbildung nicht mitwirken, sich also an Abstimmungen nicht beteiligen. Doch wurde das eingehalten? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ meldet jedenfalls Zweifel an, ob bei der letzten Vorstandswahl im März wirklich niemand mitgestimmt hat, dessen Stimmrecht ruhte.
Doch die Thematik hat noch eine weitere, sehr viel brisantere politische Dimension, die über reine Parteiinterna weit hinausgeht. Denn Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes sieht explizit vor, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. In der Praxis bedeutet dies vor allem, dass Parteien bei Landtags- und Bundestagswahlen Wahlkreiskandidaten aufstellen. In der Regel kämpfen mehrere Mitglieder darum, Wahlkreiskandidat zu werden. Kein Wunder. Eine solche Kandidatur bietet nämlich die Chance, politisch Einfluss nehmen zu können.
Wer es nach einer erfolgreichen Kür zum Wahlkreiskandidaten auch noch schafft, bei der nachfolgenden Landtags- oder Bundestagwahl zu reüssieren, zieht als Abgeordneter in das jeweilige Landesparlament bzw. den Bundestag ein und wird so zu einem ganz entscheidenden Akteur in der Politik. Entscheidet vor allem über das Zustande- oder auch Nichtzustandekommen von Gesetzen mit.
Die Wahl von Landtags- und Bundestagskandidaten als wichtigste parteiinterne Stimmabgabe
Wahlkreiskandidaten können, da sind das Parteiengesetz (§ 9 Absatz 1) und das Bundeswahlgesetz (§ 21 Absatz 1) bzw. seine landesrechtlichen Pendants streng demokratisch, nicht einfach nach Gutdünken bestimmt oder im Hinterzimmer ausgekungelt werden. Vielmehr müssen sie zwingend auf Mitgliederversammlungen, also Parteitagen gewählt werden. Das Stimmrecht der Mitglieder hat insoweit mithin eine ganz besonders hohe Relevanz.
Aufgrund dieser besonderen Bedeutung liegt es eigentlich auf der Hand, dass Mitglieder, die ihrer Beitragspflicht innerhalb einer jeweils von den Parteien festzulegenden Frist nicht nachgekommen sind, aufgrund ihres ruhenden Stimmrechts gerade bei Aufstellungsvereinbarungen nicht mitstimmen können. Eigentlich.
Grotesk: Wer als Parteimitglied nicht zahlt, soll nach Ansicht der Bundeswahlleiterin dennoch Wahlkreiskandidaten wählen können
Doch verblüffenderweise sieht die Bundeswahlleiterin dies anders. In ihren Hinweisen zur Durchführung von Aufstellungsversammlungen beruft sie sich auf § 21 Absatz 1 Satz 2 bis 4 des Bundeswahlgesetzes, der die Aufstellung von Parteibewerbern regelt. Und vertritt die Auffassung, dass die Teilnahme an parteiinternen Kandidatenaufstellungen nicht wegen „sonstiger Voraussetzungen“, insbesondere nicht wegen „parteiinterner ‚Strafen‘ bei Verstößen“ gegen die Satzung, insbesondere bei einem Verstoß gegen die Beitragszahlungspflicht von der Teilnahme an der Kandidatenaufstellung ausgeschlossen werden können.
Hier ist nicht der Raum für juristische Facherwägungen. Außer dem Hinweis darauf, dass § 21 Absatz 1 des Bundeswahlgesetzes mit keinem Wort § 10 Absatz 2 des Bundeswahlgesetzes ausgehebelt, der nun einmal vorsieht, dass die Ausübung der Stimmrechte an die Leistung der Mitgliedsbeiträge gekoppelt werden kann.
Viel wichtiger ist die politische Dimension des Ganzen, die – selbstverständlich – auch von der Bundeswahlleiterin zu durchdenken ist.
Die Bundeswahlleiterin verkennt die Gefahr, wie einfach Parteien aus niederen Motiven zu kapern sind
Denn hier tun sich potentielle Abgründe und eine große Gefahr auf: Das Kapern von Parteien. Um bei dem Kölner Beispiel zu bleiben: Mal fiktiv angenommen, die 600 säumigen Mitglieder wären CDU-nahe Wähler, die aber nur auf Wunsch und in Absprache mit einer bestimmten Strömung in der Partei mit ein paar Monaten Vorlauf vor der Aufstellungsvereinbarung zur Wahl des Bundestagskandidaten für eine Bundestagswahl in die CDU eingetreten sind, um einen bestimmten Kandidaten durchzuboxen oder zu verhindern, ohne aber selbst auf Dauer Mitglied sein zu wollen, weshalb ihnen die Zahlung der Mitgliedsbeiträge egal war und sie diese nicht leisteten. Wie gesagt: ein fiktiver Fall, aber so muss man die Dinge abstrakt durchspielen. Nach der Logik der Bundeswahlleiterin wäre das kein Problem, obwohl 600 bei insgesamt wie gesehen 4.500 Mitgliedern erheblichen Einfluss auf ein Wahlergebnis haben. Bei relativ bedeutungslosen parteiinternen Beschlüssen hätten diese 600 Mitglieder kein Stimmrecht gehabt, bei der auch insgesamt gesellschaftspolitisch relevanten Kandidatenaufstellung hingegen schon. Kann das richtig sein?
Und man muss das Ganze noch viel weiter zu Ende denken: jede Partei lässt sich mit der Ansicht der Bundeswahlleiterin problemlos kapern. Was etwa wäre, wenn Rechtspopulisten oder Rechtsradikale in Scharen in die der CDU eintreten, ihre wahre Agenda und ihre Ansichten verheimlichen, keine Beiträge zahlen, aber allein aufgrund ihrer Mannschaftsstärke dafür sorgen, dass rechtslastige CDU-Leute wie zum Beispiel Hans-Georg Maaßen bei Aufstellungswahlen für die Kandidatur zum Bundestag oder für einen Landtag gewinnen? Und dann irgendwann wieder aus der Partei austreten, ohne auch nur einen Cent gezahlt haben.
Das Parteiengesetz will mit dem fakultativen Mitgliedsbeitragsvorbehalt verhindern, dass Leute aus sachfremden Erwägungen beitreten
Soll das ernsthaft dem Willen des Bundeswahlgesetzes bzw. seiner Pendants in den Ländern entsprechen? Wohl kaum. § 10 Absatz 2 des Parteiengesetzes ist von einem Gedanken getragen, der so sehr auf der Hand liegt, dass man ihn eigentlich nicht erwähnen müsste: Die Ernsthaftigkeit einer Parteimitgliedschaft zeigt sich daran, ob man gewillt ist, die Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Wer das monatelang nicht tut, wirkt insoweit suspekt. Verfolgt vielleicht ganz andere Absichten. Deshalb gibt das Parteiengesetz den Parteien die Möglichkeit, solchen Mitgliedern die Stimmrechte ruhend zu stellen.
All das sind keine theoretischen Erwägungen. 2001 gab es tatsächlich den Versuch von Spontistudenten, die FDP zu kapern. 2700 liberale Studenten wollten die Stimmenmehrheit in der Berliner FDP erlangen und sich des nationalliberalen Flügels entledigen. Schließlich gelang 750 von ihnen tatsächlich der Eintritt und sie machten sogar Karriere. Letztlich war alles ein harmloses Unterfangen, aber das Ganze zeigt, dass die Kaperung von Parteien zur Stärkung oder Schwächung bestimmter Flügel mehr als nur ein theoretisches Glasperlenspiel ist.
In Zeiten des grassierenden Rechtspopulismus sollte die Bundeswahlleiterin ihre apodiktischen Äußerungen also besser nochmals überdenken.
Danke für diese Analyse, das ist in der Tat ein Problem, das durch eine Klarstellung im Bundeswahlgesetz kurzfristig beseitigt werden sollte.