Ein Gastbeitrag von Friedrich Broeckelmann
1969 erregte Willy Brandt mit einer schlichten Feststellung Aufsehen: “Die Schule der Nation ist die Schule“. Damals war das eine Absage an soldatische Wunschträume, die bis in die CDU Kurt Georg Kiesingers überlebt hatten. Der hatte mit dem Motto „Die Schule der Nation ist die Bundeswehr“ die Generation der Hippies und Kommunarden noch einmal mit Drill und Anstand auf den rechten Weg bringen wollen.
Schnee von gestern? Ob die „Nation“ als Bezugsgröße der gesellschaftlichen Entwicklung noch taugt, mag an anderer Stelle diskutiert werden. Ob Willy Brandt mit der Tautologie „Die Schule ist die Schule“ heutiger Bildungspolitik noch als Kompass dienen kann, darf bezweifelt werden.
Eine Wundertüte voller Erwartungen an die Schulen
Wenn man sich in Lehrerzimmern umhört, vernimmt man immer wieder die Klage über die Überfrachtung der Schule mit Aufgaben, die über die Wissensvermittlung hinaus gehen. Manche Lehrerinnen und Lehrer empfinden es schon als Zumutung, dass Gesundheit, Sicherheit und Selbstvertrauen der Schützlinge zu ihren Aufgaben zählen.
Aber auch die pädagogischen Enthusiasten klagen darüber, dass brennende gesellschaftliche Fragen ihren Unterricht überfrachten sollen: Das Verständnis der Marktwirtschaft, der Schutz vor übertragbaren Krankheiten, der Stop des Klimawandels, die Sorge um eine vergreisende Gesellschaft, die Pflege des rheinischen Brauchtums usw. „Wann sollen wir das alles schaffen, wenn wir die Wirbeltiere noch nicht abgeschlossen haben“, seufzt manche Biologielehrerin, während der Sportkollege sich direkt wütend alle Einmischungen in seine Vorbereitung der 4×100 Meter Staffel verbittet und türenschlagend die Konferenz verlässt. Der Protest ist verständlich, wenn die Ansinnen per Runderlass auf die Tische flattern und eine sofortige Umsetzung verlangen. Verfehlt aber sind die Klagen, wenn damit die Verantwortung für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler abgelehnt wird, wenn also die Vermittlung fachlicher Inhalte gegen den Bildungsauftrag ausgespielt wird.
Welche Erwartungen wurden in der Kontroverse um die „Schule der Nation“ eigentlich gestellt. Sicher erhoffte sich der Alt-Nazi Kiesinger von der Bundeswehr nicht, dass dort die Binomische Formel oder der Punische Krieg besonders wirkungsvoll erklärt werden. Auf dem heimlichen Lehrplan der Bundeswehr sollte eher die „Formung junger Menschen“ (von oben herab … und eigentlich nur der männlichen Hälfte der Jugend, denn Frauen kamen beim Bund noch nicht vor) stehen. Wohlwollend formuliert: die Vermittlung von Tugenden.
Die sozialliberale Bildungsreform, die von der ersten Regierung Brandt eingeleitet wurde, setzte demgegenüber auf Versachlichung und Verwissenschaftlichung. In der Folge dieses Ansatzes blühten an den Gymnasien (und den neuen Gesamtschulen) die Fachwissenschaften auf, nach dem Motto „Alles, aber gründlich“ konnten junge Leute z.B. in Psychologie- und Sport- Leistungskursen das Abitur ablegen. Der Focus auf die fachliche Bildung war durchaus mit gesellschaftspolitischen Erwartungen verknüpft. So hieß es in Brandts Regierungserklärung erläuternd: „“Das Ziel ist die Erziehung eines kritischen, urteilsfähigen Bürgers, der imstande ist, durch einen permanenten Lernprozess die Bedingungen seiner sozialen Existenz zu erkennen und sich ihnen entsprechend zu verhalten“. Man war der Überzeugung, dass die Persönlichkeitsentwicklung mit der fachlichen Ausbildung unmittelbar einhergehe. Insofern war die sozialliberale Bildungsreform von einem ähnlichen Grundgedanken wie die altphilologische Bildung im 19. Jahrhundert geprägt. Damals sollte das Studium der alten Sprachen auch den „Geist der Antike“ über die jungen Menschen bringen. Jetzt, in den 70er Jahren, waren die kritischen Wissenschaften zum Träger von Erziehung ausersehen: Wer viel weiß, versteht auch die Welt und hat auch große Chancen im Leben. So die Annahme.
Heute ist das Prüfungswissen wieder auf die „Kernfächer“ geschrumpft
So einfach ist es aber nicht. Was ist aus diesem hoffnungsvollen Ansatz im 21. Jahrhundert geworden? Das Prüfungswissen ist wieder auf den alten Bestand der „Kernfächer“ zusammengeschnurrt, der Erziehungsanspruch der Schulen verwandelt sich in eine ständig wachsende Sammlung zusätzlicher Aufgaben, die im Unterricht bewältigt werden sollen. Jörg Dräger vergleicht diese Entwicklung mit einem Dachsbau: Ständige Erweiterungen, ohne dass ein System erkennbar ist.
Schulen wurden noch nie von allen geliebt, inzwischen haben sie aber auch den Nimbus eines Erfolgsgaranten verloren. Statt dessen: Klagen über Klagen – über unmotivierte Lehrkräfte, praxisferne Minister-innen, die Schüler (die seit 2000 Jahren immer schlechter werden), die Helikoptereltern. Das Paradox: Je lauter die Klagen, umso verzweifelter wird der Ruf nach der Schule, erst recht jetzt in der Corona-Krise: „Schulen auf“ ist zum Notruf geworden, um die Kinder aus den Wohnzimmern herauszubekommen. Die hehren Diskussionen darüber, ob in der Schule gebildet oder ausgebildet wird, ob Wissen oder Kompetenzen vermittelt werden sollen, verstummen vor dem Wunsch, wenigsten zwischen 8.00 und 13.00 irgendwas mit den Kindern in der Schule zu machen, damit daheim Ruhe ist.
Schulen müssen ihren Platz in der Gesellschaft neu finden
Um die ehrwürdige Einrichtung der Schule von der Resterampe der Pandemiebewältigung wegzubekommen, ist es an der Zeit, die Erwartungen zu klären: Was sollen junge Menschen wo lernen?
Zunächst einmal: Gelernt wird jederzeit, nachdem wir morgens die Augen aufgeschlagen haben. (Und vermutlich kann die Hirnforschung auch nachweisen, dass wir nachts im Schlaf lernen.) Die Frage lautet also genauer: Wo muss die Gesellschaft steuernd und helfend in Lernprozesse eingreifen?
Erstens bei der Organisation, Verarbeitung und Einordnung von Wissen. Informationen gibt es an jeder Ecke, der richtige Umgang damit will gelernt werden.[1]
Zweitens bei der sozialen Entwicklung. Selbstbehauptung und Verantwortung können sich in einer pluralistischen Gesellschaft nur durch eine Vielzahl sozialer Begegnungen schärfen.
Drittens bei der Beratung und Unterstützung der einzelnen Jugendlichen auf dem Schlingerkurs zwischen Peer Groups, Medien, Eltern, legalen und illegalen Konsumangeboten.
Homeschooling ist keine Lösung
Von welcher Seite soll diese Unterstützung kommen? In der Bundesrepublik gilt die Schulpflicht, die in letzter Instanz auch unter dem unschönen Titel „Schulzwang“ behördlich umgesetzt werden kann. Konservative Kritiker der Schulpflicht verweisen auf die Vielzahl westlicher Länder, wie der USA, in denen es neben der Schule das Recht auf „Homeschooling“ gibt. Bei näherem Betrachten ist dies eine Nischenlösung für die Eltern, die Angst vor dem öffentlichen Leben haben bzw. sich und ihre Kinder im Kokon einer abgeschlossenen Glaubenswelt abkapseln wollen. Verglichen damit ist die Schulpflicht eine Schutzmaßnahme des Staates, die dafür sorgt, dass die Kinder mit der Welt jenseits des Elternhauses, mit Gleichaltrigen, mit anderen Erwachsenen und Institutionen in Kontakt kommen. Nicht zu unterschätzen ist die Sehnsucht, mit der viele Jugendliche das Ende großer Ferien, aktuell des Lockdowns, erwarten, um endlich wieder die Freunde und überhaupt andere Gesichter zu sehen.
Keine Frage also: Schulen sind unverzichtbar, aber sie müssen einen selbstbewussten und bescheidenen Platz im Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Erziehungsinstanzen finden.
Das bekannte nigerianische Sprichwort sagt: Für die Erziehung eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf“. Zweifellos gehört auch die Schule ins Dorf, aber das Dorf ist viel mehr als die Schule.
Wenn sich die Bundesrepublik als Bildungsrepublik verstehen will, müssen Bildung und Erziehung dem schulischen Monopol entzogen werden. Unsere Wissensgesellschaft muss sich diese Aufgabe erneut aneignen, statt sie zu delegieren. Was heißt das konkret?
– Schulen brauchen Laien, die an der Ausbildung der Jugendlichen beteiligt sind: Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf, Eltern, die sich am Unterricht beteiligen, Fachexperten, die Aufgaben im Unterricht übernehmen. Lehrer werden dadurch keinesfalls überflüssig, sie sind die ausgebildeten Experten, um Lernprozesse zu steuern und zu koordinieren.
– Gesellschaftliche Einrichtungen (Betriebe, Behörden, Institute, die Polizei, die Krankenhäuser usw.) müssen sich auch als Bildungsinstitutionen verstehen, die ihre Türen öffnen und über Ausbildungsexperten verfügen. Die bundesdeutsche Bildungspolitik verfügt neben einer Serie von Debakeln und Enttäuschungen über einen echten Exportschlager, der weltweit Beachtung findet: das duale Bildungssystem: In der beruflichen Bildung sind Schulen mit Industrieunternehmen und Verwaltungseinrichtungen eng miteinander verzahnt. Dies schafft nicht nur gute Chancen für berufliche Karrieren, sondern macht die Ausbildungsbetriebe zu öffentlichen Orten des Lernens.
– Die Familien brauchen Zeit, Mittel und Hilfe bei ihrem Erziehungsauftrag. Im Moment sehnen viele Eltern die Öffnung von Schulen herbei, nicht weil sie Rabeneltern wären, sondern weil sie mit den Mehrfachbelastungen von Beruf, Haushalt und Erziehung als 24 Stunden Job einfach überlastet sind.
– Lebenslanges Lernen: Wenn auch der Onkel für drei Monate im Biologieunterricht auftaucht, weil er sich in der Botanik fortbilden will, wenn Tante Carola in Spanisch mitmacht und wenn der Mathelehrer auf einmal als Mitschüler im Musikunterricht aufkreuzt, dann hat das nicht nur symbolische Bedeutung, sondern es verzahnt Bildung und Erziehung viel enger, als dies im Sonderbiotop eines Unterrichts nur für Achtklässler möglich wäre.
Was kostet das?
Ganz sicher jede Menge Geld, das die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft für die Finanzierung von Erziehern und Pädagogen und für die Freistellung von „produktiven“ Aufgaben aufbringen müssen. Vor allem aber kostet es Mut einer Gesellschaft, die es sich zutraut, sich den Fragen, Provokationen, Macken und Ideen des Nachwuchses wirklich zu stellen, statt der Bildung und Erziehung eine (meist schlecht finanzierte und ausgestattete) Parzelle im Gewerbegebiet öffentlicher Aufgaben zuzuweisen.
An dieser Stelle hat der Autor skizziert, wie Schule mit diesem Aufgabenspektrum aus Sicht einer Lernenden funktionieren könnte.
„Schulen brauchen Laien“ – nein, brauchen sie nicht, davon gibt es im normalen Schulbetrieb schon genug. Schulen brauchen Profis, wobei die Art der Ausbildung schon fast egal ist, wenn diese Profis eben mehr bieten, als den Lehrplan abzuarbeiten. Lehrer sollten mehr sein, als Wissensvermittlungsautomaten, nur werden sie im Studium darauf kaum vorbereitet, dass in ihrer späteren Klasse Menschen sitzen werden, die nicht nur Wissenslücken haben, sondern auch allgemeine Lebensprobleme. Den Teil der Lehrertätigkeit nennt man (Sozial)Pädagogik und davon findet sich, nach meiner gut 40 Jährigen Erfahrung als Erzieher, immer weniger, je höher die Schule angesiedelt ist. Kurz: Hauptschule funktioniert (notgedrungen) nur mit sozialpädagogischem Engagement- am Gymnasium wird für die spätere Karriere gebüffelt, und zwar ohne „Gedöns“. Der Beste Pädagoge, der mir in meiner Zeit begegnet ist, war übrigens Hausmeister an einer Förderschule. Der „kriegte“ sie alle, auch die Verweigerer und Schwänzer. Sein Vorteil war, dass er als gelernter Maurer wusste, wie das Leben für die meisten der Schüler später aussehen würde: Körperliche Arbeit, meist schlecht bezahlt und ohne Glamourfaktor. Er und die Schüler lebten in der gleichen Welt jenseits von Beamtenstatus und Bildungsreisen mit Expedia und sie sprachen die gleiche Sprache. Was also tun? Nein, nicht jede(r) LehrerIn soll Maurer lernen. Aber sie sollten in Ihrer Ausbildung vielleicht nicht so viel Zeit mit „Wirbeltieren“ verbringen, sondern mehr mit der Frage, auf was für ein Leben sie ihre späteren Schüler eigentlich vorbereiten sollen. Dazu gehören vielleicht ein paar Praktika in Firmen, Fabriken, Behörden. Der Kabarettist Volker Pispers machte vor Jahren schon den bitteren Scherz: Lehrer werden die, die sich überhaupt kein Leben außerhalb von Schule vorstellen können. Und ja, das wird einiges kosten, genau wir die Herrichtung maroder Schulgebäude, die nötige technische Ausstattung, ausreichendes Personal. „Bildung“ ist die Fähigkeit, Wissen zu erwerben, Probleme zu erkennen und Lösungswege zu finden + die Sozialkompetenz, all das in Teams zu bewältigen. Vielleicht wäre ein Einstig gemacht, wenn Lehrer überhaupt mal das „Tool“ Teamarbeit im Alltag nutzen würden.
Lieber Herr Ziegler, Sie fordern Professionalität der Lehrkräfte, und da stimme ich Ihnen natürlich voll zu. Professionalität zeichnet sich nicht allein durch Sachwissen und Kompetenzen bei der fachlichen Vermittlung aus, sondern ganz besonders durch Empathie und das Verständnis für die Entwicklungswege von Jugendlichen.
Lehrkräfte, die keine Kinder mögen, sind auf jeden Fall eine Fehlbesetzung.
Was Laien (keine laienhaften Lehrerinnen und Lehrer, sondern erwachsene Menschen, die jungen Leuten ihre Kenntnisse vermitteln können!) mitbringen, sind unmittelbare Erfahrungen, ungewohnte und ungeplante Perspektiven, routinefreie Herangehensweisen, kurzum: Das pralle Leben.
Schulen brauchen beides: Pädagogische Professionalität und die Impulse aus der Gesellschaft. Schließlich werden die Jugendlichen nicht wie die Autos am Fließband nach einem einmal entwickelten Skript zusammengebastelt. Pädagogischen Patentrezepten ist zu misstrauen.
Dass Kinder Impulse aus der Gesellschaft brauchen, ist richtig, aber m.E. auch trivial: Als Mitglieder der Gesellschaft bekommen sie solche Impulse sowieso laufend (über Eltern, Verwandte, Freunde, Internet). Wie gesagt: Die Quereinsteiger, die ich kenne, haben die Schule nach meinen Erfahrungen nicht alle bereichert. Ich kenne Leute, die eigentlich Wissenschaftler waren, fachlich also sehr gut, und die direkt in die Schule gesteckt wurden – heraus kamen hoffnungslos überforderte Laien und ein Unterricht, der von den Kindern schlicht ignoriert wurde. Dadurch musste ich dann – als Laie in Ihrem Sinne – den Stoff meinen Kindern beibringen. Ich finde es nicht so gut, die Aufgaben überforderter Lehrer zu übernehmen. Natürlich kann man gute Lehrer nicht herbeizaubern, und wenn keine da sind, müssen eben Laien ran. Aber gut ist das nicht.
…oder meinen Sie, dass diese „Laien“ nicht die normalen Unterrichtsfächer unterrichten, sondern zusätzliche Mini-Praktika oder sowas anbieten sollen? Auch da bin ich skeptisch. Es gibt schon genug Stoff, den die Kinder lernen müssen, da soll man nicht noch zusätzlich aufsatteln. Jedenfalls wüsste ich nicht, wie ein Laie ein klassisches Schulfach wie z.B. Mathe, Biologie oder Deutsch so unterrichten sollte, dass er dabei seine gesellschaftlichen oder beruflichen Erfahrungen sinnvoll einbringen könnte und das Ganze funktioniert. Stattdessen zeigt sich, dass Laien fachlich oft keine Ahnung haben, weil sie ihr eigenes Schulwissen längst verlernt haben, und pädagogisch mangels Erfahrung und Ausbildung die Aufmerksamkeit der Kinder noch schneller verlieren als die meisten Lehrer.
„Schulen brauchen Laien“, sagen Sie. Aber Quereinsteiger gibt es doch in Massen, weil man bei der Lehrerausbildung den absehbaren Bedarf an Lehrern jahrzehntelang verschlafen hat. Und nun versuchen Sie, aus dieser Not eine Tugend zu machen. Nein, die Schulen haben bereits Laien, viel zu viel Laien, und sie brauchen stattdessen Profis: gut ausgebildete, kompetente, empathische Lehrer. Gerade bei der Empathie – die Kompetenz, sich in die Seelen hineinzudenken – herrscht ein beklagenswerter Mangel. An den Schulen meiner Kinder bin ich durchaus solchen Lehrer-Profis begegnet, es gibt sie durchaus, aber sie sind selten: engagierte, einfühlsame Lehrer. Viel mehr sind dort Laien beschäftigt, entweder lustlose Routiniers oder unerfahrene, hysterische Quereinsteiger. Beides kann man unter Laien zusammenfassen. „Eltern, die sich am Unterricht beteiligen“: das können viele Eltern nicht, zum Beispiel, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Ich muss bei diesen Vorschlägen an das Motto denken: „Ich hatte schlechte Lehrer, das war eine gute Schule“, aber dieses Motto ist völlig falsch. Eine solche Schule mit schlechten Lehrern ist eine schlechte Schule. Eine gute Schule braucht gute Lehrer, motivierende Persönlichkeiten, das ist das wichtigste. Dazu braucht man eine praxisorientierte Ausbildung, die stärker auf die psychologische Komponente der Pädagogik setzt. Das derzeitige Lehrerstudium + Referendariat ist enorm reformbefürftig – hier sollte man ansetzen (ich selbst bin kein Lehrer, kenne aber mehrere). Laien können das nicht und haben auch anderes zu tun. die Laien kommen zum Zuge, wenn die Schule vorbei ist, am Nachmittag, Abend und am Wochenende. In der Schule müssen es die Lehrer tun.
…um das vielleicht etwas genauer zu beschreiben: Im Referendariat müssen die jungen Lehrer-Azubis ausgetüfteltste Konzepte entwerfen und verschiedene Vorzeigestunden von A-Z durchplanen – üble Kopfgeburten, die völlig praxisfern sind. Die konkreten Schüler, ihre Hintergründe, Persönlichkeiten und Bedürfnisse – solche pädagogischen Kernkompetenzen interessieren keinen. Stattdessen werden abstrakte Konzepte bewertet und die roboterhafte Umsetzung durch schwitzende Referendare vor einer Front von Aufpassern auf dem Präsentierteller bewertet – mit Sachen, die später nie wieder im Unterricht Anwednung finden. Ganz zu schweigen von den vielen Unisemestern im Hauptstudium, von denen rein gar nichts im Unterricht irgendeine Relevanz hat. Ich habe eine komplette Lehrerausbildung von außen begleitet und konnte diese – auch noch ewig andaurnde, das Gamnze dauert ja viele Jahre – Sinnlosigkeit kaum glauben. Ein Wunder, dass es trotz dieser Ausbildung gute Lehrer gibt.
Lieber Roland Ziegler, in Ihrem ersten Text fällt Ihnen ja eine ganze Menge ein, was Lehrer alles draufhaben sollen, wie sie sein sollen, was sie tun sollen usw. und in Ihren folgenden Erläuterungen kritisieren Sie dann die Schulbehörden, die „schwitzende Referendare“ kaputtprüft. Wahrscheinlich haben Sie ja mit beidem Recht, aber kann es nicht vielleicht sein, dass das eine (die völlig überhöhte Erwartungshaltung) das andere (realitätsferne Anforderungen in der Lehrerausbildung) bedingt, ja verursacht und umgekehrt? Beides, die Erwartungshaltungen der Eltern, Gesellschaft usw. an die Schulen sowie auch die Bürokratie haben sich weitestgehend vom Realismus und dem gesunden Menschenverstand (der ja auch mittlerweile als ‚irgendwie nazi’ gilt – nicht wahr?) verabschiedet. Und das gilt ja nun nicht nur für die Schulen, wird aber da besonders deutlich: Lehrer sollen also ‚stets‘ eierlegende Wollmilchsau sein und das hat sich auch herumgesprochen, weswegen viele das nicht mehr machen wollen. Auf den einfachen, naheliegender Gedanken, dass die Welt nicht perfekt ist und nicht jeder Lehrer für jeden Schüler passen kann, kommt anscheinend niemand mehr.
Lieber KJN, die Welt ist nicht perfekt und ein guter Lehrer sein ist schwer. Man könnte es dabei belassen, falls Sie das sagen wollten. Man könnte es aber auch ändern, zumindest das, was man ändern kann. Mit der Ausbildung wie sie jetzt ist, ist es noch schwerer, ein guter Lehrer zu sein, als es sein müsste, weil die Ausbildung am Lehrerberuf vorbeizielt. Ich schlage daher vor, die Ausbildung zu ändern und so zu gestalten, dass es einfacher wird. Das erscheint mir möglich. Sollte dies stimmen – was spricht dann aus Sicht des gesunden Menschenverstandes, der mir leider nicht zur Verfügung steht, dagegen?
Lieber Roland Ziegler..
„Ich schlage daher vor, die Ausbildung zu ändern und so zu gestalten, dass es einfacher wird. Das erscheint mir möglich.“
Aber wie? Bzw. (diese Frage beantworten zu können ist unser beider Job nicht): Haben Sie schon mal in diesem Land erlebt, dass etwas vereinfacht wurde?
Klar habe ich das schon erlebt. Spontan fällt mir als Beispiel die Terminvergabe bei den Berliner Bürgerämtern ein, wo man sich Personalausweis, Reisepass usw. ausstellen lässt. Das war früher eine Katastrophe und läuft heute – nach meinen Erfahrungen – 1a. Man kann online einen Termin buchen, und zwar bei allen Bürgerämtern gleichermaßen, nicht nur bei dem für den Bezirk zuständigen. Man setzt sein Kreuz in die Terminmatrix und bekommt eine Emailbestätigung. Dann fährt man hin und kommt mit maximal 15 Minuten Wartezeit dran. Und wird meistens (nicht immer, ein paar Altlasten gibt es noch) freundlich und kompetent bedient. Und früher saß man ewig auf den Fluren und die Mitarbeiter in den Ämtern waren unglaublich unfreundlich. Eine deutliche Vereinfachung und Verbesserung.
Lieber Klaus,
Eine Vorbemerkung zum „Gesunden Menschenverstand“: Der ist nicht „nazi“, sondern ein Totschlagargument in jeder Diskussion. Wenn Sie sich im Besitz desselben wähnen, sprechen Sie Ihrem Gegenüber explizit oder implizit die Fähigkeit ab, die „Realität“ unverzerrt, das heißt, so wie Sie, wahrzunehmen. Oder anders gesagt Ihr „Gesunder Menschenverstand“ kann sich von dem anderer Leute unterscheiden. Der „Gesunde Menschenverstand“ hat als Argument in einer Diskussion nichts verloren.
In der Sache stimme ich Ihnen in vielem zu. Dazu kam mir der Gedanke, dass die Anspruchsmentalität an das System Schule auch aus aus dem Prozessdenken der Wirtschaft kommen kann, die ja auch utilitaristische Ansprüche an den „Output“ des Bildungssystems hat. Prozesse werden ständig optimiert, um jede Fehlermöglichkeit zu minimieren und vor allem den Faktor Mensch dabei „einzuhegen“. In der Schule haben wir es aber zuvörderst mit Menschen zu tun, die Fehler machen und auch trotz aller methodisch und didaktischen Überlegungen in der Lehrerausbildung nicht zwingend individuell zueinander passen.
Inhaltlich sollte es vor allem um die Kompetenz, das „Lernen zu können“, gehen. Und um die Vermittlung der Tatsache, dass der Präsentation von Wissen der eigentliche Wissenserwerb zwingend vorausgehen sollte. Digitalisierung hin oder her – entscheidend ist die Person, die das Ganze organisiert. Meiner Erfahrung nach ist die „angemessene Präsentation“, zum Beispiel in Powerpoint, auch bei mäßigem Halbwissen des Präsentierenden oftmals schon die halbe Miete. Heute im Unterricht, morgen dann im „Meeting“.
Lieber Stefan, gut, danke! Das erfordert natürlich ein paar (Er)Klärungen:
„Eine Vorbemerkung zum “Gesunden Menschenverstand”: Der ist nicht “nazi”, sondern ein Totschlagargument in jeder Diskussion. Wenn Sie sich im Besitz desselben wähnen, sprechen Sie Ihrem Gegenüber explizit oder implizit die Fähigkeit ab, die “Realität” unverzerrt, das heißt, so wie Sie, wahrzunehmen. Oder anders gesagt Ihr “Gesunder Menschenverstand” kann sich von dem anderer Leute unterscheiden. Der “Gesunde Menschenverstand” hat als Argument in einer Diskussion nichts verloren.“
Ich meine mit ‚gesundem Menschenverstand‘ nicht meine eigene Meinung, Auffassung, Denkweise, Vorbildung, was auch immer, sondern die Fähigkeit von der Möglichkeit der eigenen (sinnlichen) Wahrnehmung, zu eigenen Schlussfolgerungen tatsächlich Gebrauch zu machen und nicht jeder Autorität, jedem akademischen Popanz zu folgen, was z.B. in der abstrusen Neigung mancher Mitbürger mündet, Lebensmittel wegzuwerfen, wenn das Mindest(!)haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. (Da wird also der eigenen Nase weniger getraut, als einem Etikett..) Wenn ich also ‚gesunden Menschenverstand‘ anführe, bzw. argumentativ einfordere, dann geht es um – letztlich – Kant: habe Mut.. (sie wissen schon). Also das Gegenteil von ‚Follow the Science‘. Ich fragte hier schon vor einem oder zwei Jahren: „Which science?“ (Deniz Yücel sieht das übrigens aktuell in der WELT recht ähnlich..)
Der Kern meiner meisten Polemiken ist also immer der Gleiche: Eigene Wahrnehmung, eigene Schlussfolgerungen. Emanzipation! Selbstermächtigung! Gilt übrigens auch für den Aktienmarkt..
„Dazu kam mir der Gedanke, dass die Anspruchsmentalität an das System Schule auch aus aus dem Prozessdenken der Wirtschaft kommen kann, die ja auch utilitaristische Ansprüche an den “Output” des Bildungssystems hat.“
Aber ja! Ich frage mich schon lange, wieso die Schule sich so (vergeblich) bemüht, passgenaue Bewerber zu produzieren, statt die Schüler zu ermächtigen die Kernfächer (Deutsch, Mathe, Englisch) intellektuell so zu bewerten, dass ihre Beherrschung auch als der persönliche Nutzen gesehen wird, der er ja tatsächlich für sie ist. ‚Passgenauigkeit‘ für ‚die Wirtschaft‘ ist Zeitgeist. Den zu bedienen, dafür ist die Schule (bitte!) nicht da.
„In der Schule haben wir es aber zuvörderst mit Menschen zu tun, die Fehler machen und auch trotz aller methodisch und didaktischen Überlegungen in der Lehrerausbildung nicht zwingend individuell zueinander passen.“
Eben: Ich habe den Eindruck (bei aller Zurückhaltung, ich bin kein Lehrer!), dass da versucht wird, Dinge (psycho)technisch als planbar darzustellen und die Absolventen an dieser Idee zu messen, statt, die Absolventen psychlogisch(!) auf den Umgang mit Schülern vorzubereiten..
„Meiner Erfahrung nach ist die “angemessene Präsentation”, zum Beispiel in Powerpoint, auch bei mäßigem Halbwissen des Präsentierenden oftmals schon die halbe Miete. Heute im Unterricht, morgen dann im “Meeting”.
Nun ja.. meiner Erfahrung nach ist der alleinige Gebrauch des Mediums ‚Powerpoint‘ vor allen Dingen ein probates Schlafmittel und die dann üblicherweise verteilten ‚handouts‘ i.d.R. Schmierpapier und nur in den seltensten Fällen dazu geeignet, irgendwas im Nachhinein rekonstruieren zu können.
Zuerst brauchen Schulen keine Ideologie. Das wusste schon Seneca; ‚Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.‘ … demnächst dann auch mit ‚Ethno-Mathematik‘; 2 + 2 =22 … und mit Lenins ‚fff-Kommunismus‘ – das
ist Sowjetmachtist EU-Kommission plus Elektrifizierung des ganzen Landes.… frei nach Schiller; ‚… hier wende ich mich mit Grausen; mein Freund kann der Sozialismus nicht seyn, …‘