Ein Gastbeitrag von Marcus Knauf
Parteipolitische Auseinandersetzungen gehören nicht an die Universität. Diese Ansicht vertritt der Präsident der Universität Hamburg Dieter Lenzen. Er hat im Oktober sieben Thesen zur Wissenschaftsfreiheit veröffentlicht. Dem widersprach Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Seiner Meinung nach müssen politische Debatten auch an Hochschulen geführt werden. Er irrt. Um die Freiheit der Universität zu verteidigen, müssen wir akzeptieren, dass die Meinungsfreiheit in der von Paqué reklamierten Form, nicht gilt. Mehr noch: Eine radikale Meinungsfreiheit kann die liberale Universität zerstören.
Die Universität ist der Ort der Erkenntnis und nicht der Meinung, also kann auch keine Meinungsfreiheit für Politiker in der von ihnen beanspruchten Weise gelten. So arbeitet es Dieter Lenzen in seinem Essay heraus. In der Universität gehe es um den Wettstreit der Erkenntnisse und nicht um den Wettstreit von Meinungen. Der Präsident der Universität Hamburg macht damit deutlich, welches der grundgesetzlich definierte Auftrag der Universität ist und verpflichtet sie zur parteipolitischen Neutralität. Diese Neutralität ist heute mehr denn je wichtig, um die Freiheit von Wissenschaft und Forschung dauerhaft sicherzustellen. Daher muss gelten, was Lenzen folgendermaßen ausführt: „Politische, weltanschauliche oder religiöse Meinungen und Orientierungen haben im Wissenschaftssystem keinen Anspruch darauf artikuliert zu werden.“
Die Universität Hamburg hat deshalb eine klare, eindeutige Regelung getroffen: Sie stellt keine Räume für parteipolitische Veranstaltungen zur Verfügung. Daher durfte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner an der Universität Hamburg nicht sprechen. Statt diese Entscheidung zu akzeptieren, griff Lindner die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und die Hochschulleitung scharf an; die Entscheidung der Universität schränke die Meinungsfreiheit ein:
„… die Universität …setzt gewählte Volksvertreter vor die Tür. Dass die Universität Hamburg Debatten ihrer Studentinnen und Studenten mit Politikern wie mir ablehnt, halte ich für höchst bedenklich. Ich fordere Sie daher auf, mit der universitären Selbstverwaltung das Gespräch zu suchen und dafür Sorge zu tragen, dass die Universität Hamburg wieder zum Ort des lebendigen politischen Meinungsaustauschs werden kann.“
Hier werden Forderungen seitens der Politik gestellt, die erheblich in die Freiheit der Universität und ihre akademische Selbstverwaltung eingreifen. Wenn selbst ein liberaler Politiker wie Lindner so fordernd argumentiert, braucht die Universität dringend den Schutz vor parteipolitischer Vereinnahmung.
In der ersten eigenen Empörung mag man manchen Brief schreiben, dessen Inhalt man im Nachhinein nicht auf die Goldwaage legen sollte. So könnte man auch das Schreiben Lindners an die Hamburger Wissenschaftssenatorin behandeln. Jedoch zeigen Lindner und seine Partei in diesem Punkt eine extreme Hartnäckigkeit und Schärfe, die vorgebrachte These der fehlenden Meinungsfreiheit zu verteidigen: Sei es in Posts auf Twitter, sei es in einer eigens beantragten und Ende Oktober 2019 durchgeführten aktuellen Stunde im Bundestag zum Thema Meinungsfreiheit. Dem politischen Liberalismus in Deutschland ist es offenbar sehr ernst mit der Forderung, dass Politiker das Recht haben sollen, in Universitäten mit Studierenden zu diskutieren.
Der Präsident der Universität Hamburg zieht mit seinem Essay eine Brandmauer um die Universität und wendet sich gegen alle Ansprüche, die wissenschaftsfremd sind. Würde er dies nicht tun, entstünden Ansprüche an die Universität, die sie als freien Ort der Wissenschaft vernichten könnten. Die heftigen Proteste der letzten Monate um den ehemaligen AFD-Politiker Bernd Lucke machen deutlich, was es bedeutet, wenn die Mitglieder der Universität – hier die Studierenden – ihre Universität politisieren und politisch instrumentalisieren. Lucke ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und nach fünfjähriger Mitgliedschaft im Europäischen Parlament an seine Universität zurückgekehrt. Er konnte im dritten Anlauf seine Vorlesung nur halten, weil eine Hundertschaft der Polizei das Vorlesungsgebäude sicherte und bei den Studierenden Personenkontrollen durchführte. Solche Maßnahmen zerstören die Universität als Ort der freien Wissenschaft. Die Universität wird handlungsunfähig. Da die Sicherheitsmaßnahmen zugleich notwendig sind, um die Universität als Ort der freien Wissenschaft zu erhalten, ergibt sich ein kaum auflösbares Dilemma.
Wenn es bei einer Vorlesung von Lucke als einem umstrittenen, aber ehemaligen Politiker zu solchen Protesten kommt, stellt sich die Frage was passierte, wenn eine rechte Studentenverbindung Björn Höcke einladen würde? Auch er könnte das Recht einfordern, als Volksvertreter an der Universität sprechen zu dürfen. Ein solcher Auftritt wäre in Hamburg wahrscheinlich nur noch mit Wasserwerfern zu schützen. Verweigerte man ihm jedoch das Recht aufzutreten, würde dies die Verschwörungstheorien der Rechten von einer staatlichen Unterdrückung der Meinungsfreiheit beflügeln. Alleine diese ganz praktische Konsequenz sollte jeden Politiker zum Anwalt für eine Universität werden lassen, indem er sich selbst mit Demut zurücknimmt. Gerade in der heutigen Zeit der aufgeheizten Debatten erscheint dies dringend geboten.
Die Handlungsfähigkeit der Universität kann nicht dauerhaft durch Polizeigewalt hergestellt werden. In diesem Sinn lässt sich das von Ernst-Wolfgang Böckenförde benannte Diktum entsprechend auch auf Universitäten übertragen: Die freien Universitäten leben von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren können. Diese Voraussetzungen sicherzustellen, stellt die Regulierungskräfte an der Universität vor große Herausforderungen, auch dann schon, wenn keine Forderungen aus der Politik gestellt werden.
Natürlich ist es sinnvoll, dass auch Politiker mit einer wissenschaftlichen Expertise an Universitäten sprechen; zahlreiche Politiker waren und sind sogar selbst Universitätsangehörige. Diese Grauzone lässt sich durch keine Verordnung regeln. Wir sollten den Universitäten und ihren Entscheidungen vertrauen und unvermeidliche Fehler nicht zu Skandalen mit Verfassungsrang hochjuxen.
Die Tatsache, dass der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert und die Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht an der Universität Hamburg sprechen durften und Christian Lindner nicht, kann man politisch deuten und eine Präferenz rot-grüner Politik herauslesen. Man kann im Sinne einer Deeskalation auch sofort die Luft aus dem Ballon der Empörung über diese Ungleichbehandlung herauslassen. Kühnert sprach im Januar. Im Mai gab sich die Universität Hamburg die Verordnung, die „für Veranstaltungen mit parteipolitischer Ausrichtung die Überlassung von Räumen“ ausschließt. Gerade deshalb, um durch eine eindeutige Regelung Klarheit zu schaffen. Dass Sarah Wagenknecht – auch in dem gewählten Setting – sprechen konnte, ist problematisch. Hier ist die Universität Hamburg gefordert, eindeutig zu agieren. Die erste Erklärung der Universität Hamburg hierzu kann demgemäß auch kritisiert werden. Dass Wagenknecht sprechen durfte, ist jedoch keine Legitimation für das Rederecht von Lindner; es sollte vielmehr die Forderung stark gemacht werden, dass die Universität ihre selbst erlassenen Verordnungen konsequent anwendet.
Marcus Knauf hat an der Universität Hamburg Holzwirtschaft studiert und machte sich anschließend als Berater selbstständig. An der Universität Hamburg promovierte und habilitierte er nebenberuflich und ist heute als Privatdozent Angehöriger der Universität Hamburg. Er forscht zu den Themen Wald, Holz, Klima, Ressourcen- und Kohlenstoffmanagement und zu Scientitic .
Lieber Herr Haupts,
das Thema der politischen Hochschulgruppen ist diskutabel. Auch über das StuPa als wichtigstem Organ in der studentischen Selbstverwaltung, müsste man dringend diskutieren. Und zwar, weil sich kaum Studierende an den Wahlen beteiligen. An der Uni Hamburg hat sich nur jeder neunte Studierende an den letzten Wahlen beteiligt.
P.S. Der RCDS konnte 2 (von 47) Sitze erringen…
Ich finde den Vergleich mit dem Stalinismus vollkommen unangemessen. Mindestens 4 Mio. Menschen kamen unter Stalins Terror zu Tode, wahrscheinlich deutlich mehr (20 Mio.?). Es hat einen guten Grund, warum Hannah Arendt in ihren späteren Schriften die totalitäre Herrschaft des Stalinismus‘ mit der des Nationalsozialismus‘ gleichstellt. Ich bin überzeugt davon, dass es kaum Professoren in Deutschland gibt, die vom Stalinismus träumen. Auch nicht annähernd.
Ich gehe auch davon aus, dass die wenigsten Professoren von einer Universität ohne Widerworte träumen. Aber darüber lässt sich nur spekulieren. Wahrscheinlich träumen sie sogar von einer Universität, wo der Austausch der Argumente – auch mit Widerworten – einen viel größeren Raum hat als heute. Die meisten würden sicher gerne die immer größer werdenden Verwaltungsaufgaben gegen die Diskussion mit den Studierenden tauschen.
Die Fake-News-Kanonen sind doch die linken Studenten, die dann später in den Mainstream-Medien ihre ideologischen Märchen verzapfen und die Realität außer Acht lassen (und für diese Desinformation riesige Volksvermögen verbraten).
Hallo Herr Knauf, Sie schreiben:
1. „So arbeitet es Dieter Lenzen in seinem Essay heraus. In der Universität gehe es um den Wettstreit der Erkenntnisse und nicht um den Wettstreit von Meinungen.“
In seiner Schrift „Bildung statt Bologna“ notiert Lenzen hingegen: „Aufgabe der Universität ist: Bildung des individuellen Menschen als ein Bestandteil der Kultivierung der gesamten Gesellschaft in Richtung auf mehr Humanität.“ (46)
Bildung darf, wie Wilhelm Humboldt deutlich macht, nicht auf Ausbildung reduziert werden. Es sollte nicht allein darum gehen, Wissen zu vermitteln, sondern den Lernenden dazu zu bringen, eine souveräne, mit sich identische Persönlichkeit werden zu wollen; eine Persönlichkeit, die sich „nicht zu Aufgaben zwingen lässt, die sie nicht durchführen will, zu Meinungsäußerungen, die nicht die ihren sind, nicht zu angepasstem Verhalten, um des eigenen Vorteils willen, nicht zur Denunziation, nicht zum unbedingten Egoismus“, (45) wie Dieter Lenzen in seiner Kritik an Bologna formuliert. Bildung sollte, anders als Ausbildung, Motor gesellschaftlicher Emanzipation und Bestandteil der Kultivierung und Humanisierung der gesamten Gesellschaft sein.
2. „Die heftigen Proteste der letzten Monate um den ehemaligen AFD-Politiker Bernd Lucke machen deutlich, was es bedeutet, wenn die Mitglieder der Universität – hier die Studierenden – ihre Universität politisieren und politisch instrumentalisieren.“
Was machen die studentischen Proteste deutlich? Dürfen an der HS keine politischen Debatten geführt werden? Harald Martenstein hat dazu kürzlich im Tagesspiegel drastischer formuliert, … dass die Protestierenden von Luckes Vorlesung „im Gleichschritt in Richtung einer dritten Diktatur marschieren“ und der „linke Faschismus“ es über den Referenten Robin Mesarosch „womöglich bis ins Büro“ von Heiko Maas „geschafft“ habe. Das ist Unsinn.
Das meinen Sie, lieber Herr Knauf, nicht. Aber da ist so eine Tendenz. Sie wollen überhaupt keine studentischen Proteste an den Hochschulen – ist mein Eindruck. Das halte ich für falsch. Die Hochschulen sind und sollen keine unnahbaren Elfenbeintürme der reinen Lehre sein. Sie sind, wie auch die Schulen, vor allem ein Ort der Bildung und Selbstbildung, der eingeübt werden muss – übrigens nicht nur auf Seiten der Studierenden, wie Dieter Lenzen formuliert. Politische Störungen an einer Hochschule führen nicht gleich in Richtung einer „dritten Diktatur“, wie Martenstein meint. Immerhin hat Lucke eine Partei mit erschaffen, die Hans-Olaf Henkel als „Monster“ bezeichnet und die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Lucke hätte, bei ein wenig selbstkritischer Distanz, sich dessen bewusst sein müssen, was es für viele Studierende bedeutet, wenn er als ihr Lehrer an die Hochschule zurückkehrt. Lucke hätte von Olaf Henkel lernen und sich noch vor Vorlesungsbeginn gegenüber den Studierenden öffentlich von der AfD distanzieren können. Stattdessen tut er so als ob nichts gewesen wäre.
Gegen welche Partei haben die Studierenden auf ihre etwas unerfahrene und unbeholfene Art und Weise protestiert? Haben sie dabei gegen den Bildungsauftrag der Hochschule verstoßen? Nein! Die Studierenden haben gegen eine Partei protestiert, die alles andere als die Humanisierung und Emanzipation der Gesellschaft anstrebt. Gegen eine Partei, dessen AfD-Chef in Thüringen, man laut Verwaltungsgericht Meiningen als „Faschist“ bezeichnen kann. Gegen eine Partei, deren AfD Ko-Vorsitzender Alexander Gauland Björn Höcke nach dem Bundesparteitag in Braunschweig, nun „in der Mitte der Partei“ angekommen sieht.
Liest man Lenzen weiter, ist die studentische Aktion ganz in seinem Sinne: „Jeder Mensch kann also menschlich werden, und es ist eine Aufgabe der Universität, dafür zu sorgen, dass ihre Absolventen sich einer solchen Humanität nicht nur verpflichtet fühlen, sondern auch entsprechend agieren“. Dazu gehöre auch: „Für die Universitätslehrer und -lehrerinnen bedeutet dies, dass sie anerkennen und wertschätzen, dass ihre Studierenden menschliche Wesen mit allen dazugehörenden Fehlern und Widersprüchen sind und keine Tivialmaschinen.“ (47)
Sicher ist die Protestform eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Natürlich heiligen die Mittel nicht die Zwecke. Veranstaltungen stören statt über ein Thema zu diskutieren ist kontraproduktiv. Der Vorwurf der „Instrumentalisierung“ und „Politisierung“ geht aber an der Sache vorbei. Von den Studierenden war es richtig nicht einfach so zur Tagesordnung überzugehen, sondern Luckes Rolle bei der Gründung dieser Partei und seine Rolle als Hochschullehrer zum Thema zu machen. Es geht allein um die Form der Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit, aber nicht um das Recht als solches.
Freiheit der Wissenschaften heißt nicht frei von der Öffentlichkeit und von öffentlicher Kritik. Hat das nicht Kant auch mit Aufklärung gemeint? Man sollte nicht unerwünschte Auswüchse öffentlicher universitärer Debatten zum Anlass nehmen, diese überhaupt nicht stattfinden zu lassen.
Ich will an den Anfang der 68-Bewegung in Berkely erinnern. Dort war es zum Free Speech Movement gekommen. Studierende kämpfen für das Recht auf dem Campus Geld u.a. für die Bürgerrechtsbewegung zu sammeln. Im Dez. 64 waren bei einem sit-in-Streik 800 verhaftet worden. Studierende waren es auch, die gegen den Krieg in Vietnam demonstrierten. Hier ist an den verbotenen Vietnam-Kongress in West-Berlin 1968 zu erinnern. Politik findet überall statt. Auch die Hochschule ist ein politischer Raum. Was dort wie gelehrt und gelernt wird ist Ausdruck der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Siehe Ungarn oder Iran. Alle Beteiligten haben ein Recht auf Rede. Haben damals die Studierenden durch ihre gewaltfreien Aktionen und durch die Politisierung der Öffentlichkeit nicht eine neue Perspektive für die Veränderung festgefahrener gesellschaftlicher Verhältnisse aufgezeigt? Leben wir denn heute in der besten aller Welten? Adorno und Hannah Arendt hatten mit den Zielen der Studierenden große Sympathie. Gehlen nicht. Habermas war übrigens derjenige, der auf dem Frankfurter Schüler- und Studentenkongress an Pfingsten am 1. Juni 1968 begrenzte Regelverletzungen noch als ein legitimes und notwendiges Mittel anerkannte, dort Diskussionen zu erzwingen, wo sie verweigert wurden.
3. „Politische, weltanschauliche oder religiöse Meinungen und Orientierungen haben im Wissenschaftssystem keinen Anspruch darauf artikuliert zu werden.“
Warum sollen keine demokratischen Politiker zu einem Thema an einer Hochschule reden? Haben die demokratischen Parteien nicht auch einen öffentlichen Bildungsauftrag? Warum sollen sie diesen nicht auch an den Hochschulen wahrnehmen? Die werden auch in Schulen eingeladen. Schüler und Studierende sind selbstbewusst genug und lassen sich nicht einlullen.
Lenzen schreibt weiter: „Die europäische Hochschulreform ist in Deutschland katastrophal gescheitert. Studenten hetzen von Prüfung zu Prüfung, erwerben Schmalspurwissen und sind menschlich unvorbereitet, wenn sie auf den Arbeitsmarkt kommen.“ (Klappentext) Was ist, wenn die Studentinnen dagegen beginnen zu rebellieren wie schon einmal?
In seiner Spätschrift Moral und Hypermoral (1969) antwortete der konservative Arnold Gehlen auf die Studentenbewegung. Der Gegenaufklärer Gehlen hasste nicht nur linke Intellektuelle, vor allem die 68er, weil sie widersprachen. Während die Studenten die herrschenden Institutionen kritisierten, erklärte Gehlen, eigene Meinungen seien ein „Laster“, die zum Zerfall der Institutionen führten. Die Geschichte hat Gehlen nicht recht gegeben. Im Gegenteil, die Institutionen, allen voran die Hochschulen, wurden aufgrund der Kritik der Studenten, umgestaltet, demokratisiert und modernisiert. Im Zuge der neoliberalistischen Ökonomisierung der Hochschulen wird Freiheit und Demokratie an den Hochschulen wieder drastisch eingeschränkt. Nicht nur die Studierenden, auch die Hochschullehrer leiden darunter. Institutionen unterliegen dem Wandel und der Kritik der Betroffenen in der Zeit. Ihre Kritik mögen manche nicht, aber sie hilft vor ihrer Sklerotisierung und Entdemokratisierung.
Also, dass die Universitäten frei von der Artikulation politischer, weltanschaulicher oder religiöser Meinungen wären, wenn man dort keine Politiker mehr sprechen ließe, ist wohl eine absurd-weltfremde Auffassung. Vielmehr ist sie auch kein Raum frei von explizit parteipolitischer Artikulation (und Agitation!), denn wie jeder weiß, der einmal eine Uni von Innen gesehen hat, sind die studentischen Selbsterhaltungsorgane hochpolitisiert, wenn auch praktisch durchgängig in eine ziemlich einseitige Richtung. Was natürlich auch der Grund dafür ist, das linke Politiker jederzeit und ohne Probleme auftreten können, während schon ein braver liberaler Biedermann wie Lindner (oder auch de Maizière) Proteste auslöst. In der Tat, was für Reaktionen dann erst bei explizit konservativen oder rechten Politikern zu erwarten sind, darauf hat die Causa Lucke wohl eine Ahnung vermittelt. Wobei Lucke eben nicht als Politiker, sondern als Professor (mit einer politischen Vergangenheit) sprechen – also schlicht seinen Job ausüben wollte. Offensichtlich ist auch das nicht mehr möglich, wenn man die aus Sicht der erwähnten hochpolitisierten Studentenorgane „falsche“ Meinung oder Weltanschauung vertritt. Sehr Bedenklich!
Gerade im Angesicht der skizzierten Verhältnisse, die als Bestandteil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung gesehen werden müssen, in der es zunehmend problematisch wird, politische Gegensätze noch länger friedlich auszutragen (was eigentlich die notwendige Conditio einer Demokratie ist), sollte sich die Universität nicht vor der politischen Auseinandersetzung verschließen und verstecken, sondern diese (wieder) zu zivilisieren und versachlichen suchen, um damit der Gesellschaft als Ganzem ein Exemplum zu setzen.
Lieber Herr von Rüden,
bis zu Ihrem letzten Abschnitt liegen wir nicht so weit auseinander, denke ich. Die grundsätzlichen Fragen stellen sich für mich in Ihrem letzten Abschnitt: 1. Ist das von Ihnen Skizzierte die Aufgabe der Universitäten? 2. Sind die Universitäten in der Lage die von Ihnen zugeschriebene Rolle zu übernehmen? Ich würde beide Fragen verneinen. Diese Aufgabe hat die Politik und auch die Gesellschaft den Universitäten bislang nicht zugewiesen. Meiner Meinung wäre es auch nicht sinnvoll. Lenzen hat Recht, indem er von einer „funktionalen Differenzierung“ spricht. Die Universitäten wären dazu meiner Meinung heute oftmals auch nicht in der Lage, dieser Rolle gerecht zu werden. Sie sind ja vielfach mit den ihr heute schon zugewiesenen Aufgaben überfordert.
Sehr geehrter Herr Knauf,
so nachvollziehbar es ist, dass sich die unbefleckte Universitaet nicht mit widerlichen Kreaturen den Elfenbeinturm verbal verschmutzen lassen moechte, so kurzsichtig ist es auch, weil sie – mit Verlaub – als Student erst in der Auseinandersetzung mit diesen Fake-News-Kanonen das Handwerkszeug erlernen, um diesen Typen dann das Handwerk legen zu koennen.
Meine Universitaet hat fuer uns damals (vor ca. 50 Jahren) vorsaetzlich solche Kreaturen eingeladen, damit wir lernen mit Worten zu fechten, Argumente (falsche und echte) blitzschnell zu bewerten und dies sogar als Gegenmittel und Waffe gegen den Urheber zu nutzen. Wie sollen die jungen Menschen gegen rhetorisch geschulte Wortakrobaten wie Lindner und Hoecke gewinnen koennen, wenn sie das nicht ueben? Und wenn nicht in der Universitaet, wo denn sonst?
Lieber Herr Taylor,
Lindner und Höcke in einem Satz zu nennen, finde ich problematisch. Lindner ist ein Liberaler, der Maß und Mitte kennt und Höcke ein rechtsextremer Politiker. Beide verbindet lediglich, dass sie gute bzw. sehr gute Redner sind. Ganz unabhängig von den Inhalten.
Es ist aber einfach nicht die Aufgabe der Universitäten, die Studierenden zu Politikern auszubilden, die in einer Debatte gegen Lindner bestehen können. Es ist vielmehr die Aufgabe der Universität, die Studierenden zu guten Medizinern, Lehrern oder Juristen auszubilden. Und zwar auf wissenschaftlicher Grundlage. Auch zu guten Politikwissenschaftlern, aber nicht zu Politikern. Wer dies als junger Mensch möchte, dem stehen heute mehr denn je alle Möglichkeiten in den politischen Parteien offen. Auch haben zahlreiche Unis Debattierclubs, wo sich die Studierenden im Schlagabtausch über können.
„Argumente blitzschnell zu bewerten und dies sogar als Gegenmittel und Waffe gegen den Urheber zu nutzen“ ist für den politischen Schlagabtausch sicher wichtig, aber nicht Grundlage und Ziel eines Hochschulstudiums. Es geht vielmehr um das Zusammentragen und besonnene Abwägen der Argumente, also um genau das Gegenteil von blitzschneller Reaktion.
68er ……. und versucht in stalinistischer Manier Wissenschaft, die in jeder Weise immer politisch ist, gerade dann, wenn sie sich einen unpolitischen Anstrich geben will, von einem ganz zentralen Werkzeug der Erkenntnisgewinnung zu trennen.“
Was soll denn so ein Satz? Wissenschaft mag politische Implikationen reflektieren. Aber sie ist nicht Politik. Also sollten Politiker an anderen Orten sprechen und debattieren.
Ja, liebe Frau Frommel. Die Möglichkeiten zu sprechen und zu debattieren, sind doch heute so vielfältig und umfangreich wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Für Politiker und politisch interessierte Studierende.
„Der Präsident der Universität Hamburg zieht mit seinem Essay eine Brandmauer um die Universität und wendet sich gegen alle Ansprüche, die wissenschaftsfremd sind.“
Das ist übrigens glatt gelogen. Auch in Hamburg existiert weiterhin eine studentische Selbstverwaltung mit politischen Hochschulgruppen im Studentenparlamant. Von denen einige entweder Parteibindungen haben oder sogar satzungsgemässe Gliederungen ihrer Mutterparteien darstellen. Und selbstverständlich können diese Hochschulgruppen im Rahmen ihrer politischen (!) Betätigung Universitätsräume für Veranstaltungen buchen.
Deshalb ist die „Brandmauer“ neben gefährlichem politischen Unsinn vor allem eines: Nichtexistent. Was dem Vortragenden bekannt sein müsste.
Thorsten Haupts, ehemals Bundesschatzmeister des RCDS (lange ist es her …)
Lieber Herr Haupts,
das Thema der politischen Hochschulgruppen ist diskutabel. Auch über das StuPa als wichtigstem Organ in der studentischen Selbstverwaltung, müsste man dringend diskutieren. Und zwar, weil sich kaum Studierende an den Wahlen beteiligen. An der Uni Hamburg hat sich nur jeder neunte Studierende an den letzten Wahlen beteiligt.
P.S. Der RCDS konnte 2 (von 47) Sitze erringen…
„Politische, weltanschauliche oder religiöse Meinungen und Orientierungen haben im Wissenschaftssystem keinen Anspruch darauf artikuliert zu werden.“
Dieser apodiktische Satz ist auch nur eine Meinung und versucht in stalinistischer Manier Wissenschaft, die in jeder Weise immer politisch ist, gerade dann, wenn sie sich einen unpolitischen Anstrich geben will, von einem ganz zentralen Werkzeug der Erkenntnisgewinnung zu trennen.
Als ich Ende der 80er Jahre an der Uni wahr, wurde uns dieses angebliche Dogma von unseren Professoren auch immer vorgehalten. Meist von denen, die aus Karriere-Gründen Mitglied in der gerade passenden Partei waren. Nebenbei natürlich auch noch Vertrauensdozenten für die passenden Stiftungen, die unter der Hand den genehmen Studenten, die der gleichen „unpolitischen Meinung“ waren, die Stipendien zuschusterten.
Der Vorwurf stalinistischer Manier greift absolut fehl. Im Stalinismus waren die Universitäten eben nicht geschützt vor der Einflussnahme der Politik.
Liber Herr Knauf,
im Stalinismus waren die Menschen aber allumfassend angehalten keine eigene Meinung zu haben und das nachzuplappern, was ihnen die Herrschenden und Lehrenden in Staat und Universität vorsetzten, ohne es zu hinterfragen und ohne Widerworte zu geben. Davon scheinen so manche Professoren in Deutschland auch wieder zu träumen.