Gestern war ich in Berlin und habe gemeinsam mit vielen KollegInnen, Medizinern und Forschern an der Charité die Bekanntgabe des Medizin-Nobelpreises verfolgt. Dann fielen die Namen dreier Forscher, die niemand auf der Rechnung gehabt hatte, deren Auszeichnung aber hochverdient, manche sagen sogar überfällig ist. Jeffrey Hall, Michael Rosbach und Michael Young, alle drei aus den USA, erhielten den Nobelpreis für die Aufklärung der molekularen Grundlagen der inneren Uhr in den 1980er und 90er Jahren. Es ist also ein Nobelpreis für die Chronobiologie. Das ist eine Sensation. Denn es ist auch die Würdigung eines Forschungsgebiets, das lange nicht so recht ernst genommen wurde, obwohl es das Potenzial hat, unsere Gesellschaft zu verändern.
Die Auswirkungen der Erkenntnisse aus der chronobiologischen Grundlagenforschung für die Medizin und Gesundheit der Menschen in der modernen 24/7-Gesellschaft sind gigantisch. Und sie sind schon längst im Alltag angekommen. Sie werden auch schon seit Jahren öffentlich diskutiert, denn wir merken allmählich, dass es nicht auf Dauer gut geht, wenn wir unseren natürlichen inneren Rhythmus leugnen. Nachts arbeiten, permanent um den Globus jetten, den Schlafbedarf ignorieren, Medikamente zur falschen Zeit nehmen, essen und Sport treiben, wann es uns gerade passt: All das und noch viel mehr erhöht letztlich das Risiko für sehr viele psychische Krankheiten und Zivilisationsleiden.
Es ist eine der Voraussetzungen für den Medizin-Nobelpreis, der ja auch ein Preis für Physiologie ist, dass die Erkenntnisse den Menschen helfen. Diese Bedingung ist bei der Chronobiologie längst erfüllt. Nur leider werden viele gute Vorschläge noch zu wenig umgesetzt. Es geht dabei übrigens nur am Rande um neue Medikamente. Es geht zum Teil um innovative Behandlungsansätze etwa bei der Chronopharmakologie (Medikamentengabe zu bestimmten Uhrzeiten) oder der Lichttherapie gegen Depressionen. Vor allem aber, und darüber freue ich mich besonders, geht es um die Prävention von Krankheiten.
Wenn die Gesellschaft ein paar Weichen in die richtige Richtung stellt, wenn sie Schicht- und Nachtarbeit reduziert, den Schulbeginn nach hinten verschiebt, die so genannte Sommerzeit abschafft, Büros und Klassenzimmer besser beleuchtet, mehr Freizeit in den Vormittag verlagert, den so genannten Chronotyp (Spät- oder Frühschläfer) bei den Arbeitszeiten berücksichtigt, Eltern von Säuglingen mehr Möglichkeiten zum Ausschlafen lässt und so fort, dann wird sie ausgeschlafener, kreativer, gesünder und weniger reizbar sein. Vielleicht würden dann sogar weniger Menschen die AFD wählen und es würden bessere PISA-Ergebnisse erzielt. Vieles von dem hat das Nobel-Komitee offensichtlich begriffen. Es hat begriffen, dass hier drei Wissenschaftler mit ihrer Forschung an Taufliegen schon vor langer Zeit die Grundlage dafür gelegt haben, dass wir heute wissen, wie wir mit relativ wenig Geld aber vielen guten Ideen die Gesundheitssysteme massiv entlasten können und die Gesellschaft, die Arbeitgeber aber auch die Menschen selbst voranbringen werden. Auf jeden Fall wird die Gesellschaft auf diesem Weg sehr viel mehr Geld sparen als sie investiert.
Wenn Sie mehr über die Hintergründe erfahren möchten, empfehle ich Ihnen mein 2014 erschienenes Debattenbuch Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft. Die Grundlagen der Chronobiologie habe ich bereits in meinem Buch Das Uhrwerk der Natur beschrieben, das leider nur noch als e-Buch erhältlich ist.
Wie schön, dass auch bei einem solchen Thema so richtig diskutiert wird. Wozu so ein kleines Sätzchen doch manchmal gut sein kann. Doch allen, die jetzt gar zu widerborstig werden, eine kleine Warnung: Ich kann immer – sogar mit reichlich Evidenz – den Schlafmangel als Ursache für allzu grantiges Herummaulen anführen :-).
Die moderne Medzin arbeitet evidenzbasiert und nicht mit „Es liegt auf der Hand…“
Hat der chronischer Schlafmangel zwischen 2013 so zugenommen, dass er die Zunahme der AfD (mit kleinem f in der Mitte!) von 4,7% auf 12,6% erklärt. Oder war das was anderes?
Gibt eine Korrelation zwischen dem regional unterschiedlichem Auftreten des chronischen Schlafmangels Deutschland und den regional unterschiedlichen Wahlergebnissen der AfD?
„Vielleicht würden dann sogar weniger Menschen die AFD wählen..“
„Nachts arbeiten, permanent um den Globus jetten, den Schlafbedarf ignorieren, Medikamente zur falschen Zeit nehmen, essen und Sport treiben, wann es uns gerade passt…“
Oder gar keinen Sport treiben und selten Urlaub haben:
Vielleicht würden manche merken, dass es Zeit für einen Rücktritt ist. Was halten Sie davon?
„Vielleicht würden dann sogar weniger Menschen die AFD wählen..“
Die Politisierung aller Lebensbereiche ist ein Kennzeichen totalitärer Staaten. In freiheitlich verfassten Staaten können Mediziner einfach Mediziner sein und wissenschaftliche Artikel schreiben ohne Kotau vor der herrschenden Ideologie oder Seitenhiebe auf deren politischen Feinde.
Chronischer Schlafmangel macht reizbar und intolerant, lieber Waldgänger. Es liegt also auf der Hand, dass in einer chronisch unausgeschlafenen Gesellschaft die Zahl der so genannten „Wutbürger“ zunimmt. Es zeichnet die Träger von Medizin-Nobelpreisen im Übrigen aus, dass ihre Erkenntnisse auch eine gesellschaftliche Relevanz haben.
P.S.: ‚Chronischer Schlafmangel macht reizbar und intolerant, lieber Waldgänger. Es liegt also auf der Hand, dass in einer chronisch unausgeschlafenen Gesellschaft die Zahl der so genannten „Wutbürger“ zunimmt.‘
… gut geschrieben, werter P.S., geahnt habe ich das schon immer, Merkels Rechtsbrüche sind Penner-Politik.
Rechtsbrüche? Nicht Ihr Ernst!
In freiheitlich verfassten Staaten können Mediziner und alle anderen Menschen einfach schreiben, was sie wollen. Wem’s nicht gefällt, der kann auch das äussern. Genau das geschieht hier gerade. Wo sehen Sie Totalitarismus?