avatar

Sozialismus in Lateinamerika am Ende?

Seit zwei Jahren dürfen Kubaner unter strenger staatlicher Reglementierung kleine private Geschäfte betreiben: Cafés, Friseurläden, Pensionen, Gaststätten, Imbiss-Stände. Wie Pflanzen nach wochenlanger Dürre sprossen die privaten Initiativen ans Licht. Dem Erfindungsreichtum sind dabei keine Grenzen gesetzt: Ein Tisch mit zwei Stühlen auf dem Bürgersteig ergibt einen Maniküre-Salon, ein Brett vor dem Küchenfenster fungiert als Tresen für eine Garküche. Es ist schön zu sehen, dass selbst ein kommunistisches Regime das marktwirtschaftliche Gesetz von Adam Smith bestätigt: Jeder einzelne darf, ja soll egoistisch handeln, weil dies im Zusammenspiel aller am Ende zu mehr Wohlstand führt. Die beiden Castro-Brüder sind keineswegs vom (kommunistischen) Saulus zum (kapitalistischen) Paulus bekehrt worden. Sie gestatten die zaghaften Privatinitiativen, um die chronischen Versorgungsmängel zu beheben, die den Unmut im Volke immer wieder aufs Neue entfachen.

Das kommunistische Tauwetter hat selbst vor der Annäherung an den Erzfeind USA nicht Halt gemacht. Die Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der kubanischen Regierung um eine Normalisierung der Beziehungen (vielleicht sogar den Austausch von Botschaftern) sind noch nicht abgeschlossen – schon beflügeln sie die Menschen auf Kuba, sich unternehmerisch zu betätigen. Es ist, als erlebte das berühmt gewordene Wort des französischen Ministers Francois Guizot aus dem 19. Jahrhundert „Bereichert euch!“ eine karibische Auferstehung. Vor allem im Gastgewerbe erweisen sich die Kubaner als äußerst erfinderisch. In allen denkbaren Behausungen, den „casas particulares“, die durch ein weiß-blaues Ankersymbol gekennzeichnet sind, heißen sie Touristen – gerne auch  aus den USA – herzlich willkommen. Damit sitzen die Familien unmittelbar an der begehrten Devisen-Quelle.

Kubanische Dissidenten begrüßen die Annäherung ihres Landes an die USA gleichermaßen. Sie erhoffen sich in erster Linie mehr Freiheiten für die Menschen, die sich, wie die Entwicklung in anderen diktatorisch regierten Ländern zeigt, oftmals im Gefolge ökonomischer Lockerungen einstellen. Sie begrüßen vor allem die Aufhebung der Wirtschaftsblockade der USA gegen ihr Land. Dann hätte das kommunistische Regime nämlich keine Entschuldigung mehr, die wirtschaftliche Misere auf die Blockade der USA zu schieben, wie es dies seit 50 Jahren tut. Dann wäre für jedermann sichtbar, dass die Armut im Lande Ergebnis jahrzehntelanger kommunistischer Politik ist.

Die Wirtschaft Kubas leidet seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Ost-Europa 1990 unter chronischer Wachstumsschwäche. Die Sowjetunion hatte den sozialistischen Vorposten vor der Haustüre der USA massiv unterstützt, vor allem mit billiger Energie. Als Kuba sich dem Weltmarkt ausgesetzt sah, wurde offenbar, dass es außer Rum, Zigarren und Zuckerrohr keine Produkte anzubieten hat, die international absetzbar wären. Die eigene Industrie ist veraltet und wenig produktiv. Die meisten Güter des täglichen Bedarfs müssen deshalb aus dem Ausland eingeführt und in Devisen bezahlt werden. Der Verfall der Landeswährung konnte nur gestoppt werden, indem 1993 der US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel neben dem Peso eingeführt wurde. Seit 2004 gibt es den „Peso Convertible“ (CUC), dessen Wert ebenfalls an den US-Dollar gekoppelt ist. Mit ihm müssen Importgüter und hochwertige Dienstleistungen im Inland bezahlt werden. Löhne, Renten, Grundnahrungsmittel und einfache Dienstleistungen werden in „Moneda Nacional“ (MN) abgerechnet. Das Tauschverhältnis zwischen dem harten CUC und dem weichen MN beträgt 1 : 25. Diese Doppel-Währung hat auf der Insel zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft geführt. Wer über CUC (oder gar über Dollars) verfügt, kann sich hochwertige Konsumgüter leisten, während die MN-Besitzer in den staatlichen Geschäften mit einer einzigen Wurst- und Käsesorte abgespeist werden. Diese durch Geld verursachte Spaltung der Gesellschaft erinnert an die Verhältnisse in der DDR, in der die Besitzer von „blauen Riesen“ (100-Mark-Scheinen) auch zu den Privilegierten zählten. Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass das Geld des Klassenfeindes zur Stabilisierung des maroden sozialistischen Systems beiträgt.

Es bleibt abzuwarten, ob die Öffnung Kubas für marktwirtschaftliche Experimente zu mehr Wohlstand und mehr Freiheit für die Bürger führt, oder ob sie, wie schon des Öfteren geschehen, wieder abgebrochen werden, wenn die kommunistische Führung ihre Alleinherrschaft „durch zu viel Kapitalismus“ bedroht sieht.

Die Morgenröte des Sozialismus scheint auch in Venezuela am Horizont auf. Die Ökonomie des Landes befindet sich im freien Fall, die Inflationsrate ist auf über 100 % angestiegen. Für den Dollar werden auf dem Schwarzmarkt schwindelerregende Preise geboten. Für über 20000 Produkte und Dienstleistungen gelten staatlich festgelegte Niedrigpreise, mit deren Hilfe die Inflation eingedämmt werden soll. Ein Heer von staatlichen Aufsehern patrouliert durch die Geschäfte, um zu kontrollieren, ob das staatliche Preisdiktat eingehalten wird. Die Wirkung dieser Radikalkur ist verheerend. Fabriken stellen ihre Produktion ein, weil die Waren zu den verordneten Preisen nicht mehr wirtschaftlich produziert werden können. Außerdem fehlen Devisen für den Import wichtiger Vorprodukte. Zahlreiche Firmeninhaber wurden verhaftet. Ihnen wird wegen „Entfachung eines Wirtschaftskrieges gegen das Volk“ der Prozess gemacht. Die sozialistische Regierung unter dem Präsidenten Maduro macht eine „Verschwörung der USA“ für die wirtschaftliche Misere verantwortlich. Die amerikanische Regierung habe durch die massive Förderung von Fracking den Ölpreis zum Absturz gebracht, um seine Regierung zu stürzen. Die Regierung Venezuelas hat die Zeit der hohen Erdölpreise nicht genutzt, das Land in allen Sektoren der Volkswirtschaft nachhaltig zu entwickeln. Stattdessen wurden immer neue Armutsprogramme aufgelegt, die die Armen in den Elendsquartieren mit Geld oder Warengutscheinen abspeisten, anstatt ihnen berufliche Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen. Flachbildschirme statt Bildung und Jobs. So könnte man die sozialistischen Wohltaten zusammenfassen. Falls der paranoide Präsident Maduro die für Ende 2015 vorgesehenen Parlamentswahlen nicht wegen eines „nationalen Notstandes“ oder „wegen der Gefahr eines Putsches“ verhindert, könnte der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ (Hugo Chavez) bald zu Ende sein.

Ein Trauerspiel besonderer Art ist in Brasilien zu besichtigen. Bis vor kurzem war das Land auf einem erfolgreichen wirtschaftlichen Kurs. Hohe Wachstumsraten führten zu einem Beschäftigungszuwachs, der auch ärmere Regionen erfasste. Die hohen Weltmarktpreise für agrarische Rohstoffe und mineralische Bodenschätze führten zu hohen Steuereinnahmen, die sich in vielfältigen Programmen der Armutsbekämpfung niederschlugen. Die Prognosen von Ökonomen sagten voraus, dass Basilien im Jahre 2015 zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen würde. Dieser Optimismus ist inzwischen völlig verflogen. Der jüngste Bericht der Weltbank vom April 2015 prophezeit dem Land eine ökonomische Stagnation, was für ein Schwellenland mit einem noch   großen Armutssektor (30% der Bevölkerung lebt in Favelas) eine deprimierende Perspektive darstellt. Der Verfall der Rohstoffpreise traf das Land völlig unvorbereitet. Da die sozialistische Regierung ihren Kredit bei den sozial Schwachen nicht verspielen wollte, wurden die teuren staatlichen Sozialprogramme unvermindert weitergeführt, obwohl sich der Staat diese teure Form der Alimentierung nicht mehr leisten konnte. Zunahme der Staatsverschuldung und ein Anstieg der Inflation waren die Folge. Jetzt wurde auch sichtbar, dass das Land die „fetten Jahre“ nicht dazu genutzt hatte, die Infrastruktur (Bildungs- Gesundheits- und Verkehrswesen) zu reformieren und zu sanieren. Die Massenproteste der letzten Monate gegen die Regierung wurden vor allem von der Mittelschicht getragen, die der sozialistischen Regierung vorwarf, Steuergelder unproduktiv (auch für die Fußball-WM) verschleudert zu haben. Ein besonderer Stein des Anstoßes ist der Korruptionsskandal beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras. Gegen 54 Spitzenpolitiker vor allem von der regierenden Arbeiterpartei wird wegen der Annahme von Schmiergeldern ermittelt. Sie hatten dem Ölkonzern lukrative staatliche Aufträge zugeschanzt und als Gegenleistung Bargeld und teure Limousinen erhalten. Auch einige Subunternehmen des Ölriesen sind in den Skandal verwickelt. Der Ölkonzern musste schon teure Rückstellungen vornehmen, um die drohenden Schadensersatzklagen abfedern zu können. Zusammen mit dem stark gefallenen Ölpreis führt das zu starken wirtschaftlichen Einbußen – gerade auf dem Feld, das zuvor die wichtigste Einnahmequelle der Regierung war. Die Bevölkerung Brasiliens ist vor allem deshalb so empört, weil die Sozialisten unter dem früheren Präsidenten und ehemaligem Gewerkschafter Lula da Silva angetreten waren, um der „Korruption der konservativen Eliten“ ein Ende zu bereiten. Jetzt ist die „Partei der Saubermänner“ selbst in einem Sumpf von Korruption versunken, der alles vorher Dagewesene in den Schatten stellt. Die Begehrlichkeit kennt keine Parteigrenzen. Sozialistische Götterdämmerung auch in Brasilien?

Was kann man an der Entwicklung dieser Länder ablesen? Bei allen Unterschieden gibt es einen gemeinsamen Grundfehler: Die Regierungen missachten die Gesetze der Marktwirtschaft, die allein eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung und eine Sicherung des Wohlstandes für breite Bevölkerungsschichten garantieren kann. Den positiven Kontrast bieten die Länder, die – selbst wenn sie wie Chile demokratisch-sozialistisch regiert werden – auf die Marktkräfte vertrauen und nur dort regulierend eingreifen, wo es ökonomisch und sozial unbedingt geboten ist. Gemeint sind die Länder Mexiko, Kolumbien, Chile und Peru.

Die moderne Entwicklungstheorie hat herausgefunden, dass es vor allem vertrauenswürdige, dem Gemeinwohl verpflichtete staatliche Institutionen sind, welche die nachhaltige Entwicklung eines armen Landes garantieren. Kuba mit seinen ideologisch erstarrten, Venezuela mit seinen gewaltförmigen und Brasilien mit seinen korrupten Institutionen haben auch bei diesem Entwicklungskriterium schlechte Karten.

Den größten Entwicklungsschub bekommt ein Land durch freien „Handel und Wandel“. Mexiko ist seit 1994 in die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA (zusammen mit den USA und Kanada) eingebunden. Nach Schätzungen der Weltbank hat der freie Austausch von Waren, Kapital und Dienstleistungen in dieser riesigen Wirtschaftszone dem Schwellenland Mexiko in den letzten 20 Jahren ein sattes Extra-Plus im Wirtschaftswachstum beschert. Dies könnte sich noch positiver auf die gesellschaftliche Entwicklung auswirken, wenn das Land nicht durch einen brutalen Drogenkrieg erschüttert würde, in dem lokale Sicherheitskräfte eine dubiose Rolle spielen.

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat der britische Ökonom David Ricardo nachgewiesen, dass der Freihandel allen Beteiligten wirtschaftliche Vorteile bringt. Er optimiert die internationale Arbeitsteilung und sorgt so für ein   größeres Warenangebot und niedrigere Preise. Der Freihandel verstärkt außerdem den Wettbewerb, der die entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren des Marktmechanismus ist. Selbst Pazifisten können dem Freihandel etwas Positives abgewinnen. Er dient nämlich auch der Völkerverständigung, indem er aus rivalisierenden Nationen wirtschaftliche Partner macht, die sich gegenseitig brauchen bzw. voneinander profitieren.

Staaten mit sozialistischer Planwirtschaft müssen sich über kurz oder lang aus dem Freihandel verabschieden, weil ihre Waren nicht mehr konkurrenzfähig sind. Staatsbeamte sind eben keine guten Unternehmer. Abschottung und Protektionismus sind dann die zwangsläufige Folge. Ein Teufelskreis ist geboren: Das Warenangebot wird kleiner, die eigene Volkswirtschaft schrumpft, die Armut der Bevölkerung nimmt zu. Ungestraft kann kein Land über einen längeren Zeitraum die Gesetze der internationalen Ökonomie außer Kraft setzen. Es sei denn, es existiere wie Kuba auf einer Insel und pflege einen heldenhaften Opfermythos, der die Schuld für die Misere im Land einem äußeren „Satan“ zuweisen kann.

Ich kann mich noch gut an bundesrepublikanische Wahlkämpfe in den 1960er/1970er Jahren erinnern. Es war die Zeit, in der die SPD es sogar schaffte, als stärkste Partei in den Bundestag einzuziehen. Es war auch die Zeit der beginnenden Staatsverschuldung und der großzügigen kreditfinanzierten Umverteilung. Damals prägte der sozialdemokratische Kanzler Helmut Schmidt den fatalen Satz, der für diese verhängnisvolle Politik stand: „5 % Inflation ist besser als 5 % Arbeitslosigkeit.“ – Konservative (CDU) und Liberale (FDP) konterten mit dem Slogan: „Die Sozis können halt nicht mit Geld umgehen.“ Dies hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Die SPD ist genauso für die „schwarze Null“ im Staatshaushalt und für die Einhaltung der Schuldenbremse bis 2020 wie die CDU. Sie hat ihre marktwirtschaftliche Lektion gründlich gelernt. Vielleicht sollte die SPD über die „Progressive Allianz“, die sie 2013 in Konkurrenz zur ehrwürdigen, aber moralisch diskreditierten „Sozialistischen Internationalen“ gegründet hat, ökonomische und fiskalische Entwicklungshilfe leisten. Vor allem die sozialistischen Staaten in Lateinamerika hätten eine solche Missionsarbeit bitter nötig.

 

 

Shares
Folge uns und like uns:
error20
fb-share-icon0
Tweet 384

4 Gedanken zu “Sozialismus in Lateinamerika am Ende?;”

  1. avatar

    @68er

    We agree to disagree, aber in einem Punkt sind wir einer Meinung: In 10, ich gebe eher 20Jahre, sind es nicht mehr die Ergebnisse der Planwirtschaft, dann sind es die Ergebnisse der Marktwirtschaft und einverstanden: Wenn der Spruch, der Kommunismus sei gut, nur die Menschen waren schlecht, zynisch ist, dann gilt er bei der liberalen Demokratie auch nicht. Ergebnisse zählen, nicht Konzepte und Marktwirtschaft sind nicht nur junge Selbstständige, sondern auch kranke Rentner. Wir werden sehen.

  2. avatar

    Ich denke einerseits,dass sie zu sehr schwarz-weiß malen und andererseits, dass sie Ursache und Wirkung,je nachdem wie es ihnen gerade argumentativ passt, drehen. Im Grunde haben sie keine Ahnung.

  3. avatar

    Kuba ist von der Bevölkerungszahl in etwa mit Griechenland zu vergleichen. Auch wirtschaftlich ist vieles ähnlich. Wenig Industrie, viel Tourismus.

    Die Verschuldungsrate von Kuba, liegt – auch aufgrund eines Schuldenschnitts Russlands in Höhe von fast 30 Milliarden Euro – bei ca. 35% des BIP. In Griechenland bei ca. 175%.

    Ich finde eine Öffnung des Landes prinzipiell gut, befürchte aber, dass es irgendwann genauso kommen wird wie in vielen Ostblockländern und in Griechenland. Der Patient wird mit Krediten angefixt und dann filetiert.

    Am Gesundheitssystem und an der Bildung wird man in 10 Jahren abmessen können, ob es letztlich ein Fortschritt für das unterprivilegierte Drittel einer freien Gesellschaft sein wird.

    Zu den wirtschaftlichen Ausführungen schweige ich besser. Nur soviel:

    Freihandel funktioniert nur dann gerecht, wenn der Markt für alle Wirtschaftsfaktoren frei ist. Dazu gehört auch, dass jeder an jeder Stelle auf der Welt seine Arbeitskraft anbieten darf. Das ist zwar äußerst logisch, aber all den Glaubenskriegern der freien Marktwirtschaft fallen sofort eine Millionen Argumente ein, wieso man bei der Arbeitskraft eine Ausnahme machen muss. Aber Freihandel soll ja nicht gerecht sein, sondern einer privilegierten Schicht das „la dolce vita“ sichern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Shares
Scroll To Top