Nein, kein Nachruf. Zu sagen, dass ich von dem, was ich an seinen Artikeln und Büchern kritisiert habe, nichts zurückzunehmen hätte, wäre vermessen; zu betonen, dass er ein großer Publizist gewesen ist, unnötig und auf eine gewisse Weise auch vermessen. So viel Selbsterkenntnis muss sein. Mathias Döpfner hat es in seinem Nachruf auf den Punkt gebracht: Frank Schirrmacher hatte Einfluss; das, wonach jeder Journalist strebt. Da gerät jede Kritik in den Verdacht des Neids. Und um es klar zu sagen: dieser Verdacht ist begründet.
Schirrmacher bin ich nie persönlich begegnet. Er hat mir ein einziges Mal eine Mail geschrieben, in der ein einziges Wort stand: „Think!“ Ein guter Ratschlag. Natürlich habe ich in den letzten Tagen viel über Schirrmacher nachgedacht. Und mir scheint, man kann und muss etwas über ihn schreiben, ohne über ihn als Person zu schreiben; nämlich über Schirrmacher als Chiffre für eine soziale und – wenn man so will – geistige Entwicklung in Deutschland: den Aufstieg einer spielerischen Rechten.
Mit der „Rechten“ meine ich nicht, wie in der landläufigen Sprachverwendung, den Rechtsextremismus. Ich meine einfach eine Position rechts der Mitte
Nach dem Krieg und bis zur Wiedervereinigung war die Rechte in Deutschland kleinbürgerlich geprägt: autoritär, ressentimentgeladen, staatsgläubig, moralinsauer, verklemmt, national, tendenziell rassistisch, rückwärtsgewandt. Die Linke übrigens auch, und es war die große, befreiende Leistung der kulturrevolutionären 68er, eine antiautoritäre, anarchistische, hedonistische, enthemmte, weltoffene und zukunftsfreudige Alternative dazu entwickelt zu haben. Die alte Linke war ernst: „SOOOO geht das nicht / Sagt der alte Sozialdemokrat und spricht …“, wie Franz Josef Degenhardt sang; dagegen setzte die Neue Linke Wolf Biermanns „SOOOO soll es sein, so soll es sein, so wird es sein.“
Dass sich die Neue Linke so schnell von den deutschen Verhältnissen einholen ließ, das ist ihre Tragödie: eine Minderheit wurden radikal-verbiestert, die Mehrheit verbeamtet. Dass viele ihrer Ideen und Ideale heute selbstverständlich sind, verdankt die Linke weniger ihrem Gang durch die Institutionen, wie die ressentimentgeladene Rechte argwöhnt, als vielmehr der List der Geschichte: sie lagen sozusagen in der Luft; die Konsumgesellschaft entwickelte sich ohnehin in die Richtung.
Die Kulturkämpfe der 1970er und 1980er Jahre, die Helmut Kohl unter dem Begriff der „geistig-moralischen Wende“ fasste, waren vordergründig Kämpfe zwischen Konservativen und Alt-68ern, in Wirklichkeit jedoch konservative Abwehrkämpfe gegen die Entwicklung des modernen Kapitalismus.
Frank Schirrmacher steht als Chiffre für eine Position rechts der Mitte, die das Ressentiment und den Kulturkampf hinter sich gelassen hat; ja, die in gewissem Sinne das Erbe von 68 angetreten hat: man war nicht mehr kleinbürgerlich, sondern gab sich großbürgerlich; nicht mehr verklemmt, sondern hedonistisch; nicht mehr nationalistisch, sondern internationalistisch; weltoffen, zukunftsgewandt; nicht mehr staatsfixiert, sondern oft geradezu staatsfeindlich. Spielerisch eben. Dagegen sahen die ehemaligen Anhänger der „Neuen Linken“ alt aus. Die alte, konservative Rechte, die Anhänger von Glaube, Heimat, Arbeit, Law and Order sowieso.
Die Linken hatten Schulkreide in den Kleidern und den Köpfen, die Rechten mufften nach Bausparer. Eigenheim und Gulasch am Sonntag. Schirrmacher und diejenigen, die mit ihm die geistige Einrichtung der Berliner Republik entrümpelten, hatten und haben mit alledem nichts mehr zu schaffen. Und das ist eine große Leistung.
Man mag dahinter auch eine soziologische Entwicklung erkennen. Wer die Tabellen Thomas Pikettys studiert, merkt ja, dass sich in den Achtzigerjahren – parallel zum Aufstieg Schirrmachers und einiger anderer junger Wilder in den Verlagen der Republik – die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ der Nachkriegszeit wieder auszudifferenzieren beginnt. Standen sich in den 1970er Jahren im Grunde genommen zwei Fraktionen des Kleinbürgertums grimmig gegenüber, oft genug zwei Generationen derselben sozialen Schicht, hier der Handwerksmeister oder Ladenbesitzer, dort sein missratener Sohn, der dann Studienrat wird, so entsteht seit der Kohl’schen „Wende“ ein neues Großbürgertum; Piketty nennt sie die Schicht der „Supermanager“. Und mit den Managern eine neue Generation von Journalisten und Publizisten, denen teilweise sogar der Aufstieg in diese Schicht gelingt, weshalb sie glauben, es handele sich um eine Meritokratie.
Die Lebensumstände dieses neuen Großbürgertums erinnern an die der Belle Époque 1890 – 1914, und es ist vielleicht kein Zufall, dass einer ihrer begabtesten publizistischen Vertreter, Florian Illies, zuletzt einen elegischen Rückblick auf das Jahr 1913 vorgelegt hat. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Schicht, wie Piketty schreibt, „euthanisiert“ – nicht physisch, wie in Russland, sondern wirtschaftlich. Es ist sicher kein Zufall, dass neben der gutmütigen Verachtung der „68er“ und einer weniger gutmütigen Verachtung des beschränkten rechten Kleinbürgertums – man denke an die Häme, die über Christian Wulff wegen seines Häuschens und seiner allzu offensichtlichen Sehnsucht, auch dazu zu gehören, ausgekippt wurde – auch eine unbestimmte Untergangsangst die Gefühlslage des neuen Großbürgertums bestimmt.
Piketty glaubt, Verhältnisse wie in der Belle Époque könnten das neue Normal werden. Schirrmacher wusste es besser. Sein Tod ist darum auch „das Ende von etwas“. Und zwar nicht nur das Ende einer besonders interessanten und aufregenden Epoche der deutschen Publizistik. Das auch.
Ich hatte nie angenommen, dass Springer SM finanziert. Sie lenken also ab!
Mein „Einwurf“ sollte so zu verstehen sein, dass da im Hause Springer ein Biotop für Verschwörungstheoretiker zu sein scheint, die in unbedeutenden „Diskursteilnehmern“ hier im Blog oder gar in biederen ARD-Beiräten sofort die Fratze stalinistischer Inquisition glauben erkennen zu müssen.
Das läßt doch tief blicken.
(Meine Browser-Rechtschreibhilfe läßt mich an meiner Identität zweifeln. Bin ich Ottmar Kaufmann? Schreibt man „läßt“ jetzt mit „ss“ oder „sz“? Bitte helfen Sie mir Herr Posener! Oder sind Sie doch Ulrich Clauß? Wieso wird der mit „sz“ geschrieben? bzw. wieso kennt den meine Rechtschreibhilfe nicht?)
Ach, 68er… Auch Stalinisten haben mal klein angefangen. Sagen wir es so: Uli Clauß und ich wissen, wovon wir reden. Sie anscheinend nicht. Lesen sie mein Posting auf AchGut (siehe unten).
Das scheint wohl am Arbeitgeber zu liegen.
Unter Stalin geht’s in „Der Welt“ des großen Springer-Qualitäts-Jounalismus nicht.
Der nichtsnutzige Komenntarschreiber wird hier mit den Schergen Berijas verglichen und eine Kritik des Programmbeirats der ARD an der aus seiner Sicht einseitigen Russlandberichterstattung lässt Ihren Kollegen Claus auch sofort an stalinsche Geheimprozesse denken.
http://www.welt.de/kultur/medi.....qus_thread
Mich erinnern solche Verschwörungstheorien eher an McCarthy.
In diesem Sinne:
http://www.youtube.com/watch?v=LSDitudiGR4
Sie lenken ab, 68er. Ich bin nicht Ulrich Clauß. Und Springer finanziert nicht diese Seite.
@ Parisien
„Ist orange und fliegt“ – köstlich; Sie wissen, dass ich ein Bewunderer Ihrer Gewitztheit bin. Das ist wahrlich kreativ – und ich stehe auf der Leitung und glaube, dass ich den Turing-Test bei Ihnen nicht bestanden hätte.
@ Alan Posener: Meritokratie […] das Ideal liegt auch dem Thatcherismus zugrunde
Na, APO, ich glaube, Sie sind da ein bisschen allzu treuherzig. Wenn es so wäre, würde der Thatcherismus/ Neoliberalismus breite/ breitere Zustimmung finden. Aber „Meritokratie“ ist auf sehr durchsichtige Art nur das Propagandaschild des Thatcherismus/ Neoliberalismus, der tatsächlich in hohem Maße ziemlich genau das Gegenteil dessen ist, was er propagiert.
In den neoliberalen Bestrebungen, nicht nur das – scheinbar oder tatsächlich – leistungsabhängige Einkommen und Vermögen, sondern auch das Erbe bzw. den Erben möglichst gering (oder gar nicht) zu besteuern, zeigt sich, dass es mit der Meritokratie nicht so weit her ist. Werden „Meriten“ nicht (abgesehen von allem anderen) als streng individuelle definiert, sind wir über die (traditionelle/ übliche)meritokratische Legitimation x-beliebiger genealogischer Ungleichheit kein bisschen hinaus.
Der individuelle Erbe hat – als solcher/ als Erbe – eben gerade keinerlei Meriten erworben. Trotzdem soll er möglichst „alles“ bekommen. – Das kann man sicher begründen, etwa mit der Hochschätzung der Familie, aber auch etwa mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher Stabilität oder gar kultureller Kontinuität usw., aber ganz sicher nicht mit den Erfordernissen oder gar mit den Prinzipien einer Meritokratie in dem von Ihnen gemeinten Sinne. Trotzdem ist das (ungeschmälerte) Erben und, statt Individualisierung, der Versuch genealogischer Privilegierung neoliberales Programm.
Denselben Versuch generationenübergreifender Privilegierung finden Sie im Verlangen nach „elitärer“ Privatisierung des Bildungssystems. Auf der Basis der Verdienste der Elterngeneration sollen der Kindergeneration bessere Startchancen und Vorteile im Leistungswettbewerb verschafft werden. Und konsequent hat Margaret Thatcher, der alle staatlichen Subventionen angeblich ein Gräuel waren, gerade das private Schulsystem gefördert und subventioniert.
Ich habe hier einige Male ein FDP-Papier erwähnt, das längere Zeit auf dem Portal der FDP zum Download bereit stand und in dem vor allem jüngere FDP-Leute gleichsam die liberale Utopie formuliert haben. Ob Christian Lindner zu den Unterzeichnern gehörte, weiß ich nicht mehr. (Vielleicht, Zeit genug hat er inzwischen ja, äußert er sich mal dazu.)
In dem FDP-Papier (wenn man es so verstehen will, der Begriff „Meritokratie“ kam darin, glaube ich, nicht vor) wurde alles, wirklich alles im Sinne der angestrebten Meritokratie individualisiert. Schule und Erbe bezeichnenderweise aber eben nicht. Ganz im Gegenteil! Man bestand auf dem ungeschmälerten Erbe und auf der Privatschule. (Und auf der Privatschule, nebenbei, nicht nur im Sinne des Zugangs zur besseren, sondern – erkennbar besorgt um die individuellen Fähigkeiten – ebenso sehr auch im Sinne des Zugangs zur „leichteren“ Bildung.)
Ich denke, APO, was Sie „Meritokratie“ nennen und die individuelle Meritokratie, die Sie (vermutlich/ hoffentlich) meinen, hat mit Thatcherismus (und Neoliberalismus) und unserer Wirklichkeit wenig bis nichts zu tun. Leider!
Was hat er gelesen? Ich weiß es nicht. Man kann unmöglich sagen, was Intellektuelle in ihrer Jugend gelesen haben. Broder hat „Josephine Mutzenbacher“ gelesen und vielleicht auch Lawrence, Lady Chatterley’s Lover und später Erica Jong, die die deutsche Toilette leider abgeschafft hat, die dazu führte, das Leute früher erkannten, dass sie einen Dickdarmtumor haben könnten.
Emmerich ist leicht: Vermutlich Jules Verne „Die Reise in den Mittelpunkt der Erde“, kommunizierende Röhren. Wo Verne ‚reinsteigt, kommt bei Emmerich was ‚raus, das zur Apokalypse führt. Außerdem Sindbad, denn der landete auf einem Wal, und das Kap sieht aus wie ein Wal. Ganz sicher Karl May. Sitzen bleibt die Faszination für altes Indian Territory, Yellowstone. Ganz sicher „Shining“. Künstler sind leicht, Intellektuelle schwer. Künstler haben Abenteuerbücher gelesen. Abenteuerbücher machen kreativ.
Heute lesen viele Kinder Sozialromane. Die werden später ständig am ‚Rumdoktern an der Gesellschaft sein. Die Kreativen dürften weniger werden, wenn die großen Abenteuerautoren Krüss (Die glücklichen Inseln), Ende (Jim Knopf, Unendliche Geschichte), Karl May, Verne (mein favorite: Die beiden Nemo-Bücher) oder Blyton zu wenig gelesen werden. Ich habe selbst alle ca. 70 in ca. einem Jahr gelesen, teilweise nachts mit Taschenlampe oder in der Schule unter der Bank, was irgendwann auffiel (May). Danach fast nie wieder einen Schreibfehler gemacht. Aber am faszinierendsten fand ich, wie zwei Kinder in einen Teich springen und in einer anderen Welt mit einer anderen Zeit landen oder durch einen Wandschrank gehen und einen Faun treffen oder durch ein Bild gehen und „Die Reise auf der Morgenröte“ antreten. Das ist Lewis. Lewis war ein Meister der Phantasie wie auch übrigens Michael Ende. Ich stelle die These auf, dass man damit besser wird in Mathematik, denn meine Vorfahren, ich selbst und meine Kinder lasen sämtlich Phantasie und waren/sind alle gut in Mathematik. Was nun?
Was will die BRD?: Designer, Künstler, Autobauer, Physiker und Mathematiker, die fehlerfrei schreiben oder Soziologen, Politiker, Psychologen und Quatscher?
Erstere sind öfter (Künstler ausgenommen) konservativ, weil intelligent, letztere links, weil gelegentlich verschroben, womit ich nicht sagen will, dass sie primär nicht intelligent waren. Bei der Kanzlerin merkt man das noch, aber die ist Physikerin. Ob sie als Kind Abenteuer gelesen hat? Wenn nicht, ist meine ganze Theorie im Eimer.
@ Roland Ziegler
Weniger Pferdebücher, mehr Abenteuer! Macht kreativ. Außerdem: Cassie liebt Beethoven, über eine Kuh, die Klavierspielen lernen will.
@ Alan Posener
„Ich versuche es mit Argumenten, selbst bei Leuten, die hier mit Pseudonymen im Netz unterwegs sind und mich als Schnösel und Schubladendenker anpöbeln.“
Seien Sie doch nicht so verdammt empfindlich! Erstens ist das vollkommen unsouverän, zweitens brauchen Sie sich nicht so aufzuregen, falls Sie das nicht sind.
Apropos Pseudonyme: Sie sind besser. Die Dienste wissen zur Not, wer wir sind, wie wir inzwischen wissen.
Für den Rest sind Pseudonyme aus folgendem Grund besser: Es zählt dann nur die Sprache und der Gedanke, kein Gesicht, keine Geschichte, die ablenkt vom Inhalt. Pseudonyme sind daher viel näher am technischen Fortschritt, den Sie oft blind verteidigen, und den ich lieber ausbremsen würde. Das Computerwesen braucht uns nicht persönlich. Er braucht gute Gedanken und Ideen. Wenn Homo meist gar nicht sapiens damit mithalten will, muss Homo vulgaris, obsessiv fixiert auf Personen, Gewinne, Niederlagen, Schadenfreude, Gesichter, insbesondere berühmte, weg davon und sich erneut vertiefen in den Gedanken (Think!). Homo nicht so sapiens kann also theoretisch seine sapienza vertiefen über das Wort, auch den europäischen Tiefgang von einst. Dazu dienen Pseudonyme mehr, weil sie reduzieren auf den bloßen Inhalt. Minimalismus also.
Lieber Alan Posener,
etwas sollten Sie wissen: Es ist noch nicht ganz ausgeschlossen, dass ich/wir in einigen Jahren nach Amerika ziehen. Und sie würden uns vermutlich lassen. Daher bin ich extrem empfindlich gegenüber Unterstellungen. Es wird alles gesammelt. Bei einem persönlichen Gespräch darauf angesprochen, würde ich Sie vermutlich als zu emotional und dünnhäutig bezeichnen oder als f.i. you figure that out. Diskussionen müssen sein. Ihr link oben enthält eine Passage, die einen nachdenklich macht bezüglich Notwendigkeiten, you figure that out too. Die Vorausschauenden sind doch oft die Besten.
Verzeihen Sie meinen Das(s)-Fehler, dass wird nicht wieder vorkommen.
Einen singulären Aspekt haben nur die Autoren der SZ erwähnt: Beamtensohn, also kleinere Herkunft. Aufgefallen durch Intelligenz plus Zielstrebigkeit plus Schreibtalent plus Durchsetzungsvermögen plus Meinungsstärke, von Fest sofort als genial erkannt. Gute alte BRD, gutes altes Amerika, wo so was möglich war. Heute wandelt sich das von Talent- zu Quotenschmieden.
Anderes Beispiel: Hochintelligentes Sprachgenie ohne Abschluss, von Rudolf Augstein sofort als genial genug erkannt. Von scharfzüngiger Feministin, die bei Jauch ab 1000 Euro nichts mehr wirklich wusste, als „militanter Jude“ bezeichnet, daraufhin Emigration nach Israel. Hier sieht man noch besser den Graben zwischen der guten alten BRD (Meritokratietendenzen) und der feministisch-pazifistischen Neu-BRD mit ihren antisemitischen Stimmungen.
Lieber Alan Posener,
gestern Abend habe ich bei Panorama den Bericht über die Rente mit „63“ gesehen, heute morgen die Beiträge zum virtuellen Eintritt Horst Seehofers ins Rentenalter im Radio gehört, dabei erinnerte ich mich, dass Sie ja der selben „Kohorte“ angehören. Heute morgen kam auch Ihr Hinweis auf den Thatcherismus und ich erinnerte mich an den vor ein paar Tagen gesehenen (seichten, glorifizierenden) Film „Die Eiserne Lady“ mit Meryl Streep, die auch eine 49erin ist. Gerade sah ich, dass Michael Young ein Buch mit dem Titel: „LIfe After Work – The Arrival of the Ageless Society“ geschrieben hat, dass Sie vielleicht auch interessieren könnte. Hatte daher überlegt einen Beitrag mit dem Titel „Kein Ende von ‚etwas““ zu schreiben, aber nachher verstehen Sie mich so falsch, wie ich anscheinend Sie immer wieder verstehe, und glauben, ich trachte nach Ihrem Leben. Das ist keineswegs der Fall.
Bleiben Sie gesund und munter!
Mit besten Grüßen
Ihr 68er
@ Alan Posener und 68er
Meritokratie mit Quote ist undenkbar, da Quote ganze Gruppen bedenkt, während Meritokratie nur auf Individuen abzielen kann.
@ Lucas
„gaaaah, ist das hier gerade absurd“
dann husch weg, oder?
Vielleicht hatte ich das schlecht formuliert. Sie verstehen nicht, dass man respektieren kann, aber gleichzeitig den Respektierten nicht als unberührbar betrachten muss. Im Gegenteil bekommt man bei richtigem Abstand, also angemessenem Respekt, eher Kontakt. Deswegen werden in der gelben Neidwolle gefärbte Linke nie etwas erreichen. Sie fangen oft früh an mit „Streber“, „Schleimer“ etc., dazu kommt signifikante Lehrerverachtung, und wenn sie merken, dass das eine Sackgasse ist, versuchen sie’s mit Umverteilung von oben. Zurück zu Posener:
@ AP
Zweifellos ist es gut, dass Sie interagieren, aber auch gut für Sie. Ich glaube, dass Chefs, die viel mit Organisation beschäftigt sind, was sie zuweilen nervt, schlicht und einfach keine Zeit für so etwas haben. Außerdem kann man Schirrmacher getrost als VIP bezeichnen. VIP’s haben ein zusätzliches Problem: Läuse. Läuse mit Kameras, Läuse, die nur ein Autogramm wollen, Läuse, die sie im Restaurant und Hotel blöd anmachen und insgesamt Zeit fressen und lästig sind. Daher werden VIP’s mit der Zeit verschlossen. Wenn sie kurz das Visier hochklappen, kommt meistens ein Buch oder ein Film auf den Markt, in der talk show freundlich hochgehalten.
Lieber 68er, ich verwende den Begriff Meritokratie in seinem Wortsinne, also etwa so, wie Karl Marx eine sozialistische Gesellschaft beschreibt, in der jeder nach seinem Verdienst (eng. „merit“) entlohnt würde.
Das ist also eine Gesellschaft der Ungleichheit, aber einer Ungleichheit, die nicht auf ererbtem Reichtum oder politschen Beziehungen beruht. Eine solche Gesellschaft war das Versprechen des Bürgertums gegen die Aristokratie; des Kapitalismus gegen den Feudalismus; eine solche Gesellschaft schwebt dem echten Liberalen vor – also etwa Christian Lindner, ich habe ihn seine Ideen vor Industrievertretern erläutern hören, die nicht amüsiert waren; dieses Ideal liegt auch dem Thatcherismus zugrunde – spätestens hier werden wir nicht einer Meinung sein, aber lassen Sie mich meinen Gedanken zu Ende denken.
Dass es anders gekommen ist, habe ich selbst hier auf „Starke Meinungen“ beschrieben:
http://starke-meinungen.de/blo.....zerstoren/
Das war, bevor ich Piketty gelesen habe, der das gleiche Phänomen als „Aufstieg der Supermanager“ beschreibt und auf die Reagan-Thatcher’schen Reformen (insbesondere die Senkung der Spitzensteuersätze) zurückführt.
Dass Michael Young diese Entwicklung 1958 schon fiktional vorwegnahm, ist hoch interessant. Oder war es als Kritik des Sozialismus gedacht? („Animal Farm“ zeichnet eine ähnliche Entwicklung nach.) Ich werde mir das Buch besorgen.
Um jedoch auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Marx bezeichnet eine Gesellschaft, in der jeder nach seinen Fähigkeiten arbeitet und jeder nach seiner Leistung entlohnt wird, also eine Gesellschaft der gerechten Ungleichheit als bloßen Übergang zum Kommunismus, wo ja jeder nach seinen Bedürfnissen leben und nach seinen Fähigkeiten arbeiten kann. Mir würde aber eine Meritokratie fürs Erste schon reichen. Von ihr sind wir noch sehr weit entfernt.
@Parisien
Meinen sie das ironisch?
Sie haben hier mal erzählt, dass sie es toll fänden zu jemandem aufschauen zu können, Adelige, Könige, Päpste vielleicht auch, was auch immer, Hauptsache feudal. Wahrscheinlich bezog Alan Posener sich auf diese Kommentare.
gaaaah, ist das hier gerade absurd
@ Lucas
Meritokratie. Wieder ein Wort, über das man streiten kann. Ich hatte es im klassischen Sinn verstanden, wie es bei Wikipedia steht:
„Der Begriff Meritokratie wurde erstmals 1958 von Michael Young in seiner Satire Rise of the Meritocracy (deutscher Titel: Es lebe die Ungleichheit: Auf dem Wege zur Meritokratie) verwendet. Young benutzte den Begriff, um eine zukünftige Gesellschaft zu beschreiben, in der die gesellschaftliche Position des Einzelnen durch Intelligenz (gemessen durch den Intelligenzquotienten) und Einsatz bestimmt ist. Die utopische meritokratische Gesellschaft entwickelt sich darin zu einer elitären Gesellschaft, deren Führer sich über der breiten Masse stehend sehen und letztlich gewaltsam abgesetzt werden.“
Ich finde Meritokratie mist. Das heißt aber nicht, dass ich gegen hohe Erbschaftssteuern bin. Die finde ich, wenn man sie flexibel ausgestaltet, sehr sinnvoll. Ich würde z. B. die Freibeträge für nicht verwandte Erben drastisch erhöhen. So könnten Betriebe auch an Mitarbeiter vererbt werden bzw. an eine Belegschaft.
@68er
„In der UdSSR gilt der Grundsatz des Sozialismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung““ Nach Eigendefinition war die UdSSR also eine Meritokratie, wobei die Umsetzung dieses Grundsatzes wohl zur Debatte steht (@derblondehans?) und wir hoffentlich über den Rest des Artikels 12 der Stalin-Verfassung „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ hinausgewachsen sind.
@ Alan Posener
„Er würde sich mit Ihnen gar nicht abgeben. Noch ein Unterschied. Aber wahrscheinlich finden Sie gerade das an ihm bewundernswert, dass er so weit über Ihnen stand und sich mit Ihnen nicht gemein gemacht hätte.“
Das wissen Sie gar nicht. Ich hab’s nicht versucht. An einem gewissen common sense, den ich habe, und der Bereitschaft, neu zu denken, hätte er Interesse gehabt. Und offen gestanden, empfinde ich ihn nicht als über mir stehend. Das ist das Ergebnis einer gelungenen Erziehung in der BRD. Vielleicht sind Sie da befangen oder zu englisch?
Lieber Herr Posener,
Sie sollten den Laden hier besser in „Alans Watteballtheater“ umbenennen.
Sorry, ich wollte Ihnen weder Zeit noch Lebensfreude rauben, dachte, Sie wären weniger dünnhäutig.
Ich habe Sie auch gar nicht als „Schnösel“ bezeichnet, vielleicht lesen Sie meinen Kommentar noch einmal, am besten wenn Sie sich etwas beruhigt haben.
Ich schrieb:
„Und wer ‚weniger gutmütig‘ das ‚beschränkte rechte Kleinbürgertum‘ verachtet ist in Ihren Augen natürlich kein ‚Schnösel‘.
Vielleicht verachten Sie es ja auch? Dann wären Sie in meinen Augen auch ein ‚Schnösel‘.“
Das war eine Frage. Mit einer Schlussfolgerung im Konjunktiv.
Darf ich jetzt davon ausgehen, dass Sie das „beschränkte rechte Kleinbürgertum“ verachten? So hatte ich Sie bisher eigentlich nicht eingeschätzt. Aber man lernt von Tag zu Tag dazu.
Ihr „Argument“ mit den Pseudonymen kommt bei Ihnen immer dann, wenn Sie in der Sache nichts mehr zu sagen haben und Sie Ihren „Mitdiskutanten“ weder durch Vergleiche mit beißenden Fussballspielern oder den Schergen Berijas den Mund stopfen konnten.
Sie wissen wer ich bin und wenn Sie hier keine Pseudonyme haben wollen, ändern Sie die Regeln.
Ich mach jetzt Urlaub!
@68er
Finden sie Meritokratie z.B. hohe Erbschaftssteuer schlecht? Ohne Erbschaftssteuer kann man ja schlecht von Meritokratie sprechen, nicht?
Ist der Verlust des Erbes von Frau Schickedanz so was wie Erbschaftssteuer?
„Unter Stalin können Sie nicht?“ Bilden Sie sich nichts ein, lieber 68er, ich verglich Sie nicht mit Stalin, sondern mit einem seiner niedrigen Chargen. Die Neigung, jedes Wort inquisitorisch umzudrehen, um aus einem Dialog eine Anklage zu machen, ist nicht auf Leute beschränkt, die in Diktaturen sie ausleben konnten.
Ich habe mehr Zeit darauf aufgewendet, Ihnen zu antworten, Quellen zu nennen, meine Gedanken zu erläutern, Missverständnisse auszuräumen, als mir gut tat, und Sie lohnen es mit Ihrer Schnöselei.
Und damit, lieber Parisien, dürfte ein Unterschied zwischen mir und Schirrmacher markiert sein. Gewiss, ich bin, was Geist und Wirkung angeht, ein kleines Licht im Vergleich zu ihm; aber ich belasse es eben nicht bei Einwortbotschaften von oben herab. Ich versuche es mit Argumenten, selbst bei Leuten, die hier mit Pseudonymen im Netz unterwegs sind und mich als Schnösel und Schubladendenker anpöbeln.
Was glauben Sie, wie Schirrmacher mit Ihnen Schlitten Gefahren wäre! Nicht umsonst gab es – lesen Sie den Text aus der „Süddeutschen“, den ich verlinkt habe – geradezu eine Massenflucht aus seinem Feuilleton. Andererseits: Er würde sich mit Ihnen gar nicht abgeben. Noch ein Unterschied. Aber wahrscheinlich finden Sie gerade das an ihm bewundernswert, dass er so weit über Ihnen stand und sich mit Ihnen nicht gemein gemacht hätte.
@ Alan Posener
„Unter Stalin können Sie nicht“ schreibt 68er, und wenn ich etwas an den USA kritisiere, die ich an sich sehr schätze, unterstellen Sie schnell Antiamerikanismus. Das bedeutet, dass Sie ganz schnell bei Schubladendenken sind, und wer gerade nicht systemkonform denkt, bekommt seine Schublade. Und das ist ehrlich gesagt näher an reaktionären Systemen, ob rechts oder links, als Sie meinen.
Der Riesenvorteil an Herrn Schirrmacher war, dass er auf keinen Fall vorhersehbar war. Offensichtlich war und blieb er immer ein Denker, so dass er einen überraschen konnte mit einem jeweils neuen Denkansatz, während die große Masse Journalisten und Autoren heutzutage vorhersehbar ist, leider auch Sie, und zwar in Bezug auf Ihren Schrein Amerika, der profitieren wird, sobald er unter einem offenen Republikaner wieder in offenere Diskussionen ausbricht. Die meisten Amerikaner schätzen offene Diskussionen und wittern nicht gleich irgendwelche Attacken auf ihre Daseinsform. Die Verheiligung eines Systems führt zu seinen Schwächen.
Und weil Schirrmacher immer wieder neue Denkansätze hatte, immer wieder bei a beginnen konnte, schrieb er Ihnen vermutlich: „Think“.
Allein dadurch, dass durch das Internet Muster viral werden, besteht die Aufgabe, ihn nachzumachen und jeweils wieder neu anzufangen.
Musterbeispiel für vorhersehbar: Berichterstattung im Fernsehen (Oberlehrer Lämpel) über Israel (der dumme renitente Schüler).
@ Alan Posener
Unter Stalin können SIe nicht?
68er, Sie haben den Beruf verfehlt. Sie wären als Verhörtechniker bei Stalin besser aufgehoben gewesen. Und glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.
Sie wollen unbedingt Ihr Wort „Schnösel“ irgendwo anbringen? Bitte, dann bin ich ein Schnösel. Schuldig im Sinne der Anklage, ich bitte das Gericht um eine möglichst harte Bestrafung.