Seit Jahren gerieren sich die Grünen schon als die Beschützer der Deutschen. Alle Gefahren, die den Menschen drohen könnten, sollen gebannt werden: die gefährliche Strahlung der Atomspaltung, chemische Rückstände in der Nahrung, die Risiken der durch Gen-Veränderung erzeugten Produkte.
Kein Grenzwert für gesundheitliche Verträglichkeit ist niedrig genug, als dass er von den Grünen nicht noch verschärft werden könnte. Anders sieht es anscheinend bei Kindern und Jugendlichen aus. Sie werden dort, wo die Grünen regieren, in den Schulen einem unkontrollierten “Freilandversuch“ ausgesetzt, dessen Risiken und Nebenwirkungen nicht abschätzbar sind. Eine Partei, die für glückliche Hühner auf die Barrikaden geht, setzt Kinder einem pädagogischen Versuch aus, vor dem alle seriösen Fachleute und immer mehr Eltern warnen.
In Baden-Württemberg, wo die Grünen den Ministerpräsidenten stellen, kann man besichtigen, wohin die Reise gehen soll. Eine Expertenkommission zur Lehrerausbildung unter dem Vorsitz der ehemaligen Berliner Schulsenatorin Sybille Volkholz (Die Grünen) schlug vor, die Lehrerausbildung für die unterschiedlichen Schulformen zu vereinheitlichen. Die Ausbildung zum Standardlehrer soll die Einführung der Schulform flankieren, die die Grünen als allein selig machende verfechten: der Gemeinschaftsschule. Im nächsten Schuljahr soll es im „Ländle“ davon schon 130 geben. Seit die Pläne publik wurden, laufen vor allem die Gymnasiallehrer und ihre Berufsverbände gegen den geplanten „Einheitslehrer“ Sturm. In der erwähnten Kommission saß bis vor kurzem der Schweizer Schulberater Peter Fratton. Er will die Rolle der Lehrkraft revolutionieren: Der Lehrer soll nicht mehr Lehrender sein, sondern Lernbegleiter. Sein krudes Credo legt er einem Kind in den Mund, als wäre die neue Pädagogik der sehnliche Wunsch der Kinder: „Erziehe mich nicht, sondern begleite mich. Erkläre mir nicht, aber gib mir Zeit zu erfahren. Bringe mir nichts bei, sondern lass mich teilhaben. Motiviere mich nicht, aber dich selber.“ Die Schüler sind in dieser schönen neuen Welt der Pädagogik keine Lernenden mehr, sondern „Lernpartner“. Das soll wohl signalisieren, dass sie sich auf Augenhöhe – ein Lieblingsbegriff der Grünen – mit der Lehrperson, pardon, dem Lernbegleiter befinden.
In einer freien Gesellschaft kann jeder sich sein eigenes Wolkenkuckucksheim bauen. Auch in der akademischen Welt sind exotische Blüten erlaubt. Der Spaß hört jedoch dort auf, wo sich die Politik solcher abstrusen Ideen bemächtigt und damit in die Lebensverhältnisse von Menschen eingreift. In der Medizin sind Versuche am Menschen verboten. Strenge Zulassungsbedingungen regeln die Einführung neuer Medikamente und die Anwendung neuer Therapien. In der Pädagogik gelten solche ethischen Restriktionen offensichtlich nicht. Dort schicken sich ideologisch übermotivierte Bildungspolitiker an, Kinder Lernexperimenten mit ungewissem Ausgang auszusetzen. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass diese Kinder in der Schule scheitern und damit ihre Lebenschancen zunichte werden.
In der Studie des neuseeländischen Forschers John Hattie ist nachzulesen, dass alle offenen Lernformen, wozu auch das individualisierte Lernen zählt, unwirksam sind. Die Lernerfolge, die durch diese Methoden erzielt werden, entsprechen bestenfalls dem Wissenszuwachs, den ein Kind nur durch seine Reifung und durch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erzielt. Vernichtender kann ein Qualitätsurteil in Sachen Bildung nicht sein.
Es gibt auch schon Reaktionen von Eltern, deren Kinder in der neu gegründeten Gemeinschaftsschule der „neuen Lernkultur“ ausgesetzt sind. Eine Mutter erzählte in einem Leserbrief, dass die Lehrerin ihres Sohnes die Hilfestellung bei einer Rechenoperation verweigert habe, weil er „aus eigener Kraft selbst zu den Erkenntnissen kommen könne“. Der Junge fühlte sich – so von der Lehrerin allein gelassen – als Versager, weil er Schüler um sich herum sah, die die Rechenaufgabe bereits „aus eigener Kraft“ bewältigt hatten. Lernziel Stigmatisierung der Schwachen?
Der unsoziale Nebeneffekt des individualisierten Lernens ist Lehrern schon lange geläufig. Die Fragmentierung des Stoffes in zahlreiche Einzellernpläne zerstört nicht nur den geistigen Lernzusammenhang, sondern auch die Klassengemeinschaft. Aus der alten Gesamtschule, der Vorgängerin der heutigen Sekundarschule, kennen wir diesen schädlichen Effekt. Die Aufteilung in ursprünglich vier Lernniveaus (FEGA) hat den Klassenzusammenhalt schwer beeinträchtigt. Die Folge waren Desorientierung der Schüler und die Zunahme von Aggressionen gegen Menschen und Sachen. Es ist schon verwunderlich, dass die Partei, die sonst immer die Wichtigkeit des sozialen Zusammenhalts betont, im Schulbereich genau das Gegenteil bewirkt: die Vereinzelung der Schüler.
Die Grünen, die jeder Studie die Qualität einer religiösen Offenbarung zuschreiben, sofern sie denn ihre eigenen politischen Positionen stützt, ignorieren schlichtweg die Erkenntnisse, die John Hattie in der Auswertung zahlreicher Einzelstudien gewonnen hat. Dort kann man nachlesen, dass der Lernerfolg der Schüler nahezu ausschließlich durch den intakten personalen Bezug zwischen der Lehrkraft und den Schülern zustande kommt. Neben der fachlichen Kompetenz sind es vor allem „weiche“ Eigenschaften der Lehrkraft, die die Schüler zum Lernerfolg motivieren: die Fähigkeit des Zuhörens, der Einfühlung in ihre (auch persönlichen) Probleme, eine fürsorgliche Haltung und eine positive Einstellung zu ihren Fähigkeiten. Alle Befragungen von Schülern zeigen, dass die jungen Menschen auch subjektiv diese Attribute bei ihren Lehrern besonders schätzen. Wie ignorant muss eine Bildungspolitik sein, die genau das zerstört, was den größten Erfolg verbürgt.
Die grünen Bildungsreformer arbeiten sich vor allem an einem Feindbild ab: an dem vom Lehrer gelenkten Unterricht. Ihm verpassen sie die pejorative Vokabel „Frontalunterricht“, um die Assoziation des wilhelminischen Paukers zu wecken, der mit brutalen Methoden den Lernstoff ins Hirn der Kinder prügelt. Diese Art des belehrenden Unterrichts ist schon lange passé. Keine Schulklasse ließe sich diese Paukmethode heute noch gefallen. Was Hattie als besonders erfolgreich ansieht, ist das „reziproke Lernen“. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das vom Lehrer gelenkte Unterrichtsgespräch. Diese uralte Lehr- und Lernform, die schon die griechischen Philosophen der Antike für sich entdeckt hatten, ist deshalb erfolgreich, weil die Schüler dabei Schritt für Schritt zur Erkenntnis des Stoffes geführt werden und weil sie ihre Einwände und Nachfragen unmittelbar bei jedem Lernschritt einbringen können. Ich habe erlebt, dass Schüler nach einer längeren Phase des „kooperativen“ Lernens in Arbeitsgruppen und des „individualisierten“ Lernens an Stationen nach dem „tollen“ Unterrichtsgespräch gegiert haben. Warum fragt man nicht die Schüler, was ihnen am meisten frommt?
Reformpädagogische Verschwörung. Die deutschen Kinder einschließlich der Migranten sollen verblödet werden
http://www.spiegel.de/schulspi.....06458.html
…nicht dass ein falscher Eindruck entstanden ist: Ich selber bin kein Lehrer; ich redete von meinen Erfahrungen als Vater und als Schüler.
Ich finde JÜL/SAPH gut. Das Konzept, dass Kinder auch von älteren Kindern lernen sollten – nicht nur vom Lehrer – ist überzeugend. Die Erfahrungen, die wir mit unserer älteren Tochter (7 Jahre) gemacht haben, sind gut. Es gibt andere Eltern und Lehrer, die JÜL stark und zurecht kritisieren, aber da muss man sich angucken, warum das schief läuft. Meistens sind es die Lehrer – es hilft nichts – die von dem JüL schlicht überfordert sind. Es setzt schon Einiges an Konzeptarbeit und Bereitschaft voraus, zwei Altersstufen gleichzeitig zu unterrichten; nicht jeder kann das und will das kurz vor der Pensionierung.
Aus meiner eigenen Schulerfahrung kann ich nur sagen, dass Hattie insofern recht hat, dass ein guter Lehrer natürlich das beste ist, was die Schule überhaupt zu bieten hat. Nur hat sie das de facto in den seltensten Fällen zu bieten! Es GIBT eben leider nur wenig gute Lehrerpersönlichkeiten. Viele Lehrer, die mich unterrichtet haben, waren – es tut mir leid – schlechte Lehrer, und es hätte mir bei weitem besser getan, wenn ich in Gruppenarbeiten zusammen mit älteren Schülern hätte arbeiten können statt mit solchen Lehrern.
Auch das Prinzip „Schüler zu Eigeninitiative aktivieren“ stimmt. Genau das muss man tun.
Wieso Sie, Herr Werner, dieses wichtige Thema auf dem Niveau eines parteipolitischen Ideologiestreits diskutieren, ist mir schleierhaft.
Lieber Rainer, man bringt hier zwei Dinge durcheinander. Das „offene lernen“ ist Quatsch, aus den Gründen, die du nennst. In Berlin wird es in den sogenannten „SAPH-Klassen“ (der Schuleingangsphase der Grundschule) mit verheerenden Resultaten wider jede Vernunft durchexerziert.
Gerade aber weil es – wie du schreibst – vor allem auf die Lehrerpersönlichkeit ankommt, auf das Charismatische also, ist die Idee der so genannten Einheitsausbildung von Lehrern nicht falsch. Gerade am Gymnasium sind allzuviele Deutschlehrer verhinderte Literaturkritiker usw., allzuviele Physiklehrer gescheiterte Forscher – kurz und gut: Es gibt zu viele Fachidioten und zu wenige Pädagogen. Anwesende immer ausgenommen.
Die Erkenntnis, dass Lehrer nicht Fächer unterichten, sondern Kinder, muss sich erst in der Gymnasiallehrerschaft durchsetzen. Als jemand, der jahrelang als Schulbuchautor des Klett-Verlags mit baden-württembergischen Gymnasial- und Realschullehrern zu tun hatte, kann ich jedenfalls unterschreiben, dass es im Ländle Reformbedarf gibt.
Gucken Sie mal, Herr Werner:
„Laut Bundesverbraucherministerium handelt es sich um Chinolingelb (E 104), Gelborange S (E 110) und Cochenillerot A (E 124). Schon seit 2010 müssen diese Farbstoffe mit dem Hinweis gekennzeichnet werden: „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“.“
Wenn man sich um so was kümmert, muss die Schule immer schlechter werden. Ich habe einen dabei mit Aufmerksamkeitsdefiziten (kein ADS), entsprechend Flüchtigkeitsfehler en masse. Der fraß geradezu Weingummi. Nur der Witz dabei ist: Die gelben und die orangefarbenen mochte niemand, die wanderten in den Mülleimer. Ich würde daher zu gerne mal wissen, ob dieser Zusammenhang bei Menschen bewiesen ist. Menschen sind keine Ratten.
Übrigens hatte ich immer den Eindruck, dass dieser Aufmerksamkeitsdefizite hatte, weil er die Schule schlicht langweilig fand. Langweilig, öde und möglicherweise sogar unter seinem geistigen Niveau. Vielleicht aber auch nicht. Wir Eltern neigen ja zu Überschätzung unserer Gören.
Quelle:
http://www.welt.de/finanzen/ve.....ndert.html
Lieber Herr Werner,
vielleicht machen Sie den Verein der Berliner Kaufleute doch einmal auf das grüne Kuckucksei aufmerksam:
http://www.vbki.de/der-verein/.....rk-bildung