Von Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur „The European“:
Keine Frage, hier in Washington sieht man die Vereinigten Staaten von Amerika noch als Mittelpunkt der Welt, als Weltmacht. Für die USA, so geht hier der Optimismus, bricht mit dem pazifischen ein neues, spannendes Jahrhundert an.
Die Abwertung der eigenen Währung kommt da gerade recht; der Exporte wegen. Einen Boom soll es geben, nicht nur die in Europa bekannten Player wie China, Indien und Japan sind im Blick. Die Wirtschaft in Peru und Chile wächst. Australien gibt mehr und mehr Geld für seine Marine aus, um die Handelswege sichern zu können. Down Under beginnt sich als regionale Macht zu begreifen, während wir in Deutschland immer noch denken, dass die Nachfahren ehemaliger Gefängnisinsassen den ganzen Tag am Strand liegen und Bier trinken. Indonesien und die Philippinen werden von dem neuen Machtzentrum um den ehemals stillen Ozean profitieren.
Auf der Weltkarte gerät Europa, wenn man den Blick wahlweise nach links oder rechts in den Pazifik schweifen lässt, an den Rand des Weltgeschehens. In der Region ist allenfalls die Türkei noch für die USA entscheidend. Präsident Obama habe, so sagt es ein Mann aus einem bedeutenden Think Tank, in den vergangenen Monaten mit Erdogan genauso viel telefoniert wie mit Merkel, Cameron und Sarkozy zusammen. Das verdeutlicht die Bedeutung, die die Alte Welt geostrategisch in Zukunft haben wird. Das heißt nicht, dass man sich emotional voneinander verabschieden muss. Aber auf der Interessensagenda steht der Kontinent nicht mehr.
Europa und die Türkei sind auch in Washington ein spannendes Thema. Wie wir die deutschen Renten ohne die jungen türkischen Beitragszahler stemmen möchten, werde ich gefragt. Ich muss nachfragen und ja, richtig, mein Gegenüber geht wie selbstverständlich davon aus, dass die Zukunft des europäischen Kontinents nur darin bestehen kann, zu einem Staatenverbund zu werden, der von der Rente, über die Sozialleistungen bis zum Wehretat alles gemeinsam regelt. Wie kleinkariert von hier aus beim Blick auf die Weltkarte unsere Debatten klingen müssen, ob wir nun einen gemeinsamen Wirtschaftsraum wollen oder das Mantra „Budgethoheit liegt bei den jeweiligen nationalen Parlamenten“.
Was hat Europa denn noch zu bieten im 21. Jahrhundert? Im übelsten Falle wird es zur globalen Tourismusattraktion. In Venedig gibt es kaum noch Venezianer. Prag wird ein ähnliches Schicksal erleiden. Viele schöne und bedeutende Flecken wie Siena, Salamanca oder Straßburg werden den asiatischen Touristen etwas vom vergangenen Glanz einer großartigen Zivilisation vermitteln.
Als vor zwei Wochen ein Teil einer Rede des ehemaligen US-Verteidigungsministers Robert Gates in der „Zeit“ abgedruckt war, in der er die Europäer als unfähig hinstellte, sich selbst zu verteidigen, war die Aufregung groß. Militär? Wir doch nicht! Brauchen wir nicht. Brauchen wir wahrscheinlich doch. Es hat einen deutschen Bundespräsidenten das Amt gekostet, als er über das Zueinander von Wirtschaftswegen und militärische Absicherung gesprochen hat. Das linke Empörungsestablishment aus den üblichen Verdächtigen – Jürgen Trittin mal wieder ganz weit vorne mit dabei – haben mit ihrem Wohlfühlpazifismus gegiftet.
Wir Europäer, so heißt es in dem Think Tank, würden nicht über das Militär diskutieren, weil wir kein schlagkräftiges haben. Wir annullierten die Diskussion, indem wir so täten, als gäbe es das Thema nicht. Dass wir irgendwann einmal europäische Streitkräfte haben werden, in denen die verschiedenen Mitglieder unterschiedliche Aufgaben übernehmen, kann man schon als Marschrichtung in der EU erkennen. Bis das umgesetzt ist, bleiben die USA die einzige westliche (Militär-)Macht, die unsere Sicherheit garantieren kann. Natürlich konzentrieren die sich nun auch mehr auf die Sicherheit des pazifischen Raumes. Aber eines nicht fernen Tages werden aus Amerika auch nur noch Touristen zu uns kommen.
Zuerst erschienen auf www.theeuropean. de. Alexander Görlach ist Herausgeber und Chefredakteur des Debatten-Magazins The European.
Berichtigung: Asuncion ist die Hauptstandt Paraguays. Gemeint war Ascension, die noerdlichste der Inseln, des britischen Suedatlantikterritoriums, welches ich als „British South Atlantic Empire“ beschrieben hatte. Die anderen Inseln und Inselgruppen sind St. Helena, Tristan da Cunha, Gough, South Sandwich, South Georgia, South Shetland, South Orkney, und die Malvinas/Falklands. Es koennte bedeuten, gemaess der 1982 UN Convention „Law of the Sea“, Britanien besitzt deshalb rund um jede der Inseln eine 200 km „exclusive maritime economic zone“ . Im Atlantic um die Falklands/Malvinas wird schon nach Oel gebohrt. Im „Falklands War“ 1982, unterstuetzen die USA und Pinochets Chile die Briten gegen die Argentinier, welche die Malvinas bis 1833 als Teil ihrer Territoriums betrachteten. Die USA moechte die NATO in den Suedatlantik ausdehnen. Brasilien erklaerte dem Weissen Haus, Brasilien hat Vorbehalt gegen die NATO Ausdehnung in den Suedatlantik. Trotzdem erschien der deutsche General Klaus Naumann in Brasilien um die Ausdehnung der NATO zu foerdern. Er wurde in einer demuetigenden Weise belehrt: „Wir sind nicht Partner der USA zur Erhaltung ihrer Rolle in the Welt!“ Vor einigen Tagen erschien Kanzlerin Merkel am anderen Ufer des Suedatlantiks: Deutschland will die Marine Angolas aufruesten und ausbilden. Einen Tag vor Merkel, war Admiral Harry B. Harris in Angola und empfiehl den Schutz der NATO zur Verteidigung der angolanischen Seesouveranitaet. Er ist Kommandeur der U.S. 6th Fleet im Mittelmeer. Im Januar dieses Jahres, untersagten die Brasilianer das Anlegen des britischen Schiffes HMS „Clyde“ im Hafen von Rio. Im September 2010, wurde dem britischen Schiff HSM „Gloucester“ das Anlegen im Hafen von Montevideo/Uruguay untersagt. Beide Schiffe verbinden die Falklands mit Britanien. Brasilien beginnt die Konstruktion von 30 U-Booten und blickt argwoehnlich auf die U.S. 4th Fleet welche vor Venezuela segelt… Im 2. Weltkrieg versenkten deutsche U-Boote 34 brasilianische Schiffe welches zum Tod von 1,083 Seeleuten fuehrte. 10 der deutschen U-Boote wurden vor der Kueste Brasiliens versenkt. Zur Zeit versucht ein brasilanischer Millionaer, deutscher Abstammung, eins der U-Boote zu heben und fuer ein Museum zu verwenden.
Die NATO ist der Verein der alten Kolonialherrscher, eine geostrategische Mafia welche vom Don „Uncle Sam“ kommandiert wird: Das ist die Meinung in Asien, Nahen Osten, Afrika und Lateinamerika. Man kann sie lesen, geschrieben vom „Volk“ in Leserkommentaren. Vor einigen Woche schrieb ich einen Leserkommentar in einer Publikation in USA (wahrscheinlich „Foreign Policy“?), ueber das „British South Atlantic Empire“ – die Kette der Inseln von Asuncion bis zur Antarktis – Millionen von sqkm „exlusive maritime economic zone“ (Oil, Gas, Mineralien). Und ich erwaehnte die 1982 UN Convention „Law of the Sea“, welcher die USA als einzige wichtige Nation nicht beigetreten ist: American exceptionalism – anderer Souveranitaet bedeutet keine Einschraenkung fuer die U.S. Navy. Irgend jemand hat diesen Leserkommentar in Asien verbreitet – und dann hat das sofort eine Lawine von Leserkommentaren ausgeloest – wegen dem Souveranitaetskonflikt in der South China Sea – haben Leser chinesischer Blogs und vietnamitischer Blogs meine kleine Analyse sofort zur gegenseitigen Argumentierung benutzt. Die Lehre: Die Welt dreht sich nicht mehr nur um Deutschland oder Europa – und im Gegenteil – die Millarden auf den anderen Kontinenten sehen ihre eigenen Interessen als unabhaengig denkende Menschen. Deshalb ist das aufgeblaehte Stoehnen in Deutschland ueber die „Verantwortung“ Deutschlands, Europas und der NATO – wie das Gejammer einer alten Diva welche sich nicht im Spiegel sehen moechte. Endlich akzeptieren: Die drausen auserhalb Europas wollen euch nicht mehr als „Weise weisse Vaeter“!
Ein Gedanke ist mir noch hinsichtlich der Ausgaben für den Militärapparat gekommen. In der Geschichte findet man schnell einige Beispiele dafür, was es einen kosten kann, wenn die Ausgaben für das Militär nicht der Wirtschaftskraft eines Staates und seiner Bevölkerung entsprechen. Das absolutistische Frankreich hat sich im 17. Jahrhundert die Vormachtstellung in Europa vor allem dadurch erkauft, dass es einen Militärapparat finanziert hat, der in keinem gesunden Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Landes gestanden hat. Diese Hegemonie wurde auf dem Rücken der Bevölkerung erkauft, die dafür furchtbar leiden musste, was letzten Endes zur Französischen Revolution mit all seinen dramatischen Folgen geführt hat. Eine ähnliche Entwicklung konnte man auch im 3. u. 4. Jh. n. Chr. im Römischen Reich beobachten. Aufgrund des zunehmenden Drucks an den Grenzen des Imperiums (einwanderungswillige Germanen, eine interessante Parallele übrigens zu der Situation an der mexikanisch-amerikanischen Grenze bzw. der derzeitigen Situation im Mittelmeer) mussten die Ausgaben für die Armee stets den Herausforderungen angepasst werden und das mitten in einer großen Wirtschaftskrise. Dies hat natürlich letzten Endes den Untergang beschleunigt, da die stets wachsende Abgabenlast die wirtschaftliche Entwicklung abgewürgt hat.
Zu viel Investieren in nationale Sicherheit kann zum Boomerang werden inkl. Staatsbankrott. Ein ähnliches Schauspiel können wir gerade in den USA erleben. Gerade weil ich froh darüber bin, dass wir in einem Zeitalter amerikanischer Hegemonie (und nicht chinesischer oder russischer) leben, fürchte ich, dass auch in den USA die Schere zu weit auseinander gegangen ist. Diese gewaltige Rüstungsetat ist nicht mehr zu stemmen ohne gewaltige Sparanstrengungen auf Kosten der Bevölkerung und eine erhebliche Erhöhung der Steuereinnahmen. So würgt man zusätzlich die Wirtschaftskraft ab und früher oder später wird sich das auch im Militärhaushalt bemerkbar machen. China ist gerade dabei, auf denselben Zug aufzuspringen im Kampf um seinen Platz an der Sonne.
Dass in Europa die Wehretats in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schrumpfen, halte ich also grundsätzlich für gar nicht verkehrt und weitsichtiger gedacht, als viele vermuten (vorausgesetzt, dieser Gedankengang steckt wirklich dahinter). Ich würde mir aber eine verbesserte Vernetzung der europäischen Militärstrukturen aus Kosten- und Effizienzgründen wünschen, damit irgendwann hoffentlich eine europäische Armee zur Verfügung steht, deren Ausbildung und Ausrüstung auf der Höhe der Zeit ist und mit der man auch den Anspruch stellen kann, ein global player zu sein. Vorausgesetzt, auf politischer Ebene ist genug Vernunft und Verantwortungsbewusstsein für diese Rolle vorhanden.
In weiten Teilen kann ich Herrn Görlach zustimmen, dessen Thesen, die in diesem Artikel zum Ausdruck kommen, allerdings schon seit Jahren in diversen Kreisen kursieren. Leider artet mir das zu oft in zu schwarzseherisches Europa-Bashing aus. Europa hat natütlich historisch gewachsene Strukturen und Missstände zu verarbeiten, viele Probleme sind selbstverschuldet. In manchen Dingen denke ich aber, nimmt Europa nur eine Entwicklung vorweg, die, bei aller Selbstmarginalisierung auf politischer Ebene (die ich oft genug als furchtbar töricht und unnötig empfinde), auch ändere Länder in Zukunft treffen wird, allerdings mit einigen Jahrzehnten Verspätung.
Vor allem das demographische Problem, das immer weniger Beitragszahler immer mehr Pensionäre zu ernähren haben ist ein Thema, um das man sich in Europa dringend kümmern sollte. Hier glaube ich, versuchen sich viele Politiker vor drastischen Einschnitten und Maßnahmen zu drücken, weil keiner sich so recht traut, für diese Verantwortung zu übernehmen. Allerdings wird dieses Thema auch in den so genannten Schwellenländern in einigen Jahrzehnten virulent sein. Da in Ländern wie Brasilien und Indien aufgrund des zunehmenden Wohlstands und in China zusätzlich durch die 1-Kind-Politik (die natürlich zunehmend aufgeweicht wird) die Geburtenrate künftig sinken wird, wird eines Tages die Last der Pensionen (die natürlich kein europäisches Niveau haben werden, aber aufgrund der schieren Masse der Menschen ins Gewicht fallen) die Haushalte dieser Staaten mit voller Wucht treffen, und das bei vermutlich sinkender Produktivität. Werden diese Staaten nicht ihren Verpflichtungen ihren Bürgern gegenüber nachkommen, könnte das zudem zu erheblichen sozialen Unruhen führen. Nicht jeder Rentner wird nachvollziehen können, dass er mit 90 immer noch seinen Lebensunterhalt mit Arbeit bestreiten muss. Auch die Kosten für die Gesundheitssysteme werden in die Höhe schnellen, wie wir es jetzt schon auf höherem Niveau in Europa beobachten können.
Es kommen also gewaltige Aufgaben auf die Veranwortlichen weltweit zu (und das war hier natürlich nur ein Bruchteil dessen, was uns noch beschäftigen wird oder bereits tut). Vielleicht wird man sich eines Tages daran orientieren, ob im negativen oder positiven Sinne, muss sich zeigen, wie man in Europa auf diese Krisen reagiert hat. Ich finde es auf jeden Fall zu früh und zu leichtsinnig, Europa zu unterschätzen. Die Machtzentren haben sich in den letzten Jahrtausenden schon immer von einem Erdteil zum anderen verschoben. Ein bedeutungsloses oder -schwaches Europa halte ich aber nur für eine vorübergehende Erscheinung.