Von Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur „The European“:
Solche Kolumnen schreibt man eigentlich nicht, denn es fühlen sich immer die Falschen angesprochen. Leider. Aber: Das Jahr geht auf die Neige und der eine oder die andere werden sich noch Vorsätze fassen wollen und da möchte ich mit meinen Zeilen gerne Stichwortgeber sein:
Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie viel volkswirtschaftliche Ressourcen durch ineffiziente VorzimmermitarbeiterInnen und unmotivierte SekreträrInnen/ AssistentInnen jedes Jahr vernichtet werden? Ich kann das hier nicht wirklich beziffern ich vermute aber – anhand subjektiven Erfahrungen, die wir im nun endenden Jahr gesammelt haben – dass der Schaden immens ist.
Wie viele Assistentinnen verlangen im Telefonat eine Email von Ihnen, auf die sie dann nie antworten? Oder sie wünscht einen Rückruf zur Erinnerung, den sie dann von Ihnen auch bekommt. Passieren tut dann dennoch nichts. Nächster Anruf: Alles wieder auf Anfang: „Schicken Sie mir doch bitte eine Email.“ Wenn die Chefs dieser Zeitgenossen wüssten, wie viele Deals ihnen durch ein solches Verhalten verloren gehen, wie viele spannende Gespräche nicht stattfinden, würden sich die allermeisten von ihnen sicher erbosen, bis die Schwarte krachte.
Apropos: Da gibt es ein Ministerium mit einer Pressestelle, da wurde ein Telefonat mit der Pressesprecherin verabredet. Den Namen nenne ich an dieser Stelle nicht. Ich habe angerufen. Die genervte Sekretärin erklärte mir, dass die Sprecherin nicht da sei, sie, die Sekretärin auch nicht wisse, wo die Sprecherin sich aufhalte und ob und wann sie, die Sprecherin, an ihren Arbeitsplatz zurückkäme. Es gab dann noch einen Spruch zu der Arbeitsweise der Sprecherin, den man auch bei freundlicher Lesart und Weghörversuch als sauilloyal hat bezeichnen müssen. Oder war es nur der Hilferuf einer gepeinigten Vorzimmerseele, die von einer tyrannischen Chefin in den Wahnsinn getrieben wird? Beides ist im vorliegenden Falle denkbar.
Oder der Versuch des Telefonats mit einem als Online-Kassandra bekannten Zeitungsführer. Sisyphos ist ein Scheißdreck gegen die nun ein Jahr währenden Versuche, ein Telefonat oder gar ein Treffen zu koordinieren: Wochenlang wird nicht zurück gerufen, dann mit „ähm… es ist so viel zu tun“ – (ja klar, alle andere hängen faul in der Hängematte und warten bis Kurt Beck vorbeikommt und sie zum Friseur schickt. Bei uns in der Redaktion ruft auf dem Siedepunkt des dandyhaften Nichtstuns dann ein Kiffer„Ey! Ruf doch mal einer bei Franky an, einfach so, aus Langeweile“) – noch nicht mal der Versuch einer Entschuldigung oder des Eingeständnisses eigenes Versäumnisses gemacht. Ich will ja nix sagen, aber es gibt so webbasierte Späßchen, die Reminder (Erinnerungen) an jedes gewünschte elektronische Arbeitsgerät schicken, so dass man sein Arbeitsaufkommen nicht mehr wie Anno Tubak mit Karteikärtchen bewältigen muss, sondern was hinbekommt und sich der Gegenwart gegenüber gewachsen zeigt. Aber Hauptsache das Netz optimiert unsere zum Vergessen neigende Hirnsubstanz nicht!
Diese Beispiele ließen sich beliebig weiterführen: Es trifft die Büros von Medienschaffenden genauso wie die von Politikern, Kirchenleuten, Wirtschaftsmenschen, in Agenturen. Überall grassiert sie: Die Vorzimmerseuche. Thilo Sarazzin hat Kopftuchträgerinnen, Gemüsehändlern, Hartz-IV-Empfängern und Beamten Gemeinheiten hinterher gerufen. Warum hat er sein Vorzimmer geschont? Oder Henrik Broder: Schmäht er nur muslimische Sekretärinnen? Wahrscheinlich weil es ihnen beiden, wie vielen unter den Lesern meiner Kolumnen, nicht bewusst ist, wie krass unmotiviert in ihren Büros gearbeitet wird, Anrufer hingehalten und Anfragen nicht abgearbeitet werden?
Wir Webleute glauben ja, dass es eigentlich ohne Vorzimmer geht. Direkt kommunizieren, auf Facebook zum Beispiel. Leider bespielen die wenigsten Politiker dort ihre Profile selber (Einige tun es und so konnte ich mir beispielsweise schon die eine oder andere Klatsche von Christian Lindner für negative FDP-Kommentierung auf The European als Persönliche Nachricht dort direkt zu Gemüte führen).
Manche der Angefragten gehen wirklich selbst und flockig in den ersten Emailverkehr, um dann ihr Vorzimmer zu cc’en. Die Sekretärin bombardiert einen dann mit drei Terminvorschlägen (wenn sie den Faden wirklich aufnimmt). Dieses Terminvorschlagsaufkommen zu managen, dafür braucht man dann selbst – Onliner hin oder her – eine Assistentin. So züchten wir in unserer Volkswirtschaft eine zum Teil höchst ineffiziente Spezies, die Vorzimmerdame, die Assistentin (oder ein männliches Pendant dazu) und ziehen eine nutzlose Ebene in unsere oft schon hoffnungslos überregulierten Arbeitsstätten.
Also, wie schon gesagt: Die, die hier wirklich nicht angesprochen sind, fühlen sich nach dem Lesen dieser Zeilen betroffen. Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie wir unsere hervorragenden Assistenten und Sekretärinnen den Anderen als gutes Vorbild präsentieren, so dass sie sich einmal rundherum schlecht fühlen! Denn wenn wir ehrlich sind: Wir schlucken es doch viel zu häufig runter, dass wir schlecht und mies behandelt werden, dass Rückrufe ausbleiben, Anfragen unbeantwortet, das einfach – um es mal salopp zu sagen – die Arbeit nicht geschafft wird. Welchen Benefit ziehen Sekretärinnen aus ihrem Job? Wie motivieren wir sie? Gibt es Erfolgsprämien für erfolgreich gemachte Termine – oder ein anderes Anreizmodell? 2011 muss das Jahr der Assistentin werden! Sonst läuten die Vorzimmerdamen das Totenglöckchen unserer Dienstleistungsgesellschaft.
Alexander Görlach ist Herausgeber und Chefredakteur des Debatten-Magazins The European.
Ich finde es wirklich schade, dass über dieses wertvolle Thema nicht diskutiert werden kann, ohne gleich persönlich zu werden – muss das sein?
Doch ernsthaft fuer 2011: Die Frau ist nicht mehr „Vorzimmerdame“ sondern Kommandeurin von Nationen und nationalen Streitkraeften – nicht nur in Europa, sondern auch in Asien und Lateinamerika. Die Tuerkei, Pakistan, Bangladesh, Sri Lanka hatten schon Frauen an der Spitze der nationalen Regierungen. Gerade heute wird die Wirtschaftlerin und ex-Guerrillera Dilma Rousseff die Praesidentin Brasiliens – eine Nation von 190 Millionen und einer Landflaeche zehn-mal Deutschland. In Argentinien ist Christina Fernandez de Kirchner schon seit Jahren die Praesidentin. Dr. Michelle Bachelet, Kinderaerztin – heute Beauftragte fuer Frauenfragen der UN, war Praesidentin Chiles und vorher die Verteidigungsministerin. Die spanische Rechstanwaeltin Carme Chacon ist seit Jahren die Verteidigungsministerin Spaniens: Im siebenten Monat der Schwangerschaft leistete sie den Amtseid und schritt dann vor der Flaggengarde vorbei – youtube videos: „Carme Chacon Ministra Defensa“ – zeigt sie auch auf Tour in Libanon bei den spanischen UN Kontigent. — Wir alten Knaben sind damit vollkommen einverstanden: Der Lernprozess geht weiter…
@Liebe Frau Winter, frauenfeindlich ist eine milde Umschreibung für die Intentionen von Herrn Görlach. Auch ihm muß man einefach eine selektive Wahrnehmung unterstellen. „Unsere Chefin“, our federal Angela hat zwar ihr Girls-Camp, aber ansonsten männliche Mitarbeiter. Wenn man sich diese „Vorzimmer-Damen“ so anschaut, dann könnte Herr Görlach selbstverständlich Recht haben, oder nicht?
Im Vorzimmer eines „Deutschen“ Vorstandes“ irgendeiner Weltfirma, oder eines Chefredakteurs einer renommierten Zeitung, würde ohne kompetentes weibliches Vorzimmer alles zusammenbrechen, ich spreche da aus Erfahrung.
Herr Görlach muß seine hauptsächlichen Erfahrungen mit USA gemacht haben, wer jemals Erfahrungen mit dem uns immer als vorbildlich hingestellten System und Staat gemacht hat, in Puncto Termineinhaltung usw., der hält Deutschland nicht weiter für eine Service-Diaspora.
Ich halte eher für möglich, daß Herr Görlach ziemlich gefrustet ist, von der eigenen Nichtdurchsetzungsfähigkeit gegenüber weiblicher Kompetenz im Vorzimmer.
Ich bin sehr froh, daß Sie das Thema so tapfer aufgenommen haben, dann brauche ich mich nicht alleine aufregen und wünsche Ihnen ein gutes und streitbaren Jahr 2011.
Herzliche Grüße Ihre Rita E. Groda
„Vorzimmerdamen“ ? Nur „losers“ aergern sich ueber solche Geschoepfe! Was ein richtiger Kerl ist, der ist schon seit vielen Jahren aus diesen Umstaenden ausgestiegen und aergert sich nur ueber den heutigen modernen Laerm wo die „Inzimmerdamen“ zur „audition“ besichtigt werden koennen. Leider ist das fuer uns alte „Aussteiger“ auch nicht mehr so ruhig -wie damals als der Mann beim Empfang im Hotel „Sensational“ sofort die Hausordnung bekannt gab: „Siempre solamente una mujer a la vez en la habitacion!“ („Immer nur jeweils eine Frau ins Zimmer nehmen!“). Na ja, das sind so sorgen fuer uns weit weg vom strengen, ordentlichen und unheimlichen „Alemania“…mit diesen altmodischen Arbeitsdrang. „Vorzimmerdamen“ – die Karibiker werden sich darueber totlachen!
Ich könnte etwas zur Frauenfeindlichkeit Ihres Textes schreiben (Chef grundsätzlich männlich, Sekretärin-dumm-unfähig, grundsätzlich weiblich)
Tue ich nicht.
Ich könnte auführlicher darauf eingehen, dass Sie schon so genau wissen, wen Sie nicht ansprechen wollen,
„Also, wie schon gesagt: Die, die hier wirklich nicht angesprochen sind, fühlen sich nach dem Lesen dieser Zeilen betroffen…“,
dies aber dennoch nicht vermeiden.
„… Da gibt es ein Ministerium mit einer Pressestelle, da wurde ein Telefonat mit der Pressesprecherin verabredet. Den Namen nenne ich an dieser Stelle nicht. Ich habe angerufen. Die genervte Sekretärin erklärte mir, dass die Sprecherin nicht da sei, sie, die Sekretärin auch nicht wisse, wo die Sprecherin sich aufhalte und ob und wann sie, die Sprecherin, an ihren Arbeitsplatz zurückkäme…“
Das Einzige, was ich nach lesen Ihres Textes jedoch tatsächlich fragen möchte, ist:
Warum führen Sie nicht lieber Tagebuch, als aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrungen gleich das „Totenglöckchen für die Dienstleistungsgesellschaft zu läuten“ und Ihren Frust einer breiteren Leserschaft aufzunötigen???
Das hat was von Sarrazin, der während seiner Reise in Dienstlimousine vermutlich einmal versehentlich zwei türkischen Gemüsehändlern über den Weg gelaufen ist, und daran den Untergang unserer Gesellschaft festgemacht hat.