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Von Träumern und Büttenrednern – wann sind Songwriter uberschätzt?

Heinz-Rudolf Kunze. Revisited. 

Wie findet man eigentlich seine Themen für die Kolumnen?

Nun, selbstverständlich kann ich diesbezüglich nur für mich sprechen.

Und da kann es mitunter passieren, dass man sich das Thema selbst überhaupt nicht aussucht und ich wie die Jungfrau zum Kinde kommt.

Manchmal ergeben sich sehr spannende Gespräche auf Facebook – z.B. über Nena

Soll heißen: Manchmal ergibt es sich einfach.

Z.B. folgendermaßen:

Alan: „Ulf, du vergleichst unseren Bundeskanzler in deiner letzten Kolumne mit schlechten Songwritern. Mich interessiert, wen du da eigentlich meinst.“

Ulf: „Wie wäre es mit Nena? Da hätte ich nen Verriss.“

Alan: Ach komm, Nena ist doch ein allzu leichtes Opfer. Wer glaubt denn ernsthaft, dass sie eine große Songwriterin sei?

Ulf: Ist was dran.

Liane: Der Verriss ist trotzdem gut. Ich hab ihn live in der Bar 439 in der Sternschanze gefilmt.

Ulf: Dein Film ist super. Die 100 jährige Bar sowieso. So ein bisschen Hans Albers meets Sally Bowles. Leider stammte mein Tischmikro anscheinend ebenso noch aus deren Garderobe. Aber wir schweifen ab. Wen denn nun?

Peter Huth kam auf Heinz-Rudolf Kunze

Peter (Huth) kommt vorbei. „Hey Leute, ich werfe mal Heinz Rudolf Kunze in den Ring.“

Ulf: „Moin Peter, mit dem guten Heinz ist das so ne Sache. Gar nicht leicht, finde ich. Und zwar aufgrund seiner Ambivalenz. Der Mann hat etwas drauf und auch die richtigen Vorbilder. Hierauf aufbauend stellt sich oft die Frage, warum hört man das eigentlich nicht in den meisten Studioproduktionen?

Ein gutes Urteil kann man sich dazu in der Regel bilden, so man ein aussagekräftiges Live Erzeugnis des jeweiligen Musikers zu Rate zieht.

Ich hätte eine Idee. Als Beispiel nehmen wir ein Radiokonzert, welches von ihm selbst anscheinend für so repräsentativ erachtet wurde, dass er es einige Monate darauf als offizielle CD veröffentlichte.

Ein Radio-Interview als Untersuchungsgegenstand zu Heinz-Rudolf Kunze

Insofern ein geeigneter Untersuchungsgegenstand.

Ich habe mir das mal vorgenommen.

Here we go:

Nach Veröffentlichung seines umstrittenen „Stein Vom Herzen“-Albums gibt HRK am 21. November 2013 für Radio Berlin ein recht intimes Clubkonzert vor enthusiastischem Publikum. War das Studiowerk aus meiner Sicht alles andere als ein Befreiungsschlag, durfte man dennoch gespannt sein, wie und ob ein Gig den Liedern aus bis dato insgesamt 30 Jahren neues Leben jenseits von Königin Patina einhauchen kann.

Bevor es in klassischer Rockbandbesetzung – Gitarre, Bass, Drums, Keyboard – so richtig losgeht, versucht sich der unbeirrt hochpolitische Kunze an einem Spoken Word-Ausrufezeichen. Sein „Sprechtext 1: Warum Höre Ich Nichts?“ – gewidmet dem kürzlich verstorbenen Dieter Hildebrandt – soll den Hörern als Snowden-Hymne und US-Kritik wie ein Blitz in die Glieder fahren. Doch was so gut gemeint als Tiger zum Sprung ansetzt, landet als Bettvorleger. Hier trifft gefühltes Dichterfürsten-Pathos auf reales Büttenredenschema, das mit Alaaf und Helau „errichten“ auf „hinrichten“ reimt. Ein unfreiwillig komischer Einstieg, bei dem man gar nicht mehr fragen muss, wer hier ob der vorangestellten Widmung im Grabe rotiert.

Das kann ja nur besser werden. Während man fremdschamerfüllt bereits den Einstieg der Band ersehnt, setzen die Instrumente endlich ein. Und gar nicht mal schlecht. „Europas Sohn“ kommt eine Spur rauer rüber als noch im Studio. Die Prise Breitbeinigkeit im Sandpapiersound tut dem engagierten Lied ersichtlich gut und unterhält.

Wie wenig er seinen ikonischen und in jeder Hinsicht brillanten Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ künstlerisch mit anderen Songs aufholen konnte.

Genau diese irritierende Zwiespältigkeit zieht sich musikalisch durch die den gesamten Konzertabend. Wie bei einem echten Januskopf stehen ihm Licht und Schatten gleichermaßen ins musikalische Gesicht geschrieben. Die beiden Songs seines 1985er Meisterwerks „Dein Ist Mein Ganzes Herz“ sind klarer künstlerischer Höhepunkt des Abends. Damals hat die Legende Conny Plank (Kraftwerk, Neu!, Ultravox, Eurythmics, DAF) ihm den perfekten Sound auf seinen bebrillten Leib geschneidert. Das großartige „Vertriebener“ war mit jeder biografisch-zerissenen Zeile seiner Zeit schon damals weit voraus. Mit wuchtiger Neil Young Gitarre und leidenschaftlich herausgeschleuderten Vocals emanzipiert er den Track vom 80er Rahmen des Studios. Ich heiß‘ Heinz wie mein Onkel, der in Frankreich fiel./Und Rudolf wie Rudolf Hess./ Ich werde überall begraben sein!“ Gut gebrüllt, alter Deutschrocklöwe!

Auch „Dein Ist Mein Ganzes Herz“, diesen zu oft als Schmalztopf verkannten Bastard aus entlarvendem Sarkasmus und sehnsuchtserfüllter Romantik rockt er sauber nach Hause. Keyboarder Matthias Ulmer setzt die ebenso simple wie brilliante Piano-Hook, den heimlichen Star des Evergreens, perfekt ein. „Was sind das bloß für Menschen, die Beziehungen haben?/ Betrachten die sich denn als Staaten?/ Die verführen sich nicht./die entführen sich höchstens./ Die enden wie Diplomaten.“ Besser kann man teutonische Beziehungsbürokraten nicht entlarven.

Solch Kniefall gebietenden Höhenflügen steht leider eine ganze Armee spielverderbender Kardinalsfehler gegenüber, die dem alten Showhasen unwürdig sein sollten. Das Wort Spannungsbogen ist Kunze zumindest bei diesem Konzert fremd. Immer wenn man gerade eingegroovt ist und bereit, sich von der Musik davontragen zu lassen, ruiniert der Osnabrücker die aufgebaute Atmosphäre mit wenig interessantem Genöle. Spoken Word Beiträge funktionieren aber nur, so man ein echter Storyteller à la Tom Waits ist oder ein vor Pointen triefender Aufklärer wie Henry Rollins.

Und dann wurde aus Kunze auch noch ein ranziger Laienprediger

Der gute Heinz hingegen stilisiert sich gerne zum ranzigen Laienprediger, der anscheinend weder den eigenen Songtexten vertraut, noch der Intelligenz des Publikums. Wenn er der gar nicht mal komplett üblen Medienschelte „Schämt Ihr Euch Nicht?“ Allerweltsplatitüden der Marke „Medien sind wichtig. Medien sind eine Stärke der Demokratie. Aber manchmal neigen sie dazu, ihre Macht zu missbrauchen“ voranstellt, kann man nur mit den schultern zucken. So etwas macht nicht nur den Flow der Lieder kaputt. Man wundert sich auch, dass keiner aus der Menge ihm ein Loriot artiges „Ach was?“ zurück gibt.

Allerspätestens beim textlichen Peinlichkeits-Höhepunkt „Sprechtext 3: Wie Müllmänner“ („Wir fordern die Frauenquote für Herrentoiletten. Diese letzte Männerbastion muss fallen. (..) Und wir haben festgestellt, dass es noch viel zu viele Tennisarme auf der Welt gibt.“) möchte man ihn rütteln, schütteln und ein wenig Rock’n’Roll-Spirit einimpfen.

Echt jetzt?

Dein Ernst?

Vom Kunze-Fan zur Skip-Taste 

Wer als Kunze-Fan so etwas mehr als einmal erträgt, ist ein harter Knochen mit viel Leidensfähigkeit.

Hilft bei letzterem Beitrag die Skiptaste, steht man bei mediokren Schlagern wie „Das Glück Auf Deiner Seite“ oder „Hallo Himmel“ vollends auf verlorenem Hörerposten. Warum nur waren viele so überrascht von seinem Auftritt bei Carmen Nebel? Das passt als natürliches Habitat tragischerweise wunderbar in jenes betuliche Programm.

Zum Ende dann noch ein kleiner Lichtblick mit drei akustischen Demoversionen der letzten Scheibe. Die machen zwar auch keinen Sommer, duschen einem dennoch wenigstens den Sirup-Sound der genannten Lieder ab.

Schlussendlich spiegelt dieses Livekonzert Kunzes unerklärliche Widersprüchlichkeit wider, die sich wie ein roter Faden durch seinen gesamten Katalog zieht. Seit dreißig Jahren betont er stets seine innige Zuneigung zu Vorbildern, wie David Bowie, Lou Reed, Neil Young oder Randy Newman. Trotz dieser ewig postulierten Orientierung an echten Innovatoren fehlen seiner Musik Bowies Nonchalance, Reeds kompromisslose Wut, Youngs authentisches Rockertum und Newmans Talent zu pointiertem Spott. Seit dreißig Jahren möchte man ihn fragen: Heinz, warum klingst du nicht wenigstens ein bisschen so konsequent wie deine Ikonen? Die Antwort bleibt er auch weiterhin schuldig.

Tja.“

Michael (Thomsen) gesellt sich dazu: „Überschätzte Songwriter? Wie wäre es denn mit Cat Stevens?“

Ulf: „Alter, Cat Stevens, echt jetzt? Der ist doch super mit allem was er geleistet hat.“

Michael: „Sehe ich ganz anders.“

Ulf: okay, ab diesem Punkt wird es doch überhaupt erst interessant. Ich nehme die Herausforderung an. Der nächste Artikel geht über Cat Stevens und seine unlockbare musikhistorische Bedeutung. Und dann kannst du hier ja wieder auftauchen.

Tja, liebe Leute.

Was also bleibt mir anderes übrig, als nun einmal über Cat Stevens zu schreiben aber vielleicht ganz anders. Vielleicht ein wenig so wie es der Künstler und der empfindsame Mann in ihm verdient hätten, zuvorderst jedoch der Leser und die Kunst selbst.

Ob ich damit am Ende richtig liege oder nicht?

Ach, ist nicht entscheidend. Entscheidend bleibt für mich, dass wir wieder darüber quatschen, was uns bewegt, wo wir unterschiedlicher Ansicht sind und selbstverständlich auch darüber wo wir unterschiedlichen oder auch gleichen Geschmackes sind.

Sich an der Leidenschaft gegenseitig erfreuen.

Die Kunst in ihrem Eigenleben jedoch von diesen menschlichen und allzu menschlichen Empfindungen zu trennen, nun, dies ist und bleibt immer mein Ansinnen.

 

 

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2 Gedanken zu “Von Träumern und Büttenrednern – wann sind Songwriter uberschätzt?;”

  1. avatar

    Cat Stevens hat eine top Stimme, und er hatte seine beste Zeit als Songwriter um 1970 herum. Lang ist‘s her, trotzdem top seinerzeit. Ich möchte noch ein Argument ins Feld führen, das selten angeführt wird. Seine Platte Teaser and the Firecat – ganz gleich, was man von der Musik hält – ist in einer für das Jahr 1971 überirdischen Klangqualität produziert worden. Überirdisch!

  2. avatar

    Ich habe Kunze mal gefragt, warum man von seinen von ihm oft benannten musikalischen Vorblildern in seiner Musik so wenig bis fast nichts hört. Sondern eigentlich immer nur harmonischen Mainstream-Rockpop. Er hat geantwortet: „Weil ich nichts anderes kann“.

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