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Wie Libertäre zu nützlichen Idioten der Autoritären werden

Hitler ist wieder Mode, schreibt der amerikanische Libertäre Austin Petersen im konservativ-jüdischen „Tablet“ und fragt, keineswegs rhetorisch: „Ist meine eigene libertäre Bewegung daran schuld?“  Ähm, ja. Es gibt, wie Peterson schreibt, eine „Pipeline zwischen den Libertären und der Neuen Rechten“. Besonders – aber eben nicht nur – in den USA, wo viele Libertäre Donald Trump unterstützen oder im Bunde mit Evangelikalen oder katholischen Fundamentalisten wie J.D. Vance eine „postliberale Ordnung“ befürworten, in der es um den zentralen Wert der Libertären, die individuelle Freiheit, erheblich schlechter stehen würde als jetzt.

Wie kommt das? Es gibt sicher viele Antworten, aber die erste und wichtigste liegt in der Ideologie der Libertären selbst, genauer: in ihrer Ausformulierung durch ihre Säulenheilige Ayn Rand. Für Rand ist der Staat schlechthin Feind der Freiheit; ihre Anhängerinnen sind oft an der Aussage zu erkennen, dass „alle Freiheitsrechte Rechte gegenüber dem Staat“ seien.

Ist der Staat per se Feind der Freiheit?

Dieser Satz klingt gut und einleuchtend, ist aber falsch. Wie heißt es in der Unabhängigkeitserklärung der USA, dem Gründungsdokument des Liberalismus, übrigens der wichtigsten philosophischen und politischen Gegenposition zum Libertarismus: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness. That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed …“

Genau: Regierungen sind dazu da, die unverwirkbaren Rechte der Bürger und Bürgerinnen zu sichern. Nach Thomas Jefferson, von dem dieser Passus stammt, ist der Staat also nicht der Feind der Freiheit, sondern deren Voraussetzung. Nach seiner liberalen Lesart sind Freiheitsrechte zwar auch nötig als Schutz gegen staatliche Übergriffigkeit, der Staat aber nötig, um diese Rechte zu wahren, sei es gegen ausländische Tyrannen und ihre Agenten, daher das stehende Heer und die Geheimdienste, sei es mächtige innenpolitische Gruppierungen und Individuen wie Aristokraten und Kapitalisten, man denke an die Gesetze gegen Monopole und für das Streikrecht, sei es gegen Verbrecher, daher Polizei und Gerichte, sei es – am wichtigsten überhaupt – gegen die Tyrannei der Mehrheit, daher Schutzrechte für Minderheiten und Minderheitsmeinungen.

Ohne den liberalen Staat degeneriert die Demokratie entweder in die Anarchie oder in die Herrschaft der Stärksten und Gewissenlosesten oder nacheinander in die Anarchie und die Herrschaft der Rücksichtslosen. Doch genau diese Herrschaft wollen die Randisten. Ayn Rand selbst muss man sich als Friedrich Nietzsche für einfache Gemüter vorstellen. Sie ist lesbarer, moderner und eindimensionaler als der gequälte Autor von „Also sprach Zarathustra“, der unter dem Mittelmaß des deutschen Bürgertums litt und sich einen „Übermenschen“ imaginierte, der unter diesem – heute würden manche sagen „Shitbürgertum“ – aufräumen sollte.

Der Geniekult Ayn Rands

Ayn Rand betete wie Nietzsche den großen Künstler an (es war bei dieser unglücklichen Vatertochter immer ein Mann); in „The Fountainhead“ ist das ein junger Architekt, der die Ansicht vertritt: „Die großen Schöpfer, die Denker, die Künstler, die Forscher, die Erfinder, – immer standen sie allein gegen die Menschen ihrer Zeit. Jeder Gedanke traf auf Widerstand (…) Sie stritten, sie litten, sie büßten. Doch sie siegten.“ Was natürlich weder auf Forscher noch Erfinder zutrifft, man denke etwa an Albert Einstein oder Thomas Edison; noch auf Denker, die – man nehme Rand selbst, obwohl sie mehr fühlte als dachte, Nietzsche, Freud, Popper, Foucault u.v.a.m. – schnell Anhänger gewannen und gewinnen; und was die Künstler betrifft, so hat der von Rands Held formulierte Originalitätskult mehr Schrott hervorgebracht als der möglicherweise allzu konservative Geschmack der jeweiligen Epoche. Vor allem aber beweist der Widerstand der Masse gegen Ideen, Erfindungen, Entdeckungen und Kunstwerke nicht automatisch ihre Wahrheit, Richtigkeit, Nützlichkeit oder Schönheit; ist nicht jeder Zeitgeistkritiker ein verkanntes Genie.

Ayn Rand hatte erlebt, wie der bolschewistische Staat ihren geliebten Vater – einen Apotheker – enteignete. Sie selbst allerdings war ein bevorzugtes Kind des neuen Regimes; ihren Hass auf den Staat an sich entdeckte sie erst nach ihrer legalen Übersiedlung in die USA. Und das ist auch nachvollziehbar. Denn ihre Kritik am Staat lautet, dass er eine Verschwörung der Mittelmäßigen zur Unterdrückung der natürlichen Elite sei, was der bolschewistische Staat in seinen Anfängen nicht war: Er war eine Verschwörung eines Teils der intellektuellen Elite gegen die Masse des Volks. Rand hatte immer etwas Bolschewistisches an sich, etwas Unbedingtes und Sektenhaftes, und die Demokratie hat sie weder begriffen noch gemocht noch unter ihren Anhängern geduldet.

Wie alle Verschwörungstheorien enthält auch Rands Staatstheorie ein Körnchen Wahrheit. Natürlich ist der demokratische Staat – siehe oben – ein Instrument in den Händen der Vielen, Schwachen, um sich gegen die Wenigen, Starken zu wehren. Das kann so weit gehen, zumal wenn bestimmte Interessengruppen – Gewerkschaften, Umweltaktivisten, Postkoloniale  – oder der Zeitgeist einen bestimmenden Einfluss auf Teile der Regierung bekommen, etwa auf die Judikative oder den Erziehungsapparat, dass aus dem Schutz der Vielen vor Übergriffen der Starken eine gegen jede Exzellenz, jede Initiative, jede Innovation gerichtete Herrschaft des Mittelmaßes wird.

Kommunizierende Rohre: Libertarismus und Faschismus

Hiergegen die Rechte der Einzelnen, insbesondere der Unternehmer, und der Dissidenten zu schützen, ist nicht nur richtig, sondern notwendig und gut liberal gedacht – wirtschaftsliberal und gesellschaftlich liberal. Die Libertären aber verabsolutieren die Kritik am demokratischen Staat, den sie als Feind ansehen, und verbünden sich im Namen der Freiheit mit den reaktionärsten Kräften – auch deshalb, weil sie letztlich, wie die Reaktionären, die Masse verachten, das Schwache verabscheuen und das Starke anbeten.

Deshalb haben sie eine offene Flanke hin zum Faschismus, der die Förderung der angeblich überlegenen Rasse und der Starken innerhalb dieser Rasse zur Aufgabe des Staates, ja die Freiheit des Starken gegenüber den Schwachen zum Kern ihrer Moral machte. „Wenn zivilisierte Männer gegen Wilde kämpfen, unterstützt man die Zivilisierten, egal wer sie sind“, so einer der bekannteren Sprüche Ayn Rands. Das ist aber nur die Umkehrung der postkolonialen Position, dass man in einer solchen Lage die Wilden unterstützt, egal wer sie seien. Was bedeuten aber „wild“ und „zivilisiert“, etwa wenn sich das zivilisierteste Volk Europas dem Völkermord verschreibt? Ganz offensichtlich befinden sich die beiden Begriffe jenseits des Rechts, das auch dem „Wilden“ die gleiche Menschenwürde zumisst wie dem „Zivilisierten“.

Elon Musk, Peter Thiel, J.D. Vance, Steve Bannon und andere proklamieren ein postliberales Zeitalter, Donald Trump und Viktor Orban ebnen diesem Zeitalter dem Weg, und allzu viele Libertäre jubeln ihnen dabei zu oder ebnen ihnen den Weg, indem sie im Namen der Meinungsfreiheit den Feinden der Freiheit eine Gasse schlagen. Die Herrschaft der Übermenschen wird aber nicht mehr Freiheit bringen, sondern weniger. Das sollten ihre nützlichen Idioten bedenken.

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