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Meine Schwester Gesine – So etwas wie ein Beitrag zum „DDR-Zwangsdoping“

„Ich habe nicht die Macht, meiner Schwester Gesine Walther eine Karriere als DDR-Spitzensportler zu eröffnen oder zu verschließen.“

Entgegnete ich im Dezember 1980 dem Geheimdienstoffizier des Ministeriums für Staatssicherheit, dem Leutnant, der sogar seinen Namen geheim hielt.  Bei dem ich einsaß im „Roten Ochsen“ seit dem Sommer des Jahres. Am 5. August 1980 war ich erwischt worden an der ungarisch-österreichischen Grenze. Hatte versucht, nicht wieder in die DDR zurückzukehren. Strafbar nach § 213 Absatz 2 des Strafgesetzbuches der DDR.

Dass meine keine zwei Jahre jüngere Schwester inzwischen nach Moskau fliegen durfte? Das wußte ich 19-Jähriger doch gar nicht. An den Olympischen Sommerspielen vom 19. Juli bis zum 3. August 1980 durfte sie teilnehmen. Als Ersatzläuferin zwar nur. Aber das war erst einmal ein Anfang. Es hatte sie selbst überrascht, so steht es oben im Ausriß der Weißenfelser Zeitung.

Und noch einmal: Woher hätte ich das wissen sollen? Es gab in Ungarn keine Weißenfelser Zeitung. Es gab 1980 kein Smartphone und kein Internet.

Und nun?

„Und nun,“ so sah mich der Leutnant des Ministeriums für Staatssicherheit vorwurfsvoll an, in jenem Dezember 1980:

„Und nun haben Sie die Sportkarriere Ihrer Schwester beendet. Bevor sie überhaupt begann. Die Sportkarriere des derzeit größten Lauftalentes unsrer Republik. Was haben Sie sich nur dabei gedacht?“

Na gar nichts, natürlich!

Dass ich nun meine Tat bereute? Wegen familiärer Rücksichtnahme? Na das fiel aber aus! Also sagte ich:

„Ich habe nicht die Macht, meiner Schwester Gesine Walther eine Karriere als DDR-Spitzensportler zu eröffnen oder zu verschließen.

Diese Macht, Herr Leutnant, haben allein Sie.“

Zu meiner Verblüffung nickte der Mann ob dieser meiner Erkenntnis:

„Stimmt! Deshalb müssen wir jetzt Einiges von Ihnen wissen.“

Dann verlas er mir eine Stellungnahme meiner Schwester zu meinem Verbrechen. Dass sie dieses verurteile und sich distanziere und so. Ja was sonst? Das größte Leichtathletik-Talent der Republik. Inzwischen nicht mehr nur Ersatz, sondern reguläre Startläuferin in der 4 x 100-Meter Staffel der Damen.

Wer als Reisekader in das Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet, NSW, bestätigt werden wollte, wer als Teilnehmer zu den Olympischen Spielen 1984 nach Los Angeles fliegen wollte, der sagte so was: Dass es ein Verbrechen wäre, im Westen zu bleiben. Zutiefst verabscheuungswürdig, diese Menschen, die nicht in die DDR zurückkehren wollen.

Ein Rollenspiel

Dann begannen wir also dieses Rollenspiel.

Meine Schwester sei völlig überzeugt vom Sozialismus, sagte ich dem MfS-Offizier. Was ja kein Wunder sei bei all diesen Privilegien, die sie genieße. Und dann setzte ich noch einen oben drauf:

„Kleine Schwestern sind ätzend, Herr Leutnant. Sie ist nicht mal zwei Jahre jünger als ich. Von Kindesbeinen an wollte sie immer das haben, was ich habe. Ich glaube, vor allem das hat unsere Geschwisterbeziehung völlig vergiftet. So vergiftet, dass wir schon seit längerem keinen Kontakt mehr zueinander haben.“

Bei der Bezirksverwaltung Erfurt des Ministeriums für Staatssicherheit kam das an, wie es ankommen sollte:

„Diese (ihre) positive Haltung bestätigte sich durch die Vernehmung ihres Bruders.“

Ich habe Ihnen das unten in einem Aktenausriss angestrichen. Ist kein großer Familien-Verrat. Meine Schwester hat es selbst in den Buchhandel geworfen, in diesem Buch auf Seite 96 .

„Haben Sie mal eine Sekunde darüber nachgedacht, ob ich die Veröffentlichung meines Klarnamens überhaupt will? Dass Sie dazu meine Zustimmung bräuchten?“

Fragte ich dreißig Jahre später, 2015, die Herausgeberin des Buches.

„So? Hätten Sie denn etwas dagen gehabt, gegen die Aufarbeitung des DDR-Zwangsdopings?“

Oh, Rollenspiele sind nichts Harmloses. Irgendwann wächst man in die Rolle hinein.

Selbstschädigendes Verhalten

Das Drama funktionierte in diesen 1980er Jahren anders, als ich gedacht hatte:

Meine Schwester durfte tatsächlich ihre Karriere starten. Durfte in die Welt hinaus, als Diplomatin im Sportdress.

In dieser Rolle konnte sie schon bald am Ende einer Europameisterschaft auf dem Siegerpodest stehen. Mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz überm Busen. Das wiederum war ein Beitrag zur Erhöhung des internationalen Wirkens der Deutschen Demokratischen Republik. Wofür es den ersten Vaterländischen Verdienstorden gab.

Erich Honecker höchstpersönlich heftete ihr die Auszeichnung an am 7. Oktober 1982. Sie durfte sogar seine Hand halten:

„Keine zittrige Hand, dieser Mann hat einen klaren, ehrlichen Händedruck, Bodo!“.

Einen weiteren Vaterländischen Verdienstorden gab es dann für den Weltrekord 1984.

Meine Rolle war eine andere in diesem Spiel. Ich wurde, anders als 90 bis 95 % meiner Haftkameraden (so schätzte das Bundesverfassungsgericht dort unter Rz. 11), nicht aus der Haft in den Westen verkauft.

Da könnten sie gar nichts machen, sagte das Büro des Herrn Rechtsanwalt Vogel. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Einwände gegen meinen Freikauf erhoben (Aktenausschnitt unten).

„Operative Einwände bestehen, da die Schwester des Beschuldigten Gesine Walther Leistungssportlerin ist. … Ihr Einsatz bei Wettkämpfen in nichtsozialistischen Ländern, könnte bei Übersiedlung des Beschuldigten nicht erfolgen.“

Nach Weißenfels, in die DDR wurde ich entlassen. Und da ich nun erst recht raus wollte aus der DDR, war auch mein Personalausweis eingezogen. Ich lief mit diesem Personaldokument 12, dem PM 12 herum. Mit dem konnte ich nicht mal ausserhalb von Weißenfels meinen Wohnsitz nehmen.

Ins Ausland fahren konnte ich damit sowieso nicht. Wer schon einmal eine Auslandsreise für nen Fluchtversuch genutzt hat und das noch immer nicht bereut, der wird das ja wieder tun. Nach allen Grundregeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Und er ist auch dahingehend zu beobachten.

Und dann mußte ich auch wieder ins Gefängnis am 13. Januar 1984. Jetzt nicht mehr nur als nützlicher Idiot des westdeutschen und US-Imperialismus, jetzt unter dem Vorwurf, dessen Agent zu sein.

Verkauft worden gen Westen bin ich dann doch noch. 1985.

Meine Schwester hingegen beendete zwei Monate nach meiner Entlassung in den Westen ihre Rolle als Spitzensportlerin. Das Ministerium für Staatssicherheit vermerkte (Minute 32:05 in desem Stream der Stasiunterlagenbehörde, dem auch ein Transskript beigefügt ist. ).:

„Ergebnisse des politisch-operativen Aufklärungsprozesses: Die W. hat nach der Geburt ihres Kindes einen Antrag auf Entbindung vom Leistungssport gestellt. Obwohl von Seiten der Leitung des SC Turbine die Meinung bestand, dass sie in der Lage wäre, ihr Leistungsvermögen bereits im Jahre 1986 wieder zu erreichen, wurde dem Antrag aufgrund der Entlassung des Bruders am 12.03.85 aus dem Strafvollzug in die BRD stattgegeben.“

Wollte Gesine nicht mehr Werbetafel für die Sozialistische Alternative zur Bonner Republik sein? Die Bonner Republik, in der nicht nur die Großeltern, sondern auch Onkel und Tante und nun auch ihr Bruder lebten?

War es auch die Sorge, nach dem verbotenen Start der DDR-Olympiaauswahl 1984 in Los Angeles vielleicht doch kein olympisches Gold mehr erringen zu können? Die nächsten Olympischen Spiele sollten 1988 in Seoul sein. Wäre das dann zu spät ? Und sie „zu alt“ ?

Was wäre wenn ?

Hätte ich dem Leutnant 1980 im Dezember die Wahrheit sagen sollen?:

„Meine liebe, traurige Schwester. Von Kindesbeinen teilte ich mit ihr alles, was ich hatte.

Wäre sie dann von der Sportschule geflogen? Wären mir 2/3 der 3 Jahre Haft erspart geblieben?

Hätte ich? Nicht? Man haut doch seine eigene Schwester nicht in die Pfanne! Und monokausal, also auf einen einzigen Grund zurückführbar, so verläuft das Leben nie. Wer weiß schon, was gewesen wäre, wenn.

Und dass meine traurige Schwester, dass diese heute eine depressive Hausfrau ist; … eine Mutter, die vier Kinder geboren und erzogen hat und nun Antidepressiva schluckt …

Ist das wirklich die Folge eines „DDR-Zwangsdopings“ ?

Spielt es bei heutigen psychischen Zuständen wirklich keine Rolle, was sonst noch so geschehen ist in unserem nun 63-jährigen und 65-jährigen Leben?

Das mit dem Sport ist 40 Jahre her und dieses „unterstützende Mittel“, das Dehydrochlormethyltestosteron, das ist nicht mehr drin im Körper, sagt Dr. Buhrmann.

Und überhaupt: Sind meiner Schwester tatsächlich

„als Hochleistungssportler oder -nachwuchssportler der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht worden.“ ???

So beschreibt ja § 2 Absatz 1 Nr. 1 des Dopingopfer – Hilfegesetzes den Personenkreis, der in einer „Dopingopfer-Hilfe“ mit einer Einmalzahlung bedacht wurde.

Es war ihr doch gesagt, dass die Pille entscheidende Sekundenbruchteile auf der Laufbahn bringt. Dass sie damit dem Olympiagold näher käme. Sie erhielt es in der Originalverpackung, wie sie 2010 dem Spiegel gegenüber berichtete.

Und Gold in Olympischen Spielen zu erringen, dafür tat sie doch alles. Gesund ist so was nie für die Psyche. Auch ganz ohne Doping.

10.500 Euro Dopingopferhilfe, ausgelobt für DDR-Sportler, die vom Doping nichts gewußt hätten – das sei eine späte Rache der Bonner Republik an den DDR-Sporterfolgen,behauptet Täve Schur.

Gesine ist nun ein staatlich anerkanntes SED-Unrechts-Opfer. Ein Dopingopfer. Das habe sich erschlossen aus den Stasi-Akten, welche sie nach 1992 habe einsehen können: Dass sie ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen gedopt worden sei. So erzählt sie es der Sunday Times zu London.  Und nun muss sie noch eine Opfer-Rente bekommen,  „.. wie andere SED-Opfer auch.“ 

Sagt die Bundes-Opferbeauftragte. Beauftragt für Zeitgenossen, welche sich in die Opferrolle begeben haben.

Ist es vielleicht doch wahr, was ich dem Leutnant, er hieß übrigens Zahn, vor fünfundvierzig Jahren vorgelogen hatte? :

„Meine Schwester Gesine ist nicht mal zwei Jahre jünger als ich. Von Kindesbeinen an wollte sie immer das haben, was ihr großer Bruder auch hat.“

 

 

 

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Über Bodo Walther

Bodo Walther, geboren 1960 in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, studierte 1985 bis 1991 Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn. Er war aktiver Landes- und Kommunalbeamter in Sachsen-Anhalt, ist heute im Ruhestand und Anwalt in der Nähe von Leipzig.

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